VI.

GRETE ZIEMANN LIEBT die »lustige Rikschafahrt« durch Duala. Rikschas sind, schreibt sie, »jene kleinen indischen zweiräderigen Wagen, die entweder von einem Pferde oder in Ermangelung dessen hier zu Lande von einem oder mehreren Schwarzen gezogen werden. Sie fahren sich sehr leicht und federn vorzüglich […] ein Neger läuft vorne in der Gabel, zwei schieben von hinten.« Manchmal wird sie »zur Sicherheit« von einem schwarzen Schutztruppensoldaten »mit dem sehr passenden Namen ›Afrika‹« begleitet: »Die hier angestellten Neger waren Kriegsgefangene.« Grete Ziemann, die ihrem Bruder, dem Regierungsarzt und Tropenmediziner Hans Ziemann, den Haushalt führt, lebt erst kurze Zeit in Duala. Es gefällt ihr. Tatsächlich ist der Ort in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts nicht wiederzuerkennen, kein Vergleich mit der Ansammlung einfacher Hüttendörfer in Mangroven- und Urwaldlandschaft, die Duala 1884 darstellte. Wenn sich Grete Ziemann mit der Rikscha durch Duala fahren lässt, dann durchquert sie eine Stadt mit breiten und mit gelbem Kies bestreuten Straßen: »Flußaufwärts folgen sich die einzelnen Stadtteile so, daß von Süd nach Nord zuerst die Soldatenstadt mit Schießplatz und dem mehr landeinwärts gelegenen Togo- und Lagosviertel kommt, dann die sogenannte Joßplatte […], auf der das Kasino, alle Beamtenwohnungen und auch das Hospital liegen, sozusagen also der vornehme Stadtteil. Daran schließt sich Bellstadt, in der Duala-Sprache Bonanjo genannt, mit dem für Afrika wirklich ganz imposanten und orientalisch anmutenden Palast des Oberhäuptlings oder, wie er sich selbst am liebsten nennt, King Manga Bell. Sämtliche Stilarten begegnen sich in diesem Negerbau. Dann folgt Aquastadt oder auch Bonaku, in dem King Aqua seinen wenig einflußreichen Herrscherstab schwingt, ferner jenseits der Schlucht Deidostadt oder Bone-bela, d. h. auf deutsch die ›schönen Wohnungen‹. Auf dem linksseitigen Ufer, Bonaku gegenüber, gibt es noch ein Stückchen Duala, Hickori oder Bonaberi benannt. Hinter allen diesen Plätzen beginnt dann unmittelbar der sogenannte ›Busch‹, durch den zum Teil nur schmale Negerpfade zu den Eingeborenendörfern des Inlandes bzw. ihren Farmen führen. Die Stadt, welche die stattliche Zahl von ca. 19000 Einwohnern zählt, und ihre Umgebung bis zu etwa 30 km liegen in einer Ebene […] Die große Mehrzahl der Eingeborenen wohnt, wie die meisten Bantus, in rechteckigen, langgestreckten, niedrigen Mattenhütten, die aus den Blättern der Weinpalme hergestellt werden.«

Duala boomt. Es ist nicht nur Wirtschaftsmetropole Kameruns und aufstrebende Hafenstadt, sondern sogar für Europäer inzwischen ein bewohnbarer Ort. Zwar leben hier nicht mehr als zweihundert Deutsche, aber sie wohnen durchaus komfortabel in aus Deutschland importierten Fertighäusern: Stahlskelett mit Gips- oder Betonsteinwänden im Erdgeschoss, Holzfachwerk im Obergeschoss, mit Wellblech gedeckt und wegen der Fäulnisgefahr und der vielen Schädlinge auf Pfeilern oder Sockelfundamenten aus Betonsteinen errichtet. Nicht jeder wohnt so luxuriös wie die Schwester des Regierungsarztes, die mit ihrem Bruder ein Haus »im indischen Bungalowstyl« teilt, vier Zimmer, Bad, Garten, »Küche, Dienerstube und Vorratskammer sind neben dem Hause, desgleichen Hühner- resp. Truthahnstall«. Sieht sie von ihrer Veranda nach links, fällt ihr Blick auf das Regierungsgebäude mit Park und Tennisplatz, das älteste Steingebäude Dualas, in dem sich inzwischen das Bezirksamt befindet. Dreht sie sich um, hat sie das »große, völlig massive Europäer-Hospital« vor sich und dahinter, recht weit entfernt, das »sehr schöne Farbigen-Hospital« in Akwa-Stadt. Eine Postkarte bestätigt den Eindruck Grete Ziemanns. Sie zeigt als Motiv das ansehnliche »Kaiserl. Regierungshospital für Eingeborene m. Leichenhalle – Duala«.

Nicht einmal der von Puttkamer lange geplante Umzug des Regierungssitzes in das mehr als fünfzig Kilometer entfernte Buea im Jahr 1901 hat den Aufschwung Dualas dauerhaft gebremst. Die Vorteile liegen für den Gouverneur auf der Hand: »Reine, klare Bergluft in fast 1000 Meter Höhenlage, kühle, erfrischende Nächte, welche gar keine Tropennervosität aufkommen lassen – die Temperatur sank morgens und abends nicht selten auf + 15–16 °C – keine Stechmücken, keine Malaria.« Allerdings sind auch die Nachteile offensichtlich. In den ersten Jahren gibt es keine Telefonverbindung zwischen Buea und Duala, was die Arbeit der Kolonialverwaltung spürbar behindert. Und auch wenn Puttkamer darauf verweist, dass nicht nur er, sondern ebenso die Beamten, deren Frauen und Kinder vom Umzug nach Buea gesundheitlich profitieren, wird in Berlin betroffen registriert, dass Puttkamer die in seiner Personalakte bereits vermerkte Verschwendungssucht bei dieser Gelegenheit uneingeschränkt bestätigt: »Das Charakteristische des Puttkamerschen Charakters war von jeher ein großer Leichtsinn und eine bodenlose Bummelei in Geldsachen. Über die Quantität der von ihm angebundenen Bären könne eine Auskunft nicht gegeben werden, wohl aber über die Ubiquität.« Mit dem Bau in Buea hat sich Puttkamer darin selbst übertroffen. In Berlin hatte er Geld für den Bau eines »Hauses« mit acht Zimmern plus Möbel beantragt. Entstanden ist ein Schloss im wilhelminischen Stil mit Tennisplatz (»auf dem nun die Beamten in ihren freien Stunden einem gesunden Sport huldigen können«), ertragreichen Nutzgärten (»Hier gedeihen Spargel, Gurken, Rettich, Radieschen und Erdbeeren.«) und Parkanlagen mit Blumenbeeten, Schwerpunkt Rosen: Gloire de Dijon, Maréchal Niel, Souvenir de la Malmaison, La France, Perle de Lyon, Sunset, Camoens, Franziska Krüger, Grace Darling, Beauté de l’Europe, General Jaquinot, Safrano, Centifolia. Zwar kann auch Puttkamer nicht bestreiten, den für den Bau des neuen Regierungssitzes bewilligten Etat gesprengt zu haben, aber das hält er für ein generelles, nicht ihn persönlich betreffendes Problem: »Mit diesen Etatüberschreitungen hatte es damals in Kamerun überhaupt eine eigene Bewandtnis. Dass sie vorkamen, lässt sich ja leider nicht bestreiten; aber durch wessen Schuld? Ich habe mir sagen lassen, dass Voranschläge für Neubauten auch in Deutschland fast regelmäßig überschritten werden, weil nur zu häufig unvorhergesehene Ereignisse den Bau stören oder verzögern. Wieviel mehr aber ist das in Afrika der Fall.« Bald macht in Berlin das Gerücht die Runde, Puttkamer habe, offenbar um die Etatüberschreitung ein wenig zu beschränken, rechtswidrig Mittel abgezweigt und Geld, das für den dringend notwendigen Wegebau in Kamerun und »andere Kulturzwecke« vorgesehen war, für den Bau seines Schlosses verwendet. Der SPD-Politiker August Bebel findet im Reichstag klare Worte: »Für Kulturzwecke wurde das Geld nicht verwandt, es wurde also unterschlagen.«

Der Ärger in Berlin beeindruckt den Schlossherrn nicht. Er sieht mit »einiger Befriedigung« auf die Entwicklung seiner Kolonie, vor allem aber auf die Entwicklung Dualas. Er ist eitel, genusssüchtig und selbstverliebt, aber durchaus in der Lage, die Leistung anderer anzuerkennen. So räumt er freimütig ein, dass sich der Aufstieg Dualas nicht ihm, sondern vor allem dem dortigen Bezirksamtmann Eduard von Brauchitsch verdankt. Puttkamer hat ihn 1899 eingesetzt »in Anerkennung seiner reichen Erfahrung, seines praktischen Blicks und seines feinen Verständnisses für den Charakter der Eingeborenen.« Brauchitsch habe, lobt Puttkamer, aus den »schmutzigen und verkommenen Dualadörfern allmählich eine tadellos reinliche Stadt mit geraden breiten Straßen und weiten luftigen Plätzen geschaffen; fast ohne Mittel und ohne Anwendung von Gewaltmaßregeln hat er dies Wunder mit den faulen und widerwilligen Duala lediglich durch seinen persönlichen Einfluss zustande gebracht.« Mit der Sanierung Dualas hatte Brauchitsch 1902 begonnen. Der Anlage von Straßen und Plätzen standen die Hütten der schwarzen Einwohner im Wege. Anfangs hatten Manga Ndumbe und Dika Akwa dem Abriss der Hütten in Erwartung von Entschädigungen zugestimmt. Und tatsächlich hatten die Bell-Leute für die Umlegungen ihrer Siedlungen Geld erhalten. Als dann jedoch die Hütten der Akwa abgerissen wurden, hatte Brauchitsch zunächst verfügt, nur noch ein Drittel der Abfindung auszuzahlen und den Rest einem Fonds zur besonderen Verwendung zuzuführen. Dann hatte er unter dem Vorwand, die Akwa hätten die Fristen für den Abbruch der Hütten nicht eingehalten, die Anweisung erteilt, »dass in Hinkunft eine Entschädigungssumme nicht mehr gezahlt, sondern eine Ordnungsstrafe verhängt werden würde«. Hatten die Eigentümer der Hütten dem Befehl zum Abriss nicht Folge geleistet, waren die Hütten gewaltsam entfernt worden. Auch für verwüstete Felder und abgeholzte Fruchtbäume hatte Brauchitsch eine Entschädigung verweigert.

In dieser Situation schreibt der alte Dika Akwa 1904 seinem Sohn Mpondo in Altona den verzweifelten Brief. Mpondo ist nach dem Berlin-Besuch seines Vaters in Deutschland geblieben, um Geschäftsverbindungen für die Akwa aufzubauen. Er ist darauf bestens vorbereitet: Schon als Kind wurde er 1888 von seinem Vater auf die Rektoratsschule in Paderborn geschickt, dann Privatschule in Rheindahlen, Volontariat in einer Kieler Handelsfirma, Übertritt zum katholischen Glauben, von Anfang an als »Prinz«, »Kronprinz«, »Königliche Hoheit« herumgereicht in den allerersten Kreisen, Attraktion der jungen adligen Damenwelt, Dauergast des Grafen Praschma in Schlesien, Einladung zu Treibjagden; einmal führte er sogar – wie sein Strafverteidiger später vor Gericht beteuern wird – eine Prinzessin von Schleswig-Holstein als Tischdame zur Tafel. 1893 war er nach Kamerun zurückgekehrt und hatte gegen den Widerstand seines Vaters versucht, in Deutschland angeeignete Reformideen über Sklaverei und Ehe in seiner Heimat durchzusetzen. Mpondo Akwa hat also einige Erfahrung und hält sich für einen profunden Kenner der Deutschen. Auf den Brief seines Vaters antwortet er mit dem Rat, er möge sich mit einer Beschwerde an den Reichskanzler oder den Kaiser wenden, denn eine solche Behandlung werde bestimmt weder vom deutschen Volk noch von der deutschen Regierung gewünscht. Der Sohn schätzt die deutsche Kolonialmacht also genauso falsch ein wie der Vater. Beide glauben, die Verantwortung für ihre desolate Lage trage allein das Gouvernement unter Puttkamer, Kaiser und Volk aber stünden auf ihrer Seite.

Dika Akwa zögert. Den Ausschlag gibt schließlich nicht Mpondos Brief, sondern die Inhaftierung Dika Akwas. Max Esser, der Freund Puttkamers und Direktor der Westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft Victoria, hat ihn angezeigt. Esser hatte Dika Akwa 500 Mark für jede Ölquelle versprochen, die er »durch seine Leute zeigen läßt«. Dika Akwa hatte ihm drei Quellen im Bassa-Gebiet östlich Duala gezeigt und dafür 1500 Mark erhalten. Sofort danach aber hatte ihn Esser beim Bezirksamt angezeigt, weil er in dem betreffenden Gebiet angeblich nicht zur Inanspruchnahme von Prämien berechtigt gewesen sei. Zwar hatten zwei Bassa-Häuptlinge bestätigt, Dika Akwa habe sich korrekt verhalten und mit ihnen – wie es das Gewohnheitsrecht verlange – die Prämien geteilt. Bezirksamtmann Brauchitsch aber hatte Dika Akwa wegen Unterschlagung zu fünf Monaten Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt.

Nach seiner Entlassung ist Dika Akwa zum Handeln entschlossen. Er beruft mehrere Versammlungen der Häuptlinge und Unterhäuptlinge der Akwa ein. Es wäre von Vorteil, wenn die Bell-Leute sich erneut mit den Akwa verbündeten, aber Manga Ndumbe zeigt Dika Akwa die kalte Schulter. In einem Brief an das Gouvernement distanzieren sich einige Bell-Obere ausdrücklich von Dika Akwas Aktion, dessen Protest sei »ganz unbegründet«. Die Akwa erarbeiten eine Petition auf Duala und in deutscher Übersetzung, in vierfacher Ausfertigung von achtundzwanzig der angesehensten Vertreter der Akwa unterzeichnet. Ein Exemplar behält Dika Akwa, drei werden nach Deutschland geschickt: eins an den Reichstag, eins an den Reichskanzler und eins an Mpondo Akwa, der zugleich die Vollmacht bekommt, die Akwa gegenüber dem Reichstag und der Regierung zu vertreten. Am 5. September 1905 erreicht die Petition Berlin.

Ihre Einleitung (»An den allerdurchlauchtigsten allergnädigsten deutschen Reichstag Berlin«) ist die Generalabrechnung mit der deutschen Kolonialpolitik in Kamerun, der zweite Teil eine detaillierte Auflistung kolonialer Verbrechen unter Gouverneur Jesko von Puttkamer. Die Petition sei geschrieben worden, um »unsere hohen Herren des ›deutschen Reichstag‹ in Kenntnis über sämmtlichen Unfug [zu setzen], der durch das Kaiserliche Gouvernement von ›Kamerun‹ unter Leitung des Herrn Gouverneur v. Puttkamer hier bei uns verübt wird, besonders, was er bisher an unseren ›King‹ und Häuptlingen und dem ganzen Volke gethan hat […] damit dortseits befohlen sein möchte, dass zur Vermeidung etwaiger Unregelmäßigkeiten, die Quälereien des hiesigen ›deutschen Gouvernements‹ an uns und unserem ›King‹ ein Ende nehmen möchten.« Die Unterzeichner warnen angesichts derartiger Behandlung vor »Unruhe im Lande«, wie »andere ungebildete Völker es gleich gemacht hätten«, doch beteuern sie ihre Kooperationsbereitschaft. Die ist jedoch mit der Erfüllung einiger Wünsche verknüpft: »Den Herrn Gouverneur v. Puttkamer, dessen Richter, Bezirksamtmänner, kurz seine Regierungsbesatzung wollen wir nicht mehr hier haben. Sämmtliche jetzige Gouvernementsbeamten des Schutzgebiets ›Kamerun‹ bitten wir fort räumen zu wollen, denn ihre Regierung führen sie nicht gut, sie sind nicht gerechtfertigt, ihre Art und Weise explotieren [sic] das Land.«

Insgesamt bringen die Akwa vierundzwanzig Beschwerdepunkte vor. Sie beklagen sich über die rechtswidrige Zerstörung ihrer Häuser und Hütten, über Zwangsarbeit ohne Entschädigung, exzessive Prügelstrafen, Steuerzwang, über den Missbrauch der Amtsgewalt und die Verletzung des Vertrags vom Juli 1884. Dann legen sie im Einzelnen die Verbrechen dar, derer sie die Beamten des Gouvernements beschuldigen: Auf einer von Brauchitsch im Streit um die Kopfsteuer einberufenen Versammlung hätten zwei angesehene Männer erklärt, »daß das Volk nicht im Stande sei, Steuer zu zahlen«, und dass die Einführung der Steuer »bei unserem vermögenslosen Volk blutige und mörderische Zänkereien« hervorrufen könnte. Brauchitsch habe beide Männer daraufhin wegen »öffentlicher Aufforderung zum Ungehorsam gegen obrigkeitliche Anordnung sowie wegen Aufhetzens gegen die Regierung« zu fünf Jahren Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. In einem anderen Fall soll er auf einer Versammlung der Häuptlinge und Familienoberhäupter sechzig Personen festgenommen und acht Tage bei Zwangsarbeit ins Gefängnis sperren lassen, weil deren Familienangehörige ihre Steuern nicht bezahlt hätten. In einem weiteren Fall habe ein englischer Kaufmann ein Dutzend Duala als Ruderer engagiert und den Steuermann des Kanus erschossen, weil sie angeblich zu langsam ruderten. Als der Täter von einem deutschen Richter nur zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde und das Familienoberhaupt des Ermordeten gegen das milde Urteil protestierte, habe Brauchitsch erwidert, »ein Europäer könne nicht zum Tode verurtheilt werden, wenn er einen schwarzen Duala in irgend welcher Weise um das Leben gebracht hat«. Auch herrsche seit dem ersten Gouverneur die »schreckliche Gewohnheit«, Menschen für jedes geringe Vergehen »mittels einer Seekuhpeitsche oder eines dicken in Kohlenteer eingetauchten und im scharfen Sande umgewühlten und steifgetrockneten Taus ohne Rücksicht der Person mit 25 Hieben« zu peitschen, öfters sogar mit fünfundsiebzig Hieben in drei Raten. Schließlich geht es um den »schändlichen Gebrauch der Amtsgewalt« durch zwei hohe Beamte: »2 junge eingeborene Mädchen, welche bereits von 2 jungen eingeborenen Männern verlobt waren […] wurden zu unserem Schrecken im Laufe dieses Monats von den höchsten Beamten des hiesigen deutschen Gouvernements gewaltsam von den Eltern wucherisch abgekauft und zu Frauen geheiratet.« Das eine Mädchen sei von »Herrn Oberrichter Dr. Meyer« in Buea für 650 Mark gekauft und geheiratet worden, das zweite Mädchen für denselben Preis von Bezirksamtmann Eduard von Brauchitsch: »Die Regierung des Gouverneurs v. Puttkamer und deren Beauftragten ist geradezu eine Schande für das hochlöbliche Deutsche Reich.«

Als ahnten die Petenten, was über sie hereinbrechen wird, bitten sie ausdrücklich, »die sämmtlichen hiesigen Beamten des Gouvernements sofort zu räumen, damit sie nicht vor Angst vor der ihnen bevorstehenden gerechten Gerichtsbarkeit noch etwas Arges, das unseren gewünschten Frieden bricht, anrichten.« Die Akwa kennen vielleicht nicht den deutschen Kaiser und nicht die deutsche Regierung, aber sie kennen Gouverneur Jesko von Puttkamer. Nützen wird es ihnen nichts.

Eine Woche später leitet die Kolonialabteilung die an den Reichskanzler adressierte Eingabe an Puttkamer zur Stellungnahme weiter. Berlin führt keine eigene Untersuchung, sondern überlässt es dem Gouverneur, über den Fortgang der Sache zu entscheiden. Drei Monate später trifft der Bericht Puttkamers ein. Die Eingabe, schreibt er, sei ein »äußerst gefährliches Zeichen der Zeit«. Er verweist auf den Aufstand der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika seit 1904 und auf den Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika seit Juli 1905 – beide haben für die deutsche Kolonialherrschaft bedrohliche Ausmaße angenommen und werden mit äußerster Brutalität unterdrückt –, angesichts derer er nicht weiter erläutern müsse, »dass wir in unseren Kolonien unter den jetzigen Verhältnissen auf einem Pulverfaß sitzen«. Daher sollten jeder Funke »unnachsichtlich gelöscht« und die Rädelsführer verurteilt oder »für wenigstens 10 Jahre« verbannt werden: »In der Lösung der hohen Kulturaufgaben, welche wir uns gestellt haben, dürfen wir uns durch kleinliche Rücksichtnahme auf derartig tiefstehende Elemente nicht aufhalten lassen«. Im Übrigen, schreibt er in einem anderen Bericht, sei er der Ansicht, »der Duala-Stamm sei so hoffnungslos verdorben, dass man ihn ausrotten […] müsse.«

Nach Beratung mit dem beschuldigten Oberrichter Oskar Meyer und dem stellvertretenden Schutztruppenkommandeur verfügt Puttkamer, die Unterzeichner der Petition unter Anklage zu stellen. Der stellvertretende Bezirksamtmann Lämmermann wird mit der Voruntersuchung gegen Dika Akwa und seine Leute wegen des Verdachts des Hochverrats, der öffentlichen Aufforderung zu Ungehorsam gegen die Obrigkeit, des öffentlichen Angriffs gegen Staatseinrichtungen und verleumderischer Beleidigung beauftragt. Alle Beschuldigten werden verhaftet, gegen den in Deutschland lebenden Mpondo Akwa ergeht Haftbefehl, seine Festnahme und Überführung hatte Puttkamer telegrafisch verlangt. Mpondo Akwa hingegen erbittet vom Reichskanzler die sofortige Freilassung seines Vaters und aller anderen Petenten, anderenfalls sei in Duala ein Volksaufstand zu befürchten – vergeblich. Zwar fordert der neue Kolonialdirektor Puttkamer dazu auf, das Verfahren bis zur Erledigung der Beschwerde einzustellen, aber das Gouvernement in Buea ist zu hartem Durchgreifen entschlossen. Am 6. Dezember 1905 ergeht Lämmermanns Urteil gegen »Oberhäuptling Dika Akwa und Genossen«. Vom Vorwurf des Hochverrats werden sie freigesprochen, wegen verleumderischer Beleidigung und Beleidigung jedoch verurteilt: neun Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit für Dika Akwa, für alle anderen Freiheitsstrafen mit Zwangsarbeit zwischen drei Monaten und sieben Jahren.

Unterdessen fahndet die Kriminalpolizei in Altona nach Mpondo Akwa. Sie durchsucht seine Wohnung, beschlagnahmt, öffnet und liest alle an ihn gerichteten Briefe und Telegramme. Neunzehn Jahre zuvor hat ein Woermann-Dampfer die von der Altonaer Firma Franz Schmidt hergestellten Bauteile für das dortige Gefängnis nach Duala transportiert. Dieses Mal, als das Schiff am 10. Februar 1906 in Hamburg nach Kamerun ablegt, fehlt die vom Gouverneur verlangte Fracht aus Altona. Mpondo Akwa ist der Polizei entkommen.