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Auf dem Straßenplan Athens waren ihre beiden roten Punkte noch etwa drei Kilometer von der aktuellen Position Turners und seiner Begleiter entfernt. Der blaue Punkt, der ihn markierte, entfernte sich von ihnen. So schnell würden sie ihn nicht einholen.

»Wir haben News zu den Mietern der Villa, von der die Hubschrauber gestartet sind«, erklärte Walters Stimme aus der Freisprechanlage. »Ihr findet sie auf euren Bildschirmen.«

Tatsächlich trudelten die Nachrichten gerade ein. Derek öffnete die Datei. Bilder. Einige davon definitiv ohne Zustimmung des Abgelichteten geschossen. Levantinischer Typ schwer definierbaren Alters, irgendwo zwischen Mitte dreißig und Mitte fünfzig, das schüttere Haar zurückgekämmt. Immer in fabelhaften Anzügen. Allerdings ziemlich geckenhaft.

»Mahir Clement«, fuhr Walter fort. »Französische und libanesische Staatsbürgerschaft. Händler in Gütern aller Art. Taucht bei uns immer wieder in verschiedenen Kontexten auf. Black Ops, Waffen, Sicherheitsbusiness. Bestens vernetzt in alle Richtungen, auch zu diversen Geheimdiensten. Wir versuchen gerade, seine Aktivitäten der vergangenen Tage nachzuverfolgen.«

Dereks Blick wanderte auf Trevors Nacken. Als hätte Trevor es gespürt, fragte er: »Auch schon mit uns gearbeitet?«

»Dazu habe ich hier nichts«, sagte Walter, »aber wir sind noch dran. Zuletzt war er vor allem im Nahen Osten aktiv. Irak, Syrien. Wir halten euch auf dem Laufenden.«

»Habt ihr Kontakt zu den griechischen Behörden?«, fragte Derek den Stationsleiter über die Gegensprechanlage.

»Ja, aber wir sagen ihnen noch nichts. Solange wir nicht mehr wissen.«

»Kennen wir den Informationsstand der griechischen Polizei?«

»Nach allem, was unsere Programme scannen, tappen sie im Dunkeln. Ihre Helis kreisen über dem explodierten Helikopter. Drohnen haben sie keine.«

»Von wem kommen dann diese kleinen Dinger, die da immer noch rumschwirren?«

»Konnten wir bislang nicht herausfinden.«

»Könnt ihr sie wegbekommen?«

»Momentan nicht wirklich.«

»Ihr seht die Bilder besser als wir«, meinte Derek. »Hattet ihr den Eindruck, dass Turner unfreiwillig mit den Typen zu dem Auto unterwegs war?«

»Nein«, sagte der Stationsleiter. »Das schien mir sehr einvernehmlich. Euch nicht?«

»Doch. Uns auch.«

»Dann müssen wir jetzt eine Entscheidung treffen«, sagte Derek. »Die würde ich gern kurz mit dem Präsidenten diskutieren.«

»Irgendetwas passiert da«, sagte der Drohnenpilot, der dem zweiten Helikopter weiterhin folgte.

Walter wanderte hinüber und inspizierte den Riesenschirm.

Das zentrale Fenster zeigte nach wie vor den Hubschrauber, der in einiger Entfernung über bewaldete Berge flog.

Ein kleineres Fenster unterhalb wies auf einer Landkarte zwei bunte Punkte aus. Rot. Blau. Die Positionen der Drohne und des Helikopters. Langsam schoben sie sich nordwärts über vorwiegend grünbraunes Gebiet, das von wenigen Straßen durchzogen wurde. In dem Hauptfenster berührte der Helikopter fast die Bäume.

»Der geht runter«, sagte der Drohnenpilot.

Tatsächlich verschwand der Hubschrauber hinter dem nächsten Hügel nach unten.

Der Pilot spielte ein wenig mit seinen Joysticks. Die Drohne schoss hoch, gleichzeitig senkte sich der Fokus der Kamera auf den Punkt, an dem der Hubschrauber verschwunden war.

Und jetzt wieder erschien. Der Blickwinkel nun eher von oben als von hinten, während die Drohne über die Wipfel flitzte.

»Wohin will der?«, fragte sich der Pilot und zoomte den Hubschrauber heran, um eine bessere Übersicht zu gewinnen.

Ein paar Hundert Meter weiter bremste der Heli seinen Flug. Blieb schließlich in der Luft stehen.

»Da will der hinein?«

Unter dem Hubschrauber lag eine winzige Lichtung, vielleicht doppelt so groß wie der Heli. Die Bäume wanden sich zunehmend im rasenden Wind der Rotoren.

»Wenn sie da aussteigen, wird es schwierig, sie im Schutz der Bäume weiterzuverfolgen«, sagte der Pilot.

Der Hubschrauber setzte präzise in der Mitte des kleinen grünen Feldes auf.

»Unseren Informationen nach weiß die griechische Polizei nicht genau, wo Turner ist und wo seine Befreier mit ihm hinwollen«, erklärte Derek dem Präsidenten. »Unsere Drohnen haben ihn aber weiterhin im Blick. Und wir könnten hinterher. Wir haben den griechischen Behörden zwar erklärt, dass wir nichts mit der Sache zu tun haben. Aber wer weiß, ob sie uns das glauben. Wahrscheinlich nicht. Bislang hängen ihre Polizeiwagen auf jeden Fall an uns dran. Wenn wir also Turner weiterverfolgen, könnte ihn auch die griechische Polizei erwischen.«

Art Jones blickte Derek vom Display seines Telefons entgegen, die Augen vor Aufmerksamkeit leicht zusammengekniffen. »Deine Frage ist jetzt also: Sollen wir Turner mit seinen Befreiern entkommen lassen? Dazu müsstet ihr die Verfolgung aufgeben und die Polizei vielleicht sogar absichtlich in die Irre führen, um Turner noch bessere Chancen zu geben. Oder sollen wir die Griechen einweihen und ihnen die Chance geben, Turner wieder einzufangen?«

»Das ist die Frage, ja«, sagte Derek. »Zweiteres könnte innenpolitisch natürlich ganz schlecht kommen.«

»Allerdings.«

»Aber wenn wir ihn entkommen lassen, lässt das die USA außenpolitisch nicht gut dastehen. Wir verscherzen es uns ernsthaft mit unseren wichtigsten Verbündeten.«

»Damit hätte ich weniger Probleme. Die sind stärker auf uns angewiesen als wir auf sie. Wissen wir denn schon, wer die Typen sind? Und in wessen Auftrag sie handeln?«

»Nein«, Derek. »Aber wir sind dran. Es gibt erste Hinweise.«

Das war großzügig interpretiert. Sie kannten gerade einmal den Unterschlupf der Befreier, einen mutmaßlichen Mittelsmann und die Herkunft der Hubschrauber.

»Eine Lösung, die alle zufriedenstellt, gibt es wohl nicht?«, fragte der Präsident.

»Ich denke darüber nach«, sagte Derek. »Aber als Erstes brauchen wir eine vorläufige Strategie. Turner unterstützen und die Griechen irreführen? Oder folgen und eine erneute Festnahme riskieren oder gar ermöglichen?«

»Wenn du mich fragst: Ersteres. Es sei denn, dir fällt etwas Besseres ein.«

»In Ordnung, danke«, sagte Derek. Er beendete das Gespräch. »Ihr habt es gehört«, meinte er zu seinen Mitpassagieren. Er starrte aus dem Fenster, an dem Athen vorbeizog. »Vielleicht gibt es doch eine dritte Möglichkeit«, dachte er laut.

»Da tut sich nichts«, stellte der Drohnenpilot fest.

Der zweite Helikopter war auf einer Briefmarke mitten im Wald gelandet. Sein Bild füllte fast den Hauptschirm des Piloten. Die Rotoren standen still.

Die Bäume rundum hatten sich wieder beruhigt.

Da öffneten sich auf beiden Seiten des Rumpfes Türen. Links und rechts sprangen je zwei Personen aus der Maschine. Breitschultrige Kerle. Rucksäcke. Taschen. Wie die aus dem anderen Helikopter.

Ohne sich umzusehen oder einen Blick nach oben zu werfen, liefen sie rasch in vier verschiedene Richtungen unter die Bäume.

Der Drohnenpilot zog den Bildausschnitt größer.

Die Baumkronen waren zu dicht, um sie zu erkennen.

»Mist«, zischte der Stationsleiter. »War zu befürchten.«

»Ich habe da Endvor dran«, rief Peter von seinem Tisch. »Er braucht Sie. Dringend!«

»Komme!«

Walter wandte sich um, als er aus den Augenwinkeln den Blitz sah. Fuhr herum, zurück zu dem Pilotenschirm.

Wo der Hubschrauber gestanden hatte, verbreitete sich ein gewaltiger Feuerball.

»Und das in der Waldbrandsaison«, sagte er.

»Ihr habt nach wie vor drei Wagen der griechischen Polizei hinter euch«, hörte Derek die Stimme des CIA -Stationsleiters aus der Freisprechanlage. »Das sehen wir von oben. Wir haben eine Drohne vorübergehend von Turner abgezogen«, erklärte er. »Genügt es, wenn einer eurer Wagen weiterfährt?«

Derek dachte kurz nach. Er ahnte, was jetzt kam.

»Ja«, sagte er.

»In Ordnung. Ihr fahrt an der übernächsten Kreuzung rechts ab.«

Ihr Fahrer tat wie geheißen. Der zweite Range Rover folgte ihnen.

Über die nächsten fünf Minuten hinweg dirigierte sie Walter mal nach rechts, mal nach links, geradeaus, dahin, dorthin. Immer tiefer in ein Wohnquartier mit schmalen Straßen. Keine Ahnung, wo sie waren, Derek und ihr Fahrer ließen sich von den Anleitungen des Stationschefs führen.

Die Polizeiautos waren nie unmittelbar hinter ihnen, sondern hielten so wie schon die ganze Zeit einen Respektabstand von hundert bis zweihundert Metern. In dem Gassengewirr jedoch mussten sie näher heran, um ihre Ziele nicht zu verlieren.

Schließlich führten Walters Anweisungen sie in eine Straße, die gerade noch ein Fahrzeug passieren ließ.

»Das ist eure Passage«, erklärte er. »Diese Gasse ist etwa hundertfünfzig Meter lang. Wenn ich es sage, hält Wagen zwei an. Ihr habt eine Panne. Oder was immer. Wagen eins fährt weiter. Möglichst schnell. Links. Rechts. Die zweite wieder links. Dann gebe ich Bescheid.«

»Alles klar«, klang die Stimme des Fahrers aus dem hinteren Rover.

Derek wandte sich um. Der zweite Range Rover ließ sich bereits ein wenig zurückfallen. Zwei der Polizeiautos waren bereits hinter ihnen. Nun bog auch der dritte ein.

Ihr eigener Fahrer verlangsamte seine Fahrt fast bis auf Schritttempo. Der zweite Rover schloss auf. Die Polizisten reagierten spät. Alle drei Autos waren jetzt recht knapp hinter ihnen.

Derek schaute kurz nach vorn. Ihr Fahrer hatte das Ende der Gasse fast erreicht.

»Alles klar«, sagte er und wusste, dass ihn sowohl die Passagiere des zweiten Wagens als auch der Stationsleiter hörten. »Bis später.«

Hinter ihnen hielt der zweite Range Rover.

Ihr eigener Fahrer ließ die Reifen quietschen und schleuderte den Range Rover nach links um die Kurve.

Die Sirenen der Polizeiwagen hörte er schon nach dem nächsten Abbiegen nicht mehr.