SO ZIVIL UND BEHARRLICH der Widerstand der Duala gegen die koloniale Praxis verlaufen wird, so zivilisiert ist der Ort, den sie für den Beginn ausgewählt haben, und so selbstbewusst ist auch ihre eröffnende Geste. Im Juli 1902 steigt August Manga Ndumbe Bell im Berliner Hotel Adlon ab. Zu seiner Delegation gehört sein Sohn Rudolf Duala Manga Bell, der ihn als Dolmetscher begleitet, und dessen ältester, vier Jahre alter Sohn Alexander. Der Oberhäuptling besucht die Kolonialabteilung und bittet zunächst um eine Audienz beim Kaiser, sodann um die Verleihung der Reichsangehörigkeit an sich selbst und seinen Sohn gemäß § 9 Abs. 1 Schutzgebietsgesetz: »Ausländern, welche in den Schutzgebieten sich niederlassen, sowie Eingeborenen kann durch Naturalisation die Reichsangehörigkeit von dem Reichskanzler verliehen werden.« Beides wird abgelehnt, immerhin erhält Manga Ndumbe die Erlaubnis, dem Kaiser anlässlich der Herbstparade des Gardekorps auf dem Tempelhofer Feld zu »huldigen«. Danach aber reicht er seine Klagen bei der Kolonialabteilung schriftlich ein, respektvoll, doch unmissverständlich. Er wolle, »um nachher im Stande zu sein, die Interessen der deutschen Regierung und meines Volkes besser zu wahren […], vertrauensvoll mehrere Gesuche um Abhülfe einiger Übelstände in Kamerun und Vorschläge zur Besserung im Interesse des besseren Verständnisses zwischen der Regierung und den Eingeborenen« vorbringen.
Ursprünglich haben sich die Duala die Wahrung ihrer Interessen in Berlin anders vorgestellt. Ihre Ratsversammlung, der Ngondo, hatte beschlossen, dass eine gemeinsame Delegation von Bell- und Akwa-Leuten nach Deutschland fahren sollte, um dort gegen die gemeinsam erlittenen Pressionen vorzugehen. (Als hätten die Leiden ein Ende, wenn nur der deutsche Kaiser von ihnen erführe.) Ein bedeutender Schritt, hatte die wirtschaftliche und politische Konkurrenz zwischen den Bell- und den Akwa-Leuten – die die Kolonialregierung durch Begünstigung mal der einen, mal der anderen Seite noch verschärfte – bisher ein gemeinsames Vorgehen doch meist verhindert. Inzwischen aber hat sich die Situation der Duala derart verschlechtert, dass sie fast alle vom wirtschaftlichen Niedergang bedroht sind. Das hat vor allem Gouverneur Puttkamer mit zwei Verordnungen erreicht. Die erste »Polizeiverordnung« vom 22. Mai 1895 war auf Anregung von Jantzen & Thormählen zustande gekommen. In der Bekanntmachung hieß es, deren Agent Gustav Conrau habe angezeigt, dass »die von Duala-Händlern angeblich als Elefantenjäger und dergleichen angestellten Weyleute« sich an Ausschreitungen beteiligten. Also wurde den Duala verboten, Leute aus dem Volk der Wey in Dienst zu nehmen, es drohten Geldstrafen bis zu 1000 Mark. Damit fehlten ihnen wichtige Arbeitskräfte. In der zweiten Verordnung wenige Wochen später war ihnen der Handel in ihrem Haupthandelsgebiet am Fluss Sanaga verboten worden. Für Zuwiderhandlungen drohte die Verordnung ebenfalls Geldstrafen bis 1000 Mark an, ersatzweise Haft »im Falle der Unbeibringlichkeit«. Vier Jahre später hatten die Hauptagenten der Handelsniederlassungen in und um Duala zum entscheidenden Schlag ausgeholt und vereinbart, für ein halbes Jahr keine Handelskredite (trusts) mehr auszugeben, um die gemeinsam festgelegten Kaufpreise für Rohprodukte und Verkaufspreise für wichtige Importartikel wie Schnaps und Tabak durchzusetzen. Ziel war, wie das Gouvernement dem Berliner Kolonialamt mitteilte, den Handelshäusern höhere Gewinne zu verschaffen. Den Unternehmen, die darüber hinaus versuchten, »durch Errichtung von Zweitfaktoreien im ganzen schiffbaren Gebiet des Kamerunflusses den Zwischenhandel der Dualas überhaupt zu umgehen«, hatte Puttkamer versichert, er werde »selbstverständlich […] Ungesetzlichkeiten der Dualas aus Anlass des gegenwärtigen Handelskampfes energisch entgegentreten«. Ein Jahr später hatte sich die Zahl der Niederlassungen von einundvierzig auf zweiundneunzig mehr als verdoppelt. Damit war der selbständige Zwischenhandel der Duala de facto vernichtet.
Doch noch immer waren die Duala ruhig geblieben. Überall setzten sich in Kamerun die Völker gegen die koloniale Herrschaft bewaffnet zur Wehr; hatte die Schutztruppe im Norden einen Aufstand niedergeschlagen, brach der nächste im Süden los. Nur in Duala, Gründungsort und wirtschaftliche Metropole der Kolonie, schwiegen die Waffen seit 1884. Im Mai 1899 hatte ein Brief aus London an den deutschen Kaiser die Verhältnisse in Duala mit deutlichen Worten beklagt. Geschrieben hatte ihn der junge schwarze Rechtsanwalt Henry Sylvester Williams, Gründer und Kopf der African Association (aus der später die Panafrikanische Kongressbewegung hervorging). Williams zählte etliche Beispiele auf für die Brutalität der deutschen Kolonialregierung und berief sich auf einen anonymen Informanten, der ihm die Situation in Duala geschildert habe: »In Kamerun werden Gesetze zugunsten der Europäer geschaffen und durchgesetzt, ungerecht für die Eingeborenen, d. h. es gibt ein Gesetz für die Deutschen und eines für die Schwarzen und Eingeborenen.« Ein Beamter der Kolonialabteilung hatte den kursivierten Satz am Rand des Briefes mit den Worten kommentiert, »auch noch nötig«, im Übrigen versicherte man Gouverneur Puttkamer aus Berlin, der Angelegenheit werde »selbstverständlich […] von hier aus keine weitere Beachtung zuteil werden«.
Die Häuptlinge der Bell und Akwa, Ndumbe Manga und Dika Akwa, waren in eine unhaltbare Lage geraten. Als Häuptlinge waren sie sowohl ihren eigenen Leuten als auch der Kolonialregierung verpflichtet. Sie erhielten vom Gouvernement eine Besoldung, als Gegenleistung erwartete man unbedingte Loyalität. Einerseits waren sie auf das Geld angewiesen, andererseits durften sie nicht riskieren, die Interessen ihrer Leute preiszugeben und so ihre Autorität zu verspielen. Da war das Gouvernement ihnen ungewollt mit einer Maßnahme zu Hilfe gekommen, die vor allem die Häuptlinge wirtschaftlich schädigen sollte, ihnen aber erlaubte, im Namen aller Duala zu protestieren. Am 12. Februar 1900 hatte das Gouvernement weiträumig die »Ausübung der Jagd mit Schusswaffen oder sonstigen Jagdgeräten« verboten. Dafür gab es gute Gründe. Die exzessive Jagd nach Elfenbein hatte die Elefantenbestände in Kamerun dramatisch reduziert. Doch galt auch hier nicht gleiches Recht für Deutsche und Afrikaner: Wer Jagdscheine kaufte, konnte das Verbot umgehen, an Duala aber wurden keine Jagdscheine verkauft. Der Verlust traf vor allem die Häuptlinge, die nach dem Gewohnheitsrecht von den zwei Elfenbeinzähnen eines von ihren Leuten erlegten Elefanten einen Stoßzahn erhielten. Das Jagdverbot war für sie ein Desaster, denn der Einnahmeausfall überstieg um ein Vielfaches die Höhe der Besoldung des Gouvernements. Doch betroffen waren alle. In dieser Lage hatte der Ngondo der Duala beschlossen, eine gemeinsame Delegation nach Deutschland zu schicken.
Da die Akwa das Reisegeld für Dika Akwa nicht rechtzeitig zusammenbekommen hatten, ist Manga Ndumbe ohne ihn mit seiner Bell-Delegation vorausgefahren. Ndumbe versucht, aus der Situation das Beste zu machen, für alle Duala, auch die Akwa, aber besonders für die Bell und in einigen wichtigen Punkten für sich selbst. Er kritisiert »die Ungewißheit, ob manche wichtige Verordnung vom Auswärtigen Amt in Berlin ausgehen, oder Willkür der ansässigen Beamten in Kamerun sind«, wie beispielsweise die vom Gouvernement befohlene Pflichtablieferung von Ochsen zu stark herabgesetzten Preisen, das Handelsverbot im Sanaga-Gebiet und die »seit einigen Jahren ausgeführte Prügelstrafe bei jeder geringen Veranlassung«. Er rügt die Willkür von Beamten und Soldaten und beklagt Strafen wie »das Abrasieren der Kopfhaare und des Bartes und Ablegen der Kleider bei kleinen Vergehen«. Er regt regelmäßige direkte Zusammenkünfte des Gouverneurs mit den Häuptlingen an, plädiert für die »schnellere Erledigung von Klagen, Beschwerden und Gerichtsangelegenheiten« und fordert »das Verbot des Müßiggangs von jungen Kamerunern« sowie die Bestrafung der Soldaten für Ausschreitungen. Und er schließt mit drei persönlichen Ersuchen: erstens die Erlaubnis zur Elefantenjagd (»Dieselbe ist meine einzigste lohnende Einkunftsquelle, ohne dieselbe bin ich nicht mehr im Stande, Leute anzustellen und zum Arbeiten anzuhalten.«), zweitens die Erlaubnis, seine Faktorei in Edea fortzuführen, und drittens die Gewährung des »Privilegiums, in wichtigen Angelegenheiten direkt mit dem [Auswärtigen Amt] in Berlin verhandeln zu können.«
Als die Petition einige Wochen später Gouverneur Puttkamer in Berlin vorgelegt wird, erregt er sich über ihren »frechen Ton« und über die Anmaßung ihres Verfassers: »Nicht Manga, sondern der Gouverneur hat die Interessen der Regierung und der Duala zu wahren.« Für Manga Ndumbe komme nur eine Antwort in Betracht: Er habe seine Forderungen nicht in Berlin, sondern im Gouvernement Kamerun vorzutragen. Puttkamer hat zwar kein Verständnis für die Wünsche der Duala, aber ein sehr klares Verständnis von den Grundlagen kolonialer Praxis. Ihm ist bewusst, dass Verhandlungen zwischen den Vertretern der Duala und dem Berliner Kolonialamt nicht nur seine eigene Autorität gefährden, sondern auch einen Grundpfeiler kolonialer Herrschaft: die strikte Unterordnung der Kolonialbevölkerung und das Verbot jeglichen Widerspruchs. Deshalb schreibt Puttkamer an die Kolonialabteilung: »Jede direkte Antwort durch die Kolonialabteilung würde unhaltbare Zustände herbeiführen, die Autorität des Gouverneurs schwer schädigen und unausweichlich in Bälde zu einer schweren Bestrafung Mangas führen«. Erst nach langem Zögern gibt Puttkamer dem Drängen der Kolonialabteilung nach und erlaubt Manga Ndumbe immerhin wieder die Elefantenjagd, verspricht ihm die Prämierung herausragender Erfolge in der Viehzucht oder im Ackerbau und Maßnahmen zur »Unterbindung des Müßiggangs arbeitsfähiger Leute«. Alle anderen Forderungen weist Puttkamer unter Strafandrohung zurück: »Die Erlaubnis, unmittelbar an das Auswärtige Amt in Berlin zu schreiben […] hat sonst Niemand hier außer mir […] Wer zuwiderhandelt, wird bestraft.« Manga Ndumbe wird Puttkamer nie wieder als Petent belästigen.
Als Dika Akwa – auch er in Begleitung seines ältesten Sohnes, Mpondo, und einiger anderer Akwa-Leute – wenige Wochen später in Berlin eintrifft, versichert ihm Manga Ndumbe, alles sei bestens geregelt, er habe die Beschwerden auch im Namen der Akwa vorgetragen und Dika Akwa werde demnächst einen Bescheid aus Berlin erhalten. Aber sein alter Konkurrent traut ihm nicht und begibt sich mit seiner Delegation in die Kolonialabteilung. Dort empfängt ihn ein ahnungsloser Beamter, der ihn anhört, beruhigt, mit freundlichen Worten entlässt und das Gespräch für so unbedeutend hält, dass er auf eine Aktennotiz verzichtet. Erst einige Jahre später, als die Akwa-Leute nachdrücklich daran erinnern, wird ihm wieder einfallen, dass Dika Akwa im August 1902 in seinem Dienstzimmer gegen die Unterdrückung der Duala protestiert hat, gegen all das, worüber vor ihm auch schon an höherer Stelle Manga Ndumbe geklagt hat. Nur in einem Punkt unterscheidet sich die Petition Dika Akwas von jener Manga Ndumbes: Die Akwa protestieren gegen die Bevorzugung Manga Ndumbes durch die deutschen Behörden. Als größter Erfolg für die Akwa wird sich nicht erweisen, was sie aus Deutschland mitnehmen, sondern wen sie dort lassen – Mpondo Akwa, Dika Akwas Sohn.
Kurze Zeit glauben die Duala, die Reise habe sich gelohnt. Immerhin sind sie in Berlin empfangen und angehört worden, und die Deutschen haben auch einige Zusagen gemacht. Noch mächtiger als das übermächtig wirkende Gouvernement scheint also das Kolonialamt in Berlin zu sein. Bald nach der Rückkehr Manga Ndumbes und Dika Akwas kommt es zu einer Flut von Beschwerden beim Gouvernement. Puttkamer sieht seine Befürchtungen bestätigt: »Frechheit und Unbotmäßigkeit machen sich in allen Kreisen des Stammes immer breiter, die unglaublichsten Lügen über heimische Verhältnisse und Personen werden verbreitet in der klaren und bewußten Absicht, die Autorität des Gouvernements zu untergraben.« Doch schon bald gelingt es dem Kolonialamt, den Gouverneur zu beschwichtigen. Es stellt die »Einführung der geplanten Kopfsteuer« in Aussicht, die werde für den »Übermut der Duala eine starke Dämpfung« sein. Und tatsächlich droht die von Puttkamer am 1. Juli 1903 festgesetzte Kopfsteuer die wirtschaftliche Lage der Duala noch einmal derart zu verschlechtern, dass sie sofort mit passivem Widerstand reagieren. Viele setzen sich in ihre Handelsniederlassungen im Hinterland ab. Weil das Gouvernement 1903 nur zwei Drittel des kalkulierten Ertrags eintreiben kann, ein Jahr später sogar nur die Hälfte, stellt es von der Kopf- auf eine Hüttensteuer um, von der es sich eine größere Effizienz verspricht.
Die Bemühungen der Duala in Berlin waren also nicht nur erfolglos, vielmehr droht ihre Lage aussichtslos zu werden. Das gilt vor allem für die Akwa, die Puttkamers kolonialpolitische Visionen jetzt am eigenen Leib zu spüren bekommen. Im Herbst des Jahres 1904 schreibt der alte Dika Akwa seinem in Altona lebenden Sohn einen Brief: »Ich setze Dich, lieber Sohn, hierdurch in Kenntnis, dass das Gewitter mein Haus bedenklich ins Schwanken bringt. Wenn Gott, der Allmächtige, nicht hilft, so weiß ich nicht, was aus dem Hause werden wird. Das Land ist jetzt in sehr starker Gärung wegen der schlechten Regierung und der Quälerei des Gouverneurs Puttkamer […] Puttkamer vermehrt nur noch die schlechte Behandlung, welche das Land sicher in Aufstand bringen kann, mit jedem Gottestag. Fürwahr, mein Sohn, das ganze Land hat jetzt nur noch den einen Wunsch: lieber den Tod. Denn die schlechten Behandlungen sind jetzt übermäßig […] Das Land verlangt jetzt, daß wir wegen der übermäßig schlechten Behandlung von seiten des Puttkamer, und selbst wenn wir ausgerottet werden sollten, das Gouvernement bekriegen. Ich aber als Kopf des Landes, welcher sein Land freiwillig unter den Schutz Seiner Majestät des Kaisers gestellt hat, sowie meine sämtlichen Großhäuptlinge werden nie und nimmer die Einwilligung zu einem Kriege geben.«