21

Gray

Willow zerbrach nicht.

Sie gab nicht nach.

Sie zeigte keinerlei Anzeichen von Emotion, als sie sich an die Arbeit machte und die Hexen zur Ruhe bettete, so wie sie es schon von Anfang an hatte tun wollen.

Sie bettete die Violetten unter die Sterne und sah zu, wie die Magie ihre Körper verließ und zur Quelle in den Himmel zurückkehrte.

Sie bettete die Grünen auf den Friedhof, in Gruben ohne Särge, die sie von der Erde trennen würden, zu der sie nun wieder wurden.

Sie ließ den Wind über die Grauen hinwegfahren, der sie zu Staub machte und sie durch die Luft überallhin verteilte.

Sie sah den Blauen zu, die in die Fluten liefen, wo sie zum Tod zurückkehrten, damit das Wasser den Verwesungsprozess beschleunigen konnte.

Sie brachte die Roten in den Garten und betrachtete sie, wie sie einander unter der alten Weide leidenschaftlich eng umschlangen, während sie gemeinsam in den Tod gingen.

Sie nahm den Gelben das Leben und sah zu, wie eine von ihnen, die weiterlebte, sie in Flammen steckte und wie das Feuer sich nahm, was übrig geblieben war.

Sie tat, was nötig war, und brachte es hinter sich, als würde nicht jedes einzelne Leben wie eine Last auf ihrer Seele liegen. So, wie Willow mit der Schwere ihrer Aufgabe zusammensackte, erhoben sich die anderen ihres Coven stärker. Die Magie kehrte zurück und ein Teil des Gleichgewichts wurde durch ihre Taten wieder hergestellt.

Sie gab zurück, was der alte Covenant ihnen gestohlen hatte.

Als es geschafft war, wandte sich Willow nur noch von den anderen ab und machte sich auf den Weg zurück zur Schule. Die anderen blieben, überglücklich über die Rückkehr dessen, was sie so langsam verloren hatten, dass sie es gar nicht hatten erkennen können.

Willow hatte ihnen eine Gabe geschenkt, und ganz egal, was es sie gekostet hatte, die anderen würden ihr das nie vergessen.

Ich folgte ihr schweigend und hielt Abstand, zumal sie langsam lief. Sie bewegte sich, als sei sie selbst nur ein Geist, und schlug den Weg zu dem Zimmer ein, das sie mit mir teilte. Sie dachte nicht daran, in ihren Schlafsaal zurückzukehren, wohin Della, Margot und Nova gehen würden, das wusste sie.

Sie war auf den Trost der Privatheit aus, in der keine Feierlichkeit ihre Trauer stören würde.

Ohne ein Wort folgte ich ihr. Ich konnte lange nicht einmal sagen, ob sie sich meiner Gegenwart ganz bewusst war, erst in dem Moment, als sie mir die Tür vor dem Gesicht zuschlug, war ich sicher. Ich lächelte, als ich sie öffnete. Willow war zum Fenster gegangen, von dem aus man die Party sehen konnte, die unten um die Lagerfeuer tobte. Die Hexen tanzten auf eine Art und Weise, wie ich sie seit dem ersten Coven nicht mehr gesehen hatte. Die Neuausrichtung des Gleichgewichts und das Fehlen strenger Regeln machten sie frei.

Willow ließ sich auf den Boden vor dem Fenster gleiten, das die Weißen repariert hatten, obwohl das in ihrem Korsett unbequem sein musste. Sie lehnte ihr Gesicht an das Kristallglas und machte sich nicht die Mühe, mich anzusehen. »Lass mich allein«, nuschelte sie. Der gequälte Klang ihrer Stimme ließ mich einen weiteren Schritt auf sie zu machen.

Ich setzte mich neben sie, eng genug, dass sich unsere Hüften berührten. Ich wagte es nicht, sie weiter zu unterbrechen und bot ihr nur meine Gegenwart an, damit sie wusste, dass ich da war. »Ich habe es dir schon gesagt, kleine Hexe. Du bist nicht mehr allein.«

Willows Gesicht verzerrte sich und sie legte die Stirn in Falten, als Jonathan aus dem Schlafzimmer auftauchte und sich ganz vorn auf ihre Füße legte. Sie sah auf die Hexen und die Feier hinab, der sie sich nicht anschließen konnte. Sie war separiert von dem Coven, für dessen Rettung sie so stark gekämpft hatte.

Sie gehörte genauso wenig dorthin wie ich auf die Party meiner Hüllen.

Willow presste die Lippen zusammen als Jonathan zu schnurren anfing. Ich hasste diesen beschissenen Kater mehr als alles andere, aber dennoch streckte ich eine Hand aus, um ihn zu kraulen.

Ein Dankeschön für die Begleitung, die er Willow anbot, wenn sie sie brauchte.

Ein zögerliches Schluchzen ging durch den Raum und Willows Brustkorb hob sich. Sie wandte ihr Gesicht vom Fenster ab, suchte meine Brust und verbarg ihr Gesicht im Stoff meines Anzugs.

»Ich muss scheiße aussehen, wenn du nett zu dem bescheuerten Kater bist«, murmelte sie, rieb ihre Wange an mir und trocknete damit die Tränen ab, die ich nicht sehen sollte.

Ich schlang meine Arme um sie und begrub ihren Kopf in einer festen Umarmung unter meinem Kinn. Ich verstand ihre Fähigkeit zur Liebe nicht, ihre Sorge um andere, die sie gar nicht so gut kannte, dass ihr Tod sie so betroffen machen konnte.

In meinem Herzen gab es nur einen Menschen.

»Du bist so schön wie an dem Tag, an dem ich dich traf«, sagte ich und wusste, dass ihre Augen geschwollen waren und ihr Gesicht rot sein durfte.

»Und du bist ein riesiger Blödmann.« In ihrer Stimme schwang ein winziges Lächeln mit.

Sie sah zu mir auf, das Gold und das Violett in ihren Augen glänzte und sie waren vom Reiben gerötet. Ich strich ihr über die Wange und wollte, dass sie mir endlich glaubte. »Ich liebe jede Seite an dir, kleine Hexe. Sogar die Seite, die dich menschlich macht.«

Ihre Augen wurden weich und etwas Warmes lag tief in ihrem Blick, wie sie mich so ansah. Sie schloss sie so schnell wie möglich wieder und senkte den Kopf, damit ich nicht sah, wie sie zerbrach. »Gray …«

»Ich habe dich, Liebes. Alles ist gut«, sagte ich und sprach die Worte noch einmal oben an ihren Kopf. Willow nickte gegen meine Brust und wurde ganz still, abgesehen von den Geräuschen ihres flatternden Atems.

Wir warteten zusammen das Ende der Feier ab, getrennt von jenen, die von uns abhingen.

Aber niemals allein.