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Dana schreckte aus dem Schlaf.

Wo war sie?

Was hatte sie geweckt? War dieser schwere, dumpfe Knall Teil ihres Traums gewesen?

Die Dunkelheit vor dem Fenster flackerte orangefarben.

Jetzt erinnerte sie sich.

Vassilios’ Gästezimmer.

Von fern vernahm sie ein seltsam fauchendes Geräusch.

Klirren. Dann ein Geräusch wie ein Rammbock, begleitet von einer Erschütterung. Das orangefarbene Flackern draußen wurde heller.

Da brannte etwas. Sehr nah.

Dana sprang aus dem Bett.

»Weg von den Fenstern!«, rief Vassilios. Er stürzte in den Raum, nur mit seinem gestreiften Pyjama bekleidet. »Alles in Ordnung?!«

»Was ist passiert?«

»Ich weiß es noch nicht!«, rief er und lief wieder hinaus.

Dana warf ein Kleid über, packte ihr Telefon, das neben dem Bett lag, und folgte ihm.

Die Geräusche wurden zur Straße hin lauter. Vassilios stand an einem Fenster neben der Eingangstür und lugte vorsichtig hinaus. Jetzt flackerte auch sein Gesicht rötlich.

Vor dem Fenster ragte eine Feuerwand auf.

Trotz Vassilios’ Warnung stellte sie sich neben ihn.

In der Auffahrt loderte, was einmal Vassilios’ Auto gewesen war. In den meterhohen Flammen sah sie nur ein paar schwarze Streben, um die sich die roten Zungen wanden, bevor sie sich in schwarzem Rauch und Abermillionen Funken auflösten. Die Richtung Haus wirbelten.

»Weg«, rief Vassilios, »bevor der Tank explodiert!«

Er packte Dana und zog sie mit sich durch den Flur zurück ins Schlafzimmer. Mit der anderen Hand drückte er bereits sein Telefon an das Ohr.

Die nächste Explosion hüllte Dana in eine Hitzewand, und sie hörte nichts mehr, als sie zu Boden geschleudert wurde.

Auf den Monitoren im Lagezentrum verfolgten Derek, Walter, Trevor und Ronald die Liveberichte von dem Haus des griechischen Anwalts. Vor dem Gebäude rauchte das verbogene schwarze Gerippe eines völlig ausgebrannten Fahrzeugs. Die Feuerwehr löschte mit mehreren Wagen den Brand, der Teile des Hauses erfasst hatte.

Oder das Ganze. So genau konnte Derek das auf den TV -Aufnahmen und Handyvideos Schaulustiger nicht sehen.

»Was sagen sie?«, fragte Derek ungeduldig. Bislang waren nur griechische Berichterstatter vor Ort.

»Sie wissen noch nichts«, übersetzte Walter. »Die einen reden von einem Terroranschlag Linksradikaler, wie sie in Griechenland immer wieder mal vorkommen.«

»Unsinn«, sagte Derek, »warum sollten die das tun? Den Linken gefällt Turners Verhaftung doch!«

»Ohnehin. Andere meinen, es sei ein Anschlag Rechtsradikaler.«

»Schon eher. Rechtsradikale waren auch unter den Pro-Turner-Demonstranten.«

»Und natürlich kommen wir ebenfalls ins Spiel«, sagte Walter. »Die CIA wird zwar nicht wörtlich erwähnt, aber die Rede ist von ›nicht näher genannten Dritten‹.«

»War zu erwarten.« Ohne den Blick von den Monitoren zu nehmen, fragte Derek: »Noch einmal: Wir waren es nicht?«

»Sicher nicht«, beteuerte Walter.

»Wer war es dann?«

»Die Rechtsradikalen, wäre mein Tipp. Kann sein, dass sie sich von einem unserer Kontakte ermutigt fühlten, aber …«

»Ermutigt?!«, brüllte Derek. »So nennen Sie das also? Wer hat das angeordnet?«

»Niemand«, erwiderte Walter. »Wie gesagt, es handelt sich wohl um ein Missverständnis.«

»Das uns eine Menge Sympathien kosten kann!«

»Wir versuchen gerade, etwas herauszufinden. Kann aber dauern – falls wir überhaupt etwas erfahren. So oder so machen die Kommentatoren alle Seiten verantwortlich. Sie geben abwechselnd dem ICC , den griechischen Behörden oder Gerichten die Schuld. Weil sie Turner überhaupt verhaftet haben. Andere machen die Vereinigten Staaten verantwortlich, weil sie die Lage so eskaliert hätten.«

»Ronald?«

»Wir bestreiten in einer Aussendung jegliche Beteiligung und Verantwortung. Zudem verurteilen wir den Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten und Rechtsorgane aufs Schärfste. Terror können und werden wir nicht akzeptieren, wie schon unser seit Jahren andauernder Krieg gegen den Terror beweist. So in etwa. Geht in den nächsten Minuten raus.«

»Wissen wir endlich«, fragte Derek, »was mit Dana Marin und Vassilios Zanakis geschehen ist?«

»Er wird wieder«, sagte der Arzt.

Vassilios lag mit einer Sauerstoffmaske im Krankenhausbett.

»Ich sage doch: Unkraut vergeht nicht«, ächzte er unter seiner Gesichtsbedeckung.

»Mit Ihnen ist sicher alles in Ordnung?«, fragte der Mediziner Dana zum wiederholten Mal.

»Geh schlafen, Dana«, forderte Vassilios. »Ich bin hier in guten Händen. Und du brauchst morgen deine Energie.«

»Die können doch jetzt nicht einfach weitermachen!«, ereiferte sich Dana.

»Natürlich können sie«, sagte Vassilios. »Sollten sie sogar. Von so etwas dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen!«

Er rang nach Luft.

»Sie sollten nicht sprechen«, sagte der Arzt.

»Bei mir ist ihnen das ganz gut gelungen«, sagte Dana. »Für einen Augenblick habe ich mich gefragt, ob es das alles wert ist.«

»Dana, ihr seid nicht so weit gekommen, um jetzt aufzugeben.«

»Keine Sorge«, sagte Dana, »es war nur ein Augenblick.«

Längst hatte ihr Zorn die Überhand gewonnen. Auch den musste sie noch in den Griff bekommen.

»Dann geh jetzt da hinaus und zeig es denen! Gute Nacht.«

Er schloss die Augen.

Der Arzt nickte Dana aufmunternd zu.

»Gute Nacht«, sagte Dana.

Vor dem Zimmer wachten zwei Polizisten. Zwei Zivilbeamte warteten auf Dana. Der eine hatte sich als Athens Polizeichef persönlich vorgestellt.

»Wir bringen Sie in eine sichere Unterkunft«, erklärte er. »Inklusive Polizeischutz. So etwas darf nicht noch mal passieren.«

So etwas hätte überhaupt nicht passieren dürfen, dachte Dana. Aber das wusste der Mann selbst.