11

Willow

Später öffnete sich die Tür zu Grays Apartment. Ich sprang auf und warf das Buch, das ich gerade gelesen hatte, neben mich auf die Couch. Ich wollte nichts lieber als aus diesem Zimmer heraus. Leviathan machte sich nicht die Mühe, von seinem Buch aufzublicken, aber ich sah sein Grinsen aus dem Augenwinkel.

»Du bist schlimmer als ein eingesperrtes Tier«, meinte er und seine Stimme war trotz der spöttischen Worte unbekümmert.

Ich fischte eilig das Buch vom Sofa und warf es in Richtung von Leviathans lachendem Gesicht. Er schnappte das Buch aus der Luft und strich die Seiten wieder glatt.

Das rechnete ich ihm hoch an, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, es hätte ihn zuerst getroffen.

»Dann solltest du mich vielleicht nicht wie eines behandeln«, sagte ich und neigte den Kopf mit einem spöttischen Grinsen, das seinem ebenbürtig war.

Gray betrat den Raum und lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen, die Hände in den Hosentaschen. Er hatte die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt und den obersten Knopf geöffnet, sodass ein kleines Stück des Labyrinths zu sehen war, mit dem ich ihn markiert hatte.

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während seine goldenen Augen aufglommen, und er mich von Kopf bis Fuß musterte. »Kleine Hexe«, sagte er und seine Stimme wurde leiser. Ich spürte sie in den Tiefen meines Körpers, wie sie sich in meinem Bauch niederließ. Instinktiv presste ich die Beine zusammen, um das überwältigende Bedürfnis auszusperren, das er mit nur zwei kleinen Worten zu wecken vermochte. Jetzt war es noch schlimmer, als ob der Vollzug der Ehe das Band, das zwischen uns wie eine lebendige Einheit pulsierte, nur noch verstärkt hätte.

Ich wollte es mir aus der Seele reißen.

Sein Grinsen wurde breiter, als er meine Reaktion auf ihn spürte, und er stieß sich vom Türrahmen ab, um ins Zimmer zu kommen. »Ich habe dir eine Überraschung mitgebracht«, sagte er und kam näher. Ich schluckte, als er sich vor mich stellte und mein Kinn mit einem Finger anhob, damit ich seinem Blick begegnete. Er beugte sich vor und hielt inne, als sein Mund ganz sanft den meinen berührte. »Aber vielleicht sollte ich dich stattdessen einfach ins Bett bringen.«

»Ich will Antworten!«, gab ich zurück, schüttelte den Kopf und entzog mich seiner Berührung. Nur weil er meinen Körper davon überzeugen konnte, dass er genau das war, was ich brauchte, hieß das nicht, dass ich zu einem Stück Fleisch reduziert werden musste.

Lust war nicht gleichbedeutend mit Liebe.

Anziehung bedeutete nicht, dass wir Verbündete waren.

Ich konnte mit ihm ins Bett wollen und gleichzeitig vorhaben, ihm die Kehle aufzuschlitzen, und vielleicht war das auch der beste Weg, das zu tun. Mein Atem stockte bei dem Gedanken und ich verdrängte ihn, noch ehe Gray den Wandel bemerken konnte.

Jonathan kam an und schlich zwischen meinen Beinen hindurch, um Gray böse anzufunkeln. Der Teufel blickte auf die kleine Kreatur hinunter, die sich unversehens auf ihn stürzte und seine Krallen in Grays Hose versenkte. Ich grinste zu ihm hinunter und verzog gleich darauf das Gesicht, als Gray ihn am Genick packte und hochhielt. Jonathan fletschte die Zähne, seine winzigen Fänge sahen bösartig aus. »Nutzlose Nervensäge«, brummte Gray, verzog die Lippen und warf Jonathan auf die Couch.

»Wenigstens mag ich ihn«, sagte ich und streichelte Jonathan beruhigend über den Kopf. Mein Vertrauter ließ sich nieder und schmiegte sich in meine Berührung, mit einem Blick, den ich fast als arrogant hätte bezeichnen können.

Wenn er nicht eine verdammte Katze gewesen wäre.

»Mach nur weiter so, kleine Hexe. Ich lasse deinen kleinen Freund zusehen, damit er erfährt, wie sehr du mich magst, wenn du keine Kleidung mehr trägst«, sagte Gray und ich schnappte erschrocken nach Luft.

»Gray!«, schalt ich und schaute zu Leviathan, der seine Lippen aufeinandergepresst hatte und nun in meinem Buch schmökerte, als ob er das Gespräch nicht hören könnte.

Seine Brust bebte vor stummem Lachen.

Ich brauchte ein weiteres Buch, das ich ihm an den Kopf werfen konnte.

»Vielleicht überlegst du es dir das nächste Mal besser, bevor du andeutest, dass du einen anderen Mann mehr magst als mich«, sagte Gray, trat einen Schritt auf mich zu, überbrückte die letzte verbliebene Distanz zwischen uns. Sein Oberkörper presste sich gegen meinen, sodass ich mich nach hinten beugen musste, wenn ich Platz haben wollte. Jonathan fauchte erneut, aber Gray schaute nicht einmal in seine Richtung, sondern deutete nur mit dem Finger ins Gesicht des schwarzen Fellknäuels.

»Er ist ein Kater!«, protestierte ich und gestikulierte mit ausgestrecktem Arm zu meinem Vertrauten.

»Ja? Ist er das wirklich?«, fragte Gray und legte den Kopf schief.

Ich schaute auf den Kater hinunter, der mit ausgefahrenen Krallen nach Grays Finger schlug und oberflächliche Kratzer hinterließ, die sofort verheilten. »Für mich sieht er wie einer aus, ja. Deine Eifersucht ist lächerlich. Ich muss es nicht mit meinem Vertrauten treiben, wenn ich Sex haben will. Es gibt genug Männer, auf die ich zurückgreifen kann.«

Gray knurrte und zog den Finger von Jonathan weg. Er vergrub unsanft die Hand in meinen Haaren und riss meinen Kopf zurück. Ich bog mich zurück und funkelte ihn an, als er mich festhielt und seinen Unterleib gegen mich drängte. »Lass uns eins klarstellen, kleine Hexe. Ich bin nicht eifersüchtig . Ich bin besitzergreifend, wenn etwas mir gehört.«

Ich ignorierte die Art und Weise, wie das Knurren durch mich hindurchvibrierte, und widerstand dem Drang, mich gegen ihn zu drücken. »Ich sehe da keinen Unterschied.«

»Der Unterschied ist, eifersüchtig zu sein, bedeutet, dass du noch nicht mir gehörst . Den Kater gibt es, weil ich es gestatte. Vergiss niemals, dass seine Anwesenheit in deinem Leben mein Geschenk an dich ist, und ich kann es dir genauso schnell wieder wegnehmen, wie ich es dir gewährt habe«, raunte er und streifte mit den Lippen meinen Mundwinkel, weil ich mich von ihm wegdrehte. »Sag mir, dass du das verstehst.«

»Ich verstehe«, erwiderte ich, rang mir mühsam diese Worte ab. Sein Griff in meinem Haar war zu stark, die Strähnen ziepten nur, wenn ich mich wehrte.

Schließlich ließ er mich los und richtete seine Hemdsärmel. »Ich bin nicht hierhergekommen, um zu streiten«, sagte er und klang dabei aufrichtig reumütig. Er lieferte keine weiteren Auskünfte, sondern drehte sich zur Tür. Meine Augen wurden groß, als ich Della, Nova und Margot bemerkte, die verunsichert dastanden, weil sie unsere ganze Vorstellung mitangesehen hatten.

Ich warf einen raschen Blick zurück auf Gray und trat um ihn herum, um mich den Hexen zögernd zu nähern.

Was, wenn sie mich auch hassten?

»Willow«, rief Della, ihre Erleichterung war deutlich spürbar, als sie den ersten Schritt ins Büro machte. Ich eilte zu ihr, ergriff ihre Hand und im Anschluss auch Margots. Die blonde Hexe zuckte zusammen, fasste sich aber schnell wieder, als Nova lächelnd meinen Arm berührte. Dann warf ich einen Blick zu Juliet, die im Hintergrund geblieben war.

»Geht es euch gut?«, fragte ich und ignorierte die Anwesenheit der Hülle, konzentrierte mich vielmehr auf meine Mitbewohnerinnen.

»Uns?«, erwiderte Nova und ihre Stimme wurde vor Sorge immer lauter. »Was ist mit dir?« Sie deutete mit einer Hand zu Gray, der hinter mir stand und unser Gespräch mit einer Mischung aus Bosheit und Langeweile verfolgte.

Ich starrte zu Boden und fand keine Worte, um mich zu der Frage zu äußern. Unter Grays wachsamem Blick konnte ich sie nicht wahrheitsgemäß beantworten und ich wusste, was aus mir herausplatzen würde, sobald ich den Mund aufmachte.

Ich grub die Zähne in die Unterlippe, als sie zu zittern begann. Da ergriff Gray das Wort und ich zog meine Hände von den Mädchen fort und drehte mich zu ihm um. »Ich werde in einer Stunde zurück sein«, sagte er. »Juliet wird die Mädchen auf ihre Zimmer begleiten, falls du vorher noch etwas Privatsphäre brauchst.« Er trat vor mich und berührte meine Wange mit einer Sanftheit, die mir nicht hätte Trost spenden sollen. Sein Blick war so voller Wärme, als er mich ansah, dass ich mir wünschte, es stünde wieder derselbe Hass darin wie bei unserem ersten Treffen.

Sich gegenseitig zu hassen, war einfach. Ich wusste, wie ich damit umgehen musste.

»Ich warte draußen, Willow«, warf Leviathan ein und folgte Gray zur Tür hinaus. In derselben Sekunde trat Juliet ins Zimmer. Auf ihrem Weg ins Arbeitszimmer ließ sie Della nicht aus den Augen, bis sie schließlich an Grays Schreibtisch Platz nahm. Della erwiderte den Blick, bis die Hülle außer Sichtweite war.

»Della, sie ist eine Hülle.« Ich wollte meine Freundin davor warnen, den gleichen Fehler wie ich zu machen.

»Und? Du vögelst den Teufel. Ich glaube kaum, dass du in der Lage bist, über mich zu urteilen«, schnauzte sie mich an. Ich zuckte zusammen und wich zurück, bis ich auf das Sofa fiel. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und stieß ein bitteres Lachen aus.

»Das war fies, Del«, bemerkte Margot, starrte die andere Frau an und setzte sich neben mich. Sie versuchte, meine Hände von meinem Gesicht wegzuziehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Berührung und ihre Fürsorge sie etwas kosteten.

»Sie hat recht«, entgegnete ich und schüttelte den Kopf. »Ich habe Mist gebaut und kein Recht, dir zu sagen, was du tun oder lassen sollst. Ich wünschte nur, ich hätte meinen Fehler gar nicht erst begangen.«

»Sie ist kein Fehler«, versicherte Della und trat auf uns zu. Nova setzte sich neben Margot und überließ Della den Platz neben mir.

»Dir liegt etwas an ihr«, sagte ich und die Bemerkung schwelte zwischen uns.

Sie warf einen Blick über ihre Schulter, dorthin, wo Juliet saß, denn Della wusste genauso gut wie ich, dass die Hülle alles hören würde, was sie sagte. »Ich liebe sie. Sie ist nicht wie er. Sie würde mir nie etwas antun«, erklärte sie und rang die Hände.

Ich nahm sie in die meinen und beruhigte die ängstliche Energie, während ich lächelte. »Okay.«

Sie hielt inne und erstarrte, als unsere Blicke sich trafen. »Okay?«

»Wenn du sagst, dass sie dir nicht wehtun würde, dann glaube ich dir. Solange sie dich glücklich macht, ist das alles, was ich mir erhoffen kann, stimmt’s? Unsere Geschichte ist nicht so schwarz-weiß, wie man uns glauben machen will. Ganz offensichtlich ist es bei Hüllen und Hexen auch nicht der Fall. Und wenn sie dir jemals wehtun sollte, weiß sie, dass ich es sie bereuen lasse. Stimmt’s, Juliet?«, fragte ich, ohne mir die Mühe zu machen, meine Stimme für die lauschende Hülle zu heben.

»Nichts weniger würde ich verdienen, Gefährtin«, rief Juliet zurück und Della lehnte sich lächelnd vor, um ihren Kopf auf meine Schulter zu legen.

Jonathan sprang in dem ganzen Durcheinander auf den Boden und angelte mit einer ausgestreckten Pfote unter die Couch. Er schlug eine einzelne weiße Feder vor sich her und folgte ihr, als sie umhertrudelte.

Ich beobachtete ihn beim Spielen und war gefesselt von der irisierenden Mischung aus Farben, die im Licht auf der Feder schillerten.

Nova erhob sich von der Couch und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich vor mir auf den Couchtisch setzte. Sie hockte dort, starrte mich an und wartete mit ihrer stillen, wachsamen Art darauf, dass ich mich öffnete. Es kam nicht oft vor, dass sie sich lautstark äußerte, stattdessen zog sie es vor, sanft zu sein wie eine laue Sommerbrise. »Was ist passiert?«, fragte sie und streckte eine Hand aus, um die Knochen um meinen Hals zu berühren.

Sie zuckte zurück, als sie die Magie in ihnen spürte, und legte die Stirn in Falten, als sie die schwarze Kleidung betrachtete. Sie hatte sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht, da ich Schwarz immer dem Grün meiner Uniform vorgezogen hatte, aber ich sah, wie die Informationen in ihrem Kopf tanzten.

»Du bist eine Hecate«, verkündete sie und sie sackte bei dieser Erkenntnis zusammen.

Della wurde ganz still neben mir und ich spürte ihren Blick auf meinem Gesicht. Ich nickte, denn ich traute mich nicht, die Worte auszusprechen. Ich war davon ausgegangen, dass inzwischen alle die Wahrheit kannten und dass der Coven über die Geschehnisse im Tribunalraum ausführlich informiert worden war.

»Wusstest du es?«, fragte Della. Ihre Stimme war härter geworden, wegen des Geheimnisses, das ich vor ihnen verborgen hatte. Wir hatten uns nicht nahe genug gestanden, dass ich ihnen die Wahrheiten anvertraut hätte, derentwegen sie sich gegen den Covenant auflehnen würden. Doch die Schuldgefühle nagten immer noch an mir. Denn ich war hierhergekommen, um ihnen alles zu nehmen, was sie kannten und liebten.

»Ich wusste es. Ich habe mich hier eingeschleust, um die Knochen zu finden«, antwortete ich und beobachtete, wie sie sich auf der Couch zurücklehnte. Ihr Schock war deutlich zu spüren und zwischen uns gärte der bittere Geschmack des Verrats.

»Ich verstehe das nicht«, warf Margot mit unsicherer Stimme ein. »Du bist eine Grüne . Wir haben es alle gesehen.«

»Meine Mutter war eine Madizza. Mein Vater war ein Hecate, der nie die Wahl getroffen hat«, führte ich aus, das Geständnis hing zwischen uns in der Luft.

War ein Hecate.

Denn Charlotte hatte ihn für das getötet, was er mir angetan hatte.

»Wow«, hauchte Margot und in ihrer Stimme spiegelte sich all das wider, was ich von den anderen als Emotionen wahrnahm.

»Wusstest du es? Was Direktor Gray vorhatte zu tun? Bist du ihm deshalb von Anfang an nicht mehr von der Seite gewichen?«, fragte Nova. In ihrer Stimme lag ein Hauch von Zorn, aber vor allem Unglauben. So etwas trauten sie mir nicht zu.

»Ich schwöre, ich wusste es nicht. Er hat mich benutzt, hat mir vorgemacht, er wisse nicht, wer ich sei. Damit ich in dem Glauben blieb, ich würde die Knochen aus eigenem Antrieb suchen – aber er wollte, dass ich sie finde. Er wollte, dass ich sie benutze, weil er mich brauchte, um das Siegel zu öffnen. Ich hatte keine Ahnung, dass er die Hexen töten würde. Bitte glaubt mir das.«

Wenn ich diese drei und ihre Freundschaft nicht hätte, wäre ich völlig allein, und das könnte ich nicht ertragen, nachdem ich Ash schon wieder verloren hatte.

»Okay«, sagte Della und wiederholte damit meine Antwort von vorhin.

Ich drehte mich zu ihr um und beobachtete, wie sie die Informationen verarbeitete und versuchte, die Punkte zu verbinden. »Was?«

»Wenn du sagst, dass du es nicht wusstest, dann glaube ich dir«, erklärte sie und ließ sich gegen mich sinken. Sie spürte, wie mein Atem stockte, legte daraufhin einen Arm um mich, um mir beruhigend den Rücken zu reiben.

»Ich glaube dir«, sagte Margot und ahmte Dellas Haltung auf meiner anderen Seite nach.

Ein erstickter Schluchzer bahnte sich seinen Weg meine Kehle hinauf, doch ich zwang mich, ihn herunterzuschlucken und die Emotionen, die mich zu verschlingen drohten, niederzukämpfen. Ich durfte nicht nachgeben, durfte nicht zulassen, dass Tränen kamen.

Vermutlich würde ich nicht wieder aufhören können, würden sie erst einmal fließen.

Nova beugte sich vor, nahm meine Hände in ihre und rieb darüber. »Es ist okay, alles rauszulassen«, sagte sie und beobachtete, wie ich mit mir rang.

»Wir werden hier sein, um dich aufzufangen«, ergänzte Margot, und ließ damit erste Risse in meiner Mauer entstehen. Ich kniff die Augen zusammen, als die Tränen unverwandt zu laufen begannen und mein ganzer Kopf vor Schmerz pochte. Ich griff nach Novas Händen, als sich meine Wut in Tränen entlud.

»Ich komme mir so verflucht dumm vor«, murmelte ich und schüttelte den Kopf hin und her. Ich konnte nicht glauben, dass ich auf seine Lügen hereingefallen war und mich für so verdammt schlau gehalten hatte.

»Du bist nicht dumm. Ein Meister hat dich manipuliert«, erwiderte Della mit trauriger Stimme neben mir.

Nova fasste mein Kinn mit dem Daumen und zwang mich, ihr in die grauen Augen zu schauen. Ihre Wut war greifbar, auch wenn sie nicht auf mich abzielte. Nein, sie richtete sich nur auf ihn .

»Also, was wirst du jetzt tun?«

***

»Die Häuser kämpfen um Macht«, gab Della zu, als mein Weinen langsam abebbte und ich ruhiger wurde. Mein Gesicht war aufgedunsen, meine Augen geschwollen und trocken, aber ich fühlte mich so geerdet wie seit dem Aufwachen nach meinem Tod nicht mehr. Ich hatte wieder ein Ziel, einen Grund, weiterzumachen.

Und ich würde ihm wehtun .

Ich würde ihn jeden einzelnen Schmerz spüren lassen, den er mir zugefügt hatte.

»Lasst mich raten: Direktor Thorne unterstützt diese Kämpfe?«, erkundigte ich mich und verdrehte die Augen. Manchmal fragte ich mich, wie er und die Erzdämonen so lange überlebt hatten, wenn sie doch nur darauf aus waren zu töten.

»Nein, eigentlich nicht«, erklärte Nova und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Er versucht vielmehr, die Hexen davon abzuhalten, sich selbst, die Hüllen und die Dämonen zu bekämpfen. Er behauptet, dass es für unsere Arten jetzt weitaus mehr Gründe gibt, in Harmonie zusammenzuleben, als es je zuvor der Fall war. Weißt du, was er damit meint?«

»Er meint, dass Lucifer sich eine Hexe zur Braut genommen hat«, warf Juliet ein, die ins Zimmer trat und sich auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Couchtisches niederließ. Sie lehnte sich zurück, ließ ihre Füße über eine der Armlehnen baumeln und wölbte ihren Rücken über die andere, um sich zu strecken. Della verfolgte die Bewegung aufmerksam.

Denn das war eine Verlockung, die nur für sie bestimmt war.

Juliet grinste und wusste, dass sie den gewünschten Effekt erzielt hatte, als sie sich aufrichtete und nach vorne lehnte.

»Aber wen hätte er denn heiraten sollen? Wir wissen doch beide, dass er von Willow besessen ist …«, wandte Della ein und verstummte, als Juliet herausfordernd die Augenbrauen hob.

»Geht es tatsächlich um dich?«, fragte Margot.

»Es ist nicht wie bei einer Hexenhochzeit. Es gibt keine Zeremonie. Er hat mich in einem Traum gezeichnet. Damals wusste ich noch nicht einmal, was das bedeutet«, erklärte ich, versuchte, ihnen klarzumachen, wieso ich das zulassen konnte.

»Das hat dich aber nicht davon abgehalten, ihn ebenfalls zu markieren«, entgegnete Juliet und lächelte angesichts meines Unbehagens.

»Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat. Meine Magie hat jetzt ihren eigenen Willen«, sagte ich, während meine Wangen vor Scham glühten. Ich schaute in die Gesichter meiner Freundinnen, erwartete eine Aburteilung, fand aber nur Mitgefühl.

Sie alle erinnerten sich daran, wie es war, als wir sechzehn wurden und plötzlich unsere Kräfte bekamen. Dieses überwältigende Gefühl, dass wir nicht mehr allein in unseren Körpern waren. Noch bevor die Hecate-Knochen um meinen Hals geschnürt wurden, hatte mir schon mehr Magie innegewohnt als in jeder von ihnen. Aber danach war es, als säße ich in einem bodenlosen Brunnen, aus dem ich nie wieder herausklettern konnte, und müsste darin ertrinken.

»Das passt«, sagte Juliet und nickte zustimmend mit dem Kopf. Ich seufzte erleichtert auf und war dankbar, dass sie mich nicht mehr bedrängen wollte. »Aber wenn die Magie etwas will, wird das Herz folgen.«

»Genug jetzt, Juliet«, sagte Della scharf und warf ihr einen strengen Blick zu. Juliet hob die Hände zum Zeichen, dass sie fertig war. Ich war überrascht, wie viel Respekt sie meiner Freundin entgegenbrachte.

»Dann will er wohl, dass du an seiner Seite regierst«, sagte Nova und zuckte mit den Schultern. »Du musst es tun, Willow.«

»Was? Der Coven kennt mich kaum. Sie werden auf keinen Fall zustimmen, mir zu folgen.«

»Einige werden es tun, allein schon wegen deiner Macht, die du mit diesen Knochen demonstrierst. Die Hexen sterben bei dem Versuch, die Erzdämonen zu töten. Du hast die Chance, Frieden zwischen uns allen zu schaffen.« Nova schüttelte den Kopf. Es war deutlich, dass sie verabscheute, was aus dem Coven geworden war, all das Zurschaustellen von Gewalt, nur um Macht zu erlangen. Sich gegen seinesgleichen zu wenden, war in unserer Geschichte schon einmal ein Verbrechen gewesen; vielleicht war es an der Zeit, es wieder so zu handhaben.

»Hast du mich nicht gerade gefragt, was ich tun werde, um es ihm heimzuzahlen?«

»Ich habe damit nicht gemeint, dass man nicht kämpfen soll. Ich habe nur gesagt, dass wir unserem Volk Frieden bringen sollen, während du zeitgleich daran arbeitest, die Ursache des Problems zu beseitigen. Wir müssen die Erzdämonen loswerden und das so effizient wie möglich«, sagte sie und warf einen Blick auf Margot an meiner Seite.

Juliet sah Nova an und hob eine Augenbraue, die Hülle schien damit Novas offene Forderung nach einem Putsch infrage stellen zu wollen. Nova zog ihre Braue ebenfalls hoch, als stumme Erinnerung daran, dass jeder von uns erwartete, dass wir kämpften. Das hätte mich nicht überraschen sollen.

Margot versteifte sich, als ich mich zu ihr umdrehte und beobachtete, wie sie in sich zusammensank. »Belästigt dich einer von ihnen?«

»Er war so freundlich, wie es ihm nur möglich war, glaube ich. Aber er hat seine Absichten sehr deutlich gemacht«, gab sie zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wäre ich jemand anderes, hätte er nichts Falsches getan. Es liegt einfach nur an Novas Beschützerinstinkt.«

»Das ist auch gut so«, sagte ich und löste Margots Arme. »Du bestimmst, wer dir nahekommen darf. Das ist nicht die Entscheidung eines verdammten Erzdämons. Von welchem sprechen wir eigentlich?«

»Beelzebub«, antwortete Nova und stemmte ihre Hände in die Hüften. Sie schien im selben Lager wie ich zu sein, während ich Margot ansah und den Kopf schüttelte.

»Ich fasse es nicht«, rief ich und erntete ein erschrockenes, unbehagliches Lachen.

»Ich weiß genau, dass sie alle Ärger bedeuten, Willow«, sagte sie und ihre Stimme wurde vor lauter Unsicherheit leiser, und das hasste ich für sie. »Er respektiert mein Bedürfnis nach Abstand, auch wenn ich ihm nie erzählt habe, woher das kommt.«

»Zwei Dinge, Margot«, sagte ich und umfasste ihre Hände. »Erstens: Beelzebub? Er hat mir das Genick gebrochen. Er hat mich allen Ernstes umgebracht, und der einzige Grund, warum ich hier bin, ist, dass Gray mich wieder zum Leben erweckt hat.«

»Verdammte Scheiße, Willow«, rief Della, aber ich brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. In diesem Gespräch ging es nicht um mich, sondern nur darum, Margot zu zeigen, welchen Charakter Beelzebub hatte.

»Zweitens hoffe ich, dass du dich eines Tages bei dem Mann rächen kannst, wegen dem du jetzt das Gefühl hast, dass es etwas Positives sei, dass Beelzebub dich nicht belästigt. Dabei ist das gerade mal das absolute Minimum. Ich muss nicht wissen, was es war oder wie es passiert ist, aber ich hoffe, dass du diesen Typen verdammt noch mal bluten lässt«, schloss ich und hasste die Art und Weise, wie sie ihren Blick auf die Stelle richtete, wo sich unsere Hände berührten.

»Ich glaube nicht, dass ich diese Art von Gewalt in mir trage. Ich bin besser als das«, antwortete sie, doch das leise Zittern in ihrer Stimme verriet alles, was sie nicht sagen wollte.

Sie hatte Angst vor ihm, wer auch immer er war.

Ich zuckte mit den Schultern und zog meine Hände langsam von ihr weg. »Dann hoffe ich, dass du mir eines Tages genug vertraust, um mir wenigstens seinen Namen zu sagen.«

»Warum?«, wollte sie wissen und schaute verlegen drein, als sie ihren Blick hob und die Wut in meinen Augen sah.

»Weil du vielleicht darüberstehst, aber ich ganz sicher nicht«, erwiderte ich und stand auf. Ich ignorierte das zustimmende Nicken von Juliet, während ich mich auf den Weg zu den Fenstern machte, die ich zerbrochen hatte. Eine kühle Brise wehte hindurch und verlieh der Luft eine Kälte, die nur noch schlimmer werden würde, bis irgendeine Kristallhexe eine vorübergehende Lösung finden würde.

»Es war Itan Bray«, sagte Margot und ließ alles in mir erstarren. Ich drehte mich zu ihr.

Ich beobachtete ihr Gesicht, auch wenn sie mich nicht ansah, nahm wahr, wie sie an ihren Nägeln zupfte. »Wie alt warst du?«, fragte ich, und als sich ihre Lider schlossen, bestätigte es mir alles, was ich wissen musste.

»Ich war vierzehn«, fuhr sie mit großen Augen fort und sah mich endlich an.

Ich nickte bloß und wusste, dass ich den Raum nicht verlassen konnte. Ich wusste, wenn ich Gray von diesen Verfehlungen erzählte, würde er sich für uns darum kümmern. Er mochte zwar böse sein, aber selbst er hatte Grenzen, die er niemals überschreiten würde. »Kein Wort«, sagte ich zu Juliet und deutete mit dem Finger auf sie.

»Du willst ihn für dich haben?«, fragte Juliet und richtete sich auf. So etwas wie Respekt blitzte in ihrem Gesicht auf, als sie auf mich zukam und mir eine Hand auf die Schulter legte. Ihre Finger berührten das Mal, das Lucifer dort hinterlassen hatte, und Eis strömte durch meine Adern.

»Ich will, dass das letzte Gesicht, das er sieht, eine Frau ist, die er für unter seiner Würde hält«, erklärte ich durch zusammengebissene Zähne. »Wenn es nicht die Überlebende seines Missbrauchs sein kann, dann will ich dafür sorgen, dass er sich an ihr Gesicht erinnert, wenn ich seinen Schwanz abschneide und ihn an ihn verfüttere.«

Margot wurde blass, aber Juliet grinste.

»Wie du wünschst, Gefährtin.«