Anmerkung der Verfasserin
Es war an einem Oktobermorgen des Jahres 2014, als mir die Idee kam, einen Roman über die fiktive Ehefrau von Jesus zu schreiben. Ich hatte bereits fünfzehn Jahre zuvor über diese Idee nachgedacht, doch damals schien mir nicht die richtige Zeit dafür zu sein, und ehrlich gesagt fehlte mir auch ein wenig der Mut für ein so gewagtes Unterfangen. Doch an jenem Tag im Oktober, anderthalb Jahrzehnte später, kam die Idee mit deutlich größerer Hartnäckigkeit wieder zurück. Meine Versuche, mir das Ganze wieder auszureden, fielen eher lahm aus. Jahrhundertelang hatte die Überlieferung darauf bestanden, dass Jesus niemals verheiratet gewesen war, und diese Position war im christlichen Glauben ebenso verankert wie im kollektiven Bewusstsein. War es nicht besser, die Finger davon zu lassen? Doch es war bereits zu spät, mich davon abzubringen. Meine Fantasie war längst entfacht, und ich hatte bereits begonnen, mir diese Frau vorzustellen. Nur wenige Minuten später hatte sie einen Namen – Ana.
Ich habe die Angewohnheit, mir kleine Zettel auf den Schreibtisch zu heften. Dieser hier blieb während der ganzen viereinhalb Jahre, in denen ich für diesen Roman recherchierte und ihn schrieb, dort kleben.
»Alles ist der richtige Stoff für einen Roman.«
Virginia Woolf
Ziel eines Schriftstellers ist es nicht nur, der Welt einen Spiegel vorzuhalten, sondern sich das vorzustellen, was möglich ist. Das Buch Ana
überdenkt die Geschichte, dass Jesus ein unverheirateter und unbeweibter Junggeselle war, und stellt sich vor, wie es wäre, wenn er doch eine Frau gehabt hätte. Natürlich steht im Neuen Testament nichts davon, dass er verheiratet war, aber es wird auch nicht explizit erwähnt, dass er Junggeselle war. Die Bibel schweigt darüber. »Wenn Jesus eine Frau hatte, so wäre das in der Bibel aufgezeichnet worden«,
hat mir jemand einmal erklärt. Doch stimmt das? Dass man Frauen unsichtbar macht und sie zum Schweigen bringt, entspricht der Wahrheit. Verglichen mit Männern haben Frauen in den Heiligen Schriften des Juden- und des Christentums nur selten tragende Rollen, und erwähnt werden sie bei Weitem nicht so oft. Und wenn tatsächlich auf Frauen Bezug genommen wird, so bleibt ihr Name in vielen Fällen ungenannt.
Man könnte außerdem argumentieren, dass in jener jüdischen Lebenswelt Galiläas im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Ehe so selbstverständlich war, dass man sich mehr oder weniger gar nicht die Mühe machte, sie zu erwähnen. Die Ehe war für einen Mann gesellschaftlich, familiär und religiös eine Pflicht. Typischerweise heiratete man mit zwanzig (manchmal konnte es auch erst mit dreißig geschehen); durch die Ehe wurde ein Mann erwachsen und fand seinen festen Platz in der Gemeinschaft. Seine Familie erwartete von ihm, dass er eine Ehe schloss, und wäre schockiert oder von Scham erfüllt gewesen, wenn er es nicht getan hätte. Sein Glaube schrieb ihm vor, dass er sich »der Ehe mit einer Frau nicht enthalten solle«. Natürlich ist es möglich, dass sich Jesus all diesen Glaubenssätzen widersetzte. Es gibt Hinweise darauf, dass asketische Ideale während des ersten Jahrhunderts Eingang ins Judentum fanden. Außerdem konnte Jesus ja durchaus manchmal ein Nonkonformist sein. Ich sah allerdings mehr Grund zu der Annahme, dass Jesus im Alter von zwanzig, ein Jahrzehnt, bevor er mit seiner geistlichen Tätigkeit begann, der religiösen und kulturellen Ethik seiner Zeit und seiner Umgebung nicht ablehnend gegenüberstand.
Die Behauptung, dass Jesus nicht
verheiratet war, tauchte zum ersten Mal im 2. Jahrhundert n. Chr. auf, als das Christentum die Ideale der Askese und des griechischen Dualismus in sich aufnahm, welche beide den Körper und die Physikalität der Welt zugunsten der Spiritualität abwerten. Da man sie mit dem Körperlichen gleichsetzte, wurden auch die Frauen abgewertet, zum Schweigen gebracht, an den Rand gedrängt, und sie verloren die führende Rolle, die sie noch im
Christentum des 1. Jahrhunderts besessen hatten. Keuschheit wurde ein Weg zur Heiligkeit, die Jungfräulichkeit zu einer der höchsten Tugenden des Christentums. Da sie sich sicher waren, dass das Ende der Welt nahte, waren die Gläubigen des 2. Jahrhunderts in hitzige Debatten verstrickt, ob Christen überhaupt heiraten sollten. Wenn ich mir das Vordringen solcher Ansichten in die Religion vor Augen hielt, erschien es mir auf einmal nicht besonders glaubhaft, dass Jesus verheiratet gewesen war.
Doch gerade Überlegungen wie diese erlaubten es mir, mich jenseits des kirchlichen Schubladendenkens zu bewegen und zu beginnen, mir doch den Charakter eines verheirateten Jesus vorzustellen.
Natürlich weiß ich nicht, ob Jesus verheiratet war oder nicht. Es gibt ebenso zwingende Gründe für die Überzeugung, dass er unverheiratet blieb. Doch solange nicht irgendwo in einem Tonkrug eine authentische Handschrift aus der Antike entdeckt wird, aus der hervorgeht, dass Jesus eine Frau hatte, werden wir es einfach niemals erfahren. Und selbst dann wäre das Problem wahrscheinlich unlösbar.
Dennoch war es für mich von jenem allerersten Moment der Inspiration zu dieser Geschichte wichtig, mir einen verheirateten Jesus vorzustellen.
Und als ich das tat, kam mir eine faszinierende Frage in den Sinn: Wäre die westliche Welt eine andere, wenn Jesus geheiratet hätte und seine Frau Teil der Geschichte geworden wäre? Darauf gibt es nur spekulative Antworten, doch mir erscheint es plausibel, dass das Christentum und die westliche Welt dadurch über ein etwas anderes religiöses und kulturelles Erbe verfügen würden. Vielleicht wäre den Frauen mehr Gleichheit widerfahren. Vielleicht wäre das Verhältnis zwischen Sexualität und Glauben weniger gebrochen. Möglicherweise gäbe es auch den Zölibat nicht. Ich fragte mich, welche Auswirkungen die Möglichkeit eines verheirateten Jesus auf diese Traditionen haben könnte. Und welchen Einfluss könnte das Zulassen neuer Überlegungen auf die gegenwärtige Situation haben?
ICH BIN MIR DEUTLICHST
und mit der allergrößten Ehrerbietigkeit bewusst, dass Millionen von Menschen an Jesus glauben und seine Wirkung auf die Geschichte der westlichen Zivilisation unvergleichlich ist, was sowohl Nichtchristen als auch Christen betrifft. Angesichts dessen scheint es mir angebracht, auszuführen, wie ich mich diesem Menschen und seinem Charakter schriftstellerisch angenähert habe.
Es war mir von Anfang an klar, dass ich Jesus einzig und allein in seiner Menschlichkeit darstellen wollte. In meiner Geschichte sollte es um den Menschen gehen und nicht um den Sohn Gottes, der er einmal werden würde. Im frühen Christentum war es strittig, ob Jesus menschlich oder göttlich sei, eine Frage, in der man sich zuerst im 4. Jahrhundert beim Konzil von Nicäa und dann im 5. Jahrhundert beim Konzil von Chalcedon auf die Doktrin einigte, Jesus sei zugleich zur Gänze menschlich und
zur Gänze göttlich. Allerdings schwand seine Menschlichkeit in der Folge dahin, je mehr er glorifiziert wurde. Auf mich jedenfalls, die ich aus der schriftstellerischen und nicht der religiösen Perspektive schreibe, übte seine Menschlichkeit die wesentlich größere Anziehungskraft aus.
Über die Zeit zwischen seinem zwölften bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr ist von Jesus nichts überliefert. Seine Präsenz in diesem Roman fällt teilweise mit dieser nicht überlieferten Zeit zusammen, bis auf zwei bemerkenswerte Ausnahmen: seine Taufe und seinen Tod. Wie Jesus während dieser unbekannten Jahre handelte und was er sagte, ist reine Erfindung, basierend auf Annahmen und Mutmaßungen.
Meine Sichtweise Jesu, die Art, wie ich ihn dargestellt habe, fußt auf meinen Recherchen zum historischen Jesus und dem Palästina des ersten Jahrhunderts, auf Schilderungen seines Lebens und Lehrens aus der Heiligen Schrift und anderen Kommentaren zu ihm. Es war erstaunlich, zu entdecken, dass Jesus als Mensch so viele Gesichter hatte und dass selbst historische Jesus-Gelehrte dazu tendierten, ihn durch die Linse ihrer eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zu betrachten. Für einige ist er ein politischer Aktivist. Für andere ein Wunderheiler. Man sieht ihn als Rabbi, als sozialen Propheten, als religiösen
Reformer, als weisen Lehrer, als gewaltlosen Revolutionär, als Philosophen, Feministen, als Prediger der Apokalypse und so weiter und so fort.
Wie sollte ich Jesus’ Charakter gestalten? Mit seinen gut zwanzig Jahren sah ich ihn als einen durch und durch jüdischen Mann, der unter römischer Besatzung lebte, und als Ehemann, der hart arbeitete, um seine Familie durchzubringen, jedoch bereits einen starken Drang danach verspürte, sich auf den Weg zu machen und öffentlich zu predigen. Ich schilderte ihn als Mamser, das heißt als Menschen, der eine Art von Ausgrenzung erlitt – was im Fall von Jesus aufgrund seiner infrage gestellten Herkunft als Sohn von Joseph geschah. Außerdem sah ich Jesus als Mann von gesellschaftlichem Weitblick und als Rabbi, dessen vorrangige Botschaft die der Liebe und der Barmherzigkeit war und der die nahende Ankunft des Gottesreiches verkündete, welches er anfänglich als eschatologisches Ereignis betrachtete, durch das Gottes Herrschaft auf Erden errichtet würde, und später als Bewusstseinszustand in den Herzen und Köpfen der Menschen. Ich sah ihn als politischen Widerstandskämpfer, der sich der Gewaltfreiheit verschrieben hatte und die Rolle des Messias, also des verhießenen Erlösers der Juden, übernimmt. Im Mittelpunkt des Charakters, wie ich ihn zeige, steht Jesus’ Mitgefühl für die Außenseiter, die Armen und Ausgestoßenen jeglicher Art, ebenso wie seine eher ungewöhnliche innige Vertrautheit mit seinem Gott.
Und es ist mir wichtig, hervorzuheben, dass Jesus’ Charakter auf diesen Seiten nur einen kurzen Blick auf die Komplexität und den inneren Reichtum des Menschen gewährt, der er war, einen Blick, beruhend auf meiner Interpretation von ihm, die ich in eine fiktive Erzählhandlung eingebettet habe.
DIE GESCHICHTE ENTSPRINGT MEINER FANTASIE,
doch ich habe durch umfangreiche Recherchen versucht, ihrem historischen, kulturellen, politischen und religiösen Hintergrund gerecht zu werden. Es gibt
allerdings einige Momente im Roman, an denen ich aus erzählerischen Erwägungen von der Überlieferung abweiche. Erwähnenswert sind folgende Divergenzen:
Herodes Antipas verlegte die Hauptstadt Galiläas von Sepphoris nach Tiberias etwa in den Jahren 18 bis 20 n. Chr. Im Roman fand dieser Umzug jedoch nicht vor dem Jahr 23 statt. Sepphoris, damals eine wohlhabende Stadt mit circa dreißigtausend Einwohnern, lag nur etwa vier Meilen von Nazareth entfernt, was viele Wissenschaftler zu der Annahme verleitet hat, Jesus habe Zugang zu einer kultivierten, hellenistisch geprägten und vielsprachigen Welt gehabt. Es wurden auch Mutmaßungen angestellt, Jesus und sein Vater Joseph, die beide als Schreiner und Zimmerleute tätig waren, hätten als Tagelöhner Arbeit in Sepphoris gefunden, das Herodes Antipas in Jesus’ Jugendjahren baulich umgestaltete. Unwahrscheinlich ist es jedoch, dass er Arbeit beim Bau des römischen Theaters fand, wie im Roman dargestellt, da dieses erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts und damit Jahrzehnte nach Jesus’ Tod erbaut wurde. Das Mosaik mit Anas Gesicht im Palast des Antipas wurde von einem tatsächlich existierenden Bild im Boden einer ausgegrabenen Stadtvilla in Sepphoris inspiriert. Bekannt als die Mona Lisa von Galiläa handelt es sich um die exquisite Darstellung eines Frauengesichts, die auf das dritte Jahrhundert zurückgeht.
Phasaelis, die erste Gemahlin von Herodes Antipas, war eine nabatäische Prinzessin, die heimlich zu ihrem Vater König Aretas zurückkehrte, als sie erfuhr, dass Antipas plante, Herodias zu seiner Frau zu nehmen. In genau welchem Jahr sie floh, ist strittig, doch ich bin mir fast sicher, dass ich diese Flucht um mehrere Jahre zu früh angesetzt habe.
In der christlichen Heiligen Schrift heißt es, Jesus habe vier namentlich genannte Brüder sowie mehrere, nicht genannte Schwestern gehabt. Ich hatte im Roman nur Platz für zwei Brüder und eine Schwester. Meine Darstellung des Jakobus fällt wahrscheinlich etwas harscher aus, als er es verdient, obwohl es laut Neuem Testament
vermutlich tatsächlich zu einem Zerwürfnis zwischen Jesus und seinen Brüdern kam, als Jesus in geistlicher Mission unterwegs war. Jakobus wurde nach dem Tode seines Bruders sein Anhänger und zentrale Gestalt der Jerusalemer Urgemeinde.
In der Heiligen Schrift begibt sich Jesus an den Jordan, um sich von Johannes dem Täufer taufen zu lassen, und geht danach direkt in die Wildnis, worauf sein Wirken beginnt. Mir hingegen gefiel die Vorstellung, Jesus habe nach seiner Taufe und dem Rückzug in die Wildnis mehrere Monate als einer von Johannes’ Gefolgsleuten verbracht. Obwohl nichts davon in der Bibel erwähnt wird, vermuten einige Gelehrte, dass Jesus wahrscheinlich einer von Johannes’ Anhängern und tief von ihm beeinflusst war, eine Annahme, die ich mir zu eigen machte.
Maria von Bethanien ist laut Neuem Testament die Frau, die Jesus kurz vor seinem Tod mit einem kostbaren Öl salbte und dafür von Judas getadelt wurde. Ich nahm mir die Freiheit, an ihrer Stelle Anas Freundin Tabitha die Salbung vornehmen zu lassen.
Im Roman eilt Ana zu Jesus, als er auf der Straße unter dem Gewicht des Querbalkens seines Kreuzes zusammenbricht. Die Szene beruht auf der seit alters her überlieferten, nicht in der Bibel beschriebenen Geschichte einer Frau namens Veronika, die zu ihm ging und ihm das Gesicht mit einem Schweißtuch abwischte.
Laut den Evangelien des Neuen Testaments traf Jesus erst in der Woche vor seinem Tod in Bethanien und Jerusalem ein. In Anpassung an den zeitlichen Rahmen des Romans habe ich seine Ankunft dort jedoch um einige Wochen vorverlegt.
Ich habe versucht, mich an die biblischen Schilderungen von Jesus’ Verurteilung, seiner Kreuzigung und Bestattung zu halten, obwohl davon nicht alle Eingang in dieses Buch finden konnten. Ob sie darin vorkommen oder nicht, hängt hauptsächlich davon ab, ob sie von Ana, der Erzählerin, miterlebt oder in Erfahrung gebracht werden. Im Roman begleiten Ana und eine Gruppe Frauen Jesus zur Hinrichtungsstätte, bleiben dort, während er gekreuzigt wird, und
bereiten ihn dann für die Bestattung vor. Die Evangelien schildern seinen Tod alle etwas anders, doch immer wird die Anwesenheit einer Gruppe Frauen bei der Kreuzigung erwähnt. Jesus’ Mutter Maria wird ebenso genannt wie Maria Magdalena, nicht erwähnt hingegen werden Salome, Jesus’ Schwester, und Maria von Bethanien, doch ich habe zwei andere Frauen durch sie ersetzt. Die Szene, in der die Frauen zusammen mit Jesus zu seiner Kreuzigung gehen, ist fiktiv.
Die Therapeutae sind keine Erfindung meinerseits, sondern eine klösterliche Gemeinschaft, die tatsächlich am Mareotis-See in Ägypten existiert hat und aus jüdischen Denkern und Denkerinnen bestand, die sich dem Gebet und dem Studium sowie einer hochkultivierten, allegorischen Auslegung der Heiligen Schrift widmeten. Während der Jahre, in der der Roman spielt, erlebten sie eine Blütezeit, und ihre Darstellung entspricht in vielen Details den Tatsachen. So fanden die Nachtwachen mit ihrem tranceartigen Singen und Tanzen tatsächlich alle neunundvierzig Tage statt, auch die heiligen Räume in den Steinhäuschen gab es wirklich, ebenso wie es weibliche Mitglieder gab, die sich der frommen Anbetung von Sophia, dem weiblichen Geist Gottes, verschrieben hatten. Allerdings spielten Askese und die fromme Versenkung in der Einsamkeit vermutlich eine weitaus größere Rolle in der Gemeinschaft, als ich es darstelle. Zwar erwähne ich im Roman das Fasten und den rituellen Rückzug aus der Gemeinschaft, schildere das Leben der Gruppe aber eher gesellig und körperfreundlich.
Donner: Vollkommener Verstand
ist ein tatsächlich existierendes Dokument, anonym verfasst, dem Einvernehmen nach von einer Frau; es geht auf die Zeit zurück, in der auch der Roman spielt. Es handelt sich um neun Papyrusseiten, die zu den berühmten Nag-Hammadi-Schriften gehören, welche im Jahre 1945 in einem Tonkrug im Hügelland oberhalb des Nils in Ägypten gefunden wurden. Im Roman ist die Verfasserin von Donner: Vollkommener Verstand
Ana, die den Text als Loblied auf Sophia schreibt. Die Passagen, die im Roman vorkommen, stammen aus dem Gedicht. Zwei Jahrzehnte habe ich
diesen Text wieder und wieder gelesen, voller Ehrfurcht für seinen provokanten, vieldeutigen, gebieterischen und geschlechterübergreifenden Ton. Die Vorstellung, dass es Ana ist, die diesen Text als ihr Opus magnum verfasst, machte mich schlicht und ergreifend glücklich.
AUS NAHELIEGENDEN GRÜNDEN
beschäftigt sich die Anmerkung der Verfasserin vor allem mit der Figur des Jesus, doch eigentlich gehört Das Buch Ana
keiner anderen als ihr. Eines Tages tauchte diese Frau in meinem Kopf auf, und ich konnte sie nicht ignorieren.
Ich sah Ana nicht nur als Frau von Jesus, sondern als Frau mit einer Aufgabe – eine Frau, die ihren Sehnsüchten folgt und auf der Suche nach der Weite in sich selbst ist. Und in meinen Augen war sie nicht nur eine Frau, die Jesus als Ehefrau zur Seite stehen konnte, sondern vor allem auch als seine Partnerin.
An dem Tag, als Ana in mein Leben spazierte, wusste ich außer ihrem Namen noch eines: dass sie sich am allermeisten eine Stimme wünschte. Wenn Jesus wirklich eine Frau hatte, und wenn die Geschichte sich genauso abgespielt hat, wie wir sie kennen, dann wäre sie die Frau in der Historie, die am deutlichsten zum Schweigen gebracht wurde, und die Frau, die am dringendsten eine Stimme brauchte, um sich Gehör zu verschaffen. Und diese Stimme habe ich versucht, ihr zu geben.