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Der Gefängnismitarbeiter hatte Dana zu einem Personalausgang an der Rückseite gebracht. Für die Journalisten war in diesen Minuten weltweit die Pressemeldung des Strafgerichtshofs ausgesandt worden. Mehr hatte auch Dana nicht zu sagen. Bevor sie sich noch einmal zu einer Aktion wie der am Flughafen hinreißen ließ, verzog sie sich lieber unauffällig. Für heute hatte sie wahrhaftig genug Aufregung erlebt!

An dem kleinen Tor in einer schmalen Nebenstraße hatte ein Taxi sie abgeholt. Trotz der Tageszeit hatte Dana eine Sonnenbrille aufgesetzt und ihr gelocktes brünettes Haar gelöst, das sie tagsüber zurückgebunden hatte. Locker umspielte es jetzt ihre Schultern, machte ihre ganze Erscheinung entspannter als auf jenem Video, das inzwischen die halbe Welt kannte. Hoffentlich genügte das, sie unkenntlich zu machen.

Sie nannte dem Fahrer das Hotel, in dem sie am Morgen ihr Gepäck deponiert hatte. Ein gesichtsloser Kasten. Ihr Zimmer war noch nicht frei gewesen. Dana kannte Athen nicht. Sie wusste nicht einmal, in welchem Stadtteil sich ihr Hotel befand. Von dort war sie direkt mit einem Taxi in das Büro des Staatsanwalts gefahren. Den vorläufigen Haftbefehl hatte er schon am Vortag übermittelt bekommen. Als sich die Griechen daraufhin nicht geradeheraus geweigert hatten, ihn auch zu exekutieren, hatte Dana den nächstbesten Flieger aus Amsterdam nach Athen genommen. Bis zuletzt hatte sie nicht geglaubt, dass der Mann und seine Polizisten die Sache durchziehen würden. Durften. Noch immer fragte sie sich, welche Motive die verschiedenen, sicher involvierten Verantwortlichen getrieben hatten.

Der Taxifahrer redete sie auf Griechisch an.

»Sorry, just English«, antwortete sie bedauernd und hoffte, die Konversation damit beendet zu haben. Sie warf sich in die Rückbank, lehnte den Kopf gegen die Stütze und starrte aus dem Fenster, während der Chauffeur losfuhr. Zum ersten Mal an diesem Tag konnte sie für einen Moment durchatmen. Sich von der an ihr vorbeiziehenden Welt das Gehirn leeren lassen, die wirbelnden Gedanken für ein paar Minuten zum Schweigen bringen.

»Die haben ehemalige US -Präsident da hineingebracht«, sagte der Fahrer in holprigem Englisch. »Haben Mann gesehen?«

Dana beließ es bei einem nichtssagenden »Hm«.

»US -Präsident«, wiederholte der Mann aufgeregt. »Kann man sich vorstellen?«

Dana ließ ihn reden.

»Ich denke, gut, Mann«, sagte er.

Gut, Mann, was? Dass Turner verhaftet worden war? Oder dass er ein guter Mann war?

Dana begriff, dass diese Fahrt ihr nicht zur Entspannung dienen würde. Einfach Athens Straßen vor dem Autofenster, den Blick wandern lassen. Menschen beobachten, Häuser, Kneipen, Läden, Parks. Die Klimaanlage des Fahrzeugs funktionierte auch nicht richtig. Oder der Typ hatte sie nicht anständig eingestellt. Als langjährige Bewohnerin Den Haags hatte sie sich an kühleres Klima gewöhnt.

»Was finden Sie gut?«, fragte sie ihn.

»Verhaftet. Verbrecher. USA Krieg, dauernd überall. Schießen mit Drohnen in Hochzeiten.«

Wenn es so einfach wäre. Immerhin. Die erste direkte Reaktion, die Dana hörte. Unterstützte die Verhaftung.

»Die USA werden es nicht mögen«, sagte sie.

»Nein«, antwortete der Fahrer kopfschüttelnd. Jetzt klang er besorgt. »Mögen sie werden nicht. Glaube nicht, dass lange sitzt«, sagte er und lachte los. »Große immer lassen laufen, auch hier.«

Dana hatte ihr Telefon hervorgeholt und überflog die Liste der neuen Nachrichten. Wann sollte sie die alle ansehen? Geschweige denn beantworten? Einige Absender wiederholten sich. Natürlich. Henk. Ihre Mutter. Ihr Vater. Das kam selten vor.

»Wir werden sehen«, antwortete sie abwesend.

Sie öffnete die Nachricht ihrer Mutter.

Bist das du? Wirklich du?

Dazu zwei Emojis: ein Wow-Gesicht. Und ein erstauntes Gesicht.

War das ein Kompliment? Staunen? Sorge? Alles zusammen?

Rasch tippte sie eine kurze Antwort.

Ja. Bin im Stress. Wie du dir vorstellen kannst. Ich rufe an, sobald ich dazu komme. Heute wahrscheinlich nicht mehr. Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut! Tausend Umarmungen!

Senden.

Dann die Nachricht von Papa.

Sie musste sie zweimal lesen.

Hätte sie nicht schon gesessen, wäre sie auf der nächstbesten Sitzgelegenheit zusammengesackt. Sie ließ die Stirn an die Scheibe sinken und starrte hinaus.