5

Willow

»Ich gehe«, erwiderte ich und holte tief Luft, als er sein Kinn ganz leicht senkte. Vor einer Woche hätte ich die subtile Veränderung vielleicht übersehen, aber ein Teil von mir erkannte nun seine Bewegungen als das, was sie waren.

Eine Drohung. Ein Versprechen.

Er seufzte, schlenderte auf die Stelle zu, wo ich neben Beelzebub stand. Er nutzte keine Worte, um mir mitzuteilen, dass ich nicht gehen durfte, aber das brauchte er auch nicht. Ich drehte mich langsam zu ihm um, damit ich ihn richtig ansehen konnte. Der andere Erzdämon bequemte sich endlich, sich in Richtung Schule zu entfernen. Seine Flügel zuckten, als er wegging, und mich beschlich das ungute Gefühl, dass dies ein Zeichen für seine Verärgerung über den Mann war, der sich mir gerade näherte.

Gray umfasste die empfindliche Stelle, wo mein Kiefer in meinen Hals überging. »Mach es nicht schwieriger, als es sein muss, Liebes.«

Ich wich vor seiner Berührung zurück und verzog das Gesicht, als seine Finger über die Vorderseite meines Halses wanderten und er den Kiefer anspannte. Seine goldenen Augen blitzten auf, ein schrecklicher Kontrast zu dem vertrauten Blau, mit dem er sonst auf mich heruntergestarrt hatte. »Ich soll es nicht so schwierig machen?«, fragte ich. Ich sprach die Worte langsam aus, denn der Zorn, der in mir brodelte, drohte, mich ganz zu verschlingen.

Ich hatte ein Ziel für alles, ich hatte einen Zweck für all das Hässliche und Schlechte in meinem Leben. Früher hatte ich es kanalisieren können, aber jetzt …

Jetzt gab es nur noch Wut und für die gab es nur ein logisches Ziel.

»Willow …«, sagte er vorsichtig.

»Du hast mich verdammt noch mal abgestochen!«, schrie ich. »Und jetzt besitzt du die Unverschämtheit, so zu tun, als wäre ich das Problem?«

Er ließ die Hand langsam sinken, ballte sie zur Faust, während er den Mund öffnete und wieder schloss, bevor er tatsächlich sprach. Seine eigene Wut lauerte zwischen seinen Worten, versteckt unter etwas Sanftem und Verletzlichem, über das nachzudenken, ich mir nicht die Zeit nehmen wollte. »Du wolltest mich verlassen.«

Meine Lippen verzogen sich zu einem grausamen, ungläubigen Lächeln und ich wandte den Kopf zur Seite, um das bittere Lachen, das sich seinen Weg meine Kehle hinauf bahnte, zurückzubeißen. »Natürlich will ich dich verlassen.« Ich klang eher wie der Dämon und er wie das Opfer, obwohl die Realität genau das Gegenteil besagte.

Ich hatte jede Manipulation geglaubt. Jede Lüge und verdrehte Wahrheit.

»Schon wieder«, sagte ich, hielt inne und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Mein Lächeln verschwand und mein Lachen stoppte abrupt, als ich mich zu ihm beugte. »Du hast mich verdammt noch mal abgestochen.«

»Um dein Leben zu retten!«, rief er, schnappte sich meine Hand und zerrte mich an sich. Meine Brust stieß gegen seinen Bauch, was trotz der Kleidung zwischen uns ein Kribbeln durch mich hindurchsandte. Ich war mir seines Körpers schon immer überdeutlich bewusst und spürte die Anziehungskraft zwischen uns, aber seit ich aufgewacht war, war es noch extremer. »Alles, was ich in dem Tribunalraum getan habe, sollte dich am Leben erhalten.«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Er hatte kein Recht, seine Taten so umzudeuten, als ob sie zu meinem Vorteil gewesen wären. Als ob ich ihn gebeten hätte, all diese Hexen zu töten.

Eher wäre ich gestorben.

»Alles, was du in diesem Tribunalraum getan hast, war für dich . Es ging darum, deinen Körper auf diese Ebene zu holen. Alles, was du jahrhundertelang getan hast, war dafür, dass du hier landen konntest. Du hast auf die Konsequenzen und die Menschen, die verletzt wurden, geschissen. Wäre es um mich gegangen, hättest du das Siegel nie geöffnet.«

Er hielt inne, nahm meine freie Hand in seine und berührte damit seine Brust, wo sein Hemd oben aufgeknöpft war. Mein Finger streifte seine nackte Haut und er schloss die Augen mit einem genüsslichen Seufzer. Er hielt mein Handgelenk fest, während er den Kopf schief legte und ein winziges Lächeln seine Lippen umspielte. Er hob die Lider wieder und offenbarte seinen goldenen Blick, mit dem er auf mich herabblickte.

»Du hast recht. Ich habe getan, was ich tun musste, um wahrhaftig hier zu sein, um das hier zu spüren«, erwiderte er und drückte meine Hand fester gegen sein Fleisch. »Das war nur für mich und ich habe Jahrhunderte darauf gewartet, dass es wahr wird. Aber wenn ich dir die Rippe nicht genommen hätte, hättest du dein Leben für das Siegel geben müssen. Das konnte ich nicht zulassen.«

»Und warum nicht? Das war doch immer der Plan, oder nicht?«, fragte ich und wartete auf die Bestätigung, wie weit seine Täuschung gegangen war. Wenn sie so tiefgehend war, wie Charlotte angedeutet hatte – wenn ich wirklich der Preis für ihre Abmachung war –, dann würde ich meine Meinung niemals ändern.

Er schürzte die Lippen und hatte den Anstand, beschämt dreinzuschauen. »Das war davor.«

»Wovor genau? Bevor du mich gefickt hast? Bevor du meinem Vater befohlen hast, er solle mich in dem Glauben erziehen, ich würde Rache für seine Schwester nehmen, obwohl du sie umgebracht hast?«, spie ich ihm entgegen.

»Bevor ich dich in der Nacht sah, in der ich Loralei getötet habe«, sagte er und raubte mir damit den Atem.

»Das ist unmöglich«, sagte ich spöttisch. »Das war Jahrzehnte, bevor ich geboren wurde.«

»Und doch ist es die Nacht, in der ich dich als mein markiert habe«, antwortete er, ließ mein Handgelenk los und berührte meine Schulter. Seine Finger strichen über die nackte Haut und streiften mit den Kuppen das Auge des Teufels, mit dem ich nach meinem Albtraum aufgewacht war.

»Loralei war zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten tot, Gray«, widersprach ich und weigerte mich, mir einzugestehen, was ich in meinem Albtraum gesehen hatte. Es war zu unvorstellbar, um es überhaupt in Betracht zu ziehen.

»Für dich«, räumte er ein. »Aber ich habe dieses Mal einem Geist gegeben, der an ihrer Seite erschien, als ich sie vor fünfzig Jahren ermordete.«

»Ich verstehe nicht, wie das möglich ist. Ich verfüge nicht über diese Art von Magie«, sagte ich und brach ab. Ich konnte keinesfalls leugnen, was er gesagt hatte – nicht mit dem Wissen, was ich wirklich gesehen hatte.

Was ich gefühlt hatte.

»Du lenkst deine schwarze Magie durch die Knochen deiner Vorfahren. Auch ohne sie fließt ihr Blut durch deine Adern. Es gibt da eine Verbindung, die keiner deiner Verwandten in Betracht gezogen hat, aber offenbar ist es dir möglich, in deinen Träumen durch ihre Leben zu wandeln.«

»Ich habe kein Interesse daran, irgendetwas zu benutzen, das mit der Hecate-Linie zu tun hat«, schnauzte ich, denn ich wusste, dass jedes Stück davon, jeder Moment meines Lebens, der mich hierhergeführt hatte, dazu diente, mich sterben zu lassen.

Charlotte wollte, dass ich in Ordnung bringe, was sie getan hatte. Ich wollte einfach nur nach Hause.

»Du wärst eine Närrin, wenn du das nicht tust. Du wirst es brauchen, wenn du den Platz des Covenant hier einnehmen willst«, erklärte Gray, als ich mich wieder zurückzog. Ich konnte nicht klar denken, wenn seine Hände auf mir lagen, und diese Spannung zwischen uns, die wider jede Natur war, ließ meine Haut empfindlich kribbeln.

»Ich habe nicht die Absicht, den Platz von irgendjemandem einzunehmen. Ich werde Crystal Hollow verlassen.« Ich schluckte, als ich diese Worte aussprach. Denn ich war mir bewusst, dass dies die einzige Möglichkeit war, einen Teil meiner Menschlichkeit wiederzuerlangen. Nur so konnte ich angesichts all dessen, was ich im Laufe meines Lebens verloren hatte, wieder zu dem werden, was ich sein wollte.

Ich würde nicht länger die Marionette des Teufels sein.

Gray seufzte, als ich von ihm fortging und auf den Waldrand zuhielt, hinter dem die Verfluchten auf mich warteten und mich jagen würden, bekämen sie die Gelegenheit dazu. Doch selbst das wäre weit besser als ein Leben als Gefangene. Sobald ich den Fuß in den Wald setzte, schwankten die Bäume, als würden sie mich zu Hause willkommen heißen und mich in ihre Arme schließen wollen.

»Bitte, zwing mich nicht, dir das anzutun«, rief Gray hinter mir. Ich hielt mitten im Schritt inne und setzte langsam meinen Fuß ab, denn etwas in dieser Stimme ließ mein Herz schwer werden. Er kam gemächlich auf mich zu, während ich mich umdrehte und so angewurzelt stehen blieb wie der Baum in meinem Rücken. »Bleib bei mir, kleine Hexe.«

»Sonst was?« Ich starrte ihn an und wich einen Schritt zurück, als er immer näher kam. Seine Schritte waren leicht und unbekümmert, als ob ihn keinerlei Sorge plagte.

»Oder ich nehme zurück, was ich gegeben habe«, sagte er, als er mich endlich erreichte.

Er berührte mit einem Finger meine Brust, während ich versuchte, die Erde um mich herum anzurufen. Ein Flüstern der Bäume antwortete mir, eine Entschuldigung im Wind, aber nichts schlug ihm entgegen. Diesmal verteidigte mich nichts.

Sein Fingernagel verlängerte sich zu einer Klaue, deren scharfe Spitze gegen meine Haut drückte. Ich keuchte auf, als sie sie durchbrach und ein träger Blutstropfen aus der Wunde rollte. Es war nicht der Schnitt selbst, der mir den Atem raubte und meinen Körper vor Schmerz zusammenkrampfen ließ.

Es lag vielmehr an meiner Magie, die erstickt wurde; die plötzliche Stille, als die Bäume um mich herum verstummten. Zum ersten Mal, seit ich sechzehn geworden war, hatten sie meinen Ruf ignoriert.

»Gray«, keuchte ich.

Er biss den Kiefer zusammen und zog seinen Nagel durch die Mitte meiner Brust. Die Wunde, die er riss, blutete nur wenig, obwohl sie so tief war; grüner Nebel trat aus dem Schnitt aus. Er drehte die Hand und der Nebel ließ sich in seiner Handfläche nieder, während Gray den Finger aus mir herauszog.

»Es hätte nicht so kommen müssen«, sagte er und seine Miene wirkte betrübt, als ich den Blick hob, um ihm in die Augen zu schauen. Meine Finger zitterten, als ich seine beiden Hände ergriff und sie fest an meine Brust drückte. Alles in mir war leer, das fehlende Brummen in meinem Kopf machte alles …

Still.

Meine Unterlippe bebte und Tränen brannten mir in den Augen. »Nicht«, beschwor ich ihn und hasste das Flehen, das in diesen Worten lag. »Bitte.« Schwarzer Nebel folgte dem grünen und sammelte sich in seiner Hand, als er das stahl, was er Charlotte und den ersten Madizza-Hexen geschenkt hatte. »Ich weiß nicht, wer ich ohne es bin«, sagte ich mit einem erstickten Schluchzen.

Seine Miene verzog sich zu etwas, das ich als Traurigkeit bezeichnet hätte, wäre er nicht derjenige gewesen, der mir diese Schmerzen zufügte. Er legte die freie Hand um meine Wange und beugte sich herunter, um seine Stirn gegen meine zu drücken. »Du gehörst mir«, sagte er, während Tränen meine Wangen benetzten, über mein Kinn rollten und auf seine Hand fielen, die ich nicht loslassen wollte. »Ich kann nicht erlauben, dass du die Magie behältst, die du nutzen willst, um mich zu verlassen.«

»Ich werde bleiben«, sagte ich und meine Stimme wurde immer verzweifelter, je weiter sich die Stille in meinem Kopf ausbreitete. Übelkeit brannte in meinem Magen, und das Gefühl, allein in meinem Körper zu sein, überwältigte mich. Ich konnte mich an keinen Moment erinnern, in dem ich mich je so abgeschnitten von allem um mich herum gefühlt hatte, in dem die Einsamkeit mich zu verschlingen drohte. »Ich werde bleiben, nur tu mir das hier nicht an, Gray.«

Er seufzte und drückte seinen Mund sanft auf meinen, während meine Tränen weiterflossen. »Ich wünschte, ich könnte dir glauben. Ich wünschte, ich könnte darauf vertrauen, dass du mich nicht verlässt, aber du erzählst so süße Lügen, Gemahlin. Ich kann dir nichts davon glauben.«

Die Rinde in meinem Rücken fühlte sich fremd und ungewohnt an, nicht wie der warme Trost der Erde. »Ich würde alles tun«, keuchte ich und musste würgen, als ich versuchte, die Magie in mich zurückzuleiten. Als ich versuchte, mir das wiederzuholen, was mir gehörte.

»Dann geh einen Pakt mit mir ein, Liebes. Es gibt etwas, das ich will, und das ist der einzige Weg, wie du diesen Ort mit deiner Magie verlassen kannst«, erklärte er und seine goldenen Augen blitzten, als der Teufel, der unter seiner Haut lauerte, zum Spielen herauskommen wollte. Ich konnte das unumstößliche Wissen nicht ertragen, dass ich gefangen war, und dass es keine andere Möglichkeit gab, dem Pakt zu entkommen, außer sich an das Alleinsein zu gewöhnen.

»Was willst du?«, fragte ich, auch wenn mir die potenzielle Antwort Angst einflößte. Er hatte bereits seinen Körper; das gehörte sicherlich zum Umfang seiner kranken, verdrehten Pläne.

»Ich will unsere Ehe endlich vollziehen«, sagte er schlicht und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Meine Verwirrung zwang mich, alles zu hinterfragen. »Aber wir haben doch schon …« Ich brach ab, unfähig, den Satz zu beenden. Ich konnte nicht glauben, dass ich so verdammt blind gewesen war, meine Jungfräulichkeit dem Teufel zu überlassen.

»Ich habe dabei die falsche Fleischhülle getragen«, erklärte er, die Sanftheit in seiner Stimme verschwand und Verlangen trat überdeutlich an ihre Stelle. »Du hattest Sex mit meiner Hülle, und ja, das war ich darin. Aber du bist nicht die Frau einer Hülle, Willow. Du bist die Gemahlin von Lucifer Morningstar, also musst du dich mit mir vereinen.«

Ich grub die Zähne in die Unterlippe. Es war nur Sex.

»Jetzt?«, fragte ich und versuchte, meine zitternden Hände zu beruhigen. »Hier?«

»Nein«, antwortete er mit einem bitteren Lachen. »Ich habe kein Interesse daran, mit dir zu schlafen, während du weinst. Du wirst also wegrennen, und wenn du es durch den Wald schaffst, steht es dir frei zu gehen.«

Ich warf einen Blick über die Schulter, als sich der Nebel von seiner Handfläche zurückzog, in mich zurücksank und mich langsam mit dem Summen der Magie erfüllte. Meine Erleichterung darüber verdrängte die Angst, die ich eigentlich verspüren sollte. Was passieren würde, wenn er mich schnappte. Aber die Chance auf Freiheit – auf ein Leben mit Ash – war zu groß, als dass ich sie ignorieren konnte. »Und wenn du mich erwischst?«

Er lehnte sich zu mir, um mir seine Drohung ins Ohr zu flüstern. »Falls ich dich fange, dann gewährst du mir den Kampf, nach dem ich mich sehne. Falls ich dich fange, werden wir auf die Art Krieg miteinander führen, die unsere Seelen bereits kennen – bis mein Körper jeden Zentimeter deiner Haut bei Berührung wiedererkennt. Wenn ich dich fange, werde ich dich vögeln, und wir beide wissen, dass du jede verdammte Minute davon genießen wirst«, teilte Gray schlicht mit. Seine Zähne knabberten an der empfindlichen Stelle unterhalb meines Ohrs, was gleichzeitig Verlockung und Vorgeschmack auf das war, was kommen würde.

»Was ändert es, wenn wir unsere Ehe vollzogen haben?«, fragte ich und blickte auf den Fleck, wo die letzte Nebelschwade in mir verschwunden war. Gray zog die Hand zurück und ich sah entsetzt zu, wie die Wunde von selbst verheilte.

Mein Körper gehörte nicht länger mir.

»Lass das meine Sorge sein, Liebes«, sagte er und trat einen Schritt zurück. Er pikte sich mit seiner Klaue in die Fingerkuppe und berührte damit meine Brust, um die Bedingungen seines Pakts zu besiegeln.

Ein Pakt mit dem Teufel.

Schwärze breitete sich auf meiner Haut aus, Ranken aus Dunkelheit züngelten über meinen Körper, ehe sie verblassten. Er streckte mir die Klaue entgegen und ich drückte – mit einer vor Wut zitternden Hand – meine Fingerspitze auf die scharfe Spitze, die sich anschließend zu einem normalen Nagel zurückbildete.

Ich berührte mit dem blutigen Finger die Vertiefung an seiner Kehle und sah zu, wie sich meine eigene Dunkelheit auf seiner Haut ausbreitete, bis auch sie verblasste.

Er schloss die Augen und seufzte, bevor er sie wieder öffnete, um mich anzustarren. Unbehaglich blieb ich stehen und hatte keine Ahnung, wann unser Spiel beginnen würde. Er beantwortete diese unausgesprochene Frage mit einem einzigen bedrohlichen Wort.

»Lauf.«