VIII.

DIE PROBLEME IN KAMERUN markieren die Krise, in der sich nicht nur die deutsche, sondern die europäische Kolonialpolitik nach der Jahrhundertwende befindet. Anfang 1904 schockiert Roger Casement mit seinem Bericht über das Terrorsystem im Kongo die Öffentlichkeit in den Kolonialmetropolen. 1905 verursachen Berichte über Folter und Zwangsarbeit in der französischen Kolonie Kongo auch in Frankreich einen Skandal. In Deutschland hatte bereits 1888/89 der Abushiri-Aufstand in Deutsch-Ostafrika die Öffentlichkeit aufgeschreckt, ein unter dem Kommando Hermann von Wissmanns blutig niedergeschlagener Versuch der ostafrikanischen Küstenbevölkerung, sich der Ausdehnung des Herrschaftsbereichs der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) über den zu Sansibar gehörenden Küstenstreifen des heutigen Tansania hinaus zu widersetzen. Mit der Niederschlagung war der Krieg gegen die Afrikaner nicht beendet – ihm folgten bis 1905 neben kleineren Vorstößen siebenundvierzig Feldzüge der deutschen Kolonialregierung. Seit 1905 befindet sie sich auch im Krieg mit der Bevölkerung im Süden Deutsch-Ostafrikas, die sich dem Landraub, der körperlichen Züchtigung und der Einführung der Kopfsteuer widersetzt. Der Maji-Maji-Aufstand, an dem sich etwa zwanzig Volksstämme beteiligen, kostet – genaue Zahlen liegen nicht vor – zwischen 70000 und 300000 Afrikanern das Leben. Ein Jahr zuvor, Anfang 1904 begann im Nordosten Kameruns der Anyang-Aufstand, eine weitere Erhebung im Süden der Kolonie folgte wenige Monate später. 1906 lehnen sich auch Bertua, Bimba, Mokbe, Bepol und die Njem-Ndsimu-Stämme gegen die deutschen Kolonialherren auf. »Die Gefahr einer Aufstandsbewegung«, meldet ein Schutztruppen-Hauptmann, »wächst im geraden Verhältnis mit der Überschwemmung durch Handelskarawanen. Es handelt sich nur noch um den Tropfen Wasser, der das Glas zum Überlaufen bringt.« 1904 begann in Deutsch-Südwestafrika der Widerstand der Herero, einige Monate später folgen die Nama. Kein anderer Kolonialkrieg der Deutschen findet in der Öffentlichkeit ein derart gewaltiges Echo, mit gravierenden Folgen für die Kolonial- und Innenpolitik.

Auch der Völkermord hat seinen Preis, der von zuständigen Gremien gebilligt und von den Steuerbürgern gezahlt werden muss. Ende 1906 ist die Vertreibung und Vernichtung der Herero und der Nama in Deutsch-Südwestafrika durch die deutschen »Schutztruppen« fast vollendet, von den etwa 80000 Herero haben 15130 (Volkszählung von 1911) und von 20000 Nama 10000 überlebt, als sich der Reichstag in Berlin mit den Kriegskosten befasst. Nur beim Budget haben die Abgeordneten mitzureden, im Übrigen liegt die Verantwortung für die deutsche Kolonialpolitik beim Kaiser und der Reichsregierung unter Kanzler Bernhard von Bülow. Als die Regierung im Sommer 1906 einen Nachtragshaushalt für den Krieg in Deutsch-Südwestafrika in Höhe von 29 Millionen Mark beantragt, nutzen die SPD und das katholische Zentrum im Dezember die Gunst der Stunde für eine Generalabrechnung mit der Kolonialpolitik.

Die Sozialdemokraten unter August Bebel haben sie von Anfang an verworfen: »Im Grunde genommen ist das Wesen aller Kolonialpolitik die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz.« (Bebel im Januar 1889) Das Zentrum hatte zwar nie grundsätzliche Einwände gegen die imperialistische Politik des Kaiserreichs unter Wilhelm II. formuliert. Doch seit immer mehr Kolonialverbrechen nicht nur in Deutsch-Südwestafrika, auch in Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika bekannt werden, immer mehr Berichte von den exzessiven Prügelstrafen in den »Schutzgebieten« die Runde machen, beklagen Zentrums-Politiker die koloniale Praxis. Neben Matthias Erzberger, der dem Kaiserreich ein »koloniales Fiasko« bescheinigt, tritt vor allem Hermann Roeren – Mitbegründer der katholischen Sittlichkeitsbewegung in Köln – als Gegner der Regierung im Reichstag auf. Sie breiten etliche Fälle von Veruntreuung, Folter und Mord vor den Abgeordneten aus, beispielsweise aus dem deutschen Schutzgebiet Togo den Fall des Leiters der Kaiserlichen Station Atakpame, Geo A. Schmidt. Er ist berüchtigt für seine Prügelorgien, wird der Vergewaltigung etlicher minderjähriger Mädchen beschuldigt und verdächtigt, Missionare der Steyler Mission, die gegen seine Amtsführung protestierten, willkürlich verhaftet zu haben. Zugleich wird durch sie bekannt, was Beamte der Kolonialverwaltung zu erwarten haben, die solche Verbrechen Reichstagsabgeordneten angezeigt haben, nachdem sie auf dem Dienstweg mit ihren Beschwerden gescheitert sind. Poeplau, Geheimer Sekretariats-Assistent in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, und Wistuba, Subalternbeamter im Dienst des Schutzgebiets Togo, wurden von ihren Vorgesetzten und der Reichsregierung mit einer Diffamierungskampagne überzogen und aus dem Dienst entlassen. In einem Strafverfahren wurde Poeplau außerdem zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, Wistuba bekam für die ersten fünf Jahre nach seiner Entlassung von der Disziplinarkammer immerhin zwei Drittel der Pension zugesprochen, weil er sich den »Keim seiner Krankheit« – jene geistige Störung, die heute als »Whistleblowing« bezeichnet wird – im Tropendienst geholt haben könnte. Auch Stationsleiter Schmidt verlor seine Position in Togo, wurde allerdings Stationsleiter in Kamerun. Das war in den Augen der Kolonialbeamten eine Beförderung, denn die Kolonie Kamerun war nicht nur größer als die Kolonie Togo, auch die Aufstiegschancen im Kolonialdienst waren dort bedeutend besser.

Jetzt aber stehen nicht nur einzelne Kolonialverbrechen auf der Tagesordnung, sondern der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Aufstand der Herero war eine Reaktion auf die immer rücksichtslosere Beschlagnahme ihrer Ländereien und auf die Brutalität und Willkür der deutschen Kolonialbeamten. Schon Jahre zuvor haben sich die Führer der Herero beim deutschen Gouverneur beklagt: »Wo sollen wir bleiben, wenn unser ganzer Fluss und alles Land uns abgenommen wird? […] Wir sehen mit Entsetzen, wie ein Platz nach dem andern in die Hände der Weißen übergeht, und bitten wir daher unsern geehrten Herrn Gouverneur untertänigst, doch keinen weiteren Verkauf hier im Gebiete des weißen Nossob zu genehmigen und alles Land, welches noch nicht verkauft ist, zu einem großen Hereroreservat zu machen.«

Der Aufstand der Herero ist kein Akt des Widerstands, sondern ein »Verzweiflungskampf« (Bebel) ums Überleben. Nach der Schlacht am Waterberg am 11. August 1904 war er entschieden. Unter der Führung von Generalleutnant Lothar von Trotha hatten die deutschen Truppen das am Waterberg versammelte Volk der Herero einzukesseln und zu vernichten versucht. Als das misslang, wurden die Herero zum Rückzug in die Omaheke, eine wasserlose Sandwüste, gezwungen. Von Trotha ließ ihre Wasserversorgung durch seine Soldaten unterbinden, und wer nicht in der Schlacht massakriert worden war, verdurstete in der Wüste. Monate später erließ von Trotha den berüchtigten »Vernichtungsbefehl«, deklariert als Aufruf an das Volk der Herero: »Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen […] Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Herero.«

Inzwischen hatten sich auch die – lange Zeit mit den Herero verfeindeten und mit den Deutschen verbündeten – Nama gegen die Kolonialherren erhoben. Auch sie wurden geschlagen und – die Kämpfe zogen sich bis März 1908 hin – weitgehend vernichtet. Der Krieg in Deutsch-Südwestafrika war der aufwendigste Militäreinsatz der deutschen Kolonialmacht. Seine Kosten beliefen sich allein für die Jahre 1905/1906 auf die damals ungeheure Summe von 129,1 Millionen Goldmark.

Ende des Jahres 1906 ist die Mehrheit des Reichstags nicht mehr bereit, den Krieg weiter zu finanzieren. Das Zentrum und die Sozialdemokraten, die zusammen 45,6 Prozent der Mandate halten, lehnen am 13. Dezember 1906 mit Unterstützung der nationalen Minderheiten (Dänen, Polen, Welfen, Elsass-Lothringer), die über weitere 10,1 Prozent der Sitze verfügen, den Nachtragshaushalt ab. Noch am selben Tag lässt Reichskanzler von Bülow das Parlament auflösen. Die Neuwahlen werden für den 25. Januar 1907 angesetzt. Den Ton, der den sofort einsetzenden Wahlkampf bestimmen wird, hat von Bülow in der letzten Reichstagssitzung vorgegeben: »Meine Herren, was haben andere Völker für Kolonialkriege geführt, Engländer, Franzosen, Holländer, und haben nicht mit der Wimper gezuckt! Soll sich das deutsche Volk kleiner zeigen, soll das deutsche Volk kleiner dastehen als andere Völker?«

Darum geht es. Die Sorge der Deutschen, im Scramble for Africa zu kurz zu kommen, im Spiel der Großen der Kleinste zu sein, hat die Kolonialpolitik des Kaiserreichs von Anfang an bestimmt. Deren Maxime hat Bülow, damals noch Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1897 formuliert: »Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.« Doch das Kaiserreich will nicht nur einen Platz an der Sonne, es will der Platzhirsch sein. Den Anspruch auf »Weltgeltung«, den das Reich seit der Jahrhundertwende durch den Flottenbau und seine Intervention in China zu untermauern versucht, sieht Bülow im Wahlkampf zweifach bedroht. Erstens durch die Sozialdemokraten und das Zentrum. Der Reichskanzler und die ihn tragenden Parteien – Konservative, Nationalliberale und Linksliberale (der sogenannte Bülow-Block) – polemisieren, mit ihrer Kritik an der Kolonialpolitik fielen SPD und Zentrum den in Deutsch-Südwestafrika kämpfenden »Söhnen des Vaterlandes« in den Rücken. Das Zentrum sei eher Vasall des Papstes als Diener des Reiches, die SPD hinreichend bekannt für ihre »vaterlandslose Gesinnung«, für die sie hier ein weiteres Beispiel gebe.

Die zweite Bedrohung stellen selbstverständlich die Herero und Nama dar. Obwohl die letzten Nama nur mehr um ihr Überleben kämpfen, steigen sie im Reichstagswahlkampf nicht nur zu »Räubern deutschen Eigentums« auf, zu wilden Tieren, die deutsche Frauen vergewaltigen und zu Tode martern, deutsche Säuglinge ermorden und Leichen deutscher Männer verstümmeln, sie geben den Reichstagswahlen 1907 sogar ihren Namen: »Hottentottenwahlen«. Die Herkunft des Schmähbegriffs ist unklar, vermutlich geht er auf ein niederländisches Wort für Stammeln, Stottern zurück. In Deutschland aber ist er ein Synonym für schwarze Bestien, die wehrlose deutsche Siedler – friedliche Boten der führenden europäischen Kulturnation – hinterrücks ums Leben bringen. Die Propaganda der Parteien des Bülow-Blocks schildert wochenlang die Greueltaten der als »Hottentotten« diffamierten Nama. Von den an ihnen und den Herero verübten Verbrechen, die den Aufstand erst ausgelöst haben, ist hingegen keine Rede.

Die Propaganda ist erfolgreich, und dank des Mehrheitswahlrechts und funktionierender Wahlabsprachen werden die Wahlen für den Bülow-Block zum Triumph. Für die Stichwahlen, bei denen sich in der Regel nur noch zwei Kandidaten gegenüberstehen, haben die Bülow-Block-Parteien vereinbart, jeweils den aussichtsreichsten Kandidaten aus ihren Reihen zu unterstützen. Diese Absprache gibt es zwar auch zwischen Sozialdemokraten und Zentrum, aber sie erweisen sich als wesentlich weniger effektiv. So kann die SPD bei der Wahl zwar rund 250000 Stimmen hinzugewinnen, verliert aber die Hälfte ihrer Mandate.

Trotz dieses Wahlausgangs ist jedem Beobachter klar, dass die deutsche Kolonialpolitik gescheitert ist. Reichskanzler von Bülow reagiert mit einem Kurswechsel und ernennt den liberalen Bankier Bernhard Dernburg 1907 als Staatssekretär zum Leiter des neu gegründeten Reichskolonialamts. Kern des Reformprogramms, das Dernburg, bis dahin Vorstand der Darmstädter Bank für Handel und Industrie und bekannt als erfolgreicher Sanierer, entwirft, ist die Erkenntnis, dass der Rücken eines afrikanischen Trägers oder Plantagenarbeiters ohne die blutigen Striemen der Nilpferdpeitsche belastbarer ist. Er setzt auf eine »rationale« Kolonialpolitik, die statt wie bisher mit »Zerstörungsmitteln« mit »Erhaltungsmitteln« arbeiten soll. Die »negererhaltende« Politik ist für Dernburg ein Gebot der Vernunft – die Sterblichkeitsrate auf den Plantagen in Kamerun liegt bei dreißig Prozent –, der »Eingeborene« das »größte Aktivum« in den Kolonien. »Kolonisation«, definiert Dernburg, »heißt Nutzbarmachung des Bodens, seiner Schätze, der Flora, der Fauna und vor allem der Menschen zugunsten der Wirtschaft der kolonisierenden Nation, und die ist dafür zur Gegengabe ihrer höheren Kultur, ihrer sittlichen Begriffe, ihrer besseren Methoden verpflichtet.« Ziel müsse es sein, die Kolonien mit einer rationalen Politik zu selbständigen, finanziell von der Metropole unabhängigen Wirtschaftsunternehmen zu entwickeln. Das erfordere den Anbau volkswirtschaftlich wertvoller Roherzeugnisse, die Förderung der »Eingeborenenwirtschaft« mit dem Ziel, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben und Konsumbedürfnisse in ihr zu wecken, und schließlich die Verbesserung der Infrastruktur, also den Bau von Straßen und von Eisenbahnen.

Für die Umsetzung seines Programms in Kamerun ist nach Ansicht Dernburgs der promovierte Jurist Theodor Seitz der richtige Mann. Zumindest hat er einschlägige Erfahrungen: Seitz war einige Zeit Puttkamers Stellvertreter und Bezirksamtmann in Duala. Dort wirken noch immer die von den Akwa-Prozessen ausgelösten Erschütterungen nach. Es wird genau registriert, dass Dernburg zwar einerseits beteuert, es sei »nicht zu verkennen, dass in verschiedenen Punkten die Handhabung der Verwaltung und der Eingeborenen-Rechtsprechung nicht gebilligt werden kann«. Andererseits sieht auch der Reformer Dernburg keinen Grund für strafrechtliche Konsequenzen. Damit ist klar, dass sich auch unter Dernburg ein entscheidendes Merkmal der deutschen Kolonialpolitik nicht ändern wird: Für deutsche Kolonialbeamte gilt deutsches Strafrecht, wird aber in Konflikten mit Afrikanern nur selten angewandt, für Afrikaner gilt hingegen das »Eingeborenenrecht«, das nicht gesetzlich verankert ist und willkürlich gehandhabt wird.

Dass ausgerechnet ein früherer Stellvertreter Puttkamers, unter dem die justizielle Willkür zum Exzess getrieben wurde, nun sein Nachfolger wird, ist keine gute Nachricht für die Duala, die befürchten, »unter ihm einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt zu sein wie unter Herrn v. Puttkamer«. Dika Akwa fragt in Berlin an, ob nicht statt Seitz der Jurist Otto Gleim als Gouverneur geschickt werden könne, obwohl der ebenfalls in dessen letzten Dienstjahren Puttkamers Stellvertreter war. Die Bitte wird als »ganz ungehörig« zurückgewiesen, aber Seitz ist gewarnt. Er kennt die angespannte Lage in der Kolonie und die schwierige wirtschaftliche Situation der Duala. Entsprechend vorsichtig beginnt Seitz mit der Arbeit. Auf der ersten Zusammenkunft mit den Duala sagt er zu, ihre Dorfschaften zu einer Stadtgemeinde mit einer – wenngleich schwachen – Selbstverwaltung zusammenzulegen, und er bietet die Freilassung der alten Akwa-Häuptlinge Dika Akwa und Muange Mukuri an, sofern sie keinen Widerstand mehr leisteten und sich für die Steuerzahlung der Duala verbürgten. Als die Häuptlinge das Angebot zurückweisen, geht Seitz noch einen Schritt weiter: Die Duala würden beim Verkauf von Grundstücken künftig den vollen Preis erhalten und bei Enteignungen den gleichen Preis wie die Europäer. Doch auch dieses verbesserte Angebot schlagen die Häuptlinge aus. Ohne von ihnen Zusicherungen bekommen zu haben, entlässt sie Gouverneur Seitz schließlich am 20. Dezember 1907. Doch droht er mit Verbannung, wenn sie in Zukunft noch einmal Widerstand leisten sollten.

Was bleibt, ist die Angst der Deutschen, die Duala könnten sich nicht länger mit Beschwerden begnügen, sondern zum offenen Widerstand übergehen. Der neue Gouverneur berichtet nach Berlin, die Duala agitierten im Hinterland gegen die Kolonialmacht. Immer öfter versuchten sie, »selbständige, von der deutschen Mission unabhängige Baptistengemeinden zu bilden, [die] ihre Anhänger im Wesentlichen unter den Anhängern des alten Akwa haben«. Mitglieder dieser Gemeinden seien »alle diejenigen Elemente […], welche die Europäer zunächst aus der kirchlichen Gemeinschaft, dann aber auch politisch ausschalten möchten. Diese Gemeinden stehen auch mit der farbigen Methodistenkirche in Amerika in Verbindung, von welcher der in Südafrika verbreitete Wahlspruch ›Afrika den Afrikanern‹ ausgeht.« Zwar sei die Bewegung derzeit noch nicht gefährlich, das könne sich aber angesichts der Verbreitung der Duala in einem großen Teil der Kolonie und ihres durch »die Akwa-Affäre krankhaft gesteigerten Selbstgefühls« schlagartig ändern, wenn »infolge einer wirtschaftlichen Krise ein größerer Aufstand im Süden des Schutzgebietes ausbrechen sollte.« Unter diesen Umständen, schreibt Seitz, halte er es »für unbedingt erforderlich, den Verlauf dieser Bestrebungen dauernd zu überwachen und den Duala endlich wieder zu zeigen, dass die deutsche Verwaltung auch noch für sie da ist«. Er kündigt an, die Duala zu zwingen, Träger zu stellen und Steuern zu zahlen.

Die Nervosität in Buea und Berlin nimmt zu, als Anfang 1908 in deutscher Sprache und auf Duala die erste Kameruner illustrierte Zeitschrift mit dem programmatischen Titel Elolombe ya Kamerun (»Sonne von Kamerun«) erscheint. Die zweiundfünfzig Seiten enthalten eine scharfe Kritik am deutschen Kolonialsystem, vor allem der Beitrag »Aus den Briefen eines ›Wilden‹«, in dem es heißt: »Gestern Nachmittag war ich auf der Erholungsstation Groß-Soppo. Der Prediger sprach von der gewaltsamen Befreiung der Kinder Israel aus den Händen Pharaos. Die Heilsbotschaft fordert jeden auf, sich von den Banden erlösen zu lassen, die uns so hartnäckig an das heutige Ägypten fesseln. Ja, das mächtigste Hindernis der Befreiung meiner Rasse ist zweifellos ihre eigene Ehrlosigkeit.«

Im Prinzip müsste Staatssekretär Dernburg zumindest für einen Teil der Kritik Verständnis haben. Die exzessive Anwendung der Prügelstrafe, gegen die die Autoren der Zeitschrift protestieren, widerspricht auch seiner Reformpolitik. Bis dahin wurde in Deutschland die Debatte über die Prügelstrafe in den Kolonien vor allem von der Frage beherrscht, welches Züchtigungsinstrument effizienter sei: der Kiboko, die Nilpferdpeitsche, oder das etwa sechzig Zentimeter lange Tauende, gemäß einer Verordnung »vor dem erstmaligen Gebrauch mittels eines Hammers oder Holzstücks weichzuklopfen«. Zwar lässt Dernburg diese Streitfrage am Ende offen, immerhin aber erlässt er im Juli 1907 eine Verfügung »betreffend die Anwendung körperlicher Züchtigung als Strafmittel gegen Eingeborene der afrikanischen Schutzgebiete«, mit der er eine Beschränkung der Prügelstrafe erreichen will. Damit folgt er lediglich der Einsicht, »dass eine Regierung nur prosperieren kann, wenn sie eine […] negererhaltende Politik einschlägt.« Das habe, betont Dernburg, mit »negerfreundlicher« Politik indes nichts zu tun.

Die Kameruner Zeitschrift stellt nicht nur die Prügelstrafe, sondern das gesamte deutsche Kolonialsystem in Frage. Dernburg hält sie schon deshalb für »bedenklich«, weil sich die »in der Duala-Sprache geschriebenen Artikel […] in Deutschland der Kontrolle entziehen«. Er beauftragt die Polizei in Hamburg, den Gouverneur in Buea und den Bezirksamtmann in Duala, den Herausgeber der Zeitschrift zu ermitteln. Das ist schnell geschehen. Verleger ist der junge Schriftsteller Hans Mahner-Mons in Hamburg, verantwortlicher Redakteur ist Tycho Albrechtsen, ein Pensionswirt in Altona, der alte Kontakte zum Hintermann und Organisator der Zeitschrift hat: Mpondo Akwa. Der hatte die Herausgabe der Sonne von Kamerun durch eine Geldsammlung unter den Akwa in Duala organisiert. Gouverneur Seitz regt an, sobald Mpondo Akwa »mit Sicherheit eine Aufreizung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt oder zum Landesverrat nachzuweisen ist […], den Mann nach einer Insel in der Südsee dauernd zu verbannen.« Dernburg gibt Weisung, »das Treiben des Mahner-Mons und des Mpondo Akwa genau zu überwachen«, und das Bezirksamt in Duala verbietet weitere Geldsammlungen. Mit durchschlagendem Erfolg: Die erste Zeitschrift Kameruns ist bereits nach ihrer ersten Ausgabe Geschichte.

Mpondo Akwa, der »Negerprinz« und »Hosennigger«, als den ihn deutsche Zeitungen feiern und verhöhnen, der unerschrockene Repräsentant der Akwa in Deutschland, der die Interessen seines Volkes so selbstbewusst vertritt wie ein gewiefter Advokat, ist der deutschen Kolonialmacht einige Male zu oft in die Quere gekommen. In Deutschland kann sie ihm nicht an Freiheit und Leben, also begnügt sie sich mit öffentlichen Demütigungen. Als ihn der Schriftsteller (Wir auf der »Möwe« – Husarenstreiche zur See) und Kapitänleutnant a. D. Heinrich Liersemann in einem Zeitungsartikel als »minderwertiges Subjekt« bezeichnet, zeigt ihn Mpondo Akwa an. In erster Instanz wird Liersemann wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Mark verurteilt. Aber das Landgericht Hamburg rückt im Berufungsverfahren die Verhältnisse im Sinne der Kolonialmacht wieder zurecht und spricht Liersemann frei. Mpondo Akwa sei wegen seiner Schulden gerichtsnotorisch, im Übrigen sei das Ehrgefühl der Afrikaner ohnehin nicht besonders entwickelt.

Mpondo Akwa träumt von einem großen Reich der Duala, von der Unabhängigkeit seines Volkes von den Deutschen, von der Einführung europäischer Adelstitel – für sich hat er den Titel »Mpondo der Erste« reserviert –, als er im Juni 1911 nach Kamerun zurückkehrt. Noch von Deutschland aus hat er einige Monate zuvor seinem Vater geschrieben: »Seht Ihr denn nicht, wie diese Furcht die Zeit vergeblich verstreichen lässt und die Zerstörerin unserer Pläne ist? Seht Ihr denn nicht, dass diese Furcht uns solange nicht verlassen wird als kein strammer Befehlshaber da ist, den die Weißen respektieren?« Wahrscheinlich glaubt Mpondo Akwa, dieser »Befehlshaber« zu sein. So empfangen ihn bei seiner Rückkehr auch die Duala und feiern ihn als künftigen Befreier. Und so betrachten ihn auch die deutschen Kolonialbeamten und fürchten sich vor seiner Popularität. Der Bezirksamtmann von Duala – er heißt jetzt Hermann Röhm – berichtet besorgt: »Sein Erscheinen zündete so, dass wie ein Lauffeuer alle Schichten der Eingeborenenbevölkerung […] mit, wenn auch zum Teil phantastischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungsideen und -hoffnungen […] durchsetzt waren. Sein Name, seine Person und sein äußeres, seinen Leuten gegenüber selbstbewusstes, der Behörde gegenüber unerschrockenes, gewandtes, wenn auch anscheinend willfähriges Auftreten hat alle in Bewegung gebracht, ja einen Teil blindlings für ihn fortgerissen«.

Aber das Drama in Duala, das bei Mpondo Akwas Rückkehr schon begonnen hat, sieht für ihn keine Rolle mehr vor. Es wird andere Akteure geben, die, anders als Mpondo Akwa, diese Rolle nicht gewünscht, noch weniger nach ihr gestrebt haben. Noch im September 1911 wird Mpondo Akwa mit seinem Vater Dika Akwa und dem alten Häuptling Muange Mukuri von den Deutschen vor Gericht gestellt. Wegen Verbreitung angeblich falscher Gerüchte werden die beiden Häuptlinge zu Verbannung verurteilt, Mpondo Akwa zu zehn Monaten und drei Wochen Gefängnis mit Zwangsarbeit. Zweimal versucht Mpondo Akwa zu fliehen. Das ist nicht strafbar, aber nach dem zweiten Versuch wird er zu drei Jahren Kettenhaft verurteilt. Mpondo Akwa wird das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen.