Willow
Ich starrte in den Schlund der Hölle. Die Dämonen strömten in Massen zur Treppe, aber ich wusste, dass sie uns nie erreichen würden. Michael zog sich in die Privaträume des Covenant zurück und kam mit Margot an seiner Seite zurück. Sie war geknebelt, ihre Hände waren vor ihr gefesselt und stumme Tränen liefen über ihr Gesicht.
Ich warf mich gegen Iban und kämpfte gegen meine Schwäche an. Er hielt mich fest, war stärker als ich. So schwach war ich seit meiner Kindheit noch nie gewesen und mein Körper war seinen Launen ausgesetzt. »Du wirst ein braves Mädchen sein und für mich an Ort und Stelle bleiben, Willow, oder ich schneide ihr die Kehle durch und lasse dich zusehen, wie sie stirbt«, sagte Michael und die Warnung kroch mir unter die Haut.
Der Gedanke, mich in die Höllengrube hineinfallen zu lassen, kam mir unaufgefordert in den Sinn; wenn ich weg wäre, könnte niemand mich je wieder dazu benutzen, dieses Tor zu öffnen.
Gray würde mich eigenhändig dafür umbringen.
Margot schüttelte den Kopf, ihre Nasenflügel bebten vor Wut. Ihre Kraft schürte die Flamme meiner Wut noch höher und wir verstanden uns. Wir würden kämpfen.
Wir würden sterben.
Aber wir würden niemals aufgeben.
Ich wusste etwas, was Michael nicht wusste. Mir war klar, weshalb er mich jetzt so verzweifelt loswerden wollte. Er hatte keine Zeit zu verlieren, denn eines Tages würde meine Tochter auferstehen.
Eines Tages würde meine Tochter sie alle töten.
Ich hörte auf, mich gegen Ibans Griff zu wehren, in der Hoffnung, dass er nachlässig wurde. Ich lehnte mich in diese Berührung, sammelte das bisschen Kraft, das ich noch hatte, um sie gegen ihn einzusetzen. Die Quelle lauerte an meinen Fingerspitzen, aber ich wagte nicht, sie zu berühren, bis ich bereit war. Nicht mit dem Gefühl, dass das Messer mir alles genommen hatte.
Nicht mit der Art und Weise, wie die Quelle allein mich am Leben hielt.
»Sie sollte nicht mehr atmen«, warnte Michael Iban, als mir die Augen zufielen. Ich ließ ihn die Schwäche sehen, die er sehen wollte.
Iban strich mir das Haar aus dem Gesicht, während er mich ein wenig drehte, um mich anzuschauen. »Sweetheart«, sagte er und die Verblendung in seiner Stimme brachte mich in diesem Moment fast dazu, die Beherrschung zu verlieren und anzugreifen. Ich war nicht stark genug, um mich gegen Michael zu wehren, ich musste warten, bis Gray zu mir kam. Ich konnte ihn nicht spüren, weil der Schmerz alles in meinem Körper zum Schweigen brachte. Aber ich wusste, dass Gray zu mir kommen würde. »Es ist noch nicht zu spät für dich, Buße zu tun.«
»Wenn du das glaubst, bist du noch dümmer, als ich dachte«, zischte ich und brach dann ab.
Die Türen zum Tribunalraum krachten auf und eine männliche Gestalt flog durch die Luft. Beelzebub landete, starrte mich an und machte einen Schritt nach vorne. Dann hielt er inne und ließ seinen Blick durch den größtenteils leeren Raum schweifen, um die Bedrohung einzuschätzen.
Ich erkannte sofort den Moment, als er Margot entdeckte. Alles in ihm erstarrte, sein Körper versteifte sich, als er zwischen seinen Gefühlen für sie und seiner Loyalität zu Gray hin- und hergerissen war.
Ich lächelte ihn an, als er den Kiefer anspannte, und nickte nur, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte. Er schnappte nach Margot und ich zuckte zusammen, als Michael sie zur Seite schleuderte. Sie stürzte in Richtung des Siegels, konnte sich nicht mehr abfangen und überschlug sich.
»Margot!«, schrie ich und versuchte, meine Hände vom Siegel loszureißen, um sie aufzuhalten. »Sie ist deine Freundin!«, schnauzte ich Iban an, als er keine Anstalten machte, ihr zu helfen. Er hielt mich fest, während sie auf das Siegel zurollte und versuchte, sich mit den Beinen abzufangen, mit denen sie im letzten Moment weit ausholte. Nur ihren langen Beinen war es zu verdanken, dass sie sich festhalten konnte. Doch wegen meines glitschigen Blutes überall fingen auch diese an abzurutschen.
Sie knurrte gegen ihren Knebel, und die Panik, die darin mitschwang, ließ mein Herz zum Stillstand kommen.
»Margot!«, brüllte ich und sah zu, wie ihre Beine wegsackten und sie über den Rand der Toröffnung rutschte.
Sie stürzte außer Reichweite, während ich aus vollem Hals schrie. Beelzebub gab seinen Kampf mit Michael auf und drehte sich zu mir um, als ich ihn stumm anflehte. Er stieß Michael von sich, hechtete zum Siegel und schlüpfte durch das Loch, wobei er seine Flügel eng anlegte, um meiner Freundin hinterherzujagen.
Ich beobachtete panisch, wie er auf sie zuraste und sich nach ihr ausstreckte, bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte. Im letzten Moment entfalteten sich seine Flügel und hüllten sie in eine feste Umarmung, nur Sekunden, bevor sie auf die rote Erde aufschlugen. Kurz bevor sie landeten, drehte er seinen Körper, nahm die Hauptwucht des Sturzes auf sich und umschloss Margot mit seinen Flügeln. Er verbarg sie vor den Blicken, aber er war es, der auf die Erde auftraf und sie durch die Wucht seines Sturzes eindellte.
Ich wartete, doch keiner der beiden bewegte sich. Erst als Michael einen Schritt auf mich zukam, wandte ich meine Aufmerksamkeit ab. Sein Gesicht war vor Wut verkniffen und er hatte die Hände ausgestreckt, um einen Luftwirbel zu erzeugen. Der Sturm fegte durch den Tribunalraum, sammelte das Blut, das aus meiner Wunde gesickert war, und drückte es auf den Boden des Podests und den Thron. Ich spürte, wie sich der Ruf des Covenant in mir ausbreitete und den Coven in den Tribunalraum rief, wo Michael sie in die Hölle schicken würde.
»Iban, es ist noch nicht zu spät, das zu verhindern. Wir können Margot retten. Wir können deine Familie retten«, flehte ich, starrte nach unten und wartete auf ein Lebenszeichen von Beelzebub oder Margot. Ich konnte sie nicht mehr sehen, sie waren von der Masse an Dämonen verschluckt worden, die sich auf der Treppe versammelten, die sie nach oben führen sollte.
Die Türen des Tribunalraums flogen abermals auf und ich wusste genau, wer den Raum betreten würde. Er trug immer noch seinen Anzug und hatte keine Zeit verschwendet, weil er zu mir gelangen wollte. Sein Gesicht war eine Maske aus reiner Wut, als er feststellte, dass Iban sich über mich beugte, mich festhielt und das Messer noch immer in meinem Bauch steckte.
Ein schwarzes Fellknäuel schoss an ihm vorbei, flitzte zwischen seinen Beinen hindurch. Jonathan rannte auf mich zu und sprang. Auf halbem Weg verwandelte er sich in der Luft, sein Körper wuchs, während sein schwarzes Fell länger wurde. Glatte, helle Haut lugte an seinen Beinen hervor, als sie sich verlängerten. Seine Schnauze wölbte sich, und seine Zähne wurden zu Reißzähnen, die aus seinem Maul herausragten. Er schüttelte den Kopf, als er auf allen vieren landete. Seine Pfoten waren riesig. Er richtete sich auf beide Beine auf und nahm seine verfluchte Gestalt wieder an.
»Bitte, bewegt euch«, flehte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder Margot zu. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich ihnen noch verschaffen konnte, um von dort wegzukommen, bevor ich dem Schmerz und dem Tod, die hinter der Quelle lauerten, erliegen oder mich wehren musste.
»Gefährtin«, sagte Jonathan und seine Stimme ließ mich aufschrecken. Sie war tiefer als bei seiner menschlichen Gestalt, wirkte vielmehr wie ein Knurren.
»Rette sie. Rette Margot, bitte«, flehte ich und richtete meinen tränenüberströmten Blick auf ihn. Da Gray hier war, musste ich hoffen, dass wir gemeinsam das Siegel schließen konnten.
Aber das konnte ich erst tun, wenn Beelzebub sie da rausgeholt hatte.
Jonathan nickte mit seinem wolfsähnlichen Kopf und verneigte sich zum Abschied tief. Ihn zu verlieren, fühlte sich an, als würde ich einen Teil von mir selbst verlieren, aber ich konnte Margot auch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. »Wie Ihr wünscht, Gefährtin.«
Jonathan sprang in die Grube hinunter, den Fall, der einen Menschen getötet hätte, brachte er achtlos hinter sich. Er landete mit gebeugten Knien, streckte sich nach vorne, um den Aufprall abzumildern, und rollte sich dann zusammen, um auf allen vieren zu laufen. Ich sah zu, wie er sich zu der Stelle durchkämpfte, an der Beelzebub immer noch Margots Körper mit seinen Flügeln bedeckte – unbeweglich und stumm.
»Michael«, rief Gray und zwang mich, meine Aufmerksamkeit von der Szene dort unten abzuwenden. Grays bernsteinfarbene Augen waren vor Überraschung geweitet, nachdem er seinen Zwilling erkannt hatte. Schmerz flackerte über seine Miene, als er zwischen uns hin und her blickte und die Punkte miteinander verband. Mir wurde klar, dass er seinen Bruder seit seinem Himmelssturz wahrscheinlich nicht mehr gesehen hatte. Und das, was ein Wiedersehen nach Jahrhunderten hätte werden können, sich in etwas Schreckliches verwandelt hatte. »Was machst du da?«
»Er hat dich in die Hölle verbannt. Du musst dorthin zurückkehren«, antwortete Michael und mit einem Ausdruck, der Reue hätte sein können, spannte er den Kiefer an. Was auch immer zwischen ihnen passiert war, welchen Floh auch immer Gott ihnen ins Ohr gesetzt hatte, sie waren einmal eine Familie gewesen.
So eng, wie eine Familie nur sein konnte.
Das hielt Michael jedoch nicht davon ab, auf Gray zuzugehen und von hinten die Hände auf dessen Schultern zu legen, während mein Ehemann ihn schockiert anstarrte. Er stieß Gray zu Boden und drückte ihn zu der Toröffnung. Gray erwachte aus seiner Verwirrung und wehrte sich; er boxte mit dem Ellbogen in Michaels Bauch und rammte ihm den Hinterkopf ins Gesicht.
»Der Teufel gehört in die Hölle!«, schrie Michael und grunzte vor Schmerz, als er mit der Faust auf Grays Gesicht zielte. Sie kämpften und rangen miteinander, während Satanus und Mammon in den Raum platzten, um zu helfen.
Eine Bewegung von unten lenkte mich von dem Kampf ab. Der Anblick von Beelzebub, der seine großen, ledernen Flügel ausbreitete, schenkte mir neue Hoffnung. Er saß neben Margot und zerrte sie in seinen Schoß, während er sich mit ihrem Knebel abmühte und ihre Hände losband.
Sie war am Leben.
Er berührte ihr Gesicht und umschloss es so zärtlich, dass ich mich fragte, ob ich meine Abneigung gegen den massigen Dämon überdenken sollte. Sie schlang ihre Arme stürmisch um seinen Hals, während er nach oben blickte und mit ihr in den Armen aufstand. Jonathan kämpfte an ihrer Seite, schlug und biss nach allem, was ihm zu nahe kam. Die Dämonen waren gnadenlos und versuchten, ihn an Ort und Stelle niederzustrecken.
Der Luftstoß, den Michael durch den Raum schickte, ließ mich fast in die Grube stürzen, nur die Verbindung des Siegels, das sich an meine Magie klammerte, hielt mich fest. Iban klammerte sich an mir fest, dadurch bewegte sich das Messer in meinem Bauch so, dass es ein Stück weiter aus meinem Körper herausglitt.
»Du könntest frei sein!«, rief Michael und ich sah ihn mit Gray ringen. Satanus und Mammon waren in seinem Sturm gefangen, Blitze zuckten durch den Tornado, den der Engel aus dem Wind geformt hatte. Der Luftstrudel schleifte die beiden über den Boden, sie krallten sich fest, suchten nach Halt, während sie immer näher zu dem Siegel herangezogen wurden.
Gray lieferte sich mit seinem Bruder einen Schlagabtausch, bei dem beide Blut verloren und Wunden davontrugen. Gray griff nicht nach seiner Magie und ließ die Quelle unangetastet.
Er sparte sie für mich auf, wurde mir klar, als sie meine Haut mit Kraft überzog.
Er sparte sie auf, weil sie das Einzige war, was mich am Leben hielt, während mein Blut auf das Siegel tropfte, um es offen zu halten.
»Schick ihn zurück! Du könntest frei sein, Hexe!«, rief Michael erneut und drehte Gray in seinen Armen. Er schlang seinen Unterarm um die Kehle meines Mannes und führte ihn langsam zum Siegel.
Ich hielt Grays bernsteinfarbenen Blick fest, denn die Angst, dass ich ihn im Stich lassen könnte, war größer als das, was in der Hölle auf ihn warten würde. Ich fixierte ihn, während ich Worte sprach, die kaum hörbar waren, weil der Wirbelsturm Satanus und Mammon zurück in die Hölle riss. Sie verschwanden in dem Loch, was Beelzebub dazu zwang, Margot zur Seite zu zerren.
Sie würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen.
Trotzdem richtete ich meinen Blick wieder auf Gray. »Das bin ich schon«, antwortete ich mit fester Stimme, sprach dabei mehr zu meinem Mann als zu Michael. Wenn es so enden sollte, wenn ich so sterben sollte, wollte ich, dass er es wusste.
Ich bereute nichts davon.
Er hatte mir gezeigt, was es heißt, die Wahl zu haben.
Und ich hatte mich für ihn entschieden.
Gray stemmte sich mit neuer Kraft gegen Michaels Griff und rammte seinen Kopf zurück, was seinen Bruder zu Boden schickte. Michael rappelte sich hastig wieder auf, während Gray mir etwas zurief. In seinen Augen las ich alles, was seine Stimme nicht verriet. »Jetzt, Willow!«
Ich krachte mit dem Hinterkopf gegen Ibans Nase und spürte, wie sie unter der Wucht brach. Er hob die Hände, um an seine lädierte Nase zu fassen, und ließ mich dabei los. In dem Augenblick schnitt ich mich von der Magie ab und mir entglitt dabei ein Schmerzensschrei, weil mir die Haut von den Knochen gerissen wurde. Mit meiner verletzten Handfläche packte ich den Griff des Knochenmessers und zog es aus mir heraus.
Frisches Blut quoll aus der Wunde, als ich auf den Knien herumwirbelte und mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung mit der Waffe einen Bogen zog.
Die Klinge fuhr Iban durch die Kehle und der dünne Schnitt brauchte einen Moment, ehe das Blut herausfließen konnte. Iban röchelte und starrte mich an, bevor sein Blick auf das stete Rinnsal fiel, das sich auf sein Hemd ergoss.
Ich rang die Trauer darüber nieder, was aus uns geworden war, und taumelte mit dem Messer in der Hand auf die Füße. Die Kraft des Messers glitt durch mich hindurch und kehrte in meine Mitte zurück, wo sie auch hingehörte. Meine Sicht wurde wieder klarer, als ich Gray spürte. Ich nahm wahr, wie er seinen eigenen Zugriff zur Quelle verstärkte, als sie aufhörte, sich von mir zu nähren.
Gray trat Michael mit neu gewonnener Grauer Magie in die Brust und ließ ihn zurücktaumeln. Ich schob ihm Ibans Körper in den Weg, ließ ihn durch sein eigenes Blut schlittern, und sah zu, wie Michael stolperte und rückwärtsfiel. Er fuchtelte mit den Armen, griff nach dem Rand des Siegels, das sich ohne meine Magie zu schließen versuchte.
Selbst als es zuging, spürte ich die Anziehung auf meine Kraft. Es zerrte an meiner Seele, weil es ein Leben verlangte.
Es wäre alles umsonst gewesen, wenn ich den Preis nicht hätte zahlen können.
Ich packte Iban und schob ihn über Michael, zeitgleich stampfte Gray auf die Hand seines Bruders, die das Siegel umklammert hielt. Michael rutschte tiefer, sein Körper sackte unter den Rand, während Iban in den Höllenschlund stürzte. Seine Leiche explodierte in einer Masse aus Blut und Fleisch und das Opfer war vollendet. Spiegelscherben ragten aus dem Rand der Grube, schnitten durch Michaels Finger und trennten sie ab, während sich das Siegel über meiner Freundin und meinem Vertrauten schloss, die immer noch dort unten gefangen waren. Ein Dämon holte aus und verpasste Jonathan drei klaffende Schnitte auf der Brust, während ich noch zusah. Mein Vertrauter verwandelte sich in seine Katzengestalt und rannte zu Margot, wo Beelzebub gerade seine Wut herausbrüllte und die Dämonen zum Erzittern brachte.
Ich sank auf die Knie inmitten all der Scherben und starrte zu Margot hinunter, während sie ihren angsterfüllten Blick auf mich richtete. Sie hielt Jonathan an ihre Brust gedrückt; mein Kater, der blutete, aber noch lebte, und auch sein violetter Blick traf auf mich.
Stein bedeckte Glas.
Und sie waren beide fort.