Als ich vor fünf Jahren mit dieser Forschungsarbeit begann, war ich besorgt über die zunehmend feindselige Spaltung unseres Landes in zwei politische Lager. Viele Linke hatten den Eindruck, die Republikanische Partei und Fox News seien fest entschlossen, einen Großteil des Staatsapparates auf Bundesebene abzuschaffen, die Sozialleistungen für Arme zu kürzen und Macht und Reichtum des ohnehin schon mächtigen und reichen obersten Prozents der Bevölkerung zu steigern. Unter den Rechten hielten viele diesen Staat für das Vehikel einer Macht anhäufenden Elite, die Scheingründe erfand, um ihre Kontrolle auszuweiten und als Gegenleistung für loyale demokratische Wählerstimmen Geld zu verteilen. Seit dieser Zeit hat sich der Bruch zwischen beiden Parteien vertieft, und Donald Trump ist auf die Bildfläche gestürmt und lässt den Puls des politischen Lebens in den Vereinigten Staaten höher schlagen. Vom liberalen linken Lager hatte ich eine gewisse Vorstellung, doch was passierte auf der Rechten?
Die meisten, die sich diese Frage stellen, nähern sich ihr aus einem politischen Blickwinkel. Und obwohl auch ich meine Ansichten habe, interessiere ich mich als Soziologin brennend dafür, wie Anhänger der Rechten das Leben empfinden – also für die Gefühle, die der Politik zugrunde liegen. Um diese Emotionen zu verstehen, musste ich mich in die Menschen hineinversetzen. Bei diesem Bemühen stieß ich auf ihre »Tiefengeschichte«, eine Erzählung, die der gefühlten Wirklichkeit entspricht.
Die Politik als Forschungsgegenstand war für mich etwas völlig Neues, das galt jedoch nicht für meine Herangehensweise. In meinem Buch Der 48-Stunden-Tag hatte ich mich auf die ewige Frage konzentriert, wie Eltern sich Zeit für Zuwendung und häusliches Leben verschaffen, wenn beide außer Haus arbeiten. Ich hatte in den Küchen berufstätiger Eltern auf dem Fußboden gesessen und beobachtet, nach welchem Elternteil ein Kind rief, wer ans Telefon ging und wie viel Dankbarkeit einer für den anderen empfand.
Auf der Suche nach familienfreundlichen Arbeitsstellen hatte ich auf Parkplätzen vor Fabriken und Firmenzentralen herumgehangen und beobachtet, wann müde Arbeitskräfte nach Hause gingen (Keine Zeit: Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet), und ich hatte die Träume Berufstätiger erforscht: von den Urlauben, die sie machen würden, oder vom Gitarrenspiel, das sie erlernen würden, »wenn sie nur Zeit hätten«. Ich hatte eingehende Gespräche mit philippinischen Kindermädchen (Global Woman) geführt und in dem indischen Dorf Gujarat bezahlte Leihmütter interviewt, die für westliche Kunden deren Babys austrugen (The Outsourced Self). All diese Studien hatten mich zu der Überzeugung gebracht, dass eine bezahlte Elternzeit für berufstätige Eltern Neugeborener und adoptierter Kinder gut wäre – eine Leistung, die es in allen großen Industrieländern der Welt außer in den USA gibt. Da mittlerweile die meisten amerikanischen Kinder in Familien leben, in denen alle Erwachsenen berufstätig sind, schien mir die Idee einer bezahlten Elternzeit wichtig, human und überfällig. Doch dieses Ideal prallte mit Wucht auf eine neue Realität: Viele Anhänger der Rechten sind gegen jede staatliche Unterstützung für Familien von Berufstätigen. Tatsächlich wollen sie, dass der Staat sich in vielen Bereichen, vom Militär abgesehen, möglichst wenig einmischt. Andere Ideale – Verbesserung des Umweltschutzes, Abwenden der Erderwärmung, Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit – stoßen an die gleiche, fest verschlossene Tür. Mir wurde klar: Wenn wir staatliche Unterstützung wollen, um eines dieser Ziele zu erreichen, müssen wir die Menschen verstehen, die den Staat eher als Problem denn als Lösung begreifen. Daher begab ich mich auf die Reise in das Herz der amerikanischen Rechten.
Bereits in den ausgehenden 1960er Jahren hatten mein Mann Adam und ich eine Spaltung in der amerikanischen Kultur bemerkt und uns einen Monat lang in Santa Ana, Kalifornien, in den Kings Kauai Garden Apartments einquartiert – mit Gemeinschaftsterrasse samt Dschungeldekoration und eingespielten Geräuschen von Dschungeltieren –, um die Mitglieder der John Birch Society, eines rechten Vorläufers der Tea Party, kennenzulernen. Wir hatten an Treffen der Gesellschaft teilgenommen und mit so vielen Leuten gesprochen, wie wir nur konnten. Viele der Mitglieder, die wir trafen, waren in Kleinstädten im Mittelwesten aufgewachsen und fühlten sich in den anomischen kalifornischen Vororten zutiefst desorientiert, ein Unbehagen, das sie in die Überzeugung umsetzten, die amerikanische Gesellschaft laufe Gefahr, von Kommunisten übernommen zu werden. Wenn wir uns umsahen, konnten wir gut verstehen, wieso sie das Gefühl einer »Übernahme« hatten: Innerhalb weniger Jahre waren ganze Orangenhaine in einer völlig planlosen Urbanisierung Parkplätzen und Einkaufszentren gewichen. Auch wir hatten das Gefühl, einer Übernahme ausgeliefert zu sein, allerdings handelte es sich dabei keineswegs um Kommunismus.
Den größten Teil meines Lebens habe ich zum progressiven Lager gehört, doch in den letzten Jahren ist in mir der Wunsch aufgekeimt, die Menschen des rechten Lagers besser verstehen zu wollen. Wie kamen sie zu ihren Ansichten? Könnten wir in manchen Dingen gemeinsame Sache machen? Diese Fragen brachten mich dazu, eines Tages Sharon Galicia, eine warmherzige, zierliche, weiße, alleinerziehende Mutter und blonde Schönheit, auf ihren Runden durch die tristen Industriegebiete von Lake Charles, Louisiana, zu begleiten, wo sie Krankenversicherungen verkaufte. Unbeeindruckt vom ohrenbetäubenden Lärm einer Kreissäge, die riesige Stahlbleche schnitt, plauderte sie mit Arbeitern, die ihre Schutzbrillen auf die Stirn geschoben hatten und mit verschränkten Armen dastanden. Sie war eine charmante und überzeugende Schnellsprecherin (»Was ist, wenn ihr einen Unfall habt, eure Rechnungen nicht bezahlen oder nicht einen Monat warten könnt, bis eure Versicherung in Kraft tritt? Wir versichern euch innerhalb von 24 Stunden.«) Während sie nach einem Stift griffen, um zu unterschreiben, plauderte sie mit ihnen über die Rotwildjagd, den Anteil von Alligatorfleisch in Blutwurst – einer beliebten, würzigen Spezialität aus Louisiana – und über das letzte Spiel der LSU Tigers.
Auf der Fahrt von Fabrik zu Fabrik erfuhr ich Sharons Geschichte. Sie erzählte mir, dass ihr Vater, ein wortkarger Fabrikarbeiter, sich von ihrer Mutter hatte scheiden lassen, wieder geheiratet hatte und in einen Wohnwagen dreißig Autominuten entfernt gezogen war, ohne ihrem Bruder und ihr etwas davon zu sagen. Als ich mich von ihr trennte, war ich voller Fragen. Was war aus ihrem Vater geworden? Wie hatte sich das Scheitern seiner Ehe auf sie als kleines Mädchen, später als Ehefrau und nun als alleinerziehende Mutter ausgewirkt? Wie sah das Leben der jungen Männer aus, mit denen sie sprach? Warum war diese gescheite, nachdenkliche, resolute junge Frau – die von bezahlter Elternzeit hätte profitieren können – ein begeistertes Mitglied der Tea Party, für die eine solche Idee schlichtweg unvorstellbar war?
Selbstverständlich bedankte ich mich sofort bei Sharon, dass sie mir erlaubt hatte, sie auf ihren Runden zu begleiten, innerlich dankte ich ihr später erneut für ihr Vertrauen und Entgegenkommen. Erst nach einer Weile fiel mir auf, dass die Verbindung zu ihr wesentlich wertvoller war, als ich anfangs gedacht hatte. Sie war das Gerüst für eine Empathiebrücke. Beiderseits der Kluft glauben wir zu Unrecht, Empathie mit der »anderen« Seite bedeute das Ende einer nüchternen Analyse, während die wichtigste Untersuchung in Wirklichkeit erst jenseits der Brücke anfangen kann.
Unsere Sprache bietet nicht viele Worte, um das Gefühl zu beschreiben, dass man auf jemanden aus einer anderen Welt zugeht und dieses Interesse positiv aufgenommen wird. Dadurch entsteht etwas ganz Eigenes, Wechselseitiges. Was für ein Geschenk. Dankbarkeit, Ehrfurcht, Wertschätzung: Für mich treffen alle diese Worte zu, und ich weiß nicht, welches ich verwenden soll. Aber ich glaube, wir brauchen ein besonderes Wort und sollten ihm einen Ehrenplatz einräumen, um etwas wiederherzustellen, was vielleicht eine fehlende Taste auf der kulturellen Klaviatur unserer englischsprachigen Welt ist. Unsere Polarisierung und die Tatsache, dass wir uns zunehmend schlicht nicht kennen, macht es allzu einfach, uns mit Abneigung und Verachtung zufriedenzugeben.
Die Erfahrung, auf andere zuzugehen und bei ihnen Entgegenkommen zu finden, machte ich erstmals als Kind eines Diplomaten. In meiner kindlichen Vorstellung hatte ich eine persönliche Mission ähnlich der meines Vaters, mich mit den Menschen in all den fremden Ländern anzufreunden, in die sein Beruf uns führte. Ich dachte, ich hätte den Auftrag, auf Menschen zuzugehen, die sich anders kleideten, anders sprachen, gingen, aussahen als wir und einer anderen Religion angehörten. Hatte mein Vater mich wirklich gebeten, das zu tun? Ich glaube nicht. Warum tat ich es also? Ich hatte keine Ahnung. Das begriff ich erst viel später. Seltsamerweise empfand ich die gleiche Dankbarkeit für die Beziehung, als ich viele Jahrzehnte später mit Sharon von Fabrik zu Fabrik fuhr und als ich mich mit den vielen anderen unterhielt, die ich im Laufe der Recherchen zu diesem Buch traf. Wieder hatte ich das Gefühl, in einem fremden Land zu sein, nur war es diesmal mein eigenes.