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Der Polizeiwagen transportierte den Mann durch Athens nächtliche Straßen zum Gefängnis Korydallos. Das Auto musste eine Polizeisperre außerhalb der Haftanstalt passieren. Auf dem Gelände selbst fuhr es in eine große Garage mit schlechter Beleuchtung.

Seine Fahrer verabschiedeten ihn mit »Viel Vergnügen!«.

In Empfang nahm ihn ein einzelner Justizwachtmeister. Noch immer trug der Mann die Handschellen.

Der Beamte drückte ihm seinen Schlagstock in den Rücken. So dirigierte er ihn zu einer offen stehenden Metalltür.

Ein langer, düsterer Flur, von dessen Wänden die Farbe blätterte, führte sie zu einer Gittertür. Das perfekte Set für einen Horrorfilm, dachte der Mann. Aufsperren. Hinter ihnen zusperren. Weiter durch bröcklige Mauern. War das ein Gefängnis oder ein Abbruchhaus? Das Korydallos war berüchtigt.

Vor einer Metalltür blieb der Mann stehen. Sperrte auf.

Dann nahm er dem Mann die Handschellen ab und stieß ihn durch die Tür.

»Such dir ein Bett!«

Der Mann hörte die Tür hinter sich zufallen und den Schlüssel sich im Schloss drehen.

Vor ihm lag ein Vorraum im Zwielicht, von dem zwei Türen abgingen. Eigentlich waren es zwei Durchgänge in größere Räume. Im linken leuchtete noch eine funzelige Lichtquelle. Im rechten erkannte er nur Schemen im Mondlicht, das durch Fenster drang, vor denen irgendwelche Fetzen hingen. Die Luft war eine Kloake. Wochenalter Schweiß, Pisse, Fäkalien, Kotze, Sperma, Eiter, Schimmel, Moder und Angst mischten sich zu einem Potpourri aus der Hölle. Hier drin hatte es mindestens dreißig Grad. Der Mann war viel gewohnt. Aber das ließ selbst ihn erst einmal stocken.

Die Räume waren je etwa vierzig Quadratmeter groß. In jedem standen kreuz und quer zehn Betten. Dazwischen war kaum Platz, um sich zu bewegen. Auf jedem Bett lag eine Gestalt, die meisten nicht zugedeckt. Einige schnarchten. Andere wälzten sich unruhig hin und her. Überall hing Kleidung und stapelten sich die Habseligkeiten der Insassen. Jede Notschlafstätte für Obdachlose war besser ausgerüstet.

Er atmete durch den Mund.

In dieses Drecksloch hatten sie den ehemaligen US -Präsidenten gesteckt? Sicher hatte er eine Einzelzelle.

Trotzdem.

Er steuerte den Raum mit der Lichtquelle an. Auch hier lagen alle in ihren Betten. Nur an der hinteren Wand saß einer mit einem Telefon, das sein Gesicht bläulich beleuchtete.

Als der Mann eintrat, sah er auf. Er war unrasiert. Auf dem Kopf ebenso kurze Stoppel. Harte Gesichtszüge mit tiefen Furchen. Als er den Mund aufmachte, offenbarte sich ein Gebiss mit mehreren Lücken. Gewohnheits- und Berufskrimineller. Von der unguten Sorte.

»Was willst du hier?«

Eine Stimme aus Aschenbechern und Schnapsflaschen.

»Ich soll mir ein Bett suchen.«

Der Telefonmann nickte in Richtung der Zimmerecke links.

»Dort ist eins frei.«

Direkt neben der offenen Toilette. Natürlich.

Niemand anders sagte etwas. Reagierte auf irgendeine Weise.

Telefonmann war offensichtlich der Kapo des Raums.

»Da kannst du schlafen«, sagte der Mann zu dem Kapo. »Ich nehme deins.«

Jetzt hatte er die Aufmerksamkeit des anderen. Und des gesamten Raums. Einige stützten sich auf ihre Ellenbogen. Andere blieben liegen. Taten, als hätten sie nichts gehört. Die Gammas und Deltas. Bloß nicht auffallen.

Der Mann ging durch den Raum zu dem Bett, in dem der Kapo sitzen blieb, ohne sich mächtig zu bewegen. Als hätte er es nicht nötig, sich auf eine Konfrontation vorzubereiten.

»Wir können das friedlich regeln«, sagte der Mann ruhig zu dem Sitzenden.

»Das werden wir«, grinste ihn der andere aus seinem morschen Mund an.

Seine Angreifer gaben sich nicht einmal Mühe, wirklich leise zu sein. Einer kam zwischen zwei Betten von hinten auf ihn zu. Der andere stand auf einem Bett und stürzte sich aus dieser erhöhten Position auf ihn. In der Hand hielt er einen spitzen Gegenstand. Wahrscheinlich ein selbst gebasteltes Messer. Ein Dritter stand auf dem Bett daneben bereit.

Der Mann packte den Angreifer zwischen den Betten als Erstes. Bevor sein Gegner reagieren konnte, hatte er ihm einen Schlag gegen die Karotis an der Halsseite verpasst. Der Typ klappte ohne weitere Gegenwehr zusammen und blieb reglos vor den Betten liegen.

Schneller, als der Nächste schauen konnte, hatte er die Hand mit dem spitzen Gegenstand geschnappt, verdreht und ihm das Ding abgenommen. Gleichzeitig drückte er auch ihm den seitlichen Hals so zusammen, dass er wie ein Sack auf den Bauch fiel und quer über seinem Bett liegen blieb. Der Dritte hatte währenddessen einen Faustschlag in sein Gesicht versucht und noch einen. Laienhaft, primitiv. Straßenköter. Keine Chance gegen einen Profi. Er war seinen Versuchen locker ausgewichen. Den nächsten Schwinger des Kerls nutzte er, um ihn mit seinem eigenen Schwung auszuhebeln und ihn mit dem Kehlkopf gegen seinen anderen Arm laufen zu lassen. Röchelnd brach der zusammen. Das Ganze hatte vielleicht fünf Sekunden gedauert. Er steckte das provisorische Messer in seinen Hosenbund.

Der Typ mit dem Telefon hatte die Szene beobachtet, als wäre sie in einem Fernseher vor ihm abgelaufen. Seine Position war fast unverändert. Der Mann spürte jedoch, dass jetzt jede Sehne von Kapos Körper gespannt war. Seine Augen überflogen die Lage. Der Neuankömmling war kein normaler Häftling, so viel musste ihm jetzt klar sein. Er war nicht mal ein simpler, gut ausgebildeter Verbrecher.

Kapo musterte ihn. Die anderen im Raum musterten ihn.

»Die werden wieder«, sagte der Mann mit einem Blick auf seine drei Opfer. Zwei lagen noch immer bewusstlos da. Der Dritte rang weiterhin nach Luft, als würde er ersticken.

Dann nickte der Kapo dem Typen zu, der am nächsten zu dem freien Bett neben der Toilette lag. Wortlos packte der sein Bettzeug, warf es auf die leere Matratze und bezog seine neue Schlafstatt. Auf weitere Blicke des Zimmerkapos hin setzte sich das Bettwechselspiel fort wie eine Dominoreihe. Bis das Bett neben dem Kapo frei war.

Der Mann und der Kapo versenkten ihre Blicke ineinander.

Genug für heute. Lass den Kapo den Rest seines Gesichts wahren. Du brauchst Verbündete hier drin.

Er setzte sich auf das Bett. Ließ den Blick durch den Raum wandern. Die meisten hatten sich wieder hingelegt. Der Röchelnde war zu seinem Bett zurückgekrochen und hatte sich darauf zusammengerollt. Die zwei Besinnungslosen lagen, wie sie lagen. So würde es noch eine Weile bleiben.

»Ich suche jemanden für einen Job hier drin«, sagte der Mann zu Kapo. Nicht leise, aber auch nicht lauter als notwendig. »Sehr gut bezahlt. Mir scheint, du bist der Richtige dafür.«

Kapo tat, als hätte er nichts gehört.

Schließlich antwortete er, ohne dem Mann seinen Kopf zuzuwenden.

»Wie gut?«

»Sechsstellig. Dollar.«

»Wofür?«

»Nichts Ernstes. Richtig leicht verdientes Geld. Erkläre ich dir morgen.«

Er legte sich auf das Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Heute Nacht würde er nicht viel schlafen. Obwohl er dem Kapo signalisiert hatte, an seinem Wohlergehen interessiert zu sein.

Er konnte damit umgehen.

Morgen würde er seine Arbeit beginnen.