Wenn man die Vergangenheit einbezieht, so sind die Gefühle meiner Tea-Party-Freunde in Louisiana offenbar von drei Strömungen geprägt, von denen eine häufig zur Sprache kommt, während von den beiden anderen selten die Rede ist. Zum einen steht die Tea-Party-Bewegung in einer langen Reihe periodisch verstärkt auftretender Ausdrucksformen »eines populären Impulses, der in der amerikanischen politischen Kultur angelegt ist«, wie der Historiker Richard Hofstadter anmerkte.1 Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts kamen immer wieder Bewegungen auf, die sich gegen Säkularismus, Moderne, »Rassen«-Integration und eine Expertenkultur richteten. Doch vor der Tea Party verfolgte noch keine so energisch das Doppelziel, progressive Reformen zurückzunehmen und den Staat auf Bundesebene abzubauen – eine Bewegung, die auf die Tiefengeschichte reagiert. Doch warum tat das gerade diese Bewegung in der langen Reihe ähnlicher Bewegungen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns meiner Ansicht nach mit zwei entscheidenden Momenten der amerikanischen Geschichte befassen. Einer sind die 1860er Jahre, die für den Süden von besonderer Bedeutung sind. Der zweite sind die 1960er Jahre, die in der Rechten des gesamten Landes ihren Nachhall finden.
Der gegenwärtige Rechtsruck in den Vereinigten Staaten betrifft vor allem den Süden, was mich dorthin geführt hat. Man muss selbstverständlich nicht aus den Südstaaten sein, um die Tea Party zu unterstützen, doch der weiße Süden ist ein Zentrum dieser Bewegung. Was mich an der Geschichte der Südstaaten interessiert, ist die Reihe emotionaler Kerben – wie man es nennen könnte –, die sich in die Köpfe und Herzen der Menschen eingeprägt haben, und zwar durch das Leben ihrer Vorfahren, von denen viele weiße Kleinbauern waren. Dabei gilt mein Interesse neben der historischen Entstehung gewisser Ideen vor allem der Art und Weise, wie die Vergangenheit in unserem Denken Muster der Klassenidentifikation festlegt, die wir auf die Gegenwart anwenden. Gibt es vielleicht Erwartungen, was Menschen fühlen wollen? Was sie ihrer Überzeugung nach fühlen sollten? Was sie tatsächlich fühlen? Wie könnte der Einfluss der Erzählungen von Großeltern, Lehrern und Geschichtsbüchern auf die Vorstellungen der Menschen, die ich kennengelernt habe, in groben Zügen aussehen?
Der Süden der USA hatte sich durch das Plantagensystem zu einem »Teil für sich« entwickelt, um es mit den Worten des Historikers C. Vann Woodward auszudrücken. Dieses System hatte selbstverständlich tiefgreifende Auswirkungen auf wohlhabende weiße Plantagenbesitzer und auf schwarze Sklaven, hinterließ aber auch tiefe Spuren bei einer weiteren großen Bevölkerungsgruppe, die wir häufig vergessen: arme weiße Kleinbauern, Pachtbauern und »Sharecropper«, wie es die Vorfahren mancher Menschen waren, die ich in Louisiana kennenlernte. In seinem Standardwerk über den Süden, The Mind of the South, schrieb Wilbur J. Cash, das Plantagensystem »errichtete Mauern … um den weißen Mann, die er nicht wahrnahm«.2 Der arme Weiße fühlte sich nicht »eingesperrt in ein Leben am Rand der Gesellschaft«, sondern als »potenzieller Plantagen- oder Fabrikbesitzer«.3
Innerhalb dieser Mauern konzentrierten sich die kulturellen Vorstellungen stark auf zwei Gruppen: die Dominanten und die Dominierten, die sehr Reichen und die sehr Armen, die Freien und die Abhängigen, die Beneideten und die Bedauerten, und dazwischen gab es nur sehr wenig. Reiche Plantagenbesitzer tranken unter Kristalllüstern ausländischen Wein, saßen auf europäischen Sesseln in Herrenhäusern mit weißen Säulen. Sie sahen sich nicht als böse Unterdrücker, sondern als großzügige Wohltäter, und arme Weiße nahmen sie als solche wahr.4 Am anderen Ende sahen arme Weiße das erschreckende Elend der traumatisierten Sklaven, die nur eine geringe Lebenserwartung hatten. Das etablierte in ihrem Denken ein Bild vom besten und vom schlimmsten Schicksal im Leben. Verglichen mit den Verhältnissen in bäuerlichen Dörfern Neuenglands gab es oben erheblich mehr Reichtum zu beneiden und unten wesentlich größeres Elend zu befürchten.5 Ein solches System suggerierte ein eigenes Bild von der Warteschlange zum amerikanischen Traum – einer Schlange, die nur wenig Raum für die Glücklichen vorn und erheblich mehr Raum für die Vergessenen hinten ließ.6
Zwischen diesem Oben und Unten lebten arme Weiße nach Cashs Darstellung in ungestrichenen Häusern mit »maroden Lattenzäunen … und seltsamen Scheunen, die doch von Mais überquollen«.7 In dem Maße, wie das Plantagensystem sich ausdehnte, wurde die Lage für ärmere Bauern immer schwieriger. Plantagenbesitzer kauften das begehrte Land in den fruchtbaren Niederungen auf und verdrängten ärmere Bauern in das unfruchtbarere Hochland. Wenn arme weiße Bauern versuchten, auf bessere Böden umzuziehen, mussten sie feststellen, dass die Plantagenbesitzer sich, »gerüstet mit reichlich Kapital und soliden Sklavenbataillonen«, das beste Land gesichert hatten, sogar »jenseits des Mississippi« in Arkansas und Texas.8 Arme Weiße wurden zurückgedrängt in »die roten Hügel, die Sandgebiete, die Nadelwälder und Sümpfe – in alle Randgebiete des Südens«.9 Um Baumwolle und Zuckerrohr anbauen zu können, rodeten die Plantagenbesitzer Wälder, beraubten damit »den Tisch des Bauern der früheren reichlichen Vielfalt« und reduzierten seine Ernährung auf »Maisbrot und Wildschweinfleisch«.10 Da die Plantagenbesitzer Sklaven arbeiten ließen und Heu, Getreide, Rindfleisch und Holz größtenteils im Norden oder Mittelwesten kauften, wurden die armen Weißen als Arbeitskräfte überflüssig und mussten von dem leben, was sie selbst produzieren konnten.11 An den Rand gedrängt und als Arbeitskräfte nicht mehr gefragt, hielten sie durch, obwohl man sie mit üblen Schimpfworten bedachte wie cracker, white trash oder po buckra.
Wenn man die Geschichte auf unsere Tiefengeschichte der Gegenwart transponiert, standen arme Weiße im 19. Jahrhundert ganz weit hinten in der Schlange zum amerikanischen Traum. Es gab keine Parade von Leuten, die sich aus ethnischen oder genderspezifischen Gründen »vordrängelten«. Allein schon die Vorstellung einer Umverteilung war dem Plantagensystem zutiefst fremd. Und es gab kaum staatlich gefördertes Gemeingut, da der Süden erheblich ärmer an öffentlichen Bibliotheken, Parks, Schulen und Hochschulen war als der Norden.
Dann brach der Bürgerkrieg aus, und der Norden schlug den Süden vernichtend. Städte wurden niedergebrannt, Felder verwüstet – teils von konföderierten Truppen auf dem Rückzug. Nach dem Bürgerkrieg ersetzte der Norden die Regierungen der Südstaaten durch eigene, handverlesene Gouverneure. Profitgierige Glücksritter kamen als Agenten des dominierenden Nordens, meinten meine Gesprächspartner. Ausbeuter aus dem Norden, eine wütende, traumatisierte schwarze Bevölkerung zu Hause und von allen Seiten moralische Verurteilung – das war das Bild, das man mir zeichnete. Als die 1960er Jahre Bürgerrechtsaktivisten und Freedom Rider brachten, die auf neue Bundesgesetze zur Abschaffung der Rassentrennung drängten, kamen sie anscheinend wieder, die moralisierenden Nordstaaten.
Fielen Themen wie Obamacare, Erderwärmung, Waffengesetze und Legalisierung der Abtreibung ebenfalls in die emotionalen Kerben der Geschichte? Fühlten sie sich an wie ein weiterer Schlag aus dem Norden, aus Washington, das dem braunen Pelikan in der Warteschlange Vorrang vor der Tea Party gab, fragte ich mich. Als ich in Longville mit Cappy Brantley über die Präsidentschaftswahlen 2016 sprach, kommentierte er mit sanftem Lächeln: »Hillary Clinton, Bernie Sanders – die sind aus dem Norden.«
»Von Baton Rouge jedoch nach New Orleans … ist der Fluß mehr als eine Meile breit und sehr tief, an manchen Stellen sogar zweihundert Fuß tief. Beide Ufer sind … von endlosen Zuckerpflanzungen eingesäumt«, schrieb Mark Twain in Leben auf dem Mississippi.12 An diesem gut hundert Kilometer langen Flussabschnitt stehen etwa vierhundert prächtige Herrenhäuser mit zwei bis drei Geschossen weißer griechischer Säulen, mit von Eichen überwölbten Wegen und gepflegten Gärten und Teichen – die alten Schlösser Amerikas, erbaut mit den Gewinnen aus dem Baumwollanbau.
Das Öl ist die neue Baumwolle, doch die Plantagenkultur hat sich gehalten. Mittlerweile haben Öl- und Petrochemieunternehmen einige der Herrenhäuser großer Plantagen gekauft. Dow Chemicals hat vier Plantagen erworben, darunter die Australia Plantation und die Abner Jackson Plantation, wo der Konzern Tagungen im Big House veranstaltet. »Wir waren immer ein Plantagenstaat«, merkt Oliver Houck, Juraprofessor an der Tulane University, an. »Öl und Gas haben die landwirtschaftliche durch eine ölgeprägte ›Plantagenkultur‹ ersetzt.«13 Erdöl ist wie Baumwolle ein Rohstoff, der enorme Investitionen erfordert und die Wirtschaft ebenso dominiert wie Baumwolle und Zucker.
Allerdings haben die Gemeinsamkeiten von Baumwolle und Erdöl ihre Grenzen. Die Baumwollbarone versprachen armen Bauern und Sklaven keinen Wohlstand, wie die Ölindustrie ihn heutigen Einwohnern von Louisiana verheißt. Auf der positiven Seite bietet das Öl die Wiederherstellung der Ehre an. Denn während das Plantagensystem dem Süden in den Augen der Nation Schande gemacht hat, sorgt das Erdöl für Stolz. Die Lobgesänge der Louisiana Chemical Association sprechen von Investitionen, Profiten und Arbeitsplätzen. Doch die neuen Plantagen bieten anscheinend noch mehr: das Herrenhaus ohne Sklavenunterkünfte.
Ebenso wie die Zuckerrohr- und Baumwollplantagen die freien Kleinbauern verdrängten, hat das Öl mittlerweile Fischerei und Tourismus teilweise verdrängt, wie Paul Templet feststellte. So erging es auch einem gesprächigen Mann, den ich bei einem Besuch im Sommer auf der restaurierten Oak Alley Plantation – das größte der majestätischen Herrenhäuser an der River Road und mittlerweile eine Touristenattraktion – entdeckte, als er als Historiendarsteller in der wollenen Uniform und dem Käppi der Konföderierten schwitzte. Er war in einem kleinen Zelt hinter dem Herrenhaus stationiert, in dem ein Gewehr aus der Bürgerkriegszeit, Uniform, Käppi und Rucksack der Konföderation ausgestellt waren. Der freundliche, blonde Mann um die Vierzig wurde dafür bezahlt, anschaulich über sein angebliches Leben als Soldat der Konföderierten Truppen in den 1860er Jahren zu erzählen, und er machte seine Sache überzeugend.
Da gerade keine anderen Besucher in seinem Zelt waren, lud er mich ein, mich zu ihm an einen kleinen Tisch zu setzen und mich mit ihm zu unterhalten. Sein vorbereitetes Skript legte er beiseite und sagte: »Öl ist die neue Baumwolle. Ich bin dreizehn Kilometer von hier zur Welt gekommen. Meine Frau und ich züchten Rassepferde auf einem drei Hektar großen Hof. Ein Ölkonzern beantragte eine Genehmigung, ein halbes Fußballfeld von unserem Haus entfernt ein Tanklager zu bauen« (ein riesiges Lager für bis zu sieben Milliarden Liter Rohöl). »Wir konnten es nicht verhindern. Das konnte niemand. Verkaufen können wir das Haus auch nicht, weil es durch die Nähe zum Tanklager an Wert verloren hat.«
Vorsichtig schaute der Mann sich um, als wolle er prüfen, ob jemand mithören könne. »Ich bin hier in meinem Kostüm, um einen Soldaten der Konföderierten darzustellen. Die Konföderierten versuchten, sich von der Kontrolle der Bundesregierung zu befreien – sich loszulösen. Aber vom Öl kann man sich nicht lösen. Du kannst dich nicht von einer Mentalität lösen. Du musst dich in diese Mentalität hinein und heraus denken. Um darüber zu sprechen, müssten sie mich jedoch in ein anderes Kostüm stecken.«14
Hundert Jahre später sorgte ein anderes Vermächtnis nicht nur im Süden, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten für einen Aufschwung der Rechten. In den 1960er und 1970er Jahren brachten eine Reihe gesellschaftlicher Bewegungen die Reihenfolge in der Warteschlange in gewissem Maße durcheinander und entzündeten einen Schwelbrand aus Groll, der Jahre später zur Tea Party aufflammen sollte.15 In dieser Zeit meldete sich eine lange Parade Unterprivilegierter zu Wort, um über die schlechte Behandlung zu sprechen, die sie erfahren hatten – Schwarze, die aus dem Jim-Crow-Süden geflüchtet waren, unterbezahlte lateinamerikanische Feldarbeiter, japanische Opfer von Internierungslagern, schlecht behandelte Ureinwohner Amerikas, Einwanderer aus der ganzen Welt. Dann kam die Frauenbewegung. Frauen, die zu Hause überlastet, beruflich auf kirchliche Tätigkeiten und auf Beschäftigung als Lehrerinnen eingeschränkt und nicht vor Belästigungen sicher waren, bekräftigten ihren Anspruch auf einen Platz in der Warteschlange zum amerikanischen Traum. Lesben und Schwule wehrten sich gegen ihre Unterdrückung. Umweltschützer traten für Waldtiere ohne Wälder ein. Auch der bedrohte braune Pelikan mit seinen weiten, ölverschmierten Schwingen nahm nun seinen Platz in der Schlange ein.
Mit dem Übergang von den 1960er Jahren in die 1970er Jahre verlagerte sich der Fokus der Bewegungen vom Gesellschafts- und Rechtssystem auf die persönliche Identität. Nun genügte es schon, amerikanischer Ureinwohner, eine Frau oder ein Homosexueller zu sein, um öffentliches Mitgefühl zu wecken. Die Geduld vieler Linker wie auch Rechter wurde auf die Probe gestellt. Alle diese gesellschaftlichen Bewegungen ließen jedoch eine Gruppe in der Schlange stehen: ältere weiße Männer, vor allem wenn sie in einer Branche arbeiteten, die dem Planeten nicht sonderlich dienlich war. Auch sie wurden – bald – zu einer Minderheit.
Wenn die Bürgerrechts- und Frauenbewegung mit Fingern auf den privilegierten weißen Mann gezeigt hatte, war es vielleicht an der Zeit, auch ihn als Opfer zu sehen, dem man Gehör, Anerkennung und einen Platz vorn in der Schlange verschaffen – oder lassen – sollte. Das konfrontierte diese Gruppe jedoch mit einem verwirrenden Widerspruch: Wie sollte man sich der Parade der Identitätspolitik anschließen und sie gleichzeitig zum Stillstand bringen?
Der prägende Moment der 1960er Jahre fand im Süden statt, der die konservativste Region der Vereinigten Staaten geblieben und am wenigsten auf die enormen Veränderungen vorbereitet war, die im Juni 1964 einsetzten: der Freedom Summer.16 Damals fuhren tausend Studenten, von denen viele an Eliteuniversitäten studierten, nach Mississippi, um Wähler zu registrieren, die Geschichte der Schwarzen zu lehren und zu helfen, wo sie nur konnten. (Auch mein Mann Adam und ich gehörten dazu.) In Plaquemine, Louisiana, wurden sechzig Bürgerrechtsaktivisten für die Wählerregistrierung ausgebildet. Obwohl die meisten schwarzen Bewerber abgewiesen wurden, schafften es über tausend, sich erstmals in ihrem Leben registrieren zu lassen. Mit Aktionen, die Schlagzeilen machten, versuchten schwarze Studenten, die Rassentrennung in Schnellimbissen, Restaurants, Hotels, Wohnvierteln, Schulen und Universitäten zu durchbrechen.
Besonders für Schwarze barg diese Arbeit Gefahren. Im Sommer 1964 ermordete der Ku-Klux-Klan in Philadelphia, Mississippi, drei Bürgerrechtsaktivisten, einen schwarzen und zwei weiße: James Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner. Das löste landesweite Empörung aus und führte zum Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act) von 1964 und zum Wahlrechtsgesetz (Voting Rights Act) von 1965. Es gab 1062 Verhaftungen, Bomben- und Brandanschläge auf 37 Kirchen sowie auf Wohnhäuser und Geschäfte Schwarzer. Im selben Jahr stellte die Mississippi-Freedom-Delegation beim Parteitag der Demokratischen Partei die offizielle, nur aus Weißen bestehende Delegation des Bundesstaates infrage.17
Was bedeuteten all diese Ereignisse für weiße Arbeiter in den Südstaaten, die am augenfälligsten Widerstand gegen die allgemeinen Bürgerrechte leisteten? Sie verloren in den Augen der schockierten Nation an moralischem Ansehen. Viele ältere Männer, mit denen ich sprach, waren in den 1960er Jahren noch Kinder oder Jugendliche. Ganz gleich, welche Ansichten sie oder ihre Familie damals vertreten und wie viel Mitgefühl sie persönlich für Schwarze aufgebracht haben mochten, war der Norden nach der öffentlichen Darstellung in den Süden gekommen, wie er es in den 1860er Jahren mit Soldaten und während des Wiederaufbaus (Reconstruction) in den 1870er Jahren getan hatte, um den Weißen in den Südstaaten zu sagen, dass sie ihr Leben zu ändern hätten. Die Geschichte stand auf der Seite der Bürgerrechtsbewegung, und die Nation ehrte ihre führenden Vertreter. Wieder einmal waren die Weißen im Süden mit dem Schandmal gebrandmarkt, dabei fanden sie, wie ein Mann mir sagte: »Wir haben diese schlimmen Dinge doch gar nicht gemacht.«
Obwohl der Staat auch auf Bundesebene in der Vergangenheit als Instrument der Rassentrennung gedient hatte, stand er nun für Gleichheit. Es begann ein langsamer Trommelwirbel: Präsident Truman hob 1948 die Rassentrennung in den Streitkräften auf. Der Oberste Gerichtshof sorgte mit seinem Urteil im Verfahren Brown v. Board of Education 1954 für ihre Aufhebung an Schulen. Präsident Dwight D. Eisenhower schickte 1959 Bundestruppen und die Nationalgarde nach Little Rock, Arkansas, um das entsprechende Bundesgesetz an Schulen durchzusetzen. Damit setzte er den Rahmen für das weitere Vorgehen des Bundes in den folgenden Jahren. Präsident John F. Kennedy entsandte 1962 fünftausend Bundessoldaten, um das Recht von James Meredith auf ein Studium an der University of Mississippi durchzusetzen. Präsident Lyndon B. Johnson unterzeichnete 1964 mit dem Civil Rights Act das umfassendste Bürgerrechtsgesetz seit Ende des Bürgerkriegs. Darauf folgte eine Durchführungsverordnung, die für die Vergabe öffentlicher Aufträge von den Vertragsfirmen Antidiskriminierungsmaßnahmen bei der Einstellung von Beschäftigten verlangte. Johnson verbot 1968 Diskriminierung am Wohnungsmarkt. Und so ging es weiter – der Staat half der gesellschaftlichen Bewegung einer Bevölkerungsgruppe, ihren rechtmäßigen Platz in der Warteschlange zum amerikanischen Traum einzunehmen.
Auf die Bürgerrechtsbewegung folgte die Frauenbewegung, die an ihren früheren Kämpfen um aktives und passives Wahlrecht und eigenen Immobilienbesitz anknüpfte. Eine Reihe von Gerichtsurteilen, die die Gleichbehandlungsklausel des 14. Verfassungszusatzes bekräftigten, fand nun Anwendung auf Arbeitgeber, die Bundesmittel erhielten.18 In den 1970er Jahren schlug die Bewegung für die Rechte Homosexueller den gleichen Weg ein.
Im Laufe der Zeit kamen zu den alten Gruppen neue hinzu, und politische und therapeutische Kulturen verschmolzen. So entstand die Identitätspolitik: Identitäten, geprägt durch die Bewältigung von Krebs, Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch in der Kindheit, Alkohol- und Drogensucht oder Sexarbeit – diese und viele weitere gerieten ins Blickfeld der Medien. Das Ganze gestaltete sich zu einem Wettlauf »um die Dornenkrone«, wie der Kritiker und ehemalige Aktivist der 1960er Jahre Todd Gitlin in seinem Buch The Twilight of Common Dreams: Why America Is Wracked by Culture Wars beklagte.19 Im Gefolge dieser Bewegungen für gesellschaftlichen Wandel hatte sich eine gewisse Opferkultur eingeschlichen. Und wo blieben die älteren weißen Männer? Das Ideal der Gerechtigkeit machte anscheinend Halt, bevor es sie erreichte.20
Meine Tea-Party-Freunde – viele von ihnen waren mir mittlerweile zu Freunden geworden – reagierten auf das Feuer der 1960er Jahre, indem sie Teile der damaligen Botschaften übernahmen, sich gegen andere jedoch wehrten. Eine Frau erzählte mir, sie möge Sarah Palin, weil diese eine gegen Abtreibung eingestellte »Feministin« sei, die »Girl Power« und »Mama-Grizzlys« unterstütze. Eine andere würdigte Martin Luther King jr. als Vorbild einer besonnenen Führungspersönlichkeit im Gegensatz zu den jugendlichen urbanen Hitzköpfen, die aus Wut über brutale Polizeigewalt Schaufensterscheiben einschlugen.
Sie hatten jedoch auch erhebliche Einwände gegen manches, was die Bewegungen der 1960er Jahre bewirkt hatten. Wenn man auch nur einen Tropfen Blut amerikanischer Ureinwohner in sich hatte, hatte man aufgrund von Förderrichtlinien Anspruch auf Studienbeihilfen. Doch wieso brachte sie das in der Warteschlange weiter nach vorn, fragten sie sich. Wenn Leute sich als Weiße bezeichneten, wie andere sich als amerikanische Ureinwohner oder Schwarze einstuften, riskierten sie, als rassistische Soldaten der arischen Nation zu gelten. Wenn sie ihren Stolz darüber äußerten, Männer zu sein, liefen sie Gefahr, dass man sie für männliche Chauvinisten hielt – es sei denn, sie gehörten einer Männergruppe an, die sich bemühte, die traditionellen Verhaltensweisen abzulegen. Wenn sie Anerkennung für ihre Erfahrung und ihr Alter forderten, drohte ihnen, in einer auf Jugend ausgerichteten Kultur als alte Narren dazustehen.
Nimmt man die 1860er und die 1960er Jahre zusammen, so hatten weiße Männer der Südstaaten offenbar eine lange Tiefengeschichte erlebt, in der man sie in der Warteschlange nach hinten abgedrängt hatte. Hatten im 19. Jahrhundert die Plantagenbesitzer das Los der armen weißen Bauern verschlechtert, so hatte man im 20. Jahrhundert Konzerne globalisiert, automatisiert, Werke in Billiglohngebiete verlagert oder günstigere Arbeitskräfte ins Land geholt und sich geschickt jenseits der Hügelkuppe außer Sichtweite gehalten. Einige der 280 profitabelsten amerikanischen Unternehmen hatten laut einer Studie von 2011 für die Hälfte ihrer Gewinne keine Steuern bezahlt, doch in der geschichtsgetränkten Tiefengeschichte war das nicht zu erkennen. Du stelltest es dir vor und hattest das Gefühl, nichts dagegen tun zu können. Und um alles noch schlimmer zu machen, war es ausgerechnet dein Sektor, die freie Marktwirtschaft, die dich enttäuschte.21 Unterdessen stagnierten oder sanken die Löhne der Weißen und die Sozialausgaben stiegen.
Die 1960er Jahre brachten ältere weiße Männer also in ein heikles Dilemma. Einerseits wären sie gern aufgestanden, vorgetreten und hätten eine Identität geltend gemacht, wie so viele andere es taten. Warum nicht auch wir? Andererseits waren sie als Anhänger der Rechten grundsätzlich gegen ein Vordrängeln in der Warteschlange und mochten den inflationär benutzten Begriff »Opfer« nicht. Dennoch – und das war beinahe unsagbar – empfanden sie sich allmählich als Opfer. Andere waren vorgerückt und hatten sie abgehängt. Ihnen gefiel das Wort »leiden« zwar nicht, aber sie hatten tatsächlich Lohnkürzungen, die Traumfalle und die verdeckte Schande erlitten, zur einzigen Gruppe zu gehören, von der jeder dachte, sie stehe zu Unrecht ganz vorn in der Schlange. Kulturell gesehen hatte sich der gesamte Norden vorgedrängt und den Süden in der Warteschlange nach hinten abgedrängt, auch wenn stetig Bundesmittel von Norden nach Süden geflossen waren – was gern vergessen wurde.
Wie konnte sich der weiße Mann unverhohlen in der Schlange vordrängeln wollen, obwohl er doch grundsätzlich gegen das Vordrängeln war? Er befand sich in einem Konflikt und reagierte darauf, indem er auf andere Art Ehre und Anerkennung suchte. Zunächst war er stolz auf seine Arbeit. Doch Arbeitsplätze waren immer weniger gesichert, und die Bezahlung für die unteren neunzig Prozent blieb gering. Es hieß, bei Toys »R« Us und Disneyland müssten einige Beschäftigte andere Mitarbeiter einarbeiten, die sie für niedrigere Löhne ersetzen sollten. Und der Staat gab Leuten Geld, die nicht arbeiteten, und untergrub damit die mit der Arbeit verknüpfte Anerkennung und Ehre. (Siehe jedoch Anhang C.)
Wenn er schon aus seiner Arbeit keinen Stolz beziehen konnte, versuchte der Tea-Party-Mann es eben mit seiner Heimatregion und seinem Bundesstaat, stieß jedoch auch dort auf Probleme. Die meisten meiner Gesprächspartner liebten den Süden, Louisiana, ihre Stadt und ihren Bayou. Allerdings waren sie sich vollauf bewusst, welches geringe Ansehen ihr Staat genoss. »Wir sind der Staat, über den man hinwegfliegt«, erklärte mir eine Lehrerin und Tea-Party-Anhängerin. »Wir gelten als rückständig und arm«, beklagte jemand. Ebenso wie die zu den Republikanern neigenden Farmer im Mittelwesten die Bezeichnung »Landeier« (hayseeds) als beleidigend empfanden und Bergleute in den Appalachen als »Hillbillys« galten, mussten auch Südstaatler als Bewohner ihrer Region einen unverdienten Schlag im Ansehen der Nation hinnehmen.
Wenn auch regionale Herkunft und der eigene Bundesstaat nicht als Basis von Ehre und Anerkennung dienen konnten, so zählten immerhin starke Familienwerte noch. Sollten sie ihrem Moralkodex nicht gerecht werden können – der eine lebenslange heterosexuelle, monogame und gegen Abtreibung gerichtete Ehe vorsah –, waren sie doch stolz auf ihre Moralvorstellungen, obwohl es nicht einfach war, danach zu leben. Eine rechtsgerichtete Frau hatte einen homosexuellen Bruder, der geheiratet und ein Kind in die Welt gesetzt, aber beide »nur wegen Sex« verlassen hatte, was in der Familie für Aufruhr gesorgt hatte. Um das Leid zu vermeiden, das sie durch die Scheidung ihrer Eltern erlebt hatte, ging eine Frau eine sogenannte covenant marriage ein. (Bei dieser Sonderform der Ehe, die seit 1997 in Louisiana gesetzlich ermöglicht und später auch in Arkansas und Arizona eingeführt wurde, verpflichten sich die Paare, sich vor der Heirat beraten zu lassen und strengere Hürden für Eheschließung und Scheidung zu akzeptieren.) Schon bald fand sie heraus, dass ihr Mann homosexuell war, doch sie war froh, dass sie versucht hatte, die Ehe aufrechtzuerhalten, »so wie sie sein sollte«, und das Paar später seine beiden Kinder gemeinschaftlich aufzog. Eine andere Mutter hatte eine Tochter, die mit vierzehn Jahren schwanger wurde und das Kind bekam. »Ich arbeite Vollzeit, und sie muss die Schule abschließen. Ehrlich gesagt, es ist hart.« Sie hat das Gefühl, es wäre einfacher für ihre Tochter gewesen, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch hätte vornehmen lassen. Allerdings hatte es etwas Ehrenvolles, das Baby zu behalten und »das Richtige zu tun« – eine Ehre, die Liberale ihrer Ansicht nach nicht sahen.
Und dann die Kirche: Viele äußerten sich wie Janice Areno zum Wert des »Bekirchtseins« und der Abgabe des Zehnten. Doch manche der Glaubenslehren, die sie in der Kirche lernten – dass die Erde an sieben Tagen erschaffen worden sei, der Himmel ein gigantischer Kubus sei, Eva aus Adams Rippe gemacht wurde und die Evolution nie stattgefunden habe – galten, wenn man sie wörtlich nahm, in den Augen einer breiteren, säkulareren Welt als Zeichen mangelnder Bildung.
Doch für Janice, Jackie, Madonna und andere war das Christsein und der Glaube an Jesus als Erlöser eine Art, zu sagen: »Ich verpflichte mich, ein moralischer Mensch zu sein. Täglich bemühe ich mich, gut zu sein, zu helfen, zu verzeihen und wirklich hart daran zu arbeiten, gut zu sein.« Eine Frau erklärte mir: »Wenn ich weiß, dass jemand Christ ist, weiß ich, dass wir viel gemeinsam haben. Dann bin ich viel eher geneigt, darauf zu vertrauen, dass er oder sie ein moralischer Mensch ist, als ich es bei einem Nichtchristen wäre.«
Allen diesen anderen Grundlagen der Ehre und Anerkennung – Arbeit, regionale Herkunft, Bundesstaat, Familienleben und Kirche – lag der Stolz auf das Selbstverständnis in der Tiefengeschichte zugrunde. Die Menschen, die ich kennenlernte, hatten viel geopfert und bezogen aus diesen Opfern Ehre und Anerkennung. Für Janice Arenos Vater war es ein harter Schritt gewesen, die Schule zu verlassen, damit er seinem Vater helfen konnte, die zehnköpfige Familie zu ernähren. Obwohl nahezu alle meine Gesprächspartner zwei, höchstens drei Kinder hatten und einige kinderlos waren, zollten einige ihren Müttern oder Großeltern Anerkennung, weil sie sehr große Familien aufgezogen hatten – eine schwierige Aufgabe. Sie waren stolz auf ihren Beitrag zu ihrer Gemeinde: Mike Schaff auf die Zwei-Bier-Deicharbeiten gegen Hochwasser, Janices Freundin auf die One-touch-Kissen für amerikanische Soldaten, Jackie Tabor auf die Arbeit für die Tafel bei Abraham’s Tent.
Was für Liberale ein Problem darstellte – die Tatsache, dass Konservative sich nach »oben« mit dem einen Prozent, der Klasse der Plantagenbesitzer, identifizierten –, war für die Tea-Party-Anhänger, die ich kennenlernte, eine Quelle des Stolzes. Es zeigte, dass sie optimistisch und hoffnungsvoll waren und sich bemühten. Dass sie selten den Blick auf die Schlange hinter sich richteten, war kein Problem. Warum sollten sie es jemandem verübeln, wenn er es bis ganz an die Spitze geschafft hatte, fragten sie sich. Dieser Blick nach vorn, selbst wenn die Lage aussichtslos schien, war ein Merkmal, das ihr tapferes Tiefengeschichten-Ich kennzeichnete.
Allem Anschein nach war ein solches Selbstverständnis jedoch immer weniger eine Quelle der Ehre und Anerkennung. Zunehmend rückte ein Selbstbild anderer Art in den Vordergrund, eines, das stärker von einer kosmopolitischen oberen Mittelschicht geprägt war, die ein weit gestreutes Netzwerk lockerer Freundschaften pflegte, sich auf den Wettbewerb um Zugang zu renommierten Elite-Colleges und steile Karrieren vorbereitete, die Menschen weit fort von ihrer Heimat führen konnten. Solche kosmopolitischen Persönlichkeiten waren darauf ausgerichtet, sich ihren Weg in die globale Elite zu bahnen. Sie kamen damit zurecht, weiter von ihren Wurzeln entfernt zu leben, und waren bereit, zu gehen, wenn sich ihnen eine Chance bot. Sie bezogen erheblichen Stolz aus liberalen Anliegen: Menschenrechte, Gleichheit aller Menschen, Kampf gegen Erderwärmung. Viele Liberale der oberen Mittelschicht, weiße wie auch schwarze, merkten gar nicht, was sie mit ihrem Selbstverständnis in emotionaler Hinsicht verdrängten. Denn mit den Arbeitsplätzen für einfache Arbeiter kam deren Lebensweise aus der Mode und damit auch die Ehre und Anerkennung, die mit einer verwurzelten Persönlichkeit und dem Stolz auf das Durchhaltevermögen verknüpft waren – das mit der Tiefengeschichte verbundene Selbstverständnis. Die liberale obere Mittelschicht sah in der Gemeinschaft nur Abschottung und Engstirnigkeit, nicht die Quelle von Zugehörigkeit und Anerkennung. Dabei war ihnen offenbar nicht klar, dass sie angesichts der Trends »jenseits der Hügelkuppe« vielleicht die nächsten wären, die verdrängt würden.
Die wechselnden moralischen Voraussetzungen für den amerikanischen Traum hatten die Tea-Party-Anhänger in den gesamten Vereinigten Staaten zu Fremden im eigenen Land gemacht, voller Angst und Wut auf die Menschen, die sich ihrer Ansicht nach in der Warteschlange vordrängelten und sie verdrängten und ihres Platzes verwiesen. Der unerklärte Klassenkampf, der sich mit anderen Akteuren auf einer anderen Bühne abspielte und einen anderen Gerechtigkeitsbegriff heraufbeschwor, veranlasste die Beteiligten, dem »Beschaffer« dieser Vordrängler die Schuld zu geben: dem Staat.
Als 2015 syrische Flüchtlinge, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, in die Vereinigten Staaten kamen, hatten meine Tea-Party-Informanten den Eindruck, dass noch mehr Gesichter sich in der Warteschlange vordrängten – die zudem auch noch gefährlich waren. Lee Sherman sah die Syrer als potenzielle IS-Mitglieder. »Neunzig Prozent davon sind Männer, und ich finde, wir sollten sie nach Guantanamo bringen«, erklärte er. »Aber sie sind doch keine feindlichen Kombattanten«, wandte ich ein. »Ich weiß«, antwortete er, »man kann ja die Zäune wegmachen, damit es weniger wie ein Gefängnis ist. Wenn man sie in die USA lässt, haben sie alle Ansprüche wie wir.« Mike Schaff, selbst ein Vertriebener vom Bayou-Corne-Krater, verglich die Flüchtlinge mit Südstaatlern im Bürgerkrieg: »General Lee führte tapfere Südstaatler an, die zwar erheblich in der Unterzahl und jämmerlich unzureichend bewaffnet waren, sich aber weigerten, ihr Land als Flüchtlinge zu verlassen. Sie blieben, kämpften und viele starben. Ihre Frauen und Kinder, von denen viele vergewaltigt und ermordet wurden, blieben ebenfalls, um sich um ihre Häuser zu kümmern. Auch nach der Niederlage flohen sie nicht. Sie blieben, um unseren Staat schließlich umzugestalten. Die Syrer sollten bleiben, einen Standpunkt beziehen und für das kämpfen, woran sie glauben. Wenn du flüchtest, bist du meiner Ansicht nach ein Verräter an dir selbst. Ich weiß, das ist hart, aber manchmal müssen wir harte Entscheidungen treffen.« Jackie Tabor erklärte: »Wir beschützen Muslime und verfolgen Christen. Haben Sie je eine muslimische Wohltätigkeitsveranstaltung für Menschen in Not erlebt oder Suppenküchen für Obdachlose? Ein muslimisches Erntedankfest? Wo steht der muslimische Name auf der Unabhängigkeitserklärung?« Während Mike die syrischen Flüchtlinge aus dem Blickwinkel der 1860er Jahre sah, ordnete Jackie ihre Aufnahme eher dem multikulturellen Klima der 1960er Jahre zu, das ihre heilige religiöse Kultur im Kern bedrohte.
Als Fremde in ihrem Land wollten Lee, Mike und Jackie ihre Heimat zurückbekommen, und genau das versprach ihnen die Tea Party. Sie bot ihnen finanzielle Freiheit von Steuern und emotionale Freiheit von den Einschränkungen der liberalen Philosophie und deren Gefühlsregeln. Liberale verlangten von ihnen Mitgefühl mit den Unterdrückten hinten in der Warteschlange, mit den »Sklaven« der Gesellschaft. Das wollten sie jedoch nicht aufbringen, denn sie fühlten sich selbst unterdrückt und wollten nur zur Elite »aufschauen«. Was war falsch am Streben nach oben? Das war ihrer Ansicht nach die größere Tugend. Liberale verlangten von ihnen, ihre Empörung gegen die unrechtmäßig erworbenen Gewinne der allzu Reichen, der »Plantagenbesitzer« zu richten; die Rechte wollte, dass sie ihren Unmut gegen die armen Schlucker wendeten, von denen manche sich in der Warteschlange vordrängten.
Ein kultureller Beitrag des Südens zur modernen landesweiten Rechten besteht möglicherweise in seinem bleibenden Vermächtnis der Sezession. Im 19. Jahrhundert ging es dabei um eine geografische Abspaltung: Der Süden trennte sich vom Norden. Von 1860 bis 1865 etablierten sich die elf konföderierten Staaten als eigenständiges Staatsgebiet und unabhängige Nation. Die heutigen Tea-Party-Anhänger, die ich kennenlernte, strebten eine andere Trennung an – die von Arm und Reich. In ihrer idealen Welt würde der Staat den Reichen nichts nehmen, um es den Armen zu geben. Er würde das Militär und die Nationalgarde finanzieren, Fernstraßen bauen, Häfen ausbaggern und ansonsten weitgehend verschwinden.
Nach den Vorstellungen der Tea Party würden Norden und Süden sich vereinen, dafür würde sich eine neue Kluft weit öffnen: Die Reichen würden sich von den Armen trennen – weil so viele von ihnen sich »in der Warteschlange vordrängen«. In den 1970er Jahren war viel von Präsident Nixons »Südstaatenstrategie« die Rede, die an die Angst Weißer vor dem Aufstieg Schwarzer appellierte und Weiße von der Demokratischen Partei zu den Republikanern trieb. Doch im 21. Jahrhundert hat sich eine »Nordstaatenstrategie« entwickelt, in der Konservative im Norden sich denen im Süden anschließen – und zwar in einer Bewegung, in der die Reichen und alle, die sich mit ihnen identifizieren, sich von der Last befreien, den Unterprivilegierten zu helfen. In den gesamten Vereinigten Staaten herrscht die Vorstellung, dass Almosen einzustellen seien. Dann würden die Reicheren im ganzen Land frei sein von den Ärmeren und sich von ihnen trennen.