Willow
Gray weckte mich, als er am nächsten Morgen das Zimmer betrat. Er trug eine graue Jogginghose, die tief auf den Hüften saß. In seinen Händen hielt er ein Frühstückstablett. Es war kunstvoll aus Holz geschnitzt und stammte definitiv nicht aus der Schulmensa.
Ich schob das Bettzeug bis zur Taille zurück und machte es mir bequemer. Dann betrachtete ich die verschiedenen Früchte und das Gebäck, das er für uns auf die Teller gelegt hatte.
»Guten Morgen, Liebes«, sagte er und drückte mir sanft einen Kuss auf die Stirn. Die Berührung war so zärtlich und süß, dass ich diesen Moment keinesfalls unterbrechen wollte; ich war sprachlos von dieser aufmerksamen Geste, mir das Frühstück zu bringen.
»Du hättest das nicht tun müssen«, sagte ich und griff nach einem Glas Wasser. Ich nahm ein paar Schlucke und kühlte damit meine Kehle, die sich zu warm anfühlte. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Version von Gray anfangen sollte, mit der ganzen Freundlichkeit, die so gar nicht zu dem passte, was ich von ihm gewohnt war.
»Ich wollte es aber«, erwiderte er und griff nach einer Erdbeere. Er biss langsam in die Frucht und meine Augen verfolgten die Bewegung, wie sich sein Mund um das pralle Fruchtfleisch schloss. Ich schämte mich für meine Reaktion auf etwas, das so unschuldig hätte sein sollen, aber es tat sich hier eine Erkenntnis auf, die wichtiger war als meine eigenen Hormone.
»Ich glaube, ich habe dich noch nie essen sehen«, sagte ich, was ihn zum Schmunzeln brachte.
»Ich muss es nicht, aber das heißt nicht, dass ich es nicht kann«, sagte er, aß die Erdbeere auf und legte den Stiel auf dem Tablett ab. »Ich mag vor allem reife Früchtchen.«
»Sei nicht so eklig«, sagte ich und verdrehte die Augen, während ich nach einem Stück Ananas griff.
Ich steckte es in den Mund und kaute langsam, während ich darüber nachdachte, wie ich das Thema ansprechen sollte. Normalerweise war es mir egal, ob das, was ich sagte, Gray verärgerte oder zu einem Streit führte, aber dieses neue Terrain, auf dem wir eine echte Beziehung anstrebten, versetzte mich in Unruhe.
Denn normale Paare wollten nicht streiten.
Waren Gray und ich überhaupt fähig zu Frieden und Harmonie?
»Sprich es einfach aus, kleine Hexe«, forderte er mich mit hochgezogener Augenbraue auf, während er mich beim Kauen beobachtete. Ich errötete und ärgerte mich über die Art, wie er mich zu durchschauen schien. Er wusste immer, wann ich etwas auf dem Herzen hatte, und ich wünschte, ich hätte die gleiche Fähigkeit, ihn zu lesen.
»Warum hast du nicht gesagt, dass du Kinder haben kannst?«, fragte ich, nachdem ich geschluckt hatte.
Er nahm auf dem Bett Platz und lehnte sich zurück und stützte sich auf einem seiner Arme ab. Seine lockere Haltung verriet mir, dass ihm nach seiner Offenbarung am Vorabend klar gewesen war, dass dieses Gespräch kommen würde. »Ich weiß, dass du das Tonikum nimmst«, sagte er und überraschte mich mit dieser Aussage. Ich hatte es nicht vor ihm getrunken, weil es einfach zu meiner morgendlichen Routine am Monatsersten gehörte. »Es schien mir nicht notwendig, dass wir in der Zwischenzeit ein Gespräch darüber führen. Nicht, wenn unsere Beziehung sowieso schon so kompliziert war.«
Ich hielt inne, denn ich fand es furchtbar, dass unsere Hintergrundgeschichte es nötig machte, bei ihm nachzubohren. Ich musste die Wahrheit erfahren, denn ich wusste genau, wozu er fähig war. »Also hast du mir das mit dem Kinderkriegen nicht verheimlicht, in der Hoffnung, ich würde mein Tonikum nicht mehr nehmen? Weil ich davon ausgegangen wäre, wir seien sicher?«
Gray lachte leise und schüttelte den Kopf. Es war kein spöttisches Lachen, wie ich es erwartet hätte, sondern eines, das meine Haut mit Wärme überzog. »Nein, Willow. Wenn ich dich schwängern will, werde ich dich über meine Absichten aufklären.« Er nahm eine der Beeren in die Hand, doch anstatt sie in seinen Mund zu stecken, führte er sie an meine Lippen. Er drückte sie dagegen und ich öffnete langsam den Mund, damit er mir einen Bissen anbieten konnte. Zusammen mit seinem berauschenden Blick konnte ich nichts gegen die Hitze tun, die in meinem Nacken kribbelte.
Ich kaute und schluckte und hielt seinem Blick stand. »Wenn du mich schwängern willst? Was ist mit dem, was ich will?«, fragte ich und tat so, als wäre es mir egal. Auch wenn mir seine Antwort sehr wichtig war. Ich hatte mein ganzes Leben lang gewusst, dass der Coven in mir nichts anderes als eine Gebärmaschine sehen würde, etwas, das ein Erbe fortführte. Seine Worte in der Nacht zuvor hatten in mir die Angst geweckt, dass ich mit ihm vom Regen in die Traufe käme.
»Vertrau mir«, gab er zurück und nahm meine Hände in seine. Er beugte sich vor und die Aufrichtigkeit in seinem Blick ließ mich verstummen. Was auch immer ich sagen wollte, verebbte, und ich verlor mich in seiner ernsten Miene. »Kinder sind ein Geschenk und ich würde dich nie zwingen, welche zu bekommen, wenn du das nicht willst. Nicht jeder ist dazu geeignet, ein Elternteil zu sein. Zumal die Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, zum großen Teil auf dem Wunsch beruht, eine zu sein.«
Meine Kehle brannte vor lauter Tränen, als ich an meine eigene Mutter dachte, die mich mehr als alles andere gewollt hatte. Sie hatte mich geliebt, wirklich geliebt, trotz der Herausforderungen, die ich ihr bereitet hatte, und trotz des Mannes, der sie nur ausgenutzt hatte.
»Selbst wenn ich beschließe, dass ich gar keine will?«, hakte ich nach und beobachtete, wie der Schmerz angesichts dieser Möglichkeit über seine Miene huschte. Wenn ich mir einer Sache sicher war, dann, dass Lucifer Morningstar sich mehr als alles andere nach einer eigenen Familie sehnte.
Seine Familie hatte ihn im Stich gelassen und ihn gezwungen, eine neue gründen zu müssen. Er wollte eine, die ihn nicht verlassen konnte, die ihn nicht im Stich ließ, nur weil sie mit etwas, das er tat, nicht einverstanden war.
Er wollte bedingungslose Liebe und diese Unschuld entsprang der Liebe eines Kindes.
»Selbst dann«, sagte er und überraschte mich damit. Er setzte sich wieder auf. »Solange ich dich habe, kann ich mit dieser Entscheidung leben, wenn es sein muss.«
Ich lächelte, mein Gesichtsausdruck war weicher als sonst, als ich mich nach vorne beugte und ihn sanft küsste. »Ich glaube, das war die perfekte Antwort.«
Er grinste gegen meinen Mund und erwiderte sacht meinen Kuss. »Ich habe es ernst gemeint.«
Ich zog mich zurück und ließ ihn sehen, wie sehr ich jedes Wort meinte. »Ich weiß und das ist es ja, was es perfekt macht.«