»Wow!«
Auf Danas Display hatte sich der Hubschrauber in einen roten Ball und schwarze Wolken aufgelöst. Dieser Bildschirm war einfach zu klein für all das, was es zu sehen gab.
»Du liebe …«, klang es aus den Lautsprechern überrascht.
Nichts mehr zu sehen.
»Wohin sind die?«, rief Dana aufgeregt.
»Checken wir«, sagte Tanias Stimme. »Wir haben zwei Drohnen da. Müssen sie bloß in Stellung bringen.«
Auf dem Tablet sprangen zwei kleine Fensterchen auf. Jedes war seinerseits in zwei Felder unterteilt.
Wenig zu erkennen. So klein.
Außerdem: nur Schwarz und Grau in verschiedenen Schattierungen.
Bis schließlich auf einigen der winzigen Bilder kaum erkennbare Szenen aus dem grauen Nebel auftauchten. Straßenzüge.
»Und wenn sie euch auch abschießen?«, fragte Dana. »Dann sehen wir nichts mehr.«
»Wir sind nicht mehr live«, erklärte eine Männerstimme. Manolis. »Diese Bilder sehen nur wir und ihr.«
»Das heißt, sie wissen nicht, dass ihr da seid«, fragte Dana, »und können auf ihren Telefonen nicht die ungefähre Position ausmachen?«
»Wir sind jetzt unterhalb des Rauchs«, erklärte Manolis. »Wir haben auf den zwei gegenüberliegenden Ecken des Hauses jeweils eine Drohne platziert. Von dort haben wir alle Fassaden im Blick. Jetzt müssen wir bloß aufpassen, wer das Gebäude verlässt.«
»Viel zu klein«, sagte Dana. »Ich kann hier gar nichts erkennen.«
»Wir machen das schon«, meinte Manolis.
»Wisst ihr, was das für ein Gebäude ist?«
»Noch nicht.«
»Hoffentlich ist bei der Explosion niemand verletzt worden«, sagte Dana.
»Auf dem Dach war keiner mehr«, berichtete Manolis. »Soweit ich das erkennen kann, ist es unversehrt geblieben. Wer also in dem Gebäude war, müsste okay sein. Wenn sich niemand mehr in dem Hubschrauber befand, sollte es keine Opfer geben.«
Dana zog die kleinen Fenster mit den Fingern größer. Die einzelnen Unterfenster hatten trotzdem gerade mal die Größe von Briefmarken.
»Seht ihr etwas?«, fragte sie.
Es machte sie verrückt, dass sie aufs Zusehen beschränkt war.
Steve neben ihr folgte den Bildern schweigend.
Mit einem Mal sprangen die Bilder in den vier unterteilten Fenstern um. Statt je zwei Briefmarken zeigte jedes nur mehr ein Motiv. Größer. Besser erkennbar. Haustür. Tore. Eine Garagenausfahrt.
Aus den Türen und Toren liefen Menschen. Viele.
Kein Wunder.
»Verdammt«, sagte Steve. »Klar, die wollen alle raus. Gerade ist über ihnen etwas explodiert. Überall raucht es. In dem Chaos können die bestens untertauchen.«
»Tempo, Tempo!«, rief Walter Vatanen. »Bevor sie uns entkommen!«
Auf den Bildschirmen der zwei Drohnenpiloten sah er nur Rauch und Schwarz, während die Drohnen durchtauchten.
Aus dem grauen Gewölk tauchten aufgeregt durcheinanderlaufende Menschen auf. Filmten hinauf auf das Dach. Filmten die anderen in der Straße.
Die Software legte um jeden Kopf grüne Ecken. Und um jeden Körper. Sie hüpften, glitten, flimmerten bei jeder Bewegung mit. Das zugehörige Programm analysierte Gesichter. Und Bewegungsmuster.
»Ich bleibe weit genug entfernt«, erklärte einer der Piloten an seinen Joysticks, »knapp unter der Rauchgrenze. Dann gibt uns die auch etwas Schutz.«
Dutzende grüne Ecken flackerten über den Bildschirm.
»Woher kommen die alle?«
»Aus zwei Ausgängen«, erklärte der andere Pilot, der alle Bildschirme im Blick hatte.
»Was macht der zweite Hubschrauber?«, fragte der Stationsleiter den dritten Piloten.
»Unterwegs Richtung Südwesten«, erklärte der, den Blick an seine Bildschirme gefesselt.
»Sie bleiben dran.« Walter wandte sich zu den beiden anderen. »Was ist das da?«, fragte er und zeigte auf eine Struktur, die von blauen Ecken markiert wurde und über den Köpfen der Menschen in der Straße starr in der Luft stand. Ohne die Ecken hätte der Stationsleiter sie gar nicht erkannt. »Ist das auch eine Drohne?«
»Sieht so aus«, sagte der Pilot. »Muss eine von den Medien sein. Oder von diesen privaten Streamern.«
»Peter?«, rief der Stationsleiter zu dessen Tisch.
»Livestreams kann ich gerade keine finden«, rief der zurück. »Die Typen haben zwei abgeschossen, die gesendet haben. Wenn da also noch welche sind, streamen sie nicht in die Öffentlichkeit.«
»Oder nur an eine so kleine, dass unsere Programme sie noch nicht gefunden haben.«
»Unwahrscheinlich«, entgegnete Peter. »Vielleicht die Athener Polizei?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Jetzt bewegt sie sich«, mischte sich der Drohnenpilot ein.
»Wir fliegen näher dran«, sagte Manolis’ Stimme aus der Freisprechanlage. Alex fuhr im Schritttempo auf eine rote Ampel zu.
Die wackeligen Aufnahmen näherten sich den Menschen, die aus dem Gebäude strömten. Von oben senkten sich graue Rauchschwaden in den Bildausschnitt. Die Menschen wedelten mit den Händen vor dem Gesicht. Die meisten blieben mit einigem Abstand zu dem Gebäude stehen und blickten nach oben. Viele filmten mit ihren Telefonen. Andere gingen langsam oder schneller die Straße entlang. Auch sie warfen immer wieder Blicke zu dem Dach hinauf, manche filmten.
»Das Haus befindet sich übrigens Ecke Lakias-Trivellis. Versucht, die Vouliamenis-Allee Richtung Süden zu nehmen.«
»In Ordnung«, sagte Alex. »Wo seid ihr überhaupt?«
»Tania, Stavros und ich sind mit einem Wagen zwei, drei Straßen weiter von dem Chaos entfernt. Dimitrios und die beiden anderen stehen mit einem zweiten Wagen noch einmal zwei Straßen weiter. Wir dürfen uns nicht zu weit von den Drohnen entfernen.«
Die rauchigen Schlieren verzogen sich schnell aus den unteren Straßenteilen. Dana hatte die Gesichter nun gut im Blick. Niemand gab sich Mühe, sich zu verbergen.
Die Drohnen mussten etwa vier oder fünf Meter über den Köpfen schweben. Weit genug entfernt von den Eingängen, um Gesichter und nicht nur Köpfe von oben zu sehen. Nah genug, um Gesichtszüge zu erkennen.
In der Aufregung schien ihnen kaum jemand Aufmerksamkeit zu schenken. Zumindest entdeckte Dana niemanden, der auf die Fluggeräte gezeigt hätte.
»Da! Die Typen, die gerade aus der Tür kommen«, sagte Steve.
»Wir sehen sie«, erwiderte die Stimme aus den Lautsprechern.
Dana sah sie auch. Drei Kerle mit Sonnenbrillen und Schirmkappen. Die Schirmkappen sahen anders aus als jene der Männer auf dem Dach. Aber die konnten sie innerhalb des Gebäudes ausgetauscht haben. Warum lief jemand aus einem Treppenhaus in eine verrauchte Straße und trug dabei trotzdem Sonnenbrille und Kappe?
Konnte natürlich vermeintliche Coolness sein.
Oder das Bedürfnis, nicht erkannt zu werden.
Zwei der Männer verließen das Gebäude zuerst. Breit gebaut. Hemden, Jeans, Combathose. Jeder trug eine große Tasche in der Hand. Riemen wie von kleinen Rucksäcken zeichneten sich zwischen Schultern und Brust ab. Hinter ihnen kam ein weiterer Mann. Schmaler. Blaues Polo, khakifarbene Chinos und Kappe. Die vorderen blickten nach links und rechts, hasteten dann weiter. Der Dritte folgte. Dahinter kamen noch zwei von der breiten Sorte mit Taschen und Rucksäcken.
»Der im Polo«, rief Dana, »der Schlankere. Das könnte Turner sein!«
Das Bild wurde wieder etwas unscharf durch den Rauch, der an der Linse vorbeizog.
»Könnt ihr näher ran?«, fragte Dana.
»Besser nicht«, antwortete Stavros’ Stimme. »Die Drohne steht jetzt still in der Luft, knapp vor der gegenüberliegenden Fassade. So ist sie schwer zu entdecken. Sobald wir sie bewegen, könnten die Typen sie sehen. Und sie halten sicher nach Drohnen Ausschau, nachdem Turner von der Öffentlichkeit seit Tagen beobachtet wurde. So wie jetzt der Ausbruch.«
Der Trupp bewegte sich rasch und entschieden durch die lockere Ansammlung Wartender auf der Straße. Niemand beachtete sie.
Sie liefen auf die Drohne zu. Trotz der Sonnenbrillen erkannte Dana den suchenden Blick der Männer, die ihre Umgebung nach Verdächtigem und Gefahren scannten.
Die eine Figur in der Mitte passte nicht zu den anderen vieren. Sie war weniger trainiert. Bewegte sich anders. Nicht so zielgerichtet, nicht so routiniert. Ein Mitläufer in dieser Situation. Und das Gesicht wurde immer deutlicher erkennbar. Die körnigen Aufnahmen zeigten die schmale Nase und die typischen Züge um den Mund. Das markante Kinn und die beginnenden Falten am Hals.
»Das ist er«, flüsterte sie.
»Ich denke, das ist er wirklich«, meinte auch Steve neben ihr.
»Sieht so aus«, tönten Manolis’ und Tanias Stimmen aus der Freisprechanlage.
Die zahllosen grünen Ecken verschlimmerten das Durcheinander in den zwei Fenstern auf Dereks Bildschirm noch. Flickerten und flackerten unruhig um die Köpfe und Körper der Menschen in der Straße. Manche verschwanden. Andere tauchten woanders neu auf. Insgesamt wurden es jedoch weniger.
In einem Fenster blieben schließlich kaum welche übrig. Im anderen konzentrierten sie sich um eine Gruppe von fünf Personen, wenn Derek richtig zählte.
Er sah nur ihre Rücken. Breite, gut trainierte V-Formen in Hemd und Poloshirt. Die zwei hinteren verdeckten die anderen drei immer wieder. Beide trugen mittelgroße Rucksäcke. In ihren Händen hielten sie große reisetaschenartige Dinger. Vor den beiden lief einer ohne Gepäck. Schlanker. Weniger kämpferhaft. Derek erkannte das sofort. Vor ihm waren noch einmal zwei besser trainierte Typen zu sehen. Raubkatzenbewegungen.
»Sind das die Typen vom Dach?«, fragte er.
»Laut Bewegungsmusteranalyse, ja«, drang Walter Vatanens Stimme aus der Gegensprechanlage.
»Bekommen wir Bilder von vorn?«
»Besser nicht«, sagte der Stationsleiter. »Zu riskant. Wir haben gesehen, was die mit Drohnen machen. Und wir wollen im Moment nicht unsere einzigen Augen verlieren.«
»Sie fühlen sich unbeobachtet«, sagte die Stimme aus der Gegensprechanlage, die diesem Manolis gehörte.
»Wohin gehen sie?«, fragte Steve. Alex fuhr flott, aber sicher, fand er.
»Keine Ahnung«, sagte Dana. Das Telefon hatte sie vor sich auf das Armaturenbrett gestützt, sodass Steve und auch Alex bei Gelegenheit mitschauen konnten.
Die fünf Männer mit ihren Taschen und Rucksäcken waren nur mehr kleine Silhouetten auf dem Bildschirm. Wer immer die Drohnen steuerte, hielt sie jetzt oberhalb der Dachkanten, knapp in Verlängerung der Fassadenlinien, manchmal sogar dahinter, sodass Steve die Männer für kurze Momente nicht mehr sah. So weit oben würden sie nicht so leicht entdeckt werden.
Turners Befreier hatten sich in eine Seitenstraße verzogen. Einer ging mit etwas Abstand vorneweg. Danach folgte der, den sie für Turner hielten, mit zwei anderen. Der Dritte lief etwa zehn Meter hinter ihnen auf der anderen Straßenseite. Steve verstand nichts von Leibwächteraufgaben oder Rettungsteamjobs. Hatten sie sich aus Sicherheitsgründen so verteilt? Oder um nicht zu sehr aufzufallen?
In der Straße standen ein paar Passanten und blickten in Richtung der Rauchwolken. Einige sahen neugierig aus den Fenstern. Steve entdeckte mehrere filmende Telefone.
Manchmal warfen die Männer suchende Blicke hoch. Dann zogen sich die Drohnen kurz zurück, und Steve sah nur noch ein paar Dachziegel oder eine Regenrinne.
»Finden Sie diese Jagd wirklich vernünftig?«, fragte Steve Dana.
»Ja. Der Mann war wegen Kriegsverbrechen in Haft! Sie haben Ihr altes Leben dafür geopfert! Ich habe Jahre an dem Fall gearbeitet! Und wurde fast verbrannt! So einfach dürfen wir den Kerl nicht davonkommen lassen!«
»Einfach, na ja«, murmelte Steve. »Befreiung aus einem Gefängnis per Helikopter, ein explodierter Heli mitten in der Stadt … Einfach ist anders.«
»Wir müssen die Polizei informieren«, sagte Dana. Alex bog in eine breitere Straße. »Notruf hat keinen Sinn, der wird sicher gerade von Tausenden Anrufern geflutet. Und selbst wenn wir durchkommen, wird man uns nicht ernst nehmen.«
Alex überholte den Wagen vor ihnen.
»Ich brauche noch ein Telefon«, sagte Dana. Sie zog das zweite Handy, das Alex’ Freunde ihnen mitgegeben hatten, aus der Tasche. »Ich muss die Nummer des Staatsanwalts finden«, sagte sie.
Alex hielt an einer roten Ampel. Dana warf einen schnellen Blick auf das Telefon mit den Luftaufnahmen.
»Die werden doch nicht zu Fuß weiterwollen?«
»Da ist eine«, sagte Peter und zeigte auf dem Monitor auf ein kleines weißes Kreuz nahe einer Dachkante. Walter Vatanen erkannte die Hobbydrohne. »Und da drüben ist die zweite. Aber kein Livestream«, erklärte er. »Wer immer die Dinger steuert, ist an Turner dran, will es der Öffentlichkeit aber nicht mehr zeigen.«
»Oder will die Typen da unten nicht wissen lassen, dass sie noch immer verfolgt werden.«
»Oder das. Oder beides.«
Peter zoomte wieder in das Bild hinein, bis fast nur noch die fünf Männer in der Straße zu sehen waren. Mittlerweile waren sie drei Häuserblocks entfernt, die Schaulustigen wurden weniger.
»Auf jeden Fall sieht mir das nicht nach einer Entführung aus«, sagte Peter. »Turner scheint sich ganz selbstverständlich mit den Typen zu bewegen.«
»Ja, nach Zwang sieht das nicht aus.«
»Wissen wir, was die griechische Polizei macht? Hat sie eine Ahnung, wo die Typen sind?«
»Ich glaube nicht, dass die kleinen Drohnen von der Polizei sind«, sagte Peter. »So gut sind die nicht.«
»Das hieße, dass die Polizei nicht weiß, wo Turner ist.«
»Die Heli-Explosion wird nicht unbemerkt geblieben sein.«
»Aber damit kennen sie nur das ungefähre Gebiet. Und ich vermute, diese Typen haben das alles einkalkuliert.«
»Das hieße, die griechische Polizei kann höchstens annehmen, dass Derek und seine Leute aus irgendeinem Grund wissen, was sie tun. Und sich an deren Fersen heften.«
An einer Kreuzung bogen die Männer in eine kleine Nebenstraße. Schmal, zu beiden Seiten parkende Autos. Kurz darauf blieb der erste stehen. Neben einem dunklen Rechteck, das von oben wie ein Kombi aussah. Vielleicht ein Volvo.
Öffnete dessen Hecktür. Warf seine Tasche und den Rucksack hinein. Blickte sich um. In den Himmel. Blieb ruhig. Hatte wohl nichts entdeckt. Der Dreiertrupp erreichte ihn. Mehr Taschen und Rucksäcke wurden in den Kofferraum gehievt. Dann gesellte sich auch der fünfte dazu. Die anderen vier waren in den Wagen gestiegen. Der fünfte kam hinzu. Letzte Kontrollblicke. Dann stieg auch er ein, mit seiner Tasche.
»Die scheinen ziemlich relaxt«, meinte Walter. »Was macht der andere Heli?«
»Fliegt jetzt Richtung Nordosten«, erklärte Sandra.
Das Fahrzeug parkte aus und fuhr los.
»Wir brauchen das Kennzeichen und den Fahrzeugtyp«, sagte der Stationsleiter.