34

Gray

Leviathan und Beelzebub schoben Iban in eines der nahe gelegenen Klassenzimmer und warfen ihn zwischen all den Tischen zu Boden. Der junge Mann rappelte sich auf und blickte mich fest an, nachdem Beelzebub mir den Weg zu ihm freigemacht hatte.

»Ich muss zugeben, du hast schneller dafür gesorgt, dass sie dich fallen lässt, als ich gedacht hätte.« Ich trat näher an ihn heran. »Ich bin inzwischen fast froh, dass du deinen kleinen Sturz neulich überlebt hast. Das war es wert, denn so konnte ich mitansehen, wie du dich ganz allein zugrunde gerichtet hast. Ich hatte schon befürchtet, dich erst in ein paar Jahren loswerden zu können, aber du hast mir die Sache fast schmerzlich einfach gemacht.«

Iban wurde blass, als ich noch enger an ihn herantrat, und hob seine Hände wie zur Verteidigung, obwohl ich keinerlei Anstalten gemacht hatte, ihm wehtun zu wollen. »Sie können mir nichts antun. Willow würde Ihnen das nie vergeben«, behauptete der junge Mann, dessen rationales Gehirn sich an seiner einzigen Hoffnung festklammerte.

»Sie hat gesehen, wie ich dich hierher beiseitegeschafft habe.« Ich rümpfte irritiert meine Nase. Das getrocknete Blut scheuerte auf seltsame Weise über meine Haut. Ich wollte diese Angelegenheit hinter mich bringen, um Willow in die Dusche zu begleiten und mich um ihre Bedürfnisse zu kümmern, während ich zugleich alle Überreste ihres Verrats von meinem Körper wusch. »Was glaubst du, dass sie denkt, was hier wohl vor sich geht?«

»Sie ist noch nicht bereit, zuzusehen, wie ich sterbe«, sagte Iban kopfschüttelnd. Obwohl Willow sich von ihrem ehemals besten Freund distanziert und zugegeben hatte, dass er nur an seinem eigenen Vorteil interessiert war, wollte sie ihn nicht tot. Von dem Moment an, in dem Iban das Mädchen, das er damals noch gar nicht kannte, verraten und an dem er sie zu einer Vereinbarung verpflichtet hatte, ohne auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen, hatte er sich immer nur von einem Gedanken leiten lassen.

Für sich das Beste herauszuholen.

Er würde ihr das nur mit jedem weiteren Atemzug beweisen und sie damit entschlossener in meine Arme treiben. Eine Frau wie Willow würde in solch einer Ehe ersticken, in der es ebenso sehr um Kontrolle ging, wie darum, das zu tun, was von ihr erwartet wurde.

Sie musste sich solchen Erwartungen widersetzen, sie musste an der Seite eines Mannes aufblühen, der es wertschätzte, dass sie zuerst zustach und später Fragen stellte, und sie musste ihre Verletzlichkeit hinter sorgfältig provozierenden Beleidigungen verstecken.

»Wer hat davon gesprochen, dass ich dich umbringen werde?«, wollte ich wissen und neigte den Kopf zu Seite. Ich hatte nicht vor, Ibans Leben zu beenden, nicht wenn sein Weiterleben ihm so viel mehr Leiden verschaffen würde. »Ich will die Namen der Hexen, die an der Verzauberung des Dolchs mitgewirkt haben.«

»Und was, wenn ich sie Ihnen nicht gebe?« Iban richtete sich auf.

Ich lachte bellend, blinzelte und ergriff die Welle des Sternenlichts, die in diesem Moment den Raum einnahm. Wir stürzten in völlige Dunkelheit, abgesehen von den grellen Lichtern, die sich auf Ibans Haut sammelten, den winzigen brennenden Nadelstichen, die ihn dort verletzten, wo sie sich niederließen.

Er schlug sich auf die nackten Arme im verzweifelten Versuch, die Stiche abzuwehren und das Brennen zu löschen. Die Schmerzen ließen ihn aufjaulen.

»Das wirst du schon«, sagte ich nur. Leviathan stieß ein Glas auf einem der Tische um, sodass das Wasser über das Holz lief und ich es vereinen und zu einem Ball formen konnte, den ich rasch auf Ibans Gesicht drückte. Er erbleichte, als das Wasser sich um seine Nase sammelte und den Mund verschloss.

Seine Brust rührte sich nicht und er versuchte, die Luft anzuhalten, so fest war er entschlossen, mir nicht zu erlauben, ihn zu ertränken. Ich hielt seinem Blick stand und wartete geduldig auf den Moment, in dem er erkannte, dass er gegen mich nicht ankommen konnte. Männer wie Iban waren derart selbstsüchtig, er würde seinen Überlebensinstinkt nicht verleugnen.

Er grummelte etwas und das Geräusch wirkte wie ein Blubbern im Wasser. Erst als er dann Luft holte und würgte, ließ ich los, und der Rest des Wassers klatschte zu einer Pfütze vor seinen Füßen hinab. »Du wolltest mir etwas sagen?«

Iban atmete gierig ein und saugte seine Lunge voller Luft. »Werden Sie Della und Nova töten? Denn die beiden müssten Sie umbringen, wenn Sie den Coven von allen säubern wollen, die sich Ihnen in den Weg gestellt haben«, erklärte Iban und spuckte den letzten Rest Wasser aus.

»Nein, das werde ich nicht, denn ich bin überzeugt: Im Gegensatz zu dir haben die beiden jungen Hexen nur mitgemacht, weil sie glaubten, damit Willows Wunsch zu erfüllen. Sie entschlossen sich, an ihrer Seite zu stehen, da sie es für Willows Entscheidung hielten, und sie werden erneut an Willows Seite stehen, wenn Willow zusammen mit mir den Coven wieder vereinen wird. Die anderen hingegen wollten mich loswerden, und wir beide, du und ich, wir wissen das ganz genau.« Ich trat einen Schritt vor, um ihn an der Kehle zu packen.

In einer letzten Warnung drückte ich das empfindliche Fleisch, auf das ich es bereits mit dem Wasser abgesehen hatte. Als Nächstes würde ich Teile von ihm versengen und zusehen, wie das Fleisch von seinen Beinen schmolz, bis er mir gab, was ich haben wollte.

Sein Blick ging zu Boden und seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, als er den ersten Namen nannte.

Die anderen folgten kurz darauf.

»Ich verrate dir nun noch ein kleines Geheimnis«, gestand ich ihm, als er alle preisgegeben hatte, und beugte mich zu ihm hinüber, damit meine Worte wie ein Flüstern zwischen uns hingen. »Ich wusste schon, wer den Dolch verzaubert hatte. Ich kann ihre Magie spüren , selbst wenn ich ihre Namen nicht kenne.«

»Und warum dann das alles?« Ibans Staunen zeigte eine verwirrende Niederlage.

»Ich wollte zusehen, wie du zerbrichst, und wissen, ob du bereit warst, sie alle aufzugeben, nur um dir ein bisschen Schmerz zu ersparen.« Damit richtete ich mich auf und rückte meine Kleider zurecht. »Ich wollte, dass dir klar wird, dass du auch jetzt und in dieser Lage zuallererst an dich selbst gedacht hast.«

***

Ich kehrte in den Tribunalraum zurück und ließ Iban mit Beelzebub und Leviathan im Klassenzimmer allein. Nachdem ich an den versammelten Hexen vorüber war, beugte ich mich vor und küsste Willow zärtlich. »Ich sehe dich im Bett wieder«, sagte ich. Willow hob ungläubig eine Augenbraue.

»Du kannst nicht von mir erwarten, jetzt einfach zu verschwinden.« Sie wehrte sich genau in dem Moment, den ich vorausgeahnt hatte. So sehr ich auch wünschte, sie in sicherem Abstand zu wissen, von wo aus sie meine Grausamkeit nicht miterleben würde, so sehr verstand ich auch, warum sie zusehen musste.

Ihre Taten hatten zum Todesurteil gegen die Hexen beigetragen. Das Mindeste, was sie tun konnte, war, Zeugin ihres Endes zu werden.

»Nun gut.« Ich wandte mich an die Versammelten. Satanus stand an der Tür, um jede Flucht unmöglich zu machen. »Blair Beltran, Uriah Peabody, Kass Madlock und Teagan Realta, tretet in den Kreis.«

Die vier traten vor und sahen sich um, als sie erkannten, dass zwei Hexen aus ihren Reihen fehlten, die nicht dieselbe Strafe erleiden mussten. Unter normalen Umständen hätte Della und Nova dasselbe Schicksal ereilt.

Die Realta-Hexe sah Willow an. »Moment mal, du verdammte kleine …«

Ich ballte meine Hand zur Faust und riss an der Kraft, die ich ihnen durch ihre Blutlinien eingeflößt hatte. Die Hexen stotterten und griffen sich an ihre Brust, als sich die Magie den Weg durch ihre Kehlen bahnte. Die Realta schien an ihrer eigenen Magie zu ersticken und sank auf die Knie, als die hasserfüllten Worte in ihrer Kehle stecken blieben.

Eine weitere Realta-Hexe trat vor, um ihr leidendes Familienmitglied zu unterstützen. Da hob Willow eine Hand und zerteilte den Raum mit einem heftigen Luftstoß, der zwischen der zu Hilfe Eilenden und der würgenden Realta-Hexe eine Barriere bildete, die die Kosmoshexe nicht durchbrechen konnte.

Meine Frau stand auf, und ihre Schultern senkten sich nach einem tiefen Seufzer, als sie die Hexe anblickte, die sich hatte einmischen wollen. Diese Hexe prallte von der Wand aus Wind ab, ihre Fäuste hämmerten gegen die machtvolle Luft. Als Willow sich behauptete, ließ sie ab und betrachtete die neue Führerin des Coven mit aufgerissenen Augen.

Die Hexen hatten bereits miterlebt, wie Willow ihre Totenbeschwörerinnen- und Erdmagie eingesetzt hatte, doch hier gab sie zum ersten Mal zu erkennen, wie sehr sie dem vorherigen Covenant ähnlich geworden war.

Loyal gegenüber niemandem, floss die Magie aller Häuser durch ihre Adern. Willow war die perfekte Hexe, um sie zu führen, denn da Willow keiner Familie verpflichtet war, würde sie sich auch nicht ungerecht einzelnen gegenüber verhalten.

»Sie haben sich an Lucifer vergangen und sie haben sich an mir vergangen, als sie mich losschickten, Ihn zu töten«, erklärte Willow mit lauter und klarer Stimme. Ich riss meine Hand zurück und raubte damit den Hexen, die Willow so bereitwillig in den Tod geschickt hatten, all ihre Zauberkraft.

Es schien mehr als passend, dass das, was sie höher wertgeschätzt hatten als alles andere, ein Teil von Willow werden sollte.

So ließ ich die Magie über den Boden kriechen, anstatt dass sie zurück zu mir floss und damit in ihre Heimstatt zurückkehrte, von der sie viel zu viele Jahrhunderte getrennt gewesen war. Die vier Hexen knieten vor uns, als die Magie aus ihren Mündern entwich, sie sie hochwürgten und auf dem Boden verteilten. Heimtückisch schlingerte die Zauberkraft über die Steine, ihre unterschiedlichen Farben mischten sich zu einem Nebel, der langsam über die Fliesen zum Podium kroch.

Willow legte die Stirn in Falten, als der Dunst sich bei ihr sammelte, ihren Körper umhüllte und sie in einer Umarmung umschlang.

Er berührte ihre Brust und legte sich auf jene Linie, die ich einst gezeichnet hatte, um sie glauben zu machen, ich würde ihr die Magie entziehen. Obwohl die Wunde schon lange verheilt war, öffnete sich Willows Haut und gab die dünne, golden schimmernde Linie frei, in der all ihre Zauberkraft wohnte.

Langsam strömte der Nebel in einem langen Band in Willow hinein und sie drückte den Rücken durch, bis alles dorthin zurückgekehrt war, wo ich es haben wollte.

In meine Heimstatt, und in die einzige Heimstatt, die mir wichtig war.

Willows Augen blitzten hell auf, als sich die Wunde von selbst wieder verschlossen hatte, und ihr Blick traf mich, als ich sie angrinste. Ich ließ ihr nun keine Zeit, meine Entscheidung infrage zu stellen, drehte mich um die eigene Achse und trieb einen Schwall nachtschwarzer Luft hinaus. Er schoss durch die Mitte des Kreises und trennte die Köpfe der knienden Hexen von den Rümpfen. Sie hatten vermutlich gedacht, der Raub ihrer Magie sei bereits ihre Strafe gewesen.

Selbst Willow schnappte nach Luft, als die Köpfe zu Boden fielen und die Körper zur Seite kippten. Unter den Zuschauerinnen und Zuschauern schrie jemand so voller Trauer auf, dass Willow sich auf die Zähne biss.

Ihre Nasenflügel bebten irritiert, doch sie erholte sich schnell und sprach zum Coven. Sie wollte den Frieden bewahren, wie es jede Führerin in schwierigen Zeiten tun würde.

»Seiner Gerechtigkeit ist Genüge getan und ich erwarte, dass er mir ebenso schnell erlauben wird, unsere eigene Rache zu üben, sollte eine der Hüllen oder einer der Dämonen den Hexen in irgendeiner Weise Unrecht antun«, erklärte Willow. Ihre Erwartung von Fairness kam bei ihrem Publikum gut an. Sie überbrachte ihre Botschaft jenen, die mir loyal gegenüber waren, und ließ sie wissen, dass sie es mit ihr zu tun bekämen, sollten sie jene anrühren, die zu Willow gehörten.

Ich grinste.

Das war mein Lieblingshexenmädchen.

»Genau so werden wir es halten, Covenant.« Ich verbeugte mich vor ihr, was bei jeder anderen als bei Willow ausgesehen hätte, als würde ich mich lustig machen.

Doch in ihrem Fall würde ich tatsächlich mein ganzes Leben auf Knien vor ihr verbringen, sollte sie das wünschen.