An der Tankstelle auf dem Flughafen Volos war Steve aus dem Flugzeug gestiegen.
»Viel Glück«, wünschte Jochen.
Die Gestalt aus dem Barackenschatten hatte das Flugzeug fast erreicht. Steve erkannte die Frau. Dana Marin. Sie hatten sich vor Jahren bei der Validierung des Videos getroffen. Und in den vergangenen Tagen war ihr Gesicht überall zu sehen gewesen.
»Steve Donner«, begrüßte sie ihn.
Er nickte.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie. »Ich weiß, was Sie dafür auf sich genommen haben.« Sie lief an ihm vorbei. »Bin gleich wieder bei Ihnen.«
Sie eilte zum Flieger.
»Vielen Dank«, sagte sie zu Jochen Finkaus. »Das war sehr mutig von Ihnen. Fliegen Sie zurück?«
»Mal sehen«, hörte Steve Jochen sagen. »Ich war schon eine Weile nicht mehr in Athen.«
»Wohin auch immer«, sagte sie und winkte. »Guten Flug!«
Sie kehrte zu Steve zurück.
»Unser Auto steht dort drüben.«
Auf dem kleinen Parkplatz sah Steve nur drei Autos. An einem blassroten Kleinwagen, älteres Baujahr, asiatisch, lehnte ein Typ. Sein Gesicht kam Steve bekannt vor.
»Das ist Alex«, sagte Dana, als sie näher kamen. »Er gehört zu mir.«
Jetzt erinnerte sich Steve. Der Typ war mit Dana Marin in Athen gesehen worden. Und dann mit dem Leiter der US -Delegation!
Steve erstarrte.
»Was macht der da? Ich habe Bilder von ihm und diesem Amerikaner gesehen!«
»Fälschungen«, sagte Alex, der ihnen entgegengekommen war, in gutem Englisch. »Kann man alles online nachlesen.«
Dana Marin sah Steve betroffen an. Sie begriff, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
»Wir können ihm vertrauen«, sagte sie. »Hätte ich ihn sonst mitgenommen?«
»Wenn Sie mir nicht trauen, lassen Sie mich hier stehen«, schlug Alex vor.
»Sie können sofort die Behörden anrufen. Ihnen Wagentyp und Nummer durchgeben«, erwiderte Steve.
»Dann nehmen Sie mich doch besser gleich mit«, sagte Alex mit einem offenen Lächeln.
»Glauben Sie mir«, sagte Dana, »ich nehme diese ganze Scheiße hier nicht auf mich, um Ihnen eine Falle zu stellen. Das hätte ich einfacher haben können und gleich die Amis herschicken, statt die halbe Nacht durchzufahren und den Rest mit dem Versuch zu verbringen, auf einem durchgesessenen Autositz wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.«
»Diese Rostlaube soll es mit uns dreien bis Athen schaffen?«, fragte Steve.
»Beleidigen Sie sie nicht«, sagte Alex lachend, »sonst macht sie am Ende noch Mätzchen.«
»Nein, wir wissen noch immer nicht, wo sie ist«, sagte die Stimme des Polizeichefs aus dem Telefon. Frustriert warf Michalis Stouvratos den Hörer auf die Gabel. Er hatte seine Karriere riskiert für diese Geschichte, ach was, er hatte sie ruiniert, und jetzt war diese Frau einfach verschwunden! »Sie sind ein Held!«, hatte ihm die Chefanklägerin aus Den Haag noch geschmeichelt, als er sich zu der Berufung bereit erklärt hatte. Held am Arsch.
Neben dem Telefon stapelten sich auf dem alten Schreibtisch die Unterlagen für den Termin, zu dem er in wenigen Stunden gehen sollte. Mit Dana Marin. Und vor allem mit jener geheimnisvollen Person, von der das Gericht nicht erwartete, dass sie auftauchen würde. Weil sie es nicht wagte. Weil Behörden eines der Länder, durch die sie reisen musste, den internationalen Haftbefehl exekutierten.
Noch einmal versuchte er Dana Marins persönliche Nummer.
Freizeichen.
Freizeichen.
Noch mehrmals. Bis sich die Mailboxstimme meldete.
»Stouvratos hier. Falls Sie das abhören. Wo sind Sie? Geht es Ihnen gut? Werden Sie vor Gericht erscheinen? Wird Ihr Zeuge da sein? Bitte melden Sie sich!«
Ähnliche Nachrichten hatte er seit Marins Verschwinden vier Mal hinterlassen. Er machte sich langsam Sorgen.
Den genauen Grund für die erneute Verschiebung der Gerichtsentscheidung hatten weder das Gericht selbst noch der ICC , die Amerikaner noch er selbst der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Doch längst flirrten durch die Medien Gerüchte und Spekulationen, dass es etwas mit jenem Mann zu tun haben musste, dessen Konterfei ihm von seinem Bildschirm entgegenblickte.
Auf dessen Kopf die Amerikaner zehn Millionen Dollar ausgesetzt hatten.
Michalis wählte die Kontaktnummer des International Criminal Court, bei der er bereits mehrmals nachgefragt hatte. Vielleicht hatte sich Marin mittlerweile dort gemeldet.
Vor ihm leuchtete sein Mobiltelefon auf. Ein Anruf, die Nummer war unterdrückt. Er zögerte einen Moment. Dann nahm er das Gespräch an.
»Michalis Stouvratos?«, fragte eine Frauenstimme, die sehr weit weg klang, auf Englisch.
»Ja«, sagte er. Er meinte, die Stimme erkannt zu haben. »Frau Marin, sind das Sie?!«
»Ja«, sagte die Stimme.
»Wo sind Sie?«, fragte er aufgebracht, aber auch besorgt. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich bin unterwegs«, sagte sie. »Mit unserem Zeugen. Sorgen Sie bitte dafür, dass er die Sicherheit bekommt, die ihm das Gericht zugesagt hat.«
»Ich tue, was ich kann«, stieß er erleichtert hervor. »Wann kommen Sie an?«
Doch da war die Verbindung schon wieder tot.