Willow
Licht sickerte durch das Fenster am Rande des Zimmers, der schwache Schimmer von Sonnenschein verblasste gerade am Horizont, als ich langsam die Augen öffnete. Ein leises Grollen kroch meine Kehle hinauf, als ich mich zwang, mich aufzusetzen. Ich presste die Stirn in meine Hände, als mir ein stechender Kopfschmerz fast den Schädel zu spalten schien.
Ein paarmal atmete ich tief durch und spähte zu dem Stuhl, auf dem Gray gesessen hatte, als ich eingeschlafen war. Mein Selbsterhaltungstrieb war offensichtlich nicht sehr ausgeprägt, wenn ich es sogar geschafft hatte, mich auszuruhen, während der Teufel mich beobachtete. Ich konnte seinen Beweggründen und Plänen definitiv nicht trauen.
Lass mich dich lieben.
Diese drängenden Worte klangen mir in den Ohren, als ich seinen nun leeren Stuhl betrachtete, die Decke bis zu meinen Füßen hinunterschob und meine Beine befreite. Er hatte die Schlafzimmertür geschlossen, als er gegangen war, und ich tappte langsam und unsicher hinüber, um an dem Knauf zu rütteln. Er ließ sich kaum bewegen, das Schloss hielt ihn an Ort und Stelle, und als ich mich zu schnell umdrehte, geriet ich dabei ins Straucheln.
Was zum Henker war los mit mir?
Ich schüttelte das unsichere, verkrampfte Gefühl in meinem Inneren ab und bewegte mich zum Fenster, wo die letzten Strahlen Tageslicht hereindrangen. Ich blickte auf den Hofgarten unter Grays Zimmern und schluckte, als ich nach Hinweisen auf eine Hülle oder einen Erzdämon dort unten suchte.
Ich entdeckte niemanden und blickte zurück zur Tür von Grays Arbeitszimmer. Ich konnte mir nicht vorstellen, die anderen dem Schicksal zu überlassen, das ich so maßgeblich mitverursacht hatte, aber ich war für keinen eine Hilfe, wenn ich im Schlafzimmer des Teufels eingesperrt blieb.
Ich schloss die Augen, als ich den Riegel oben am Fensterrahmen zurückschob, doch ich öffnete es erst, als ich mich gegen die Schuldgefühle gewappnet hatte, die bereits in mir rumorten.
Ich würde zurückkommen, versprach ich mir. Versprach ich ihnen , auch wenn sie mich nicht hören konnten. Es war erst ein paar Wochen her, dass ich hier aufgetaucht war, um den Coven und all seine Mitglieder zu vernichten. Ich war fest entschlossen, die Rache zu üben, für die ich ausgebildet worden war, selbst wenn es meinen eigenen Tod bedeutet hätte.
Warum zögerte ich also, sie jetzt ihrem Schicksal zu überlassen?
Mit einer Grimasse schob ich das Fenster aus Wut über mein Zögern nach oben und zuckte zusammen, als das Glas durch die Wucht, mit der es einrastete, zerbrach. Ich berührte mit zitternden Fingern die spinnennetzartigen Risse und starrte auf die Hände, die nicht anders aussahen als die, die ich von früher kannte.
Bevor ich gestorben war.
Ich schluckte und kletterte auf die Fensterbank. Mir war bewusst, dass meine Zeit begrenzt sein und Gray mich niemals lange unbeaufsichtigt lassen würde. Denn ganz sicher war ihm klar, dass ich als Erstes an Flucht denken würde. Nur hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass ich so schnell aufwachen würde.
Ich schaffte es, meine Beine über die Fensterbank zu schwingen, und fühlte mich dabei so unbeholfen wie ein neugeborenes Reh, als ich mich durch die kleine Öffnung manövrierte. Das steinerne Gebäude war wie eine Klippe, in diesem Bereich gab es keine niedrigeren Gebäudeteile, die mich näher Richtung Boden bringen konnten. Als ich auf den Hof hinunterblickte, schloss ich die Augen und holte tief Luft, während ich den Teil von mir rief, der für mich so lebensnotwendig war wie Sauerstoff.
Die Erde unter mir antwortete, und die Ranken des Spaliers, das die Seiten des Gebäudes überspannte, zuckten, als sie zum Leben erwachten. Sie wuchsen langsam und streckten sich mir entgegen, bis ich nach ihnen greifen konnte. Ich wickelte eine davon um meine Hand, hielt sie fest und schöpfte tief Atem.
Grüne Hexen waren nicht dazu gemacht zu fliegen. Wenn ich an den Aufprall dachte, der mich bei einem Absturz erwartete, war das fast genug, um in das Schlafzimmer zurückzukehren, das zu meinem Gefängnis geworden war.
Kleinlicher Trotz trieb mich vorwärts. Ich sprang, zufrieden mit dem Wissen, dass ich zumindest Grays Pläne vereiteln würde, sollte ich bei meinem Ausbruchsversuch sterben.
Er hatte nicht das Recht zu gewinnen. Nicht nach dem, was er getan hatte, nicht nach der Art und Weise, wie mein ganzes Leben eine vergeudete Manipulation darstellte, die nur zu seinem eigenen egoistischen Vorteil gedacht gewesen war. Ich mochte nicht daran denken, was aus mir hätte werden können, wenn er nicht durch die Verbindung zwischen ihm und meinem Vater so viel Leid verursacht hätte.
Ich unterdrückte einen Schrei, als ich auf den Boden zustürzte. Als mein Körper die Fensterbank verließ, bewegte ich mich zuerst langsam, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Die Luft rauschte mir entgegen und ließ mein Nachthemd um meine Taille flattern, während ich in die sanfte Umarmung der Ranken fiel, die nach vorne schossen, um mich aufzufangen.
Ich schloss die Augen, je näher der Boden kam. Voller Überzeugung, dass die Ranken mich nicht vor dem Tod bewahren konnten, der dort auf mich wartete. Ich krümmte mich in Embryonalstellung zusammen und stieß einen leisen Schrei aus, als ich auf etwas Weichem aufkam, das mich in dem Moment, in dem ich dort landete, zurück in die Luft drückte.
Der Schwung nahm mir etwas von der Wucht der Kollision, sodass der zweite Aufprall auf etwas Weichem eher unangenehm als schmerzhaft war. Ich entspannte den Körper und ließ die Beine von der Brust sinken. Endlich öffnete ich die Augen und blickte auf das Kissen aus Blumen hinunter, das sich aus den Gartenbeeten erhoben hatte, um mich sanft aufzufangen.
Die Pflanzen wuchsen noch höher, um mich auf die Füße stellen zu können, bevor sie sich wieder in die Erde zurückzogen. Die Ranke, die ich um meine Hand gewickelt hatte, zog sich fester. Die Dornen bohrten sich in meine Haut, um mir das Blut zu entziehen, das für die Hilfe verlangt wurde.
Als ich einen Schritt von den Pflanzen wegtrat, klapperten die Knochen um meinen Hals aneinander, erinnerten mich mit jedem Schritt an ihre Anwesenheit. Abschätzend musterte ich die Auffahrt und die Straße, die sich durch den Wald bahnte und mich wahrscheinlich in den sicheren Tod führte. Aber ich wusste, wie viel schwieriger es sein würde, sich aus Hollow’s Grove herauszuschleichen, wenn ich es vor aller Augen täte.
Ich schluckte, als ich mich auf den Wald und die Verfluchten zubewegte, die dort auf mich warteten, und war entschlossen, diese Bestien den Erzdämonen vorzuziehen. Immerhin konnten die Verfluchten getötet werden.
Bei den Erzdämonen war ich mir da nicht so sicher.
Die Ranke wickelte sich beim Gehen langsam von meinem Arm ab, löste sich voller Sehnsucht von mir. Sie wusste so gut wie ich, dass ich die beste Chance für dieses Land war, um es wahrhaft wiederherzustellen. Ich weigerte mich, den Abschied in dieser wehmütigen Berührung anzuerkennen und versprach, ihr zu helfen, wenn ich zurückkam, um den Coven wieder zu dem zu machen, was er immer hätte sein sollen.
Blut tropfte an meinem Arm herunter, als ich mich langsam auf den Weg in den Wald machte. Meine Schritte wurden von Mal zu Mal fester, und ich war weniger unsicher, wie mein Körper funktionierte. Was auch immer sich in mir verändert hatte, als Gray mich von den Toten zurückbrachte, ich konnte es nicht sehen, aber ich spürte es an den Muskelsträngen unter meiner Haut. Ich spürte die seltsame, ungewohnte Kraft in jedem meiner Finger.
Meine Schritte gewannen an Dynamik und wurden immer schneller, bis ich auf den Wald zustürmte. Normalerweise verabscheute ich Laufen. Verdammt, ich hatte rennen gehasst, noch ehe ich meine Beine überhaupt in Bewegung gesetzt hatte.
Das hier kostete mich keine Energie und trieb mich mit so wenig Anstrengung vorwärts, dass ich beinahe über meine Füße fiel. Eine riesige Gestalt trat aus dem Schatten der Bäume, gerade als ich den Waldrand erreichte. Sie breitete ihre ledernen Schwingen aus, die sie vor sich gefaltet hatte, um vor Blicken geschützt zu sein. Beelzebubs zotteliges Haar fiel ihm bis zu seinem kantigen Kinn und er starrte auf mich herunter.
»Du sollst schlafen, Gefährtin«, sagte er, als ich vor ihm zum Stehen kam. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als mich mein unbeholfener Versuch, meine Gliedmaßen unter Kontrolle zu bringen, nach vorne schleuderte, sodass ich gegen ihn prallte. Meine Hände knallten gegen die bronzefarben schimmernde Haut seiner Brust.
Er hatte sich Runen tätowiert, die genauso golden leuchteten wie Lucifers Augen. Die henochischen Symbole schienen sich unter meinen Händen zu winden und zu krümmen, als ich in Panik geriet und mich von ihm abstieß. Ich plumpste mit dem Hintern ins Gras und meine Finger gruben sich instinktiv in den Boden unter mir.
Ich erdete mich gegen das Unbekannte, gegen die Angst vor dem Erzdämon, der vor mir stand.
»Du hast mich verdammt noch mal umgebracht«, sagte ich schließlich, wobei meine Stimme bedrohlich leise wurde.
Der Mistkerl zuckte mit den Schultern und breitete seine Flügel hinter sich aus, als ob er sie dehnen müsste. »Ich entschuldige mich. Als Lucifer und ich das letzte Mal miteinander sprachen, warst du zum Sterben auserkoren. Ich war mir der Planänderung nicht bewusst.«
»Du entschuldigst dich?«, fragte ich, meine Stimme klang so ungläubig, wie ich mich fühlte. »Meinst du, das reicht für das, was du mir angetan hast?«
Er ließ seinen Blick an meinem Körper hinunterwandern und kehrte dann zu meinem Gesicht zurück, mit nichts als Desinteresse in seinen Augen. »Du siehst gut aus.«
»Mir geht es aber nicht gut . Weißt du, wie es ist, in der Dunkelheit zwischen Leben und Tod gefangen zu sein? Hast du eine verdammte Ahnung, wie verwirrend und erschreckend es ist zu wissen, dass ich zwar gestorben, aber trotzdem in diesem Höllenloch gefangen bin?«, kreischte ich und stürzte mich auf ihn.
Ich legte zwei Handflächen auf seine Brust und stieß ihn mit all meiner Wut, die in dieser Bewegung steckte, von mir. Beelzebub riss die Augen einen kurzen Moment lang vor Schreck auf, bevor das Geräusch durch den Wald hallte, wie mein Fleisch gegen ihn klatschte. Er stolperte zurück und konnte sich gerade noch mit der Spitze seines Flügels am Boden hinter ihm stabilisieren, während wir uns gegenseitig anstarrten.
Seine Augen verengten sich, als er sich wieder aufrichtete, und sein Blick fiel auf meine Handflächen, die ich an dem Seidenstoff meines Nachthemdes abwischte. »Geh zurück zu deinem Ehemann, Gefährtin. Er wird nicht erfreut sein, dich außerhalb des Bettes vorzufinden.«
»Er ist nicht mein Ehemann«, knurrte ich, meine Nasenflügel bebten angesichts der ständigen Erinnerung daran, dass mir etwas angetan worden war, während ich geschlafen hatte.
Er trat näher, thronte über mir und funkelte mich wütend an. »Was auch immer dir hilft, nachts zu schlafen. Ich weiß nicht, welchen Zauber du gesprochen hast, aber es geschieht dir recht, dass die Falle, die du gestellt hast, damit er dich liebt, dich am Ende gefangen hält.«
»Du denkst, ich habe ihn verzaubert?«, fragte ich spöttisch, als ich ihm auswich und mich in Richtung Wald davonmachte.
Scheiß doch drauf.
Er schloss die Hand um meinen Oberarm und brachte mich zum Stehen, während er vollkommen still neben mir stand. »Ich glaube, du wolltest ihn um deinen fiesen kleinen Finger wickeln, und genau das hast du getan. Er hat lieber Freunde in der Hölle gelassen, als das Risiko einzugehen, dich an das Siegel zu verlieren. Wenn das keine Verzauberung ist, dann weiß ich es auch nicht.«
»Vielleicht war es einfach meine strahlende Persönlichkeit, die ihn angezogen hat. Hast du daran schon mal gedacht?« Ich versuchte, ihm meinen Arm zu entreißen. Beelzebubs Griff rutschte unsanft ab und seine Finger verpassten mir blaue Flecke, als er darum kämpfte, mich festzuhalten.
Er senkte den Blick tiefer und ließ ihn wieder nach oben wandern, bevor er ein leises, herablassendes Lachen ausstieß. »Ich sehe dich, Willow Hecate. Und ich bin nicht beeindruckt.«
Meine Wut wuchs, brodelte in meinem Magen mit einer Kraft, die mir die Luft abschnürte. Ich konnte nichts anderes mehr sehen als den roten Schleier meiner Wut, den Tunnelblick, mit dem ich den Dämon anstarrte, der mich so bereitwillig unterschätzte und mich im selben Atemzug beschuldigte, den Teufel zu umgarnen.
Die Äste an den Bäumen raschelten, als ob sie sich im Wind bewegten, doch die Luft war zu still, als dass sie dafür verantwortlich hätte sein können. Tatsächlich wurde unsere Umgebung unnatürlich ruhig, als ich zu dem violettäugigen Dämon hinaufstarrte.
Er schien das Rascheln der Bäume, das ich in meinem Blut spürte, nicht zu bemerken; er ahnte nicht, dass sie sich langsam auf ihn zubewegten, angetrieben von meinem Zorn.
»Das reicht, Beelzebub. Gib meine abtrünnige Frau frei«, sagte Gray von irgendwo hinter mir. Ich seufzte und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als Beelzebub langsam meinen Bizeps losließ und wegtrat. Ich hielt inne und versuchte, das Summen in meinem Blut zu beruhigen, hielt aber das Leben um mich herum bereit, falls ich die Hilfe brauchte.
Ich schluckte und drehte mich auf dem Absatz um, stellte mich dem Mann, der sich in kürzester Zeit von zu gut, um wahr zu sein, zu meinem schlimmsten Albtraum entwickelt hatte.
Er trug jetzt einen Anzug, hatte aber auf sein Jackett verzichtet, sodass nur noch ein weißes Hemd seine Brust bedeckte. Die Ärmel waren hochgekrempelt und gaben den Blick auf seine goldene Haut frei, die so gar nicht zu dem hellen Ton passte, den er vor seinem richtigen Körper aufgewiesen hatte. Er hatte die Fäuste geballt, das einzige körperliche Symptom seiner Wut, was die Muskeln in seinen Unterarmen sichtbar anspannte. Er legte den Kopf schief und ließ seinen Blick über meinen Körper gleiten, der – da ich mich beeilt hatte zu fliehen – immer noch nur mit dem seidenen Nachthemd bekleidet war, das er mir angezogen hatte. »Hast du etwas vor, kleine Hexe?«