Kapitel 11
Die Gläubigen: Stiller Verzicht

»Der Sonntag ist mein Lieblingstag«, erklärt mir Jackie Tabor, als böte sie mir damit einen Schlüssel zu ihrem ganzen Leben an. Wir kommen gerade während meines dritten Besuchs bei ihr vom Sonntagsgottesdienst in der Trinity-Baptistenkirche zurück. Ihr Mann, Heath, hat seinen braunen SUV im Carport neben dem hochrädrigen Geländefahrzeug von Arctic Cat mit den großen, tief profilierten Reifen abgestellt, die von seinem letzten Jagdausflug noch voller Morast sind.

Jackie, eine zierliche, jugendliche 45-Jährige mit schulterlangen dunklen Haaren und eindringlichen dunklen Augen, trägt goldene Ohrstecker und ein pinkfarbenes Baumwolltop. Sie führt mich durch die Diele ihres geräumigen Hauses, hält ihren reizbaren deutschen Schäferhund zurück und beruhigt die anderen Hunde, während wir am Hamsterkäfig im Spielzimmer der Kinder vorbeigehen. Wir kommen in ein Wohnzimmer mit hoher Decke, wo drei Gabelhornköpfe mit Geweihen über dem Kamin hängen. Die Trockenbauwand dahinter? »Das hat alles Heath gemacht, und er hat auch die Gabelhörner geschossen«, erklärt sie und lässt voller Stolz ihren Blick schweifen. »Er hat das ganze Haus entworfen.« Ihr erscheint es offenbar wie ein Wunder, dass es tatsächlich ihr gehört.

Heath hat einen Thunfisch gegrillt, den er im Golf von Mexiko gefangen und mit einer pikanten Salsa gewürzt hat. Jackie, Heath, ihre beiden Kinder und ich setzen uns, beten und genießen den köstlichen Fisch. Heath erzählt, dass er zum Tiefseeangeln im Golf war und aus großer Entfernung den Brand nach der Explosion auf der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon 2010 beobachtete. Damals dachte er über die möglichen Auswirkungen des ins Wasser laufenden Erdöls und der Dispergentien auf seinen Fang nach, schätzte sie aber als minimal ein. Jackie steht auf und holt eine Sportzeitschrift für Kinder mit einem Bild ihres zehnjährigen Sohnes Christian, der einen großen Gelbflossen-Thunfisch in die Höhe hält. Die Familie begeistert sich fürs Angeln, Jagen und für Aktivitäten in der freien Natur, erzählt Jackie mir.

Nach dem Mittagessen setzen Jackie und ich uns ins Wohnzimmer, und das Gespräch wendet sich ihrer Dankbarkeit gegenüber Jesus zu. Sie hat das Gefühl, Gott habe ihr alles geschenkt, woran ihr liegt – einen liebevollen Ehemann, zwei wunderbare Kinder, verspielte Hunde und die Möglichkeit, zu Hause bei ihren Kindern in einem abbezahlten Haus zu bleiben: der amerikanische Traum. Ihr erdfarbenes Haus in der wohlhabenden Vorortsiedlung Courtland Place am Rand von Lake Charles hat vor dem Eingang zwei Backsteinsäulen und ist von Azaleen und Gänseblümchen gesäumt. Neben der Einfahrt steht auf dem Nachbargrundstück ein großer Stein, über den eine amerikanische Flagge drapiert ist. An Werktagen ist diese Gegend nachmittags menschenleer bis auf einige Hausfrauen und gelegentlich einen schwarzen Gärtner, der mit einer elektrischen Schere Hecken schneidet.

Heath, ein erfolgreicher Bauunternehmer, hat nach den Hurrikans Katrina, Rita, Gustav, Ivan, Matthew und Bertha Häuser gebaut und repariert. Während Louisiana die Zeit in Wirbelstürmen misst, misst er sie in abgedeckten Dächern, geborstenen Fensterscheiben, überfluteten Kellern und anstehenden Aufträgen, wenn er in der Stadt nur genügend gute Arbeitskräfte finden könnte.

»ICH KAM AUS DEM NICHTS«

Die ersten Worte, die Jackie zu mir sagte, als ich sie in einer Tea-Party-Kerngruppe in Lake Charles kennenlernte, waren: »Ich kam aus dem Nichts!« Als sie aufwuchs, gab es so vieles, was sie gern gehabt hätte, und so wenig, was sie bekommen konnte – einschließlich liebevoller Zuwendung. Auf ihrem Weg lernte sie auf subtile Art, dass man starke Wünsche beherrschen muss und dies Auswirkungen hat, die der eigenen Intuition zuwiderlaufen. Manchmal sei es ratsam, den drängenden Wunsch nach etwas aufzugeben, meinte sie. Letztlich erfülle Gott einem vielleicht auf seine wundersame Art die eigenen Wünsche.

Jackie hatte wie manche andere, mit denen ich mich in Louisiana unterhielt, den Eindruck, einen amerikanischen Traum erreicht zu haben – vielleicht jedoch nur vorübergehend. Mit einer ausholenden Geste deutet sie auf ihr Wohnzimmer und sagt: »Das alles könnte morgen verschwinden!« Sie hat hart gearbeitet. Sie hat in der Schlange gewartet und gesehen, wie andere sie »überholten«, und das hat sie geärgert und dem Staat entfremdet. Jackie hat ebenso wie Janice Areno ihr Selbstverständnis im Rahmen einer Tiefengeschichte entwickelt. Sie kann sich mit den Nachteilen der freien Marktwirtschaft arrangieren, und das umfasst leider auch die schlimmen Nachrichten über industrielle Umweltverschmutzung, aber sie hat ihre eigene Art, damit umzugehen.

Jackie hat mir Kaffee gebracht, und wir sitzen allein in ihrem Wohnzimmer, um uns zu unterhalten. Sie liebt die Natur, erzählt sie mir. Während Janice Areno, die nah an der Natur aufgewachsen ist, sich auf die von ihr gefangenen Fische und das geschossene Wild konzentriert, ist Jackie in Chicago groß geworden und hat nie geangelt, gejagt oder auch nur häufiger den Zoo besucht. Als ich Janice auf Umweltverschmutzung ansprach, räumte sie deren Existenz zwar ein, wechselte aber ironischerweise schnell das Thema. Dagegen bringt Jackie es selbst zur Sprache und äußert ihren Kummer darüber: »Vergangene Woche habe ich einen Jungen im Lake Charles schwimmen sehen. Sie sollten Warnschilder aufstellen. Was ist, wenn der Junge versehentlich Wasser schluckt? Er tauchte. Da kann das leicht passieren. Es bricht mir das Herz.« Eine ähnliche Einstellung hat sie zu Chemikalien in Luft und Boden und sie wünscht, sie könnten, wenn ansonsten alles gleich bliebe, für das gesundheitliche Wohl ihrer Familie umziehen. Daher frage ich mich, wie jemand, der die Natur so intensiv zu würdigen weiß und dem Wissen um die ihr zugefügten Schäden nicht ausweicht, dazu kommen kann, die Industrie und den hemmungslosen Konsum all ihrer Produkte zu feiern. Wie erlebt sie die Tiefengeschichte?

Die Antwort nimmt ihren Anfang wie bei uns allen in der Kindheit. An einem verschneiten Märztag 1990 war Jackie neunzehn Jahre alt, arbeitslos und ohne Wohnung. Sie lag im Apartment ihrer jüngeren Schwester in einer Ecke des Wohnzimmers auf dem dreckigen Boden neben dem Hund ihrer Schwester. »Ich hatte keine Adresse. Ich hatte Arbeit an einer Hotelrezeption in Dallas gefunden, dann recherchierte ich für ein Bauunternehmen Zwangsversteigerungstitel. In einer Reihe von Jobs machte ich mich gut, aber ich fühlte mich verloren, verstoßen und war wütend. Meine gesamte Habe passte in einen Koffer. Nachdem mein Stiefvater mich hinausgeworfen hatte, war meine Schwester die einzige, an die ich mich wenden konnte. Sie nahm mich auf. Ich wohnte seit sechs Wochen bei ihr und behandelte sie grauenvoll«, erinnert sich Jackie. »Ich hatte zwei Jobs, und wenn ich nicht arbeitete, saß ich im Schlafanzug herum, rauchte und trank. Während meine Schwester bei der Arbeit war, stapelte ich das schmutzige Geschirr in der Spüle, trieb ihre Telefonrechnung in die Höhe und ließ die Wohnung verkommen. Ich log. Jeden Tag schrieb ich eine Liste: ›Ich werde nicht lügen. Ich werde mein Geld sparen. Ich werde mit dem Trinken aufhören.‹ Diese Liste hatte ich in meiner Tasche, wohin ich auch ging. Ich dachte darüber nach, kam halbwegs durch den Tag, dann gab ich auf. Ich fühlte mich tot, am Boden zerstört, gebrochen. Ich kam aus dem Nichts und ging ins Nichts.«

Jackie war das dritte von fünf Kindern einer irisch-katholischen Hausfrau und eines gewalttätigen, alkoholsüchtigen Vaters, der die Familie verließ, als sie acht Jahre alt war. »Meine Mutter musste Sozialhilfe beantragen, um uns durchzubringen«, sagt sie. (Sie befürwortet Sozialhilfe für Mütter in solchen Situationen, hat jedoch den Eindruck, dass sie nur einen kleinen Anteil der Empfänger ausmachen.) »Meine Mutter bekam einen Job, dann zwei, dann drei. Mit unseren Problemen gingen wir nie zu ihr. Sie hatte schon genug um die Ohren.« Schließlich heiratete Jackies Mutter wieder und zog mit ihrem neuen Mann nach Louisiana. Während ihre Mutter arbeitete, merkten die Mädchen, dass ihr Stiefvater mit seinem »schmutzigen Gerede« zu sexuellen Übergriffen neigte. Doch Jackie bot ihm die Stirn. Sie stritten, und ihr Stiefvater erklärte, wenn Jackie ausziehe, dürfe sie nie wieder zurückkehren. Mit neunzehn Jahren verließ sie mit ihrem Highschool-Zeugnis und einem Koffer in der Hand ihr Zuhause und ging in eine emotional leere Welt. Als sie später von ihrer Schwester gerettet wurde, sich aber immer noch völlig verloren fühlte, hatte sie ein Erlebnis, das ihr Leben verändern sollte.

Ihre Schwester war bei der Arbeit. Draußen war ein »herrlicher Frühlingstag«, erinnert Jackie sich, und als sie mit dem Hund ihrer Schwester auf dem Boden lag, nahm ihr Leben eine Wende. »Ich schaute in den Himmel hinauf und sagte: ›Wenn du wirklich Menschen rettest, Jesus, würdest du mich auch retten? Ich schaffe es selbst nicht.‹ Dann stand ich auf. Ich hatte keine Ahnung, was ich da machte. Ich ging ins Bad und sah im Spiegel ein völlig verändertes Mädchen. Das war’s.«

»Wie sah dieses veränderte Mädchen aus«, frage ich.

»Rein, schön. Ich glaube, im Spiegel sah ich mich zum ersten Mal, wie er mich sah. Er zeigte mir, wer ich für ihn bin

Sie hat das Gefühl, alles zeuge von diesem Augenblick – ihre Ehe mit Heath, ihre Kinder, ihr Wohnzimmer mit dem ansprechenden Natursteinkamin in einem geräumigen Haus. »Abraham Lincoln war ein sehr guter Mann«, sinniert sie. »Ich verehre Abe Lincoln. Aber wenn Lincoln über die Straße ginge, würde er mich nicht sehen. Jesus würde mich sehen.« Präsidenten? Du kannst sie nicht sehen und sie sehen dich nicht. Doch Jesus ist immer da, spürt sie. Und von ihm hat sie gelernt, ihm zu vertrauen, dass Gutes passiert. Sich etwas allzu dringend zu wünschen kann sogar kontraproduktiv sein.

»Ich fing an, die Bibel zu studieren, und da hieß es, ›diejenigen, die auf den Herrn warten, werden auf Schwingen aufsteigen wie Adler. Sie werden laufen und nicht müde werden.‹« Sie stockt. »Diejenigen, die warten. Das bedeutet, wenn alles richtig ist, werden Dinge passieren. Wir müssen nicht unbedingt dafür sorgen, dass sie passieren.«

Seltsamerweise bewundert Jackie ihre Mutter sehr, die doch dafür sorgte, dass etwas passierte. Als verlassene Mutter von fünf Kindern, die auf Sozialhilfe angewiesen war, hatte sie sich zunächst einen schlecht bezahlten Job in Chicago gesucht. »Aber wissen Sie, wie meine Mutter ihren ersten guten Arbeitsplatz als medizinische Sekretärin bekommen hat? Sie ging in die Bibliothek, las, was medizinische Sekretärinnen machen, zog sich schick an, bewarb sich auf die Stelle mit der Lüge, sie habe einen College-Abschluss, und bekam den Job. Sie machte sich gut, und wurde später Kundenbetreuerin bei einer großen Werbeagentur.« Jackie lacht begeistert: Diese Art von Grips bringen sie einem im College nicht bei. Obwohl Jackie selbst recht unternehmungslustig war, hat sie einen anderen Weg eingeschlagen, zumindest vorerst. Manchmal muss man seine drängenden Wünsche beherrschen, dann passiert etwas Gutes – du bekommst einen behütenden Ehemann und erfreust dich an einem abbezahlten Haus.

BELOHNUNG FÜR VERZICHT

Nachdem Jackie diese Geschichte erzählt hat, fragt sie unvermittelt: »Darf ich Sie mit auf ein Abenteuer nehmen?« Wir steigen in ihren braunen SUV, werfen die Jacken und Tennisschuhe der Kinder auf den Rücksitz und fahren vorbei an den Backsteinsäulen von Courtland Place, an einem Stück Brachland entlang auf die Hauptstraße, passieren Einkaufszeilen und kommen in ein bescheidenes Wohnviertel. Sie hält vor einem anheimelnden einstöckigen Stadthaus in einer Siedlung mit ganz ähnlichen Häusern, umgeben von kleinen Rasenflächen. Das war ihr erstes Haus, erzählt Jackie. Dort haben sie und Heath acht Jahre gewohnt, als die Kinder klein waren. Ihre Nachbarn waren Anlagenführer in den Raffinerien, Barkeeper, Maschinisten und Kassierer in den drei riesigen Casinos von Lake Charles. Da viele lange Arbeitszeiten hatten, fehlte es im Viertel an Gesellschaft. »Unsere Nachbarn haben wir nicht kennengelernt, aber die Kinder konnten Fahrrad fahren«, sagt sie und deutet auf eine nahe Sackgasse.

Jackie fährt weitere zehn Minuten durch Wohngegenden mit Backsteinhäusern hinter schlichten Hecken und hält schließlich vor einem Haus. »Unser zweites Haus haben wir in den Pine Mist Estates gebaut und innerhalb von drei Jahren abbezahlt«, erzählt sie. Durch das Wagenfenster mache ich ein Foto von einem attraktiven eingeschossigen Haus aus weiß abgesetztem rotem Backstein, vor dessen Fassade sich die Wedel dreier mittelgroßer Palmen anmutig wölben.

Nun haben wir zwei ehemalige Häuser der Familie gesehen. Doch wo bleibt das Abenteuer, frage ich mich.

Jackie erzählt: »Als wir in den Pine Mist Estates lebten, wollte ich immer in Autumn Run wohnen.« Nachdem wir durch ein weiteres Mittelschicht-Wohnviertel gekreuzt sind, kommen wir an ein drittes Haus: das, von dem sie immer geträumt hat, als sie in Pine Mist wohnte. Es ist ebenfalls ein eingeschossiges Gebäude auf einem baumlosen Eckgrundstück, größer als das erste, aber nicht so groß wie ihr jetziges Haus. Haus 3, größer als Haus 2, war das Traumhaus, das sie sich nicht einmal zu wünschen gewagt hatte.

Jackie hatte gelernt, eine gehorsame christliche Ehefrau zu sein und ihre Wünsche denen von Heath unterzuordnen. Nachdem sie die beiden katastrophalen Ehen ihrer Mutter miterlebt hatte, wollte sie eine gute Ehe mit Heath. Und der Weg dorthin bestand nach ihrem Dafürhalten darin, sich wie Eva gegenüber Adam zu verhalten: Sie würde Heath eine »Rippe«, eine Helferin sein. Daraus erwuchs jedoch ein Konflikt. »Ich wollte dieses Haus so unbedingt«, wiederholt sie und starrt das Objekt ihrer einst so starken Begierde an. »Aber Heath gegenüber habe ich nie auch nur ein Wort gesagt, dass ich dieses Haus haben wollte. Wir konnten es uns nicht leisten. Er arbeitete so hart. Ich wollte ihn nicht unter Druck setzen. Ich schämte mich, dass ich es mir wünschte, obwohl wir es unmöglich bekommen konnten. Er hat nie auch nur gewusst, dass ich so unbedingt in Autumn Run wohnen wollte.«

»Aber sehen Sie es sich jetzt mal an.« Das Dach ist schadhaft, die Farbe blättert ab, der Zaun ist abgesackt – Spuren des äußerst zerstörerischen Hurrikans Rita. »Die Kinder nennen das Viertel jetzt ›Autumn-Run-down‹ [verfallener Autumn Run]«, sagt sie. Wir haben Haus 1 (das Starter-Haus), (das etwas größere) Haus 2 und (ihr ehemaliges Traumhaus) Haus 3 gesehen und sind nun auf dem Rückweg zu (ihrem wunderschönen) Haus 4. Jackie möchte mir etwas über ihre Beziehung zu ihrem ehemaligen Traumhaus 3 vermitteln. Sie hatte es sich »zu sehr« gewünscht. »Ich habe immer davon geträumt, in Autumn Run zu wohnen«, betont sie erneut. Jackie möchte, dass ich diesen Inbegriff der Begierde, diesen Beleg, dass es unklug ist, sich etwas zu sehr zu wünschen, sehe. Ihr einst so begehrtes Haus ist gar nichts im Vergleich zu dem, das sie heute bewohnt und das »meine wildesten Träume übersteigt und innerhalb von drei Jahren abbezahlt war, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass es weniger als dreißig Jahre dauern würde«.

»Meiner Tochter habe ich gesagt, was wäre, wenn ich darauf gedrängt hätte, nach Autumn Run zu ziehen? Dann wären wir dort gelandet, obwohl dies [ihr jetziges] das Haus ist, das für uns bestimmt ist. Ich habe ihr den Bibelvers gesagt, dass man nicht unbedingt dafür sorgen muss, dass etwas passiert.«

Jedes Haus war ein Schritt auf der Leiter zum amerikanischen Traum. Auf der ersten Sprosse hatte sie sich zu sehr nach der nächsten gesehnt: Das war die Lektion. In gewissem Sinne lief Jackies Lektion der Tiefengeschichte zuwider; man sollte sich den scheinbar nächsten Schritt zum amerikanischen Traum nicht zu sehr wünschen. Das war habgierig. Andererseits hatte sie emotional hart dagegen angekämpft, nicht danach zu greifen. Unser Abenteuer bestand darin, diese Lektion zu verstehen.

Auf unserer Rückfahrt zu ihrem Haus deutet Jackie aus dem Fenster. »Sehen Sie da drüben? Das ist Crestview.« Das ist eine Wohngegend, in der die Traumhäuser 5, 6 und 7 stehen könnten, wie sie ausführt. »Da wohnen die ›Superreichen‹.« Dann fügt sie hinzu: »Ich bin da noch nicht mal durchgefahren. Das möchte ich nicht. Ich möchte da kein Haus haben wollen.« Es war schon schwer genug, sich die anderen Dinge zu wünschen, die sie nach ihrem Gefühl nicht haben konnte.

Auf der Rückfahrt überlegt sie: »Ich war ein armes irisches Mädchen. Ich war am Boden zerstört, weil ich kein gutes Familienleben hatte wie alle anderen. Ich meine, einige meiner Freundinnen waren reiche Kinder, die schließlich an schönen Elite-Colleges studierten. In Chicago wohnten wir auf der anderen Seite der Elliott Road. Auf unserer Straßenseite waren alle arm. Wir waren adrett gekleidet, daher sah man uns nicht an, dass wir nichts hatten.« Sie beneidete die Mädchen auf der anderen Seite der Elliott Road mit ihren glücklichen Familien und ihren hübschen Häusern. Es war ein harter Kampf, den Wunsch nach allem aufzugeben, was sie ohne sonderliches Zutun genießen konnten. Doch mit Jesus Hilfe hatte sie es geschafft. Und ihr eigenes schönes Haus war seine Belohnung.

Noch auf eine weitere Weise wurde sie für ihren Verzicht belohnt. Jackie war zwar eine wiedergeborene Christin, hatte jedoch anfangs gezögert, ihrem Mann in die Baptistenkirche zu folgen und vor allem, zehn Prozent ihres hart erarbeiteten Einkommens an sie abzuführen. »Und das kommt noch zu den 33 Prozent Steuern hinzu, die wir an den Staat zahlen«, merkt sie an. Sie mussten den Hauskredit bezahlen, das Schuldgeld für die christliche Privatschule der Kinder, Kranken- und Sturmversicherung, Autoversicherung, Gas – und obendrein noch diese zehn Prozent an die Kirche. Wie sollten sie das stemmen? Zu alledem sammelte die Trinity-Gemeinde Spenden für die Renovierung und Erweiterung der Kirche und forderte alle Gemeindemitglieder auf, zusätzlich 3000 US-Dollar beizutragen. Anfangs dachte Jackie: »Das schaffen wir nicht.« Heath war damals 37 Jahre alt, verdiente im Bauunternehmen seines Vaters achtzehn Dollar pro Stunde und erhielt von seinem Vater ein Drittel der Gewinne. Aber Heath hatte eine Verpflichtung gegenüber der Trinity-Baptistengemeinde übernommen. Und als pflichtbewusste christliche Ehefrau verzichtete Jackie auf ihren Wunsch, ihre Schulden zu tilgen.

Wenn sie auf einen Wunsch verzichtete, erfüllte sich ein größerer, wie sie feststellte. Als Hurrikan Rita Wohnungen und Häuser zerstörte und Bäume entwurzelte, bekam Heath mehr Arbeit und verdiente besser. Leute, die in Wohnwagen lebten, beauftragten ihn mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser. Außerdem erhielt er den Auftrag, eine Trockenwand für das Spielzimmer und die Turnhalle der Trinity-Gemeinde einzuziehen. »Obwohl wir den Zehnten abführten und der Kirche 3000 Dollar spendeten, bezahlten wir sämtliche Kredite ab«, erzählte Jackie.

Zu den Arbeitsstellen, die Jackie angenommen hat, sagt sie: »Am Ende war ich immer in einer Führungsrolle. Darin bin ich gut.« Doch als sie Christus als ihren Erlöser akzeptierte, der Trinity-Gemeinde beitrat und eine christliche Ehefrau wurde, verzichtete sie auf den Wunsch, eine Führungsrolle zu übernehmen. »Eine Frau ist Helferin ihres Mannes. Eva wurde geschaffen, um eine Helferin zu sein. Ich wurde geschaffen, um Heath zu helfen.« Indem sie auf einen Wunsch verzichtete, erfüllte sich ein anderer: Sie konnte bei ihren Kindern zu Hause bleiben.

Mittlerweile sind wir umgekehrt und fahren langsam durch die Parade von Wohnvierteln zurück zu ihrem Haus in Courtland, als das Thema Umweltverschmutzung zur Sprache kommt. »Wir leben hier in einer schrecklich verschmutzten Umwelt«, erzählt Jackie mir. »Der beste Freund meines Sohnes, Patrick, ist kürzlich mit neun Jahren an einem seltenen Neuroblastom gestorben. Neun – so jung. Seine Eltern sind überzeugt, dass es von irgendeiner Chemikalie hier in der Gegend verursacht wurde, können es aber nicht beweisen.«

Im Wahlkampf, in den Medien, von der Kanzel und bei der Industrie habe ich ein Schweigen über Umweltverschmutzung festgestellt. Allem Anschein nach handelt es sich um die Art von Amnesie, die E. E. Evans-Pritchard beschrieben hat und die bei der Familie Areno bewirkt hat, dass sie die Ereignisse am Bayou d’Inde mit einer gewissen Trotzhaltung in Erinnerung behält. Dieses Schweigen erstreckt sich bis in Jackies persönliche Umgebung hinein. »Umweltverschmutzung? Mit Freunden rede ich nicht viel darüber«, überlegt sie. »Die ganze Stadt lebt vom Öl. Es könnte also sein, dass ich mit zwei Müttern rede, deren Männer in den Chemiewerken arbeiten. Sie sind der Ansicht, staatliche Regulierung schade den Arbeitsplätzen oder verhindere die Ansiedlung neuer Werke. Du willst sie ja nicht an Gefahren erinnern. Oder ihnen den Eindruck vermitteln, du würdest ihnen wegen ihrer Arbeit Vorwürfe machen. Das ist zu nah an ihnen dran.« Wieder dieses Schweigen. Tatsächlich stecken viele Beschäftigte in den Chemiewerken in einer Klemme: Als begeisterte Mitglieder im Jagd- und Angelverein und als Naturfreunde bedauern sie die Umweltverschmutzung, doch als Arbeitnehmer fühlen sie sich verpflichtet, darüber zu schweigen. Aus Rücksicht halten Jackie und Heath es ebenso. Ein Berater erzählte mir, er habe auf der »Herrentoilette bei Axiall [ehemals PPG] einen Hinweis gesehen: ›Kein Trinkwasser‹. … Allerdings wird nicht viel darüber geredet, warum dieses Schild da hängt.«

Jackie war eine gläubige Christin. Sie hatte eine religiöse Einstellung und die Fähigkeit zu sinnvollem Verzicht entwickelt. Statt ihre Aversion gegen staatliche Regulierung zu überwinden, sprach Jackie davon, zu lernen, ohne Regulierungen zu leben. In dieser Hinsicht hielt sie es wie eine loyale Teamspielerin, wie Janice Areno. Man passte sich an. Saubere Luft und sauberes Wasser waren gut. Sie wünschte sich beides ebenso, wie sie ein schönes Haus haben wollte. Doch manchmal musste man eben ohne die Dinge auskommen, die man sich wünschte. Man konnte nicht beides haben, Ölindustrie und saubere Seen, fand sie, und wenn man wählen musste, sollte man sich für das Öl entscheiden. »Öl war für uns verdammt gut«, sagt sie. »Ich will kein kleineres Haus. Ich will kein kleines Auto fahren.« Eine Stelle als Anlagenführer in einer Raffinerie eröffnete den Zugang zu Häusern in Pine Mist. Eine der wenigen Stellen für Ingenieure brachte dich nach Autumn Run, und ein Posten im oberen Management öffnete dir den Weg nach Courtland. Die Arctic Cat, der SUV, das Haus – das alles kam indirekt vom Öl, fand sie. Der Staat stand dagegen dem Öl und dem guten Leben im Weg.

Als loyale Teamspielerin hatte Janice Areno sich nicht erlaubt, sich wegen der Umweltverschmutzung allzu schlecht zu fühlen. Bayou d’Inde, das gummierte Pferd. Als loyale Anhängerin der Industrie und der Republikanischen Partei wappnete sie sich gegen »allzu viele« Sorgen um Umweltverschmutzung, den braunen Pelikan und die menschliche Gesundheit. Dagegen erlaubte Jackie Tabor sich, darüber traurig zu sein. Sie fand es eine Schande, dass so etwas passierte. Doch nachdem sie ihre Trauer über die Schädigung der Umwelt zugelassen hatte, gab sie dem Wunsch nicht nach, etwas dagegen zu unternehmen, weil das zu weiteren gefürchteten staatlichen Eingriffen führen würde. Bei beiden gab es einen Moment, in dem sie emotional stockten – Janice scheute davor zurück, Verlust und Schmerz zuzugeben, Jackie blieb emotional dabei stehen, auf einen wichtigen Wunsch zu verzichten. Eine saubere Umwelt? Die können wir leider nicht haben.

»Ich bin nach Jacqueline Kennedy benannt«, erzählt sie und schaut mich in Erwartung meiner überraschten Reaktion an. Sie gibt zu, dass sie die Kennedys bis heute bewundert. Doch mittlerweile hat sie wie in der Tiefengeschichte das Gefühl, »der Staat ist skrupellos, korrupt, bösartig und hässlich geworden. Er kann niemandem helfen«. Genau wie andere hat sie den Eindruck, Präsident Obama sei kein wahrer Christ und weder von seiner Erziehung noch von seiner Loyalität her ein wahrer Amerikaner. Ihr Misstrauen reicht über die gesamte Kaskade: vom Präsidenten über staatliche Umverteilung bis hin zu nahezu sämtlichen Staatsaufgaben, einschließlich der Sorge um eine saubere Umwelt.

Dabei bemüht Jackie sich nach Kräften, zu erklären, dass sie keinerlei Bewunderung für Menschen empfindet, die dankbar ihre Steuern zahlen. Sie empfindet keine Dankbarkeit für das, was der Staat für sie tut, und ist auch nicht der Meinung, dass andere so empfinden sollten. Leicht höhnisch kommt sie auf den Finanzmagnaten Warren Buffett zu sprechen. »Er ist reich. Und er sagt, er will höhere Steuern zahlen, weil das gegenüber armen Leuten gerecht sei.« (Buffett hatte erklärt, er finde es nicht gerecht, dass seine Sekretärin mehr Steuern zahle als er.) »Okay. Dann mach«, spottet Jackie. »Was hindert dich, Mann? Schreib einen Scheck, wenn du meinst, dass du nicht genug Steuern zahlst. Geh ins Fernsehen, die ganze Welt wird darüber berichten, und sei ein Held von einem Ende bis zum anderen. Schlag dich selbst k. o. Warum stellst du keinen Scheck aus?«, sagt Jackie frustriert. Buffett will offenbar als guter Staatsbürger in einem System gelobt werden, an das sie nicht mehr glaubt. Er wird als Musterbeispiel liberaler Dankbarkeit für staatliche Schulen, Bibliotheken und Parks hingestellt. Doch das sind liberale Gefühlsregeln, nicht ihre.

»Ich bin natürlich nicht dagegen, die Umweltverschmutzung zu beenden. Ich bin für eine staatliche Regulierung der Umweltverschmutzer«, erklärt Jackie, berichtigt sich aber schnell: »Ich wäre voll und ganz dafür, wenn der Staat es nicht als Vorwand für seine Expansion nutzen würde.« Und Umweltschützern kann man ebenfalls nicht trauen. »Sie drängen darauf, den Staat auszuweiten, und haben zudem ihre eigenen finanziellen Interessen an Solar- und Windkraft.«

Von diesem Verrat und Eigennutz nimmt sie jedoch die Verfassung und die amerikanische Flagge aus. Bei einem weiteren Besuch begleite ich Jackie zu einer Vorführung an der kleinen christlichen Schule ihres Sohnes Christian. Nicht weit von uns sitzen Jackies Schwiegermutter und deren Mutter im Publikum. Christian tritt vor die versammelten Eltern, bittet sie, aufzustehen, liest eine Bibelpassage vor, und bittet sie, sich wieder hinzusetzen; nacheinander gehen andere Schüler nach vorn und tun das Gleiche. Im Rahmen der Vorführung wird ein Video gezeigt und »America the Beautiful« gespielt. Auf der Leinwand weht hoch und majestätisch die amerikanische Flagge vor einem strahlenden Sonnenuntergang. »Machen Sie mit Ihrem Handy ein Foto!«, raunt Jackie mir zu, »von der Flagge!« Die amerikanische Regierung verrät das Volk, meint sie, aber die amerikanische Flagge bleibt wahrhaftig.

Für Jackie sind Liberale offenbar ein Problem, weil sie andere Überzeugungen haben, die möglicherweise auf ihre Kinder abfärben könnten. Auf der Rückfahrt von der Schulveranstaltung – die Kinder sitzen hinten im SUV – erinnert sie sich kopfschüttelnd an einen Vorfall: »Meine Kinder schauten sich die Sendung Victorious auf Disney Channel an, von der ich dachte, sie sei in Ordnung.« Doch dann sprach der Kommentator über Erderwärmung. »Wir glauben nicht an Erderwärmung.« Auch dieses Thema erscheint ihr wie ein Vorwand für eine Expansion des Staates und als Teil des Verrats. »Der Kommentator sagte, Leute, die Fox News schauten, seien Idioten. Es war nur gut, dass ich zusammen mit den Kindern ferngesehen und das mitbekommen habe. Ich dachte: ›Wie lange werden meine Kinder mir noch mehr glauben als denen? Ein Jahr? Sechs Monate?‹«

Auch ihre Religion dämpft Jackies Impuls, für eine saubere Umwelt zu sorgen. »Wahrscheinlich bin ich wegen meines Glauben weniger eine Aktivistin, als ich es sonst wäre«, meint sie. »Als Kind habe ich jedem Präsidenten geschrieben, was er meiner Ansicht nach tun sollte. Aber heute engagiere ich mich weniger. Ich glaube, viele Aktivisten sind eigennützig. Man muss sich damit abfinden, wie es ist.« Ihr Selbstverständnis ist von ihrer Tiefengeschichte geprägt: Sie hat sich durch eine harte Kindheit bis an die Spitze der Schlange zum amerikanischen Traum gekämpft und fürchtet, dass ihre Familie ihren Platz in dieser Schlange verlieren könnte. Als wir an der amerikanischen Flagge, die im Nachbargarten über einen Stein drapiert ist, neben die Arctic Cat in den Carport fahren, sagt Jackie mit einem traurigen Kopfschütteln: »Umweltverschmutzung ist das Opfer, das wir dem Kapitalismus bringen.«