13. Thomas
»Dennis«, flüstert Veit ergriffen und mustert ihn und mich abwechselnd.
»Überraschung!«, ruft Dennis, geht auf Veit zu und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. »Frohe Weihnachten.«
»Was machst du hier?«, fragt er und scheint immer noch vollkommen perplex zu sein.
Ich freue mich, dass mir Teil eins meiner Überraschung gelungen ist. Teil zwei ist ein kleines Päckchen, in dem ein Schlüssel auf ihn wartet.
»Es ist Heiligabend. Da feiern wir doch zusammen. Thomas hat mich davon überzeugt, dass Traditionen wichtig sind. Also, hier bin ich.«
»Das ist wunderbar.« Veit drückt ihn fest an sich und schaut mich über seine Schulter aufgelöst an.
»Danke«, raunt er mir zu.
Dennis greift nach meinem Arm und zieht mich näher heran.
»Gruppenkuscheln!«, verkündet er mit einem albernen Grinsen. »Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, vor dem weihnachtlichen Fick verpisse ich mich. Außer ihr wollt einen Dreier, dann bin ich euer Mann.«
»Ähm, also …« Ich schaue zwischen den beiden hin und her und spüre, wie mein Gesicht zu brennen beginnt. »Ihr habt schon miteinander ... mit einem dritten Mann?«
Die Vorstellung überfordert mich und verursacht ein unangenehmes Zwicken in meinem Bauch. Ich weiß, dass ich keinen Grund habe, eifersüchtig zu sein, aber bezweifle, dass ich Veit solche Abenteuer bieten möchte.
»Bisher sind wir stets anständig geblieben, obwohl Veits Hintern verdammt heiß ist. Wenn du bereit bist, ihn für eine Nacht zu teilen, würde ich nicht nein sagen.«
»Ich bin nicht bereit zu teilen«, sagt Veit energisch.
Mir entkommt ein erleichtertes Seufzen. Ich ziehe Veit besitzergreifend zu mir.
»Kann ja sein, dass man zur Feier des Tages ein bisschen lockerer wird.« Dennis drückt die Zunge für eine verdorbene Geste gegen
seine linke Wange und wackelt mit den Augenbrauen. Zusammen mit der Weihnachtsmannmütze ergibt das ein ziemlich abgedrehtes Bild.
Lachend schlägt Veit ihm gegen die Brust und schüttle den Kopf.
»Wir sind absolut locker«, behauptet mein Freund.
Bilder von uns unter dem Weihnachtsbaum fluten augenblicklich mein Gehirn. Mein Hintern pocht und meine Wangen leuchten heller als Rudolphs Nase.
»Meine Güte«, brummt Dennis und mustert uns eindringlich. »Ihr seht aus wie zwei Katzen, die köstliche Milch geschleckt haben. Kann ich das Wohnzimmer überhaupt gefahrlos betreten?« Er beginnt zu lachen und geht an uns vorbei.
»Alles meins«, raunt Veit mir zu und streicht mit beiden Händen über meinen Hintern.
Er lächelt mich glücklich an. Ich drücke ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen.
»Deins«, flüstere ich und genieße das heftige Kribbeln in meinem Bauch.
»Hab ich es doch geahnt!«, ruft Dennis und kommt mit einem triumphierenden Grinsen zurück in den Flur. »Wer hat denn sein Gleitgel neben dem Sofa liegengelassen?«
»Verdammt«, knurrt Veit und schnappt sich die Flasche. »Du wirst gleich wieder ausgeladen, wenn du nicht brav bist.«
»Ich bin immer brav«, behauptet Dennis und legt einen Arm um Veits Schulter. »Bist du glücklich oder störe ich?«
»Du bist ein Idiot, wenn du so eine Frage überhaupt stellen musst.«
Sie schauen sich an. Ich sehe Tränen in Veits Augen glitzern und weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
»Ich wollte nur sichergehen.«
»Müssen wir noch länger hier herumstehen?«, erkundige ich mich und schiebe die beiden ins Wohnzimmer.
»Der Baum ist traumhaft«, sagt Dennis. »Das versaute Zeug fehlt zwar, aber das hier ist eine echt gute Alternative.«
»Versautes Zeug?«, frage ich.
»Wir haben eine Weihnachtskugel mit fickenden Rentieren und Schwanzkerzen. Außerdem haben wir im letzten Jahr Schwänze aus Salzteig gebastelt.«
»Da sieht unsere Tanne ja tatsächlich bieder aus. Ich weiß nicht, ob mir so viele Geschlechtsteile an einem Weihnachtsbaum gefallen.« Etwas verunsichert schaue ich Veit an, um zu prüfen, wie er das sieht.
»Das hier ist echte Weihnachtsstimmung«, beruhigt mich Dennis mit feierlichem Enthusiasmus in der Stimme.
»Ich liebe den Baum genau so«, stimmt Veit zu und lächelt mich an.
Für einen Moment versinke ich in seinem Blick und genieße das Kribbeln, das er in meinem Bauch auslöst.
»Der Kaffee sollte inzwischen durchgelaufen sein«, meint er.
»Ich kümmere mich darum«, erwidere ich und lasse die beiden allein.
Tief durchatmend lehne ich mich gegen den Küchentresen und starre aus dem Fenster. Ich bin überwältigt von den vergangenen Stunden und hatte noch keine Sekunde Zeit, um mich diesem Gefühl zu stellen. Die Idee, Dennis zu uns zu holen, trage ich seit einigen Tagen mit mir herum. Ich habe gespürt, wie zerrissen sich Veit gefühlt hat. Dass er hier bei mir ist, ist ein ganz besonders Weihnachtswunder, aber dafür muss Dennis nicht zurückbleiben.
Mir ist inzwischen klar, dass die beiden eine innige Freundschaft verbindet. Die anfängliche Eifersucht ist, bis auf kleine Anfälle, verschwunden. Ich vertraue Veit, eine Tatsache, die mich beinahe mehr als alles andere erstaunt. Nachdem mich Elsa nicht nur hintergangen, sondern auch unser Leben infrage gestellt hat, dachte ich, dass ich mich nie wieder auf einen anderen Menschen einlassen werde.
Bei Veit stellt sich diese Frage nicht. Natürlich mache ich mir Sorgen wegen des Altersunterschieds.
Er zeigt mir jedoch auf vielfältige Weise, dass er mich will ... Mein Hintern kann ihn immer noch fühlen, was gerade das größte Geschenk überhaupt ist. Ich trage seine Worte tief in meinem Herzen, das Versprechen, dass er sich um mich kümmert, für mich da ist ... mich auffängt. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich mich danach gesehnt habe.
Die schrillende Türklingel reißt mich aus meinen Gedanken. Verwundert runzle ich die Stirn. Meine Eltern hatten doch darauf
bestanden, dass der Tag uns gehört. Morgen essen wir gemeinsam Mamas berühmten Gänsebraten und lassen uns mit Kuchen und Plätzchen vollstopfen.
»Ich geh schon«, ruft Veit, bevor ich mich in Bewegung setzen kann.
Mit gespitzten Ohren lausche ich auf die Stimmen und halte erschrocken die Luft an, als mir bewusst wird, wer vor der Tür steht.
»Thomas.« In Veits Stimme schwingt Unsicherheit und Panik mit.
Ich rase regelrecht in den Flur und bleibe neben Veit stehen. Sie ist es tatsächlich.
»Elsa«, sage ich und spüre, wie mein Herzschlag sich beschleunigt. Instinktiv stelle ich mich vor meinen Freund.
»Hallo Thomas.« Ihr Blick wechselt zwischen Veit und mir hin und her.
»Was willst du hier?«
»Ich möchte mich entschuldigen.« Sie schaut mich zerknirscht an. »Es tut mir wirklich leid, wie unser letztes Gespräch verlaufen ist. Einen Teil würde ich gern auf die Schwangerschaftshormone schieben, die mich ziemlich verrückt machen, aber da war auch viel verletzter Stolz dabei.«
»In erster Linie hast du mich verletzt«, erwidere ich, wobei ich versuche meine Wut im Zaum zu halten.
»Ich weiß. Entschuldige bitte. Es war nur sehr überraschend. Also, die Sache mit dir und … ihm. Wobei überraschend auch nicht das richtige Wort ist. Ich hatte schon lange den Eindruck, dass er unsere Ehe bedroht und ...«
»Sein Name ist Veit«, unterbreche ich sie. »Und er trägt keine Schuld daran, dass unsere Ehe gescheitert ist. Du hast dir einen anderen Mann gesucht und erwartest ein Kind von ihm.«
Sie öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Ich bin von mir selbst überrascht.
»Ich bin nicht hergekommen, damit wir uns erneut mit Vorwürfen befeuern.«
»Was willst du hier?«, frage ich. »Es ist Heiligabend. Wir wollen es uns gerade gemütlich machen. Wartet dein Mann nicht auf dich?«
»Doch, schon ...« Sie schaut mich ein Weilchen schweigend an.
Ich erwidere den Blick. Es scheint eine Ewigkeit zurückzuliegen, als
wir uns das letzte Mal angesehen haben. Elsa ist eine ausgesprochen schöne Frau. Die Schwangerschaft steht ihr gut. Diese Erkenntnis sorgt für einen winzigen Stich in meinem Herzen. Zugleich bin ich mir sicher, dass ein gemeinsames Kind unsere Ehe nicht gerettet hätte. Tatsächlich verspüre ich lediglich eine Art Trauer wegen der verlorenen Zeit. Mein Herz schlägt für Veit.
»Du solltest jetzt nach Hause gehen«, sage ich und bemühe mich um ein ehrliches Lächeln. »Danke, dass du hergekommen bist, um dich zu entschuldigen. Ich hoffe, wir bekommen unsere Leben schnell getrennt, denn offenbar waren wir niemals füreinander bestimmt.«
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, atme ich tief durch. Meine Beine beginnen zu zittern, aber ich spüre auch, dass eine unglaubliche Last von mir abfällt.
»Geht es dir gut?«, fragt Veit leise.
Er mustert mich aufmerksam. Seine Augen glänzen feucht und seine Unterlippe bebt kaum sichtbar.
»Komm her, mein Süßer«, flüstere ich und ziehe ihn in meine Arme. Ich genieße seine Wärme, den Duft und die Nähe. »Es geht mir ganz unfassbar gut«, raune ich ihm ins Ohr. »Du hast mich schließlich heute unter dem Weihnachtsbaum entjungfert.«
Er lacht und schluchzt zugleich.
»Mach dir keine Sorgen«, bitte ich, umschließe sein Gesicht mit meinen Händen und bringe ihn dazu, mich anzusehen. »In den letzten Wochen hast du mir gezeigt, dass ich keine Angst haben muss. Mit dir fühle mich stark und bin bereit, nach vorn zu schauen, mich auf unsere Zukunft zu freuen.«
Eine Träne rinnt über seine Wange. Ich fange sie mit meinen Lippen auf, verteile winzige Küsse auf seinem Gesicht, bis sich unsere Münder treffen.
»Ist Krampus endlich weg?« Dennis bringt uns dazu, den Kuss zu unterbrechen. »Echt jetzt? Ihr knutscht hier rum, während ich nebenan darüber nachdenke, womit ich Knecht Ruprecht vertreiben kann.«
»Sorry«, nuscheln wir zugleich.
»Ekelhaft«, knurrt Dennis.
»Du willst doch nur auch geküsst werden«, behaupte ich und kann
kaum glauben, dass ich die Worte tatsächlich ausgesprochen habe.
»Natürlich«, erwidert er und kommt auf mich zu.
Ich werfe Veit einen fragenden Blick zu und bekomme ein breites Grinsen als Antwort. Ohne darüber nachzudenken, schnappe ich mir Dennis, der mich mit großen Augen anstarrt. Ehe eine weitere Provokation über seine Lippen kommen kann, presse ich meinen Mund auf seinen. Ich höre ihn keuchen, dann wird er erstaunlich weich in meinen Armen. Wir küssen uns zahm. Als er seine Zunge benutzen will, unterbreche ich den Kuss.
»Zufrieden?«, frage ich schmunzelnd.
»Veit hatte recht«, meint er und strafft die Schultern. »Du bist gut für ihn.«
»Natürlich«, bekräftigt Veit, küsst Dennis ebenfalls und zieht uns beide zurück ins Wohnzimmer.
Wir machen es uns zu dritt gemütlich, trinken zuerst Kaffee, dann Glühwein, knabbern Kekse und futtern viel zu viel Schokolade. Veit und Dennis fangen an, Weihnachtslieder zu singen. Laut und schief. Meist kommen sie nicht über die erste Strophe hinaus. Sie zwingen mich mitzumachen und verstummen, weil ich »Stille Nacht
« tatsächlich bis zum Ende durchsingen kann. Es ist das einzige Lied in meinem Repertoire, aber das erzähle ich ihnen nicht, sondern sonne mich in ihrer Begeisterung.
»Geschenke«, ruft Dennis einige Zeit später und klatscht in die Hände.
Er flitzt in den Flur und erscheint kurz darauf mit rotem Mantel, Bart, Mütze und einem großen Jutebeutel auf dem Rücken.
»Ho, ho, ho«, ruft er mit tiefer Stimme. »Ich hoffe, ihr seid artig gewesen. Obwohl ... ich vermute, ihr seid richtig unartig gewesen, denn Dennis hat schließlich das Gleitgel im Wohnzimmer entdeckt. Das gefällt dem geilen alten Sack und deshalb hat er euch was mitgebracht.«
Mit großen theatralischen Gesten öffnet Dennis den Beutel. Erstaunt über die unerwartete Darbietung stupse ich Veit an, der lediglich mit den Schultern zuckt.
»Also, hier ist ein Geschenk für Thomas.« Ehe ich reagieren kann, wirft er mir einen Karton zu.
»Und das ist für Veit.« Er stellt ein Päckchen auf den Couchtisch,
glättet den leeren Beutel und faltet ihn zusammen. »Das war’s, Kinder«, sagt er mit einem breiten Grinsen. »Der Weihnachtsmann macht einen Abgang und nimmt Dennis mit.«
»Hey, warte. Wir haben auch noch was für dich.«
»Wollen wir nicht zusammen auspacken?«, schließe ich mich Veit an. »Du musst nicht abhauen.«
»Es wird Zeit für mich. Ich hatte Spaß bei euch, aber jetzt braucht der liebe Dennis etwas anderes.«
»Ich bringe dich zur Tür«, meint Veit, drückt mir einen Kuss auf die Wange und geht mit Dennis hinaus.
Ich betrachte das Päckchen auf meinem Schoß. Er hat sich viel Mühe mit dem Einpacken gegeben. Vorsichtig schüttle ich es und frage mich, was das leise Klimpern zu bedeuten hat.
»Lass uns nachschauen.« Als hätte Veit meine Gedanken gelesen, setzt er sich neben mich und guckt das Geschenk an.
»Wieso ist er so plötzlich weg?«
»Er kann offenbar Liebe und Geborgenheit nur in winzigen Dosen vertragen. Ich bin mir sicher, dass er sich insgeheim danach sehnt, aber dann kommt der Zyniker wieder durch. Es ist besser, ihn gehen zu lassen. Ich habe einmal versucht, ihn aufzuhalten. Am Ende haben wir uns furchtbar gestritten. Alles, was bis dahin lustig war, wurde abrupt ätzend. Wie ein wildes Tier in Gefangenschaft hat er gekratzt und gebissen. Trotzdem bedeutet er mir viel. Danke, dass du ihn hergebracht hast.«
Ich bekomme einen weiteren Kuss. Diesmal lege ich meine Hand in seinen Nacken und lasse ihn nicht entkommen. Gierig sauge ich seine Zunge in meinen Mund und genieße die Erregung, die wie krabbelnde Ameisen meine Nerven kitzelt.
»Geschenke auspacken«, raunt Veit und bringt Abstand zwischen uns.
Trotzdem zupfe ich versuchsweise an seinem Shirt, aber er schlägt meine Hand weg und deutet auf das Päckchen in meinem Schoß.
»Du hattest doch heute schon ein Geschenk«, meint er und wackelt vielsagend mit den Augenbrauen.
»Eigentlich gibt es nichts, was das noch toppen kann.« Allein die Erinnerung sorgt für einen erregenden Schauer. Mein Hintern hätte nichts gegen eine zweite Runde.
Wir bleiben jedoch vorerst brav.
Lächelnd, mit einem warmen Gefühl in der Brust, betrachte ich Dennis‘ Geschenk. »Willkommen auf der queeren Seite des Lebens«, lese ich die Aufschrift und bringe Veit damit zum Lachen.
Ich packe ein Regenbogen- und ein Bisexuellenfähnchen aus. Gleitgel, Regenbogensocken, ein Gummiarmband, bunte Proud-Sticker und Buttons, und einen kleinen Teddy, der ein rot, lila und blau gestreiftes Herz in den Pfoten hält.
»Er ist wirklich ein bisschen verrückt«, finde ich. Die Bedeutung des Geschenks trifft mich tief und verursacht ein heißes Brennen in meinem Inneren. »Ich bin ein bisexueller Mann«, gestehe ich und lächle Veit verlegen an.
»Das bist du, aber vor allem bist du mein Mann.«
Seine Augen leuchten wie bernsteinfarbene Edelsteine, voller Leben und wilder Versprechungen. Ich kann mich an ihm nicht sattsehen und genieße den Hauch von Rot, der auf seinen Wangen erscheint. Mit einem Finger fahr ich die Konturen seiner Lippen nach, beuge mich vor und küsse ihn.
Ende