Die Botschaft der Vereinigten Staaten nahm einen ganzen Häuserblock an der Vasilissis-Sofias-Allee ein, einer der großen Straßen Athens, gesäumt von einem Potpourri gesichtsloser Neubauten aus den vergangenen Jahrzehnten sowie einigen älteren Prunkbauten und Villen. Museen fanden sich hier ebenso wie exklusive Firmensitze und diverse Botschaften.
Die Range Rover passierten die Sicherheitssperre und fuhren in die Garage.
Jeremy McIntyre führte sie zu einem Fahrstuhl, an dessen Tür er einen Code eingeben musste. Der Fahrstuhl brachte sie in die oberste Etage des Gebäudes.
»Hier ist die CIA -Station zu Hause«, erklärte er, als sie ausstiegen.
Über einen schmalen Flur ging es an verschlossenen Türen vorbei zu einer offenen. Der zentrale Monitoringraum. An zehn Arbeitsplätzen mit jeweils mehreren Bildschirmen saßen sieben Männer und drei Frauen. Über zwei Wände erstreckten sich flächendeckend zahlreiche Bildschirme. Auf manchen erkannte Derek verschiedene Medien. Auf anderen Stadtbilder. Athen, nahm er an, Überwachungskameras. Ihre eigenen. Und fremde, gehackte.
Mittendrin erwartete sie ein großer Kerl in dunklem Anzug und weißem Hemd.
»Walter Vatanen«, stellte er sich vor.
»Unser CIA -Stationsleiter«, erklärte der Botschafter. Stellte Dereks Truppe vor.
»Nebenan ist ein Besprechungsraum«, erklärte Walter und zeigte auf die offene Doppeltür. Dahinter war ein Konferenztisch mit zwölf Stühlen zu sehen sowie weitere Bildschirme an den Wänden. »Ich schlage vor, das wird Ihr Lagezentrum.«
»Danke«, sagte Derek. »Eine der dringendsten Aufgaben wird sein, Turner aus diesem Drecksloch von Gefängnis herauszubekommen. Ideen?«
»Das wird schwierig«, sagte McIntyre. »Habe ich schon versucht. In Athen gibt es keine echte Alternative. Und die Griechen trauen keiner Lösung, in der wir eine Örtlichkeit mieten und die griechischen Behörden die Bewachung übernehmen. Aber ich bleibe dran.«
»Die rechtlichen Aspekte haben wir bereits geklärt«, sagte Derek. »Was machen wir politisch und kommunikativ?«
Er warf einen Blick zu Lilian.
»Wir bearbeiten sämtliche relevanten Regierungsmitglieder und einflussreichen Abgeordnete«, erklärte sie. »Die fatale Justizministerin sind wir ja schon los. Außerdem stehen wir in Kontakt mit diversen einflussreichen griechischen Unternehmern, die bestens in der Politik vernetzt sind. Die wissen, was auf dem Spiel steht.«
»Sie sollen sich beeilen«, sagte Derek. »Trevor?«
»Wir haben Verbindungen zu diversen politischen Gruppen außerhalb des klassischen Spektrums«, erklärte der Geheimdienstmann, »vor allem im konservativen Milieu. Diese werden aktiv für eine Freilassung Turners agitieren. Auch kommunikativ, wenn ich das richtig verstehe«, sagte er mit einem Blick zu Ronald.
»Auch, aber nicht nur«, meinte der. »Natürlich müssen alle Amerikafreunde in Griechenland und Europa aktiviert werden. Das geschieht bereits in den sozialen Medien. Außerdem bin ich dabei, noch eine andere Richtung auszuloten. Griechenland läuft über vor Flüchtlingen«, erklärte er, »weil seine europäischen Freunde« – mit den Fingern malte er Anführungszeichen in der Luft – »es in der Sache mehr oder minder alleinließen. Viele dieser Flüchtlinge stammen aus Afghanistan, Syrien, Iran oder Eritrea. Sie fliehen vor islamistischem Terror, repressiven Regimen, Bürgerkriegen, Dürre und anderen Katastrophen in ihren Ländern. Katastrophen, die Douglas Turner mit dem Krieg gegen den Terror, Wirtschaftsabkommen und Entwicklungshilfe bekämpft hat.«
»Gut«, sagte Trevor mit einem schiefen Grinsen.
Der kaufte Ronalds Pitch ernsthaft, ohne den deutlich mitgelieferten Zynismus des Kommunikationsmannes zu hören.
»Da finden wir einige, die das auch in eine Kamera erklären«, fuhr Ronald fort. »Zwei Fliegen mit einer Klappe: Botschaft eins – dieser Mann verdient einen Orden, nicht das Gefängnis. Botschaft zwei – gäbe es mehr Staatsmänner wie ihn, wären unsere Heimatländer sicherer und die Flüchtlinge gar nicht hier.«
»Den Spin mag ich«, lachte Trevor. »Ausländerfeindlichkeit, getarnt als Mitleid. Verfängt bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung.«
»Bei uns ja auch«, sagte Alana kühl, »nicht einmal nur bei Ausländern.« Sondern auch bei Inländern wie Hispanics oder Afroamerikanern, ließ sie unausgesprochen im Raum hängen. Derek gefielen die zunehmenden Spannungen im Team nicht.
»Wie weit sind Sie mit Dana Marin?«, wechselte Derek das Thema, an Walter gewandt.
»An Marin sind wir mit einem ganzen Team dran. Auf verschiedene Weise. Peter?«
Er ging zu einem der Arbeitsplätze. Der Mann an dem Tisch rief Bilder von Überwachungskameras auf.
Ein Zimmer und ein Bad.
»Ihr Hotelzimmer ist verwanzt«, sagte Peter. In anderen Fenstern waren eine Straße in einer Wohngegend, schicke Einfamilienhäuser und Villen zu sehen. »Ihren kauzigen Kompagnon haben wir vorerst von außen im Blick. Dort sind die beiden jetzt.«
»Sind wir in ihren Geräten?«
»Das war einfacher als erwartet«, stellte Vassilios fest.
Dana hatte ihre Vorurteile über Bord werfen müssen. Der alte Knacker besaß superschnelles Internet. Einen topmodernen Laptop. Diverse Sicherheitsvorkehrungen. Und er konnte alles bedienen.
Sie saßen im Garten seines Häuschens im Westen der Stadt. Zuerst hatte Dana die Einladung nicht annehmen wollen. Dann hatte sie an die Demonstranten vor ihrem Hotel gedacht.
Eine weinbewachsene Laube spendete Schatten. Zikaden lärmten in den großen alten Bäumen, deren Äste sich über Vassilios’ Haus und die Grundstücke der Nachbarn streckten. Zwischen ihren dicken Stämmen sah Dana ganz weit entfernt das Meer glitzern. Auf dem verwitterten Holztisch standen ein Krug mit Wasser, einer mit Wein und viele Tellerchen. Auf ihnen hatte Vassilios Leckereien serviert. Sein Kühlschrank war so gut ausgestattet wie seine Technikabteilung. Alles nur vom Feinsten. Ein Lufthauch sorgte für Kühlung. Nicht einmal lästige Wespen um die Speisereste störten die Idylle.
Auf dem Monitor seines Computers reihten sich die Porträts des US -Teams aus dem Gerichtssaal. Einen nach dem anderen hatten sie durch die Bildsuche geschickt.
Für die meisten hatten sie sofort Treffer gefunden.
Der Anführer war ein gewisser Derek Endvor. Ex-Militär, Jurist, aber nicht als solcher tätig. Schien ein Typ für besondere Fälle zu sein. Derzeit im Wahlkampfteam des US -Präsidenten.
William Cheaver hatte Vassilios sogar ohne Internetsuche erkannt. Eine Koryphäe in internationalem Recht.
Alana Ruíz, eine lang gediente Expertin im Justizministerium.
Lilian Pellago arbeitete im Außenministerium, wenigstens vorläufig. Nach Stationen an Universitäten und in der Privatwirtschaft hatte Arthur Jones sie in ihre aktuelle Position geholt.
Auch kein Unbekannter war Ronald Voight. Ein Kommunikationsprofi.
Trevor Strindsand war ein Mitarbeiter des National Security Advisors im Kabinett Jones.
Überrascht hatte sie der fettlose, trainierte Glatzkopf: Nestor Booth, General, derzeit auf dem Stützpunkt Souda Bay, Kreta.
»Die setzen sogar einen Militär in diesen Gerichtssaal«, sagte Vassilios. »Das könnte man als offene Drohung verstehen.«
»Immerhin wissen wir jetzt, mit wem wir es zu tun haben«, erwiderte Dana.
»Das ist nur der Kopf des Kraken«, sagte Vassilios. »Dessen müssen wir uns bewusst sein. Die haben gewaltige Teams im Hintergrund – die besten Geheimdienste der Welt, die besten Informationsbeschaffer, mit die besten Desinformationsverbreiter, das stärkste Militär der Welt.«
»Das sie nicht einsetzen werden.«
»Darauf würde ich nicht wetten. Ehrlich nicht.«
»So weit werden sie nicht gehen.«
»Wir werden sehen. Wie auch immer. Ihnen gegenüber stehen – wir zwei.«
»Und der ICC .«
Vassilios wackelte mit dem Kopf, als testete er, ob er noch hielt.
»Von dort würde ich nicht zu viel Hilfe erwarten. Sie kennen die Kapazitäten selbst. Ihr seid doch froh, wenn ihr einen winzigen Teil eurer Fälle überhaupt bearbeitet bekommt. Ihr habt keinen Geheimdienst. Ihr habt kein Militär, nicht mal eine eigene Polizei. Ihr habt keine Kommunikationsabteilung, die es auch nur annähernd mit einem einzigen Ronald Voight aufnehmen könnte. Eure politischen Verbindungen und vor allem euer politischer Einfluss sind im Vergleich mit jenem von Lilian Pellago, mit Arthur Jones und dem versammelten US -Außenministerium im Rücken, quasi null.«
»Das wussten wir von vornherein.«
Vassilios nickte nachdenklich.
Trank Wein.
»Wir sollten es ihnen trotzdem nicht zu leicht machen«, sagte er. »Zumindest ein paar Nadelstiche sollten wir setzen, was meinen Sie?«
»Woran denken Sie?«
»Was glauben Sie, woher die Demonstranten, die Sie heute Morgen aus dem Schlaf gerissen haben, wohl wussten, wo Sie sind? Diese Damen und Herren hingegen können bislang im Verborgenen wirken. Das könnten wir ändern. Ich könnte das Konvolut an ein paar Freundinnen und Freunde bei der Presse schicken.«
»Und was machen die damit?«
Vassilios zuckte mit den Schultern, grinste und nahm noch einen Schluck Wein.
»Ich fühle mich nicht wohl dabei«, sagte Dana.
Wieder zuckte Vassilios mit den Schultern.
»Dann können wir nur warten.«
»Irgendetwas müssen wir doch tun können! Uns auf die nächste Verhandlung vorbereiten!«
»Juristisch sind Sie vorbereitet«, meinte Vassilios. »Kommunikation muss von Den Haag kommen, Politisches auch.«
»Ich hasse es, zur Untätigkeit verdammt zu sein.«
»Sie sind in Athen! Besuchen Sie die Akropolis! Oder die Museen, dort ist es kühler. Langweilig wird Ihnen hier doch nicht!«
»Klappt nicht«, sagte Maria Cruz’ Assistent, den Kopf durch ihre Bürotür gestreckt. »Nirgends.«
»Was heißt das, klappt nicht?«
»Ich bekomme keinen Flug für Sie nach Athen.«
»Alles ausgebucht? Kann doch nicht sein. Probieren Sie es weiter!«
»Sieht nicht aus wie alles ausgebucht«, wandte der Assistent ein.
»Kann nicht sein«, sagte Maria. »Dana ist gut, aber unerfahren. Vassilios ist gut, aber nicht richtig drin in dem Fall. Ich muss dahin, nachdem Jasper ausgefallen ist.«
»Ich versuche schon alles«, sagte der Assistent.
»Zur Not chartern wir einen Privatjet!«
»Ein paar habe ich schon angefragt«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»Auch nicht?! Das können die doch nicht machen! Kontaktieren Sie die niederländische Regierung! Die EU ! Stellen Sie mich bei Bedarf persönlich durch! Wissen die davon? Das können die sich doch nicht gefallen lassen!«
Wo waren die Politiker, wenn man sie brauchte?