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»Gibt es schon einen Plan, Mister President? Wie werden die USA reagieren, Mister President?! Was werden Sie tun?!«

In die Küche passten sie gerade zu viert. Amelie und Paul standen auf der einen Seite des Küchenblocks und schnippelten Gemüse, Catherine und Steve standen auf der anderen. Cath löste Eiswürfel aus den Boxen. Steve mixte die Drinks. Am Ende des Küchenblocks stand ein iPad. Darauf schoben die Reporter dem Präsidenten die Mikrofone fast in den Mund.

Arthur Jones hielt an und wandte sich den Medienvertretern zu. Er hatte ein Präsidentengesicht. Mitte fünfzig, kantig, das dunkle, leicht angegraute Haar immer noch voll.

»Das Vorgehen gegen Douglas Turner ist ein Angriff auf die Souveränität unserer großartigen Nation, die Vereinigten Staaten von Amerika.«

»Er sagte ›Vorgehen‹, nicht ›die Verhaftung‹«, stellte Paul fest.

Steve mixte zwei Martini-Cocktails und zwei Basil Smash. Ihr habt ja keine Vorstellung!

»Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um US -Bürger zu schützen, überall auf der Welt.«

»Das war fast ein wenig defensiv«, sagte Cath, »findet ihr nicht?«

»Hm«, machte Paul.

»Eher«, sagte Amelie.

Zuerst machte sich Steve an die Martinis. Geschüttelt. Nicht wegen Bond, James Bond. Weil er schon mal einen Tumbler hatte. Der gemeinsame Abend war die perfekte Ablenkung. Alle hatten wenigstens ein Auge auf den Bildschirmen. Wusste der Teufel, wie seine Drinks heute schmeckten. Aber die Klassiker mixte er ohnehin blind.

»Wir erwarten von den Behörden in Athen die umgehende und bedingungslose Freilassung von Douglas Turner. Mit sofortiger Wirkung herrscht für sämtliche Mitarbeiter des Internationalen Gerichtshofs ein Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten«, erklärte Jones. »Zudem werden ihre Vermögenswerte in den USA und jene ihrer Angehörigen eingefroren.«

Zitronenzeste für ihn. Olive für Paul.

»Einreiseverbote gelten ab morgen auch für sämtliche griechischen Bürgerinnen und Bürger, einschließlich Regierungsmitgliedern«, fuhr der Präsident hinter den Mikrofonen fort, »sollte Douglas Turner bis dahin nicht frei sein.«

»Wow«, murmelte Cath, »das mit den Angehörigen von ICC -Mitarbeitern ist Sippenhaftung, und das mit den Griechen ist offene Erpressung eines souveränen Staates. Noch dazu eines Partnerstaates. Steve, euer Präsident da, der knallt völlig durch.«

Steve sah kurz auf. Was sollte er sagen? Er hatte den Typ sogar gewählt. Um Turner und seinesgleichen loszuwerden. Not my president . Konnte er nicht sagen. Obwohl er sich von Jones mehr erhofft hatte.

Aus dem TV -Gerät überschlugen sich die Stimmen der Journalisten:

»… NATO -Mitglied! … Wie wird die Europäische Union reagieren?! … Schon Kontakt mit Ihrem Vorgänger …?!«

»Im Raum stehen außerdem Geschäftsverbote für griechische Unternehmen und Banken in den USA und Importverbote für Produkte aus Griechenland. Bevor wir diese aussprechen, vertrauen wir jedoch auf die Vernunft der griechischen Verantwortlichen, die Situation rasch und unkompliziert aufzulösen.«

»Na, ich weiß nicht, ob er ihnen das in diesem Augenblick leichter gemacht hat«, sagte Cath. »Lässt dich das völlig kalt?«, fragte sie Steve. Dieser Blick. Massierte sein Herz. Ein bisschen zu fest. Don’t judge a book by it’s cover! Wenn du wüsstest.

»Ich stehe in laufendem Kontakt mit allen unserer zuständigen Ministerien und Behörden. Wir behalten uns weitere Schritte vor.«

Steve hatte die Basil Smashs fertig. Reichte sie Amelie und Cath.

Hätte zu gern sein Telefon gecheckt. Bisher hatte er keine weitere Antwort bekommen. Weder von Frank. Noch von Ann. Also:

»Cheers!«

»… welche?! … Anschuldigungen gegen …?!«, riefen die Medienleute durcheinander. Steve verstand nur Wortfetzen, »… Beweise?! … woher?! …«

»Selbstverständlich werden wir alle zur vollen Rechenschaft ziehen, die das Gericht bei diesem schandhaften Vorgehen unterstützen«, sagte er, »insbesondere US -Bürger. Verrat dulden die Vereinigten Staaten nicht. Niemals!«

Steve fühlte sich wie in siedendes Öl getaucht. Arbeitete weiter wie ein Roboter. Aus den Augenwinkeln sah er die anderen. Sie schienen nichts zu bemerken. Paul, Amelie konnte es egal sein. Sie waren Deutsche.

»Verrat, von wegen«, schnaubte Cath. Französin mit karibischen Wurzeln. Auch nicht direkt betroffen.

»Von meiner Administration gab und gibt es selbstverständlich keinerlei Zusammenarbeit mit dem Gericht, was Ermittlungen gegen US -Bürger betrifft, und wird es auch keine geben«, sagte der Präsident jetzt. »Und ich bin davon überzeugt, dass auch mein Mitbewerber die verfassungsmäßigen Rechte von Douglas Turner wahrt.« Er winkte, ohne zu lächeln.

Steve hatte seinen Martini-Cocktail besonders trocken gemixt. Und heute eine winzige Note dirty.

»Woah, was war denn das jetzt?«, murmelte Amelie.

»Das war es fürs Erste.« Mit dem Daumen wies der Präsident über die Schulter zur Air Force One. »Selbstverständlich werde ich die geplanten Auftritte bis auf Weiteres verschieben und fliege nun direkt zurück nach Washington, D. C.«

Noch ein Winken, Abgang.

»Komischer Schluss«, sagte Amelie. »Habt ihr das mitbekommen?«

Steve hörte sie kaum. Starrte noch immer auf den Bildschirm. Dort entfernte sich der Rücken des Präsidenten Richtung Flugzeug. Im Vordergrund wiederholte ein Moderator aufgeregt, was ohnehin alle gerade gesehen und gehört hatten.

»Er hat Verrätern gedroht«, sagte Paul. »Wen meint er damit?«

»Wen schon«, sagte Amelie und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. »Whistleblower natürlich.«

Paul schüttelte den Kopf. »Bewundere ich ja, solche Typen. Obwohl ich mich immer frage, was die antreibt. Ich weiß nicht, ob ich es könnte.«

»Das Kuriose ist ja«, sagte Cath, »dass es meistens völlig normale Typen sind. Von denen niemand so was erwartet hätte. Menschen wie du und ich.«

»Bedenken vielleicht nicht die Folgen«, meinte Paul.

»Die kennt man doch inzwischen«, widersprach Amelie. »Denk an Edward Snowden und diverse andere.«

Steve hielt sich aus der Diskussion raus. Und an seinem Cocktailglas fest.

»Die meisten wissen wahrscheinlich nicht einmal so recht, warum sie es tun«, mutmaßte Amelie.

Gut möglich, dachte Steve.

»Ich meinte aber vor allem das danach«, fuhr Amelie fort. »Das über seine Mitbewerber. Er arbeitet nicht mit dem ICC zusammen. Und geht davon aus, dass das auch sein Mitbewerber nicht tut. Eine vergiftete Feststellung, wenn ihr mich fragt: Damit unterstellt er ihm genau das. Raffiniert. Kein Wunder, es ist Wahlkampf.«

In Steves Hosentasche vibrierte das Handy. Er warf einen Blick darauf.

»Ist was?«, fragte Cath.

»Nichts. Alte Bekannte aus den Staaten. Melden sich einige in den letzten Stunden.«

Von Frank oder Ann noch immer nichts. Wussten die wirklich nichts? Oder waren die in Deckung gegangen?

Zum dritten Mal tippte er eine Nachricht an die zwei. Nur vier Zeichen.

??? S