Anhang B

Politik und Umweltverschmutzung: Erkenntnisse aus der landesweiten ToxMap

Bevor ich nach Louisiana kam, hatte ich gedacht, je größer die Umweltverschmutzung an einem Ort sei, umso stärker müssten die dortigen Einwohner darüber beunruhigt sein und für ihre Beseitigung eintreten. Stattdessen stellte ich fest, dass dieser Bundesstaat unter starker Umweltverschmutzung litt und die Menschen, mit denen ich sprach, generell gegen schärfere Umweltschutzbestimmungen und sogar gegen jegliche staatliche Regulierung waren. War Louisiana in dieser Hinsicht eine Ausnahme oder nicht?

Je stärker die Umweltverschmutzung in einem Bundesstaat, umso höher war laut früheren Forschungen die Wahrscheinlichkeit, dass die Einwohner die Republikanische Partei wählten (siehe Kapitel 5). Louisiana war also keineswegs eine Ausnahme: Der dort festgestellte Trend bestand landesweit. Doch was ging in jedem der roten Staaten vor? War es so, wie der Journalist Alec MacGillis in der New York Times behauptet hatte, dass in roten Bundesstaaten die Menschen, die mit Armut, schlechten Schulen und zerbrochenen Familien zu kämpfen hatten, nicht zur Wahl gingen, weil sie sich nie an Wahlen beteiligten, während andere, zwei Schichten höher angesiedelte Einwohner die Republikaner wählten?1 Nach MacGillis’ Logik wäre anzunehmen, dass Menschen, die in der Umgebung umweltverschmutzender Industrieanlagen leben, sich eine staatliche Regulierung der Umweltverschmutzer wünschen, aber nicht zur Wahl gehen, wohingegen Republikaner, die reicher sind und an saubereren Orten leben, Umweltverschmutzung nicht für ein Problem halten und daher eine Regulierung der umweltverschmutzenden Industrie ablehnen. Das mochte so sein.

Eine zweite Möglichkeit ist jedoch verwirrender: Waren es dieselben Menschen, die sich mit Umweltverschmutzung konfrontiert sahen und bei Wahlen gegen eine Regulierung der Umweltverschmutzer stimmten? Das wollten Rebecca Elliott und ich herausfinden, indem wir die Daten zweier Datenbanken verknüpften. Die erste Quelle war die Erhebung General Social Survey (GSS) des National Opinion Research Center der University of Chicago, die unter Sozialwissenschaftlern weithin als eine der besten Datenbanken zu gesellschaftlichen Trends im Land gilt. In der Umfrage werden Teilnehmer gebeten, ihre Einstellung zu bestimmten Aussagen auf einer Skala von »stimme voll und ganz zu« bis »widerspreche entschieden« einzustufen. Zu den Fragen gehören Aussagen wie: »Die Leute machen sich zu viele Sorgen, dass Fortschritt der Umwelt schadet«; »Industrielle Luftverschmutzung ist gefährlich für die Umwelt«; »Die USA tun genug für den Umweltschutz«; »Manche Leute finden, dass die Regierung in Washington zu vieles zu machen versucht, was man besser Privatpersonen und Privatunternehmen überlassen sollte«. Das National Opinion Research Center erlaubte uns, aus der Umfrage von 2010 dreitausend anonyme Antworten auf diese Fragen zu analysieren.

Unsere zweite Informationsquelle war das Toxic Release Inventory (TRI) der US-Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency. Diese Datenbank erfasst verschiedene Maße für die Belastung durch Emission und Entsorgung giftiger Schadstoffe. Die umfassendsten TRI-Maße sind die sogenannten Risk-Screening Environmental Indicators (RSEI, Umweltindikatoren zur Risikobewertung), die auf Angaben der Industrie und staatlicher Stellen basieren.2 Für jedes Postleitzahlgebiet des Landes gibt die Datenbank die Belastung der Einwohner aufgrund von drei Faktoren an: Menge der Schadstoffemissionen, Toxizität der Schadstoffe und Größe der ihnen ausgesetzten Bevölkerung. Wir verwendeten die Risikobewertungsdaten für das Jahr 2010.

Dann verknüpften wir die Informationen über politische Einstellungen zu Umweltfragen und Wahlverhalten mit dem tatsächlichen Risiko giftiger Emissionen in dem Kreis, in dem eine Person lebt. Mithilfe von Dr. Jon Stiles, Leiter des Datenlabors der Universität Berkeley, und Professor Mike Hout vom Fachbereich Soziologie der New York University verwendeten wir dazu eine »Brückensoftware«.

Mit einer Regressionsanalyse prüften wir, ob sich anhand des Risikoprofils des Wohnortes (RSEI) die Antworten auf verschiedene umweltbezogene Fragen (des GSS) »vorhersagen« ließen. Mit der umgekehrten analytischen Stoßrichtung überprüften wir, ob sich aus verschiedenen soziodemografischen und politischen Variablen das Risikoprofil des Wohnortes einer Person vorhersagen ließ. Außerdem untersuchten wir die Beziehung zwischen dem Risikoprofil eines Wohnortes und der allgemeinen politischen Orientierung.3

Die interessantesten Ergebnisse sind folgende: In dem Maße, wie das relative Risikoprofil des Kreises, in dem jemand lebte, zunahm, stieg auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende der Aussage zustimmte: »Die Leute machen sich zu viele Sorgen, dass Fortschritt der Umwelt schadet.« Je höher also die Belastung durch Umweltverschmutzung war, umso weniger Sorgen machten sich die Befragten darüber – und umso höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich als »überzeugte Republikaner« einschätzten.

Bei Männern, die nach eigenen Angaben ein hohes Einkommen hatten, konservative Republikaner und »sehr religiöse« Christen waren, bestand auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie Luft- und Wasserverschmutzung nicht für eine Gefahr hielten. Je höher die Umweltrisiken im Heimatkreis einer Person war, umso wahrscheinlicher stimmte sie der Aussage zu: »Die USA tun genug für den Umweltschutz.« Je höher das Risiko einer Person war, aufgrund ihres Wohnorts Umweltverschmutzung ausgesetzt zu sein, umso wahrscheinlicher war sie seltsamerweise der Auffassung, die Vereinigten Staaten neigten generell zu einer Überreaktion auf diese Probleme.

Das ist ein Paradox, das jedoch nicht aus Unwissenheit erwächst. Denn je größer das Risiko einer Belastung durch Umweltverschmutzung war, umso wahrscheinlicher stimmten Personen der Aussage zu: »Industrielle Luftverschmutzung ist gefährlich für die Umwelt.« Die Wohlhabenderen und Gebildeteren unter den Befragten äußerten zudem die Ansicht, dass die Menschheit die Umwelt verbessern könne und lehnten die Aussage ab: »Es ist zu schwierig, etwas für die Umwelt zu tun.«

Letzten Endes ist die Umweltverschmutzung in roten Bundesstaaten höher als in blauen. Und unabhängig von der Frage, ob jemand zur Wahl geht oder nicht, tendieren Konservative und Republikaner dazu, Umweltprobleme abzutun und die Konsequenzen zu tragen, indem sie mit einer stärkeren Umweltverschmutzung leben. Die Lage in Louisiana ist ein Extrembeispiel für das Paradox zwischen Politik und Umwelt, das in den gesamten USA zu finden ist.