Unter ihnen wechselten sich bewaldete und steinige Gebirgszüge ab, als Jochen zum Funkgerät griff.
»Tower Volos Airport, hier ist Delta-Echo-Charlie-Alpha-Papa. Bitte kommen.«
Nach ein paar Sekunden meldete sich eine krachende Stimme:
»Delta-Echo-Charlie-Alpha-Papa, hier Tower Volos Airport.«
»Delta-Echo-Charlie-Alpha-Papa von Sarajevo, mit Kurs nach Athen. Melde einen kurzfristigen Bedarf für einen Tankstopp. Erbitte Landeerlaubnis.«
»Hier Volos. Landeerlaubnis erteilt.«
»Danke. Bis gleich.«
Ein paar Minuten später begann Jochen, den Flieger zu senken. In der Ferne vor ihnen sah Steve bereits die Landebahn. Sie kam schnell näher. Steve suchte nach Polizeiwagen oder anderen Anzeichen eines unerwünschten Empfangskomitees. Er entdeckte ein paar einmotorige Propellermaschinen und etwas, das eher wie eine Baracke aussah als ein Terminal. Daneben parkten drei Autos. Keine Polizei. So auffällig würden sie es aber wohl auch nicht anstellen.
Jochen setzte die Maschine so sanft auf, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan. Langsam rollte er aus und steuerte auf den Tankplatz neben der Baracke zu.
»Da sind wir«, sagte er.
Aus dem Schatten der Baracke löste sich eine Gestalt. Steve hielt den Atem an. Die Person war zart und nicht groß. Sie blieb die einzige. Vielleicht verbargen sich die anderen in der Baracke. Oder auf einer der zwei Seiten, die sie beim Landeanflug nicht gesehen hatten.
Der Flieger hielt an der Zapfsäule. Noch immer nur die eine Gestalt. Auf dem Weg zu ihnen.
Der Flughafen Tatoi bestand aus einer Start- und Landebahn, neben der sich ein paar niedrige Gebäude erstreckten. Clubräume für einige der lokalen Hobbypilotenvereine. Hangars. Lagerräume. Die meisten geparkten Flugzeuge waren ein- oder zweimotorige Propellermaschinen. Zwei kleine Privatjets standen auch da. Derek, Trevor und der Botschaftsmitarbeiter, den ihnen Jeremy mitgeschickt hatte, saßen an einem der Tische des Kiosks im Freien mit Blick auf das Flugfeld. Die vier griechischen Polizisten warteten an einem der Nebentische. Ein Dach bot Schutz gegen die Sonne, aber nicht gegen die Hitze.
Die Polizisten unterhielten sich lautstark. Vor ihnen standen leere Gläser mit den Resten von Frappé und kleine Wasserflaschen.
Trevor und der Botschaftsangehörige hingen über ihren Telefonen. Wischten. Tippten. Tranken ab und zu aus ihren Limodosen.
Derek studierte die Nachrichten. Nichts Neues. Auch nicht von Dana Marin. Sie blieb verschwunden.
Am Nebentisch griff jener, der sich als Giorgos und Kommandeur der Gruppe vorgestellt hatte, nach dem Telefon, das vor ihm auf dem Tisch lag. Er sprach kurz, sah dabei zu Derek. Dann sagte er etwas zu seinen Kollegen. Sie erhoben sich und kamen zu Dereks Tisch.
»Er ist tatsächlich im Anflug«, sagte Giorgos. »Hat soeben um Landeerlaubnis gebeten. In fünf Minuten ist er da.«
Derek und die zwei anderen standen auch auf. Derek bezahlte ihre Getränke. Aus der Ferne meinte er schon den Motor zu hören. Das Geräusch wurde schnell lauter. Dann sah er die Maschine auf die Landebahn zufliegen.
»Wir warten, bis er geparkt hat«, sagte Giorgos.
Aus dem Schatten des Kioskdachs beobachteten sie, wie die Maschine aufsetzte und Richtung Parkplätze rollte. Sie hielt zwischen den anderen Propellerflugzeugen etwa zweihundert Meter entfernt. Zwei Flieger standen davor. Derek musste ein paar Meter zur Seite treten, um das Cockpit der eben gelandeten Maschine sehen zu können. Die Pilotentür öffnete sich. Heraus kam eine schlaksige Gestalt. Zog eine Reisetasche hinter dem Sitz hervor. Warf sie über die Schulter. Schloss die Tür wieder. Machte sich auf den Weg und hielt auf sie zu.
»Der sieht aus wie Jochen Finkaus«, sagte Trevor. »Wo ist Steve Donner?«
Die Polizisten blickten Derek fragend an. Dann marschierten sie alle los.
Der Pilot musste sie sehen. Das änderte nichts an seinem Schritt. Unbeirrt lief er auf die Gebäude zu, ihnen entgegen. Als er näher kam, erkannte Derek in ihm tatsächlich einen der Männer von den Fotos aus Sarajevo wieder.
Als sie ihm auf halbem Weg begegneten, hielt der Pilot an.
»Jochen Finkaus?«, fragte Giorgos.
»Das bin ich«, sagte der Mann auf Englisch. Musterte den Polizisten von Kopf bis Fuß. »Habe ich etwas angestellt?«
»Dürfen wir kurz einen Blick in Ihr Flugzeug werfen?«, fragte Giorgos in sehr schlechtem Englisch.
Finkaus wirkte überrascht.
»Brauchen Sie dafür nicht einen Durchsuchungsbeschluss?«
»Haben Sie denn etwas zu verbergen?«
»Nein.«
»Dann wäre es am einfachsten für uns alle, Sie lassen uns einen kurzen Blick in Ihr Flugzeug werfen.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Finkaus und wandte sich um. »Kommen Sie.«
Sie liefen hinter ihm her, an den beiden anderen Maschinen vorbei, bis sie seine erreichten.
Finkaus öffnete die Tür.
»Bitte sehr«, sagte er.
Giorgos warf einen Blick hinein. Zwei seiner Kollegen umrundeten das Cockpit und sahen von der anderen Seite hinein.
Da drinnen konnte sich niemand verstecken.
Giorgos wandte sich an Derek.
»Leer«, sagte er.
»Was haben Sie denn erwartet?«, fragte Finkaus.
Giorgos zog eines der Fotos hervor, die Derek ihm gegeben hatte. Ausdrucke der Aufnahmen aus Sarajevo.
»Diesen Mann«, sagte Giorgos. »Wie es aussieht, ist er mit Ihnen geflogen. Er wird ja wohl nicht mitten im Himmel ausgestiegen sein.«
Finkaus betrachtete das Bild. Nickte.
»Interessant«, sagte er. »Wer soll das sein?«
»Sie wissen sehr genau, wer das ist!«, fuhr Trevor ihn an. »Hören Sie auf mit Ihren Spielchen! Sie decken einen gesuchten Verbrecher!«
»Und Sie sind wer?«, fragte Finkaus.
»Das geht Sie einen feuchten Dreck an!«
»Ich weiß von keinen Verbrechen und von keiner Suche. Vielleicht klären Sie mich auf?«
»Wo ist er?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Kommen Sie mit«, forderte Giorgos.
»Bin ich verhaftet?«, fragte Finkaus. »Dann sollten Sie mir meine Rechte vorlesen und mich einen Anwalt besorgen lassen.«
»Diese Fotos beweisen, dass der Mann in Sarajevo mit Ihnen an Bord gestartet ist. Sie können mit uns kooperieren, oder ich muss Sie vorläufig verhaften.«
»Meinetwegen«, sagte Finkaus, »ich habe den Mann mitgenommen, auf Bitten eines Freundes. Ich habe keine Ahnung, wer er ist oder warum Sie ihn suchen.«
»Das glaubt Ihnen kein Mensch!«, rief Trevor.
»Dann glauben Sie es eben nicht.«
»Wo ist er?!«
»Ich habe ihn aussteigen lassen«, erklärte Finkaus.
»Wo?!«
»Auf einem lokalen Flughafen. Karditsa.«
»Was macht er dort?!«
»Was weiß ich«, sagte Finkaus. »Er verabschiedete sich und ging zu dem kleinen Gebäude, das dort steht. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Warum sind Sie weiter nach Athen geflogen?«
»Schöne Stadt«, sagte Finkaus. »Ich dachte, wenn ich schon in der Gegend bin, kann ich gleich ein paar Tage bleiben. Zumal hier gerade einiges los ist.«
Derek sah Trevors Kiefer mahlen. Der Typ verarschte sie. Aber sie konnten wenig tun.
»Sie haben weder beim Abflug in Deutschland noch bei der Zwischenlandung in Sarajevo angegeben, dass Sie einen Passagier haben«, sagte Derek.
»Habe ich wohl vergessen«, sagte Finkaus.
»Das ist strafbar.«
Giorgos sah Derek überrascht an.
»Womöglich haben Sie sich sogar des Menschenschmuggels strafbar gemacht«, fuhr Derek fort. »Ich denke, das genügt für eine vorläufige Haft. Es sei denn, Sie wollen uns noch mehr sagen.«
»Ich wüsste nicht, was.«
Sean kontrollierte mit Harry und Hopper zum dritten Mal an diesem Morgen die Hubschrauber. In den Maschinen hockten Bull und Dino. Prüften Waffen und Munition. Die Sonne knallte bereits auf das Metall.
Als Seans Telefon brummte.
Mahir.
Sean nahm an.
»Haltet euch bereit«, sagte der Libanese. »Um vierzehnhundert wird Turner aus dem Gefängnis zu Gericht gefahren. Das ist euer Moment.«
Sean verstand nicht.
»Bevor er zu Gericht gefahren wird?«
»Ja.«
»Habt ihr Intel, dass das Gericht die Haft bestätigen wird?«
»Ich übermittle hier nur die Botschaft«, sagte Mahir. »Vierzehnhundert, pünktlich. Turner wird in denselben Gefängnishof gebracht wie immer. Das ist euer bester Moment. Sobald er in den Bus steigt, der ihn zu Gericht bringen soll.«
»Am helllichten Tag«, sagte Sean.
»Wäre nicht das erste Mal.«
»Ich weiß. Deshalb.«
»In dem Moment rechnen sie am wenigsten damit«, sagte Mahir. »Denkt doch jeder, dass wir das Urteil jetzt noch abwarten.«
Damit könnte er richtigliegen.
Trotzdem wäre Sean ein Nachteinsatz lieber gewesen. Aber sie bekamen sehr viel Geld dafür, die Wünsche ihrer Auftraggeber zu erfüllen. Und Pläne hatten sie schließlich für alle Eventualitäten gemacht.
»Vierzehnhundert«, sagte Sean. »Wir sind da.«