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»Mister President, es ist alles vorbereitet«, erklärte Kim, während sie durch die Flure des Westflügels hasteten. Abseits der üblichen Pressebriefings und Ansprachen zu Feiertagen sowie anderen klassischen Anlässen hatte Arthur Jones während seiner Präsidentschaft bislang nur wenige kurzfristig anberaumte Reden gehalten, die live gesendet wurden. Bei dieser würde die halbe Welt zusehen.

Jones betrat das Oval Office, nickte dem Kamerateam kurz zu und ließ sich an seinem Tisch nieder. Kim blieb beim Kameramann. Fixierte den Screen. Eine Assistentin bürstete die letzten Flusen von Jones’ Jackett, zog eine letzte Falte im Stoff glatt, tippte noch einmal mit einem Kamm an sein Haar. Huschte aus dem Bild.

Blick auf den Teleprompter.

»Wir können«, sagte er und straffte sich noch ein Stück.

Der Regisseur hob die Hand, zählte: »In drei, zwei, eins.«

»Guten Tag, liebe Landsleute!«, sagte der US -Präsident auf Danas Telefondisplay. Sie und Alex schauten gemeinsam an ihrem Tisch. In Washington war früher Nachmittag. Jones und seine Leute hatten diese Ansprache zeitlich nicht für die Amerikaner angesetzt, sondern für die Griechen. Beste Primetime. Wenigstens ein Drittel der übrigen Restaurantgäste hing gleichfalls über ihren Telefonen. Aus allen drang leiser oder lauter Arthur Jones’ Ansprache.

»Gestern wurde mein Vorgänger im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Douglas Turner, im Auftrag des International Criminal Court in Athen verhaftet. Wir betrachten dieses Vorgehen als unzulässigen und unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit und die Freiheit unseres großartigen Landes. Die Vereinigten Staaten können einen derartigen Angriff auf ihre Souveränität nicht zulassen. Daher werden wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren.«

Immer mehr Menschen im Lokal griffen neugierig zu ihren Telefonen oder stellten sich an andere Tische, um zuzusehen.

»Wir fordern den International Criminal Court auf, den ungerechtfertigten und unfairen Haftbefehl gegen den Ex-Präsidenten sofort aufzuheben. Ebenso verlangen wir von den griechischen Behörden die sofortige Freilassung Douglas Turners.«

»Das sind unabhängige Gerichte«, zischte Alex. »Was bildet der sich ein?«

»Die Vereinigten Staaten stehen fest an der Seite ihrer westlichen Verbündeten.«

Aufmerksam verfolgte der deutsche Kanzler die Worte im großen Zentralfenster der Videokonferenz. In den zweiundzwanzig kleinen Fenstern daneben und darunter waren ihm die Hälfte der europäischen Staatschefs und diverse führende EU -Funktionäre zugeschaltet. Alle starrten gebannt auf die Bildschirme vor ihnen.

»Diese Loyalität erwarten wir auch von unseren Freunden in Griechenland«, erklärte Arthur Jones, »und in Europa.«

Die Botschaft war klar. Jones wusste, dass ihm gerade alle zuhörten.

»Umso mehr schmerzt es mich, dass uns die Entwicklungen nun zu unkonventionellen Maßnahmen zwingen. Sanktionen gegen Mitarbeiter und ihre Angehörigen des ICC sind schon seit Längerem in Kraft. Diese werden ab sofort ausgeweitet auf die Mitarbeiter aller jetzigen zuständigen griechischen Gerichte und deren Angehörige sowie zukünftige Mitarbeiter.«

»Das ist ungeheuerlich«, hörte der Kanzler den EU -Ratspräsidenten schimpfen. Auch andere äußerten ihren Unmut.

»Sollte Douglas Turner nicht bis vierundzwanzig Uhr griechischer Zeit ein freier Mann sein, werden weitere Schritte ergriffen. Ab dann gelten hundert Prozent Zoll für bestimmte Exportprodukte aus Griechenland in die Vereinigten Staaten, darunter Käse, Wein und Olivenöl. Schiffen unter griechischer Flagge oder von griechischen Reedereien oder mit griechischen Produkten an Bord wird das Einlaufen in US -Häfen ebenso verboten wie die Landung griechischer Flugzeuge auf US -Airports.«

»Dieser Mistkerl, das ist glatte Erpressung«, fluchte der französische Präsident. Andere schlossen sich an.

Von einigen hörte der Kanzler Stöhnen, jemand sagte: »Wie im Kindergarten, man glaubt es nicht.«

»Auf den nächstliegenden NATO -Stützpunkten wurden inzwischen US -amerikanische Einsatzkräfte in Alarmbereitschaft versetzt«, sagte Arthur Jones.

Mit seiner Truppe hing Sean vor dem Riesenfernseher in einer der Lounges ihres luxuriösen Hauses.

»Meint der uns?«, fragte Sal. »Wir sind schon vor Ort.«

»Einsatzkräfte, Alarmbereitschaft. Nicht Spezialteams, die sich vorbereiten«, sagte Sean. »Säbelrasseln.«

»Nicht gut«, sagte Dino, »die Griechen werden die Sicherheitsmaßnahmen erhöhen.«

»Scht.« Sean machte ein Zeichen, dass er weiter zuhören wollte.

»An dieser Stelle möchte – ja muss – ich noch ein Wort an jene US -Bürger richten, die womöglich meinen, in dieser Sache mit dem International Criminal Court zusammenarbeiten zu wollen.«

Über Steves Rücken lief eine Gänsehaut. Breitete sich über den ganzen Körper aus. Hoffentlich sah Catherine die aufgestellten Haare an seinen Unterarmen nicht. »Die Weitergabe von Informationen an den ICC durch US -Bürger steht unter Strafe und wird schwer geahndet. Sollte tatsächlich jemand unser großartiges Land verraten wollen, dann ist jetzt der Moment, innezuhalten und gut nachzudenken.«

Steve hielt sich an seinem Weinglas fest, um sein Zittern zu verbergen.

»Wir werden keine Gnade walten lassen und Verräter mit der vollen Härte des Gesetzes und allen Mitteln verfolgen und zur Rechenschaft ziehen.«

»Da muss es wen geben«, meinte Cath, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »Sonst würde er das nicht extra bei dieser Gelegenheit erwähnen.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Das muss ein Irrer sein.«

Steve leerte sein Glas in einem Zug. Griff nach der Flasche, um sich nachzuschenken. Sie zitterte in seiner Hand, als hätte er eine Nervenkrankheit. Ganz schnell stellte er sie wieder ab, bevor Cath es bemerkte.

»Mit unseren Freunden in Griechenland und Europa bedauere ich sehr, auf diese Weise kommunizieren zu müssen«, fuhr Jones fort. Inzwischen schauten fast alle Restaurantgäste rund um Dana und Alex und mit ihnen das Personal. Die vereinzelten Passanten auf der Straße. An ihren Telefonen. Auf dem Fernseher über dem Tresen. »Aber ich bin ebenso davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Verantwortlichen in Griechenland ebenso wie die griechische Bevölkerung unsere gemeinsamen westlichen Werte von Freiheit und Unabhängigkeit teilt und verteidigen möchte und deshalb genau weiß, was zu tun ist. Auf Wiedersehen.«

Dana ließ den Livestream laufen. Wechselte einen Blick mit Alex.

»So ein Arsch«, sagte der. Langsam hoben sich rings um sie die Köpfe. Das Getuschel wurde lauter. An manchen Tischen brachen Diskussionen los. Andere kehrten zu ihren Mahlzeiten zurück. Die Kellner nahmen ihre Arbeit wieder auf, eilten hurtig zwischen den Tischen umher. Auf der Straße bildeten sich Grüppchen. Die meisten jedoch zogen weiter ihres Weges. Dana spürte erst jetzt, dass während der Rede Schweiß ihren ganzen Körper überzogen hatte. Auffallen würde es niemandem, der Abend war immer noch warm. Was jedoch, wenn sie jemand hier erkannte? Und ihr die Schuld an der Misere gab? Aus dem Telefon schallten leise und blechern erste aufgeregte Kommentare von TV -Köpfen.

»Wie werden die Griechen reagieren?«, fragte sie Alex.

»Kann ich dir echt nicht sagen.« Er zuckte mit den Achseln. »Der redet von Freiheit und Unabhängigkeit. Zum Teufel!«, rief er und zeigte auf die beleuchtete Akropolis über ihnen. »Wir haben die Freiheit erfunden, die Demokratie. Vor zweitausend Jahren! Und die Amis? Haben das gerade mal vor zweihundert Jahren geschafft. Der soll uns nichts von Freiheit und Unabhängigkeit erzählen. Jamas!«

Nicht alle werden deiner Meinung sein, dachte Dana. Erst recht nicht morgen früh, sobald die Sanktionen gelten. Sie zwang sich zu einem Lächeln.