Dana und Vassilios hockten neben dem Staatsanwalt vor dem Laptop in einem kleinen Besprechungszimmer des Gerichtsgebäudes. Acht nüchterne Stühle um einen nüchternen Tisch.
Auf dem Monitor blickte ihnen Maria Cruz’ Gesicht entgegen. Gerade hatte sie erfahren, dass das griechische Gericht Douglas Turner freisprechen wollte.
Ihre Miene zeigte keine Emotionen. Dann beugte sie sich noch näher an die Kamera, sodass ihr Gesicht den Bildschirm komplett ausfüllte.
»Sie müssen Berufung einlegen«, sagte sie entschieden.
»Ohne neue Beweise ist das sinnlos«, sagte Stouvratos. »Ich zögere bloß das Verfahren unnötig hinaus.«
»Wir haben ausgezeichnete Beweise geliefert!«, rief sie. »Das Ganze hier hat nichts mehr mit Recht und Gerechtigkeit zu tun!«, wütete sie. »Dieses Gericht überschreitet seine Zuständigkeiten maßlos! Es ist ein blödes Machtspiel, sonst nichts!«
»Das wir mitspielen müssen«, erwiderte Dana. »Sonst ist Turner in wenigen Minuten draußen.«
Dana beugte sich vor, sodass auch ihr Gesicht das kleine Fenster am oberen Rand des Computers völlig ausfüllte.
»Maria. Wir müssen ihnen einen Beweis liefern. Und zwar den eindeutigsten, den wir haben!«
»Himmel, ist dir klar, was das bedeutet? Selbst wenn wir ihn liefern, kann der Kerl immer noch behaupten, dass er ihm nicht genügt.«
»Das kann er nicht«, sagte Dana. »Er ist zu eindeutig.«
»Pah, was ist schon eindeutig! Abgesehen davon liefern wir damit den Amerikanern eine der Kronjuwelen der Anklage.«
»Früher oder später müssen wir das ohnehin tun«, wandte Dana ein. »Ohne den Beweis wird Turner mit Sicherheit nie vor deinem Gericht stehen.«
Maria starrte sie vom Bildschirm aus an. Wog ab.
Schüttelte schließlich mit gesenktem Blick den Kopf.
Ablehnend? Resignierend?
»Douglas Turner bleibt weiterhin in Haft!«, überschlug sich die Stimme der Reporterin auf dem Bildschirm. Sie berichtete von der griechischen Botschaft in Washington, D. C. »Das Gericht entschied zwar in der ersten Instanz, den ehemaligen US -Präsidenten freizulassen!«
Hinter der Journalistin ein Meer von Transparenten und US -Flaggen. Sprechchöre. Schwer bewaffnete Polizisten und Panzerfahrzeuge schützten die Gesandtschaft.
»Gegen diesen Entscheid hat der griechische Staatsanwalt jedoch Berufung eingereicht. Der Justizminister hat dazu erklärt, dass das Berufungsgericht bereits morgen zusammentreten und den Fall verhandeln wird.«
»Ein Einsatz rückt immer näher«, sagte Sean. »Womöglich schon heute Nacht.«
Die versammelte Truppe saß vor dem Fernseher im Loungebereich.
»Wann, wenn nicht heute Nacht?«, fragte Harry. »Wie lange wollen die noch warten?«
»Jetzt müssen wir handeln«, forderte der General. »Heute Nacht müssen unsere Männer Turner herausholen.«
Von dem Bildschirm im Lagezentrum blickte ihnen Arthur Jones entgegen. In Washington war es Morgen.
Über die Bildschirme daneben liefen Bilder der internationalen Berichterstattung. Die Nachricht von Turners Haftverlängerung beherrschte alle Kanäle. In Athen und anderen Städten musste die Polizei Pro- und Kontra- Demonstranten trennen. Molotowcocktails und Steine flogen, Barrikaden brannten, Rauchschwaden verdunkelten manche Bilder.
»Derek?«, fragte er.
»Kann man überlegen«, sagte der. »Wenn wir einen internationalen Skandal riskieren wollen. Morgen tagt schon das Berufungsgericht. Das Signal ist klar. Die Griechen wollen den Fall vom Tisch haben. Und sich vom ICC nicht auf der Nase herumtanzen lassen.«
»Turner selbst hielt eine ausgezeichnete Rede«, sagte der General. »Die Richter hat er überzeugt. Bloß dieser Bastard von Staatsanwalt …«
»Ich habe bereits mit dem Justizminister gesprochen«, sagte Lilian Pellago. »Er wird sich für die Sache einsetzen.«
»Das behauptet er seit seiner Ernennung«, schimpfte Arthur. »Bis jetzt bleibt er damit erfolglos! Wie ernst sollen wir den noch nehmen?«
»Gar nicht«, sagte der General. »Sir, geben Sie als Oberbefehlshaber das Kommando, ihren Vorgänger aus dieser Lage zu befreien und den USA die fortgesetzte Demütigung zu ersparen.«
»Ich weiß nicht, wie oft ich das wiederholen muss«, sagte Derek, »aber wir reden hier nicht von einem Einsatz in Afghanistan, Pakistan oder einem anderen mehr oder minder rechtsfreien Raum. Das hier ist Europa, Griechenland. Ein NATO -Mitglied!«
»Umso schlimmer!«, rief der General.
»Hier können wir nicht einfach Cowboy spielen«, ignorierte Derek den Einwurf. »Wir müssen andere Mittel einsetzen, die das Gericht endgültig überzeugen, dass die Vorwürfe des Strafgerichtshofs unhaltbar sind. Bisher hat der ICC auf seiner Rechtsansicht beharrt, das griechische Gericht gehe die Beweise nichts an. Und ich bekomme langsam das Gefühl, es wäre gut, wenn das Berufungsgericht das auch so sieht.«
»Was schlägst du vor?«, fragte Arthur.
Steve war so sehr in die Berichte auf seinem Bildschirm über die Ereignisse in Athen vertieft, dass er den Anruf fast nicht gesehen hätte.
Unbekannte Nummer, erklärte sein Smartphone.
»Donner?«
»Donner, du verdammter Verräter«, erklärte eine raue Stimme in US -Englisch, »wir wissen, was du getan hast. Und dafür wirst du bezahlen. Wir kriegen dich. Wir haben dich schon fast. Sei froh, wenn die Polizei schneller ist. Du weißt, was Verrätern blüht.«
Knacken.
Freizeichen.
Das Rauschen des Blutes in Steves Ohren.
Die Stimme hallte in seinem Kopf nach.
Donner, du verdammter Verräter!
Wir kriegen dich.
Du weißt, was Verrätern blüht.
Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte er diesen Schwindel. Den kalten Schweiß, der binnen Sekunden seinen ganzen Körper klebrig überzogen hatte.
Das war eine neue Stufe.
Keine abstrakten Andeutungen oder Warnungen über die Medien.
Eine ganz konkrete, persönliche Drohung.
Sicherlich sinnlos, den Anruf zurückverfolgen lassen zu wollen. Außerdem: Zur Polizei gehen konnte er ohnehin nicht.
Internationaler Haftbefehl.
Wir kriegen dich.
Du weißt, was Verrätern blüht.
Ehrlich gestanden: nein.
Verhaftung, Prozess, mit Pech lebenslänglich.
In diesem Anruf klang das nach noch etwas ganz anderem.
Her mit dem Kontakttelefon.
Als er versuchte, die Nachricht zu tippen, merkte er, wie sehr seine Finger zitterten.
Schluss mit Tippen.
Er eilte aus den Büroräumen ins Treppenhaus. Wählte dabei die eingespeicherte Nummer.
Freizeichen.
Immerhin. Nicht tot.
Freizeichen.
»Hallo, VidSelf – Ihr Codename hier, Sie wissen schon. Hier spricht Ted. Vielleicht erinnern Sie sich. Wir haben uns einmal gesehen, als Ihre Stimme abgeglichen wurde. Was kann ich für Sie tun?«
Steve war überrascht, tatsächlich so schnell jemanden zu hören. Noch dazu jemanden, den er kannte. Er erinnerte sich an Ted.
Nach der Schrecksekunde erzählte er ihm von dem Anruf, den er eben erhalten hatte.
»Damit war zu rechnen«, sagte Ted sofort. »Wie gesagt: Die Gegenseite versucht, Sie fertigzumachen.«
»Das gelingt ihr verdammt gut!«
»Ich verstehe Ihre Gefühle. Aber Sie müssen einen kühlen Kopf bewahren, so schwer das auch ist. Sie tun sich jetzt keinen Gefallen mit überstürzten Reaktionen«, erklärte Ted. »So schwierig es klingt. Verhalten Sie sich weiterhin so normal wie möglich.«
»Ich habe meine Bargeldreserven bereitgelegt«, sagte Steve. »Wenn es sein muss, tauche ich unter.«
»Tun Sie jetzt nichts Unüberlegtes. Wir haben die Meldungen über den internationalen Haftbefehl gesehen. Wir versuchen gerade herauszufinden, ob dieser Haftbefehl überhaupt existiert. Und wenn ja, wer darin ausgeschrieben ist.«
»Und wenn er existiert? Wenn es ich bin?«