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Steve erwachte von einem Ruck, der ihn durchschüttelte.

»Pinkelpause«, verkündete die Stimme neben ihm.

Draußen war es dunkel. Nur vor ihnen raste im schwachen Licht eines Scheinwerfers eine Straße dahin. Eine Landebahn.

Steve brauchte ein paar Sekunden, bis er sich zurechtfand.

Jochen.

»Sind wir schon in Sarajevo?«, fragte er.

»Ebenda«, sagte Jochen. Die Maschine rollte auf den kleinen Terminal zu, bog aber vorher ab. Jochen parkte sie neben anderen Propellerflugzeugen.

Ein Mann kam ihnen aus der Dunkelheit entgegen.

Jochen stieg aus und gab ihm Anweisungen, während Steve ihm nach draußen folgte. Dabei achtete er darauf, sein Gesicht dem Fremden nicht direkt zuzuwenden. Erst jetzt entdeckte Steve, dass der Mann einen dicken Schlauch in der Hand hielt. Er warf nur einen kurzen Blick auf Steve, dann widmete er sich der Betankung des Fliegers.

»Gehen wir«, sagte Jochen und steuerte auf den Terminal zu.

»Das ist wie bei einem Auto«, stellte Steve verwundert fest.

»Mehr oder minder. In ein paar Minuten können wir weiter. Sollten wir auch, bevor es zu spät wird und wir keine Starterlaubnis mehr bekommen.«

Im Terminal war kaum ein Mensch. Ein Typ saß verloren auf einer Bank und las auf seinem Telefon. Ein Securitymann spazierte durch die Flure und beachtete sie nicht weiter. Zwei Männer vom Reinigungspersonal standen neben einem großen Putztrolley und tauchten ihre Scheuerlappen mit überschaubarem Eifer in den Wassereimer.

In der Toilette waren sie allein. Jochen verschwand in einer Kabine. Steve stellte sich ans Pissoir. Er war mitten in seinem Geschäft, als noch jemand das Klo betrat. Der Securitymann, erkannte Steve aus den Augenwinkeln, als sich der Mann drei Pissoirschalen weiter hinstellte. Er schien sich nicht für Steve zu interessieren. Warf nur einen kurzen Blick herüber und widmete sich dann wieder seinem Hosenstall. Trotzdem wandte Steve das Gesicht ein wenig ab.

Er war zuerst fertig und wusch sich die Hände. Da kam auch Jochen aus seiner Kabine. Gemeinsam verließen sie die Räumlichkeiten.

Draußen hatte sich nichts verändert.

Der Typ saß noch immer über seinem Telefon. Die Putzmänner verteilten noch immer Wasser über den Boden. Fünf Minuten später waren Steve und Jochen zurück beim Flugzeug. Der Tankwart entfernte gerade den Schlauch. Jochen bezahlte ihn bar. Dem plötzlich freundlichen Gesicht des Mannes nach zu schließen, zuzüglich eines üppigen Trinkgelds.

»Weiter geht’s«, sagte Jochen, als sie ins Cockpit kletterten. »Morgen Vormittag sind wir da.«

»Das sieht zum ersten Mal interessant aus«, sagte Walter.

Derek saß noch immer im Lagezentrum. Mit ihm waren Lilian, der CIA -Stationschef und einige seiner Leute, Trevor, Nestor und Ronald.

Seit Stunden schwemmten Meldungen von vermeintlichen Sichtungen Steve Donners herein. Langley sortierte sie vor, trotzdem waren es noch mehrere Dutzend pro Stunde. Mal mit höherer, mal mit niedrigerer Wahrscheinlichkeitsstufe ausgestattet. Viele Beobachter hatten Bilder mitgesandt. Die meisten davon unscharf.

Keiner von ihnen kannte diesen Steve Donner persönlich. Sie mussten sich demnach ebenso auf ihr Gespür und ihre Wiedererkennungsfähigkeit verlassen wie die Leute in der Zentrale mit ihren ausgeklügelten Programmen für Gesichtserkennung und anderen Tricks.

Die Bilder zeigten zwei Männer in einer düsteren Flughafenhalle. Eher kleiner dimensioniert, dachte Derek. Provinzflughafen oder Hauptstadt eines kleineren Staats.

»Die Bilder stammen aus Sarajevo«, bestätigte Walter Dereks Vermutung.

Einer der beiden Männer war definitiv nicht Steve Donner.

Der andere vielleicht.

Walter rief weitere Bilder auf.

»Hier gehen sie auf die Toilette«, sagte er. »Und hier kommen sie wieder.«

Er zoomte in einem Bild auf das Gesicht des linken Mannes.

»Das könnte er wirklich sein«, sagte Trevor.

»Kommt den Bildern, die wir von ihm haben, zumindest bisher am nächsten«, sagte Walter. »Meinen auch die Programme.«

Noch mehr Bilder. Die zwei Männer von hinten. Wie sie das Gebäude verließen. Im spärlichen Licht eines Scheinwerfers über das Freigelände liefen. An einem kleinen Propellerflugzeug anhielten, das gerade betankt wurde. Eine Cessna, wenn Derek die Maschine richtig erkannte.

»Wir haben in Sarajevo die Flugdaten abgefragt«, erklärte Walter. »Die Maschine kommt aus der Nähe von Frankfurt.«

»Wer ist der andere Typ?«

»Ein gewisser Jochen Finkaus. Hat ein Vermögen mit Kryptowährungen gemacht. Gefällt sich jetzt als bourgeoiser Punk und Business-Angel für radikale Konzepte. Ihm gehört auch die Maschine.«

»Mehr als die popelige Cessna kann der sich nicht leisten? Wohin wollen sie damit?«

»Nach Thessaloniki.«

»Nicht Athen?«

»Vielleicht ein Ablenkungsmanöver. Oder sie rechnen damit, dass wir nur Athen überwachen.«

»Tun wir das denn?«

»Allein in Athen und Umgebung gibt es vier Flughäfen. Natürlich haben wir die Behörden informiert. Und schicken zu jedem Flughafen einen Mann, wenn es Zeit wird. Aber das können wir natürlich nicht für jeden griechischen Provinzflughafen leisten.«

»Was ist also der Plan?«

»Athener Airports und die größeren in einem Radius von fünf Autofahrstunden. Außerdem sind, wie gesagt, die griechischen Behörden informiert. Falls wir ihn finden, platzieren wir morgen rund um das Gericht Teams.«

»Das wird heikel. Zugriff am helllichten Tag in einem befreundeten Land?«

»So sehen uns hier viele ohnehin nicht mehr. Speziell nach den Ereignissen von gestern Nacht. Da ist es auch schon egal.«

»Himmel, ist es nicht, im Gegenteil!«

»Haben Sie eine bessere Idee?«

Nicht auf Anhieb, gestand sich Derek ein.

»Haben Sie Dana Marin schon gefunden?«

»Nein.«

»Können wir ihre Telefone orten?«

»Bislang nicht.«

Derek verdrehte die Augen.