8. Veit
Wir fahren mit der Rolltreppe nach oben. Ich bin aufgeregt und glücklich. Zugleich versuche ich, meine überschäumenden Gefühle unter Kontrolle zu halten. Der Vormittag war bisher großartig, aber ich weiß nicht, ob ich mich auf diese Entwicklung verlassen kann.
Als Thomas sich in der Küche hingekniet hat dachte ich, mein Herz bleibt stehen. Die Realität hat meine Fantasie getoppt, obwohl es in einem gemütlichen Bett noch besser gewesen wäre. Aber er besitzt ja keins, was wir heute auf jeden Fall ändern werden. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm bei der Gestaltung der Räume zu helfen. Dieses Haus muss wieder ein echtes Zuhause für ihn werden, in dem er sich wohlfühlt.
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass sich Thomas erneut zurückzieht. Als würde eine dunkle Wolke in seinen Gedanken auftauchen, die all die guten Gefühle verdrängt und ihn zweifelnd und verunsichert zurücklässt. Leider erzählt er mir nicht, was ihn beschäftigt oder gegen welche Dämonen er kämpft. Genau wie Dennis …
Zerknirscht frage ich mich, ob es an mir liegt. Bin ich nicht vertrauenswürdig genug? Werde ich niemals derjenige sein, dem man seine Sorgen und Ängste anvertraut, weil …? Ich ziehe die Stirn in Falten und versuche, einen Grund dafür zu erkennen. Bin ich es nicht wert? Hat etwa schon meine Mutter gespürt, dass etwas mit mir nicht stimmt?
Ich stolpere am Ende der Treppe und falle beinahe hin. Thomas hält mich am Arm fest.
»Alles in Ordnung?«, fragt er und mustert mich besorgt. Er drängt mich zur Seite, damit wir niemandem im Weg stehen. »Was ist los? Du guckst, als hätte dich jemand geschlagen oder verletzt.«
»Nein, ich … ich war nur in Gedanken und habe nicht aufgepasst. Es gibt ja so viel zu planen und …«
»Du bist ein ziemlich schlechter Lügner«, behauptet er und zieht sich zurück. Ich sehe, wie sich die verdammte Wolke wieder über seinem Kopf zusammenbraut. »Wenn du es dir anders überlegt hast, ist das in Ordnung, Veit. Du musst dir das hier wirklich nicht mit mir antun.«
»Spinnst du?«, fahre ich ihn an und weiß nicht, ob ich auf ihn oder mich in diesem Moment wütender bin. Offensichtlich bin ich gerade dabei, unseren Tag zu versauen. »Ich will das hier unbedingt.«
»Okay, dann fang besser wieder zu strahlen an«, fordert er und stupst mir gegen die Nase.
Ich kann gar nichts dagegen machen, dass sich meine Wangen verfärben.
»Das ist schon mal ein guter Anfang. Und jetzt noch die Mundwinkel anheben.« Er streicht über meine Lippen.
Ich atme tief durch und lächle ihn an.
»Perfekt.« Thomas drückt einen Kuss auf meine Stirn. »Erzähl mir, was dich beschäftigt.«
»Später«, antworte ich. »Jetzt wird eingekauft.«
Ich verdränge die blöden Gedanken und stürze mich ins Gewühl. Die Veränderung in Thomas‘ Haltung gefällt mir. Schon als er umgezogen vor mir stand und dieser Hauch seines Parfums mir in die Nase stieg … Er ist so verdammt sexy, dass ich ihn auffressen möchte. Ich wünsche mir sehr, dass er mich auch will.
Übermütig ziehe ich ihn in eine der kleinen Ausstellungswohnungen, drücke ihm einen winzigen Kuss auf die Lippen und sehe ihn hinterher entschuldigend an. Schmunzelnd mustert er mich einen Moment, dann beugt er sich vor und küsst mich ebenfalls. Inniger, aber trotzdem unschuldig. Ich schmelze wie eine Schneeflocke oder ein Marshmallow im Kakao. Wegen dieser Vorstellung am Kichern löse ich mich von ihm. Fragend schaut mich Thomas an.
»Deine Küsse schmecken wie Kakao. Ich fühle mich wie ein Marshmallow, der darin schmilzt.«
»Das ist was Gutes, oder?« Wieder wirkt er erstaunlich verunsichert.
»Auf jeden Fall«, sage ich voller Inbrunst und stehle mir noch einen Kuss. »Woher kommen diese Zweifel? Liegt es daran, dass ich ein Mann bin? Überstürze ich die Sache schon wieder?«
»Ich habe keine Angst, mich mit dir zu zeigen«, raunt er mir leise zu.
»Was ist es dann?«, frage ich und klinge wie ein nerviges Kleinkind.
Ich bekomme keine Antwort, was meine Befürchtungen bestärkt.
Mühevoll lächle ich ihn an und versuche, die dumpfe Angst zu unterdrücken.
»Was hältst du von so einem System anstatt einer klassischen Anbauwand?,« frage ich und zeige auf die quadratischen Boxen, die es in verschiedenen Farben und Tiefen gibt, mit und ohne Türen. Ich hole einen der kleinen Bleistifte, die überall rumliegen und zeichne auf die Rückseite eines Bestellzettels eine spontane Idee, wie er die Kästen anordnen könnte.
»Das ist genial«, lobt Thomas. »Wirklich, genau so will ich es haben. Und die Wand dahinter streichen wir in einem dunklen Grau.«
»Vermutlich wirst du mich nicht mehr los, weil mir dein Wohnzimmer so gut gefällt.«
»Dann suchen wir wohl mal schnell ein Bett aus«, erwidert er lachend.
Seine Worte entfachen ein beispielloses Kribbeln in meinem Bauch. Ich muss darüber reiben, weil ich das Gefühl habe, gleich vor Glück zu explodieren.
»Ich hoffe, du hast das so gemeint, wie ich es verstanden habe«, flüstere ich.
Anstelle einer Antwort schnappt er sich meine Hand, führt mich zu einem Sofa und lässt sich in das weiche Polster fallen. Ich setze mich neben ihn. Eine Weile schweigt Thomas und starrt gedankenverloren vor sich hin.
»Die ist erstaunlich gemütlich«, sagt er und rutscht ein wenig näher an mich heran. »Mein Leben war bisher auch bequem. Wie ein paar besonders ausgelatschte Hausschuhe, von denen man sich nicht trennen will oder ein Sessel, dessen Polster schon ganz durchgesessen ist. Ich habe es nicht begriffen, obwohl ich spüren konnte, dass etwas nicht richtig ist. Im Büro habe ich mich gut und glücklich wegen dir gefühlt, aber zu Hause bin ich ohne nachzudenken in die alten Pantoffeln geschlüpft. Ich war ein mieser Ehemann und offenbar auch ein unfähiger Sexpartner. Jetzt könnte ich dich endlich in meinem Leben haben, das gute Gefühl von der Arbeit mit nach Hause nehmen, aber ich habe Angst, dass ich es versaue oder dass du erkennst, dass Elsa recht hat.«
Thomas reibt nervös die Hände aneinander und klemmt sie dann
zwischen seine Oberschenkel. »Das ist wirklich nicht der richtige Ort für so eine Unterhaltung«, murmelt er und schüttelt den Kopf.
»Ich will, dass du mich von der Arbeit mit nach Hause nimmst. Es tut mir leid, dass sie dir solche Zweifel eingeredet hat, aber ehrlich, Thomas. Das heute in der Küche war großartig. Schon allein die Bilder heraufzubeschwören sorgt dafür, dass ich hart werde. Hier, in diesem verdammten Möbelhaus. Es war wie eine Pornofantasie, die sich erfüllt hat. Hast du es wirklich nicht gespürt?« Eindringlich schaue ich ihn an, kann nicht glauben, dass er es anders empfunden haben könnte.
»Du bist gekommen«, flüstert er und klingt tatsächlich nicht überzeugt.
»Es war viel mehr als das. Du hast mich fliegen lassen. Oh Gott, ich möchte eine Menge dazu sagen, aber momentan ist es wirklich unpassend. Stattdessen gebe ich dir jetzt und hier ein Versprechen: Wenn du ein Bett hast, werde ich dafür sorgen, dass wir mindestens einen ganzen Tag nicht herauskommen. Wir werden all deine Zweifel wegvögeln und meine ebenso.«
»Woran zweifelst du?«
»Dass ich es wert bin, geliebt zu werden.« Die Worte verlassen meinen Mund, ehe ich sie zurückhalten kann. Verdammt, das wollte ich nicht aussprechen.
»Wir sind schon ziemlich schräg.« Thomas beginnt leise zu lachen.
»Komm mit, damit ich dir zeigen kann, dass du für mich alles wert bist.«
Wir stehen auf, grinsen uns schief an und setzen den Einkaufsbummel fort. Als wir die Bettenabteilung betreten, fängt mein Herz nervös zu klopfen an und ich bekomme feuchte Hände.
»Oh mein Gott«, flüstere ich und kann nichts dagegen machen, dass mein Kopfkino sofort anspringt und eine Menge versaute Dinge zeigt.
»Ich kann sehen, was du denkst«, raunt er mir zu.
Mit einer Hand berührt er meinen Hintern. Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, und bekomme eine Gänsehaut davon.
»Du wirst es auch erleben, wenn du willst«, erwidere ich und drücke provokant meine Zunge gegen die rechte Wange. Leider bin ich nicht halb so cool, wie ich es gern wäre, denn im gleichen
Augenblick beginnt mein Gesicht zu brennen.
Thomas lacht leise und schüttelt den Kopf.
»Diese Mischung aus verrucht und schüchtern bringt mich um den Verstand«, raunt er mir zu. Diesmal kneift er mir in den Hintern. Das ist eindeutig keine zufällige Berührung.
»Wenn du so selbstbewusst bist, bringt mich das ebenfalls um den Verstand.«
Thomas schluckt schwer. Ich würde gern erfahren, was genau zwischen ihm und seiner Frau vorgefallen ist und bin fest entschlossen, es herauszufinden.
»Was für ein Gestell schwebt dir denn vor? Oder willst du lieber ein Boxspringbett?« Ich deute auf die Auswahl und überlege, welches Bett mir am besten gefallen würde. Langsam schlendere ich an den Musterbetten vorbei, lasse mich wahllos auf eins fallen, verschränke die Arme hinter dem Kopf und sehe Thomas fragend an.
»Ist das dein Ernst?«, erkundigt er sich mit einem breiten Grinsen.
Irritiert schaue ich mich um und bemerke, dass ich ein Metallgestell mit praktischen Streben am Kopfende ausgesucht habe. Glucksend strecke ich die Arme aus und halte mich an ihnen fest.
»Sehr nützlich«, konstatiere ich lachend.
Thomas setzt sich zu mir und mustert mich eine Weile schweigend.
»Das würde dir gefallen?«, fragt er schließlich und betrachtet das schwarze Metall.
Ich kann seinen Tonfall nicht deuten, lasse das Gestell los und setze mich neben ihn.
»Das war nur ein Scherz«, erkläre ich und berühre sanft seinen Oberschenkel. »Das Bett muss dir gefallen. Aber es macht bestimmt Spaß, mit plüschigen pinkfarbenen Handschellen ...« Ich halte inne, denn ich spüre, wie sich Thomas neben mir verspannt. Was ist nur heute los? Wir taumeln ständig zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.
»Was, wenn man mit mir keinen Spaß haben kann?«
Irritiert schaue ich ihn an und brauche einen Moment, um die Frage zu verstehen.
»Ich nehme die Herausforderung an. Wir werden verdammt viel Spaß haben.«
»Aber vielleicht doch eher in einem anderen Bett«, sagt er nach
einigen Augenblicken und steht auf.
»War ich wieder zu schnell?«, frage ich und schnaufe frustriert.
»Nein.« Erneut ergreift er meine Hand. »Ich glaube nur nicht, dass ich der Typ für ein Metallgestell bin.«
Er lässt mich nicht mehr los. Die Blicke der Leute scheinen ihm nicht zu stören, was mich verdammt stolz macht. Für einen Moment schmiege ich mich dicht an ihn und genieße seinen Duft.
»Du findest, ein Bett sollte Streben haben?«, erkundigt er sich. »Ja oder ja?«
Er deutete auf ein Holzbett mit einem hohen Kopfteil.
»Liegeprobe?«, erwidere ich, dabei imitiere ich seinen Tonfall.
Thomas geht lachend voran und lässt sich auf die Matratze fallen. Diesmal ist er es, der die Finger um die Holzstreben legt und mich aufreizend anschaut. Der Anblick raubt mir den Atem. Ich will, dass er genau so vor mir liegt. Ohne Klamotten, ohne Zweifel. Nur wir beide und eine Menge Zeit, um uns zu erkunden.
»Ist das ein Ja?«, fragt Thomas leise.
Ich gehe einige Schritte auf ihn zu, versuche, meine Erregung unter Kontrolle zu halten.
»Wenn ich ein Mitbestimmungsrecht habe, dann will ich genau dieses Bett. Du siehst so heiß und sexy darin aus, dass wir vermutlich gleich von Sicherheitsdienst rausgeworfen werden.«
»Dieses Risiko können wir nicht eingehen«, erwidert er und seine Stimme klingt rau und dunkel.
Er notiert die entsprechenden Daten auf dem Zettel und zieht mich weiter.
Wie es sich gehört, essen wir Köttbullar und trinken Preiselbeersaft, bevor wir uns in die Dekoabteilung stürzen.
Ich hatte noch nie so viel Spaß beim Einkaufen. Offenbar haben wir die unangenehmen Momente und Fettnäpfchen hinter uns gelassen, denn der Rundgang durch die untere Etage ist einfach nur entspannt und lustig. Ich schmuggle Plätzchenausstecher in Form von Elchen und Rentieren in den Wagen, Thomas nimmt einen Kochlöffel, den er vorher an meinem Hintern ausprobiert.
Kichernd riechen wir uns durch sämtliche Kerzendüfte, bis wir ein bisschen high sind. Ich überrede ihn zu einem farbenfrohen kleinen Teppich. Er besteht auf ein graues Fell im Schlafzimmer.
Zum Schluss widmen wir uns der Weihnachtsdeko. Leuchtende Sterne für die Fenster und ein Sortiment bunter Kugeln. Ein paar Lichterketten und Weihnachtstassen. Als ich ihn frage, weshalb er ausgerechnet drei nimmt, sagt er, dass Dennis beim Basteln eine passende Tasse braucht. In diesem Augenblick verliebe ich mich noch ein bisschen mehr in Thomas. Es fällt mir schwer, mich nicht sofort schluchzend in seine Arme zu stürzen. Er bemerkt, wie sehr mich die Geste berührt, lächelt und drückt mir einen schnellen Kuss auf die Wange.
»Danke«, flüstere ich.
Die vielen Pakete mit den Möbeln zu suchen dauert eine kleine Ewigkeit. Die Schlange an den Kassen erscheint mir unendlich. Ich spüre, wie erschöpft ich inzwischen bin. Es war ein unglaublich anstrengender Tag, aber ich möchte keine Sekunde davon missen. Selbst die unangenehmen Momente haben uns näher zusammen gebracht. Noch bin ich mir nicht komplett sicher, ob ich seine Probleme begreife, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie in den Griff bekommen können.
Als wir endlich am Auto sind, ist es bereits dunkel. Wir brauchen eine Weile, um sämtliche Kisten im Kofferraum zu verstauen. Zum Glück ist der Wagen groß genug.
Erleichtert atmen wir durch, als sich die Heckklappe schließen lässt. Für einen Moment glaube ich, dass Thomas die Sache mit dem Baum vergessen hat, aber er zeigt, nachdem wir den Einkaufswagen weggebracht haben, auf den Verkaufsstand.
»Hast du noch genügend Power, um den perfekten Baum zu finden?«, fragt er und versucht, ein Gähnen zu unterdrücken.
»Dafür reicht meine Kraft auf jeden Fall aus«, entgegne ich und gehe entschlossen los.
Ein wunderbarer Duft nach Orangen, Fichten und Kiefern empfängt uns. Dazu dudelt leise Weihnachtsmusik. Ich summe mit und verspüre erneut gespannte Vorfreude.
»Ich habe schon seit Jahren keinen echten Baum mehr gekauft«, verrät Thomas und reibt ein paar Fichtennadeln zwischen seinen Fingern. Er atmet den Duft tief ein und seufzt genießerisch. »Das habe ich vermisst.«
»Dennis und ich holen uns immer einen kleinen Baum«, erzähle ich
und bemerke erneut einen winzigen Stich.
Ich habe Angst vor meinen eigenen Wünschen, denn ich will meinen besten Freund nicht zurücklassen. Es fühlt sich falsch an, aber ... vielleicht mache ich mir umsonst Gedanken, weil Thomas gar nicht mit mir die Weihnachtstage verbringen möchte. Er hat schließlich noch eine Familie. Vermutlich sogar andere Verwandte und Bekannte, die er besucht. Ich reibe über meine Stirn, um das einsetzende Pochen zu vertreiben.
»Elsa hat sich vor einigen Jahren in so einen weißen künstlichen Baum verliebt. Ich habe irgendwie nicht darüber nachgedacht, was ich mir wünsche. Weder was Weihnachten anbelangt, noch grundsätzlich. Offensichtlich habe ich ihr all diese Entscheidungen über unser Leben überlassen.« Er kratzt sich am Kopf. »Das macht mich nicht besonders attraktiv.«
»Ich weiß, dass du grundsätzlich nicht so lethargisch bist. Vermutlich lag euer Problem viel tiefer.«
»Mag sein. Ich habe mich in den letzten Wochen bemüht, nicht darüber nachzudenken.« Er lacht bitter auf. »Eigentlich habe ich erst in den vergangenen Tagen den Mut gehabt, mich mit meiner gescheiterten Ehe auseinanderzusetzen. Die Erkenntnisse gefallen mir nicht besonders.«
»Sei nicht so streng mit dir selbst.«
»Vermutlich sollte ich eher ein wenig strenger sein. Wie findest du diesen Baum?« Er deutet auf einen Besen.
»Wenn er dir gefällt«, erwidere ich und verschränke demonstrativ die Arme vor der Brust.
»Genau das ist das Problem. Ich bin mir gar nicht sicher, was mir gefällt.«
»Doch. Du weißt es, aber du hast deine Meinung anscheinend ziemlich lange unterdrückt.«
»Du gefällst mir.« Ehe ich mich versehe, zieht mich Thomas zwischen die Bäume. Die Nadeln piksen auf der Haut, aber der Schmerz löst sich in Wohlgefallen auf, als er mich küsst und seine Zunge tief in meinen Mund schiebt.
»Du bist so ein schöner Mann«, raunt er und presst seine Lippen gierig auf meine.
Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und erwidere jede
Berührung voller Leidenschaft.
Erst als wir keine Luft mehr bekommen, lösen wir uns voneinander. Mein Gesicht glüht, ich bin hart und unendlich geil. Der zärtliche Blick, mit dem mich Thomas anschaut, sorgt dafür, dass ich alles vergesse. Ich fühle mich wie ... wie ein Märchenprinz. Das ist kitschig, aber offenbar reicht es der Natur noch nicht, denn es beginnt zu schneien. Dicke weiße Flocken fallen gemächlich vom Himmel.
»Das ist eigentlich ein Happy End- Kuss.« Ich schaue nach oben und versuche, mit der Zunge eine Schneeflocke zu fangen.
»Der Gedanke gefällt mir«, meint Thomas, schnappt nach meiner Zunge und saugt sie tief in seinen Mund. Ich kann ein Stöhnen nicht unterdrücken.
»Wir werden doch noch rausgeschmissen«, flüstere ich und weiche vor Thomas zurück. Eilig verlasse ich unser Versteck und versuche, mich nicht wie geiles Luder zu fühlen, das unbedingt gevögelt werden muss.
»Wie gefällt dir der Baum?«, fragt Thomas nüchtern, als wäre er nicht ebenso erregt wie ich.
Diesmal ist es ein hübsches Exemplar. Vielleicht kein perfekter Zuckerhut, aber mit etwas Deko könnte er sich in den schönsten Weihnachtsbaum aller Zeiten verwandeln. Ich stimme zu. Thomas lässt ihn verpacken und wir stopfen ihn ins Auto.
Auf der Fahrt zurück schweigen wir beide. Mir fallen ständig vor Müdigkeit die Augen zu. Auch Thomas wirkt erschöpft und gähnt oft. Zugleich sind da immer noch diese unterschwellige Erregung, das Knistern und das Bedürfnis, mich dicht an ihn zu kuscheln. Ich glaube allerdings, dass wir beide über einige Dinge nachdenken sollten. Die Angst, dass er erneut vor mir davonrennt oder mich aus seinem Leben aussperrt, kann ich nicht komplett auslöschen.
Ich helfe ihm, den Wagen auszuräumen. Das Wohnzimmer ist anschließend voll mit Kisten und Kartons. Den Baum lagern wir auf der Terrasse.
»Geschafft«, ruft Thomas, streckt sich und verriegelt dann das Auto.
Unschlüssig, was ich tun darf oder soll, verharre ich neben ihm.
»Ich werde jetzt nach Hause gehen«, entscheide ich leise und weiß
nicht, ob ich vom Gegenteil überzeugt werden will.
»Keinen Kaffee?«, erkundigt er sich merklich enttäuscht.
»Ich bin ziemlich geschafft und ...« Mir fehlen die passenden Worte, um meine verwirrenden Gefühle zu beschreiben.
»Wir machen es uns nicht leicht«, meint Thomas mit einem Seufzen. »Es liegt überwiegend an mir, das weiß ich, aber im Moment kann ich dir einfach nicht mehr bieten als dieses Chaos.«
Sehnsüchtig umarme ich ihn, genieße es, als er sich dicht an mich drängt und bereue meinen Entschluss.
»Möchtest du, dass ich beim Aufbau helfe?«, frage ich zögernd.
»Natürlich. Suchen wir auch die passende Wandfarbe zusammen aus?«
»Es ist noch Zeit, um in den Baumarkt zu fahren«, merke ich an und lache über mich selbst.
»Du bist wohl im Shoppingwahn«, murrt Thomas.
»Es wäre praktisch. Dann müssen wir morgen nicht los, können zuerst das Wohnzimmer streichen und, während die Wände trocknen, das Bett aufbauen und …« Am liebsten würde ich gestehen, dass ich nur nach einer Ausrede suche, damit wir uns noch nicht trennen müssen.
»Schon überzeugt«, erwidert er mit einem theatralischen Stöhnen. »Es macht auf jeden Fall Sinn.«
Er entsperrt das Auto und geht zur Fahrerseite. Ich steige ebenfalls ein.
Der Baumarkt ist auch voller Menschen. Wir gehen ohne Umschweife in die Farbenabteilung und schauen uns die vielen Muster an. Es gibt gefühlt dutzende Grautöne, aber rasch finden wir den passenden. Auch die restlichen Materialien suchen wir schnell zusammen. Der Einkauf ist eher effizient und weniger unterhaltsam. Trotzdem genieße ich die Zeit mit Thomas.
Als wir im Auto sitzen bemerke ich, dass er einen anderen Weg einschlägt.
»Wo fährst du hin?«, erkundige ich mich.
»Wir waren so fleißig, dass wir uns jetzt eine kleine Auszeit gönnen dürfen. Ich hoffe, du hast Hunger.«
Bevor ich ihm antworten kann, knurrt mein Magen laut. Thomas wirft mir einen amüsierten Blick zu.
»Das nehme ich als Bestätigung«, meint er schmunzelnd. »Magst du Sushi?«
»Ich liebe es«, erwidere ich inbrünstig.
»Das ist gut.«
Wenige Minuten später parkt er vor einem asiatischen Restaurant. Thomas hält mir die Tür auf, was sich ungewohnt anfühlt. Sein Lächeln ist jedoch so charmant, dass ich nicht weiter darüber nachdenke und die Aufmerksamkeit genieße. Wir bekommen einen kleinen Tisch am Fenster und die Karte, die eine köstliche Auswahl enthält. Wir bestellen eine riesige Menge, einmal querbeet.
»Ich hatte heute viel Spaß.«, Thomas greift nach meiner Hand.
»Ich fand es auch schön.«
»Manchmal glaube ich, dass ich verlernt habe, mich zu amüsieren. Elsa und ich haben irgendwann nur noch nebeneinander existiert. Es ist nicht so, dass ich mich gelangweilt hätte. Eigentlich ist mir nicht mal aufgefallen, dass ich etwas vermisse. Unsere Jobs haben uns ausgefüllt. Wir haben uns mit Freunden getroffen, haben unsere Eltern regelmäßig besucht und sind auch hin und wieder ins Kino oder Essen gegangen. Es war nett, aber ich glaube, wir haben uns schon lange nicht mehr richtig zugehört. Na ja, abgesehen davon, dass ich vielleicht ein bisschen zu viel von dir erzählt habe, denn sie war … ziemlich wütend.« Er streichelt mit dem Daumen über meine Haut.
»Auf mich?«, frage ich erstaunt.
»Ich schätze, ich habe mich ziemlich spontan geoutet. Da sie einen neuen Mann hat und obendrein schwanger ist dachte ich, ich kann ihr von uns erzählen. Leider war das keine gute Idee und endetet verdammt unschön.«
»Bist du deshalb so verunsichert?« Ich beobachte ihn aufmerksam. »Bereust du es oder denkst du, dass sie dich irgendwie in Schwierigkeiten mit dem Wissen bringen kann?«
»Nein, das ist es nicht. Ich habe mich auch vor meinen Vater geoutet. Er war überhaupt nicht überrascht, sondern meinte, dass sie schon immer dachten, dass ich schwul bin. Das hat mich ehrlich gesagt ziemlich verwundert.« Thomas schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich fange zu lachen an, habe den Eindruck, dass ich seine Eltern
jetzt schon mag.
Der Kellner bringt unser Essen.
Wir kämpfen kichernd mit den Stäbchen und füttern uns gegenseitig mit Maki, California Rolls und Nigiri. Ein Tropfen Sojasoße rinnt über Thomas‘ Kinn. Ich fange ihn mit einem Finger auf. Er hält meine Hand fest und leckt die Soße weg.
»Fuck«, knurre ich und seufze schwer. »Du schaffst es echt, mich auf einem Level ständiger Erregung zu halten. Vermutlich reicht eine einzige Berührung und ich komme so heftig, dass ich in Ohnmacht falle.«
»Denkst du das wirklich?« Ein Schatten verdunkelt sein Gesicht.
»Ich denke«, entgegne ich und betone jede Silbe deutlich. »Deine Frau hat dir irgendeinen unglaublichen Mist erzählt. Hör auf dein Gefühl.«
»Okay«, flüstert er und strafft die Schultern. »Es gibt auch noch andere harte Argumente, die ich womöglich anerkennen sollte.«
»Absolut«, bekräftige ich mit einem schmutzigen Grinsen.
Gierig stürzen wir uns auf die süßen Mochi. Ich glaube, dieser Tag gehört zu den bestens meines Lebens.