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»Die sind durch die Absperrung gekommen wie ein heißes Messer durch Butter«, stellte Dana fest. »Und weit und breit keine Polizei zu sehen.«

»Das gibt’s doch nicht«, sagte Alex. »Die wollen den loswerden.«

»Sicherlich wollen sie das«, sagte Steve. »Aber das werden wir nicht zulassen.«

»Ich rufe noch einmal Stouvratos an.«

Dana tippte. Wartete.

»Geht keiner ran. Auch eine Methode«, sagte sie und überlegte kurz. »Okay. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Wenn wir da reinfahren, könnte es heikel werden. Alex, denkst du, wir können Steve hier rauslassen, und deine Freunde kümmern sich um ihn? Ich will nicht, dass er da drinnen womöglich der Polizei zu nahe kommt.«

»Haben wir gehört«, sagte Manolis aus der Freisprechanlage. »Klar können wir.«

»Aber ich …«, setzte Steve an.

»Wann seid ihr da?«, fragte Alex.

»In fünf Minuten.«

Dana wandte sich zu Steve um.

»Ist besser so. Tania und die Jungs passen auf dich auf, bis das hier vorbei ist.«

Steve zögerte.

»Mach schon«, forderte Dana ihn auf. »Wir müssen weiter!«

Steve packte seinen Rucksack.

Dana boxte ihm gegen die Schulter.

»Wird schon. Danke noch einmal fürs Kommen. Bis später!«

Steve sprang hinaus. Etwas verloren stand er auf dem heißen Asphalt, während Alex weiterfuhr.

Er hielt vor der Schranke. »Filme das kommende Gespräch mit«, sagte sie zu ihm und gab ihm das Telefon. »Erst mal so unauffällig wie möglich. Außer ich sage dir, dass er das merken soll.«

Aus dem Häuschen daneben beugte sich ihr ein Mann in Uniform entgegen.

Dana nestelte ihren Pass hervor und präsentierte ihn über Alex hinweg.

Wenn der Mann nicht völlig außerhalb der Welt lebte, hatte er die Ereignisse der vergangenen Tage verfolgt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er Dana schon im Fernsehen gesehen. Und Alex. Und Steve. War die Frage, was er von der ganzen Geschichte hielt. Wollte er Turner in Den Haag haben? Oder in Freiheit? Gehörte er zu jenen, die Dana beschimpften und in die Luft jagen wollten? Oder zu den anderen?

Im ersteren Fall standen ihre Chancen schlecht.

Im zweiteren hatte er vielleicht trotzdem Sorgen, alles korrekt zu machen.

Und: Hoffentlich verstand er Englisch. Sonst müsste Alex eben übersetzen.

»Sprechen Sie Englisch?«

»A little.«

Ein bisschen.

»Wissen Sie, dass Douglas Turner vor einer Stunde aus dem Gefängnis befreit wurde?«

»Ja. Das habe ich online gelesen.«

Er musterte sie mit gerunzelter Stirn. Studierte wieder den Pass. Erkannte er sie schon?

»Dana Marin vom International Criminal Court«, erklärte sie. »Ich schätze, Sie haben mein Gesicht in den vergangenen Tagen gesehen.«

»Sie sind das! Sie haben den Präsidenten verhaftet!«

Präsidenten. Nicht Ex-Präsidenten. Ein Zeichen von schlechtem Englisch oder von Bewunderung Turners? Oder von Autoritäten generell?

»Der Ex-Präsident saß in dem blauen Volvo, den Sie eben durchgewinkt haben. Haben Sie das gesehen?«

»Was sagen Sie?!«

Seine Überraschung wirkte nicht gespielt. Wahrscheinlich hoffte er gerade, dass er sie falsch verstanden hatte.

»Douglas Turner saß in dem Auto. Er soll außer Landes gebracht werden.«

Jetzt sagte auch Alex etwas auf Griechisch. Wahrscheinlich das Gleiche wie Dana, nur deutlicher für den Mann.

»Ich habe ihn nicht gesehen«, erwiderte der.

Konnte sein. Vielleicht hatte er sich auch keine Mühe gegeben.

»Trotzdem war er drin. Ich muss hinein, ihn aufhalten! Und Sie müssen die Flughafenpolizei alarmieren! Wir brauchen hier alle Einsatzkräfte, um den Mann zu stoppen!«

»Aber, ich kann nicht …«

»Natürlich können Sie! Wollen Sie einem flüchtigen Häftling beim Entkommen helfen?«

»Ich …«

Wieder mischte sich Alex auf Griechisch ein.

Der Mann zögerte.

»Wir haben keine Zeit mehr!«, rief Dana. »Lassen Sie uns durch! Rufen Sie die Polizei! Machen Sie schon!«

»Sie haben keine Genehmigung, hier …«

»Und die vor mir hatten sie?«

»Ja. Sie hatten die notwendigen Papiere.«

»Auch die Personen in dem Range Rover?«

»Diplomatenpässe.«

Dana schnaubte.

»Entweder Sie lassen mich jetzt sofort durch, oder es wird öffentlich, dass Sie Douglas Turner bei der Flucht geholfen haben«, zischte sie ihm entgegen und hoffte, dass die Drohung auf dem Video nicht zu hören war, das Alex neben ihr machte. »Einem geflohenen Angeklagten! Manche Ihrer Freunde mögen das vielleicht begrüßen. Andere ganz und gar nicht.« Zeit für deutliche Worte. »Auf wessen Seite stehen Sie?«

Im VIP -Empfang herrschte angenehm klimatisierte Kühle. Die Angestellten hinter den Desks der Privatcharteranbieter sahen nur kurz hoch, als die Neuankömmlinge eintraten. Als sie deren entschiedenen Schritt durch den Raum erkannten, sank ihr Interesse gleich wieder. Keine Kundschaft. Nur zwei behielten sie im Blick. Hatten sie Turner erkannt? Schwerlich, hinter der Sonnenbrille und der Schirmkappe. Oder war es das nicht ganz unauffällige Gepäck, das ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte? Sie konnten aber auch nicht die ersten Leibwächter sein, die hier durchspazierten.

Sean hielt sich ganz vorn. Öffnete die Tür zum Flugfeld. Vor dem Terminal warteten mehrere Privatjets. Er zählte zwölf. Verschiedene Modelle. Ihrer war die Bombardier Global zweihundertfünfzig Meter entfernt.

Er zeigte sie Turner.

»Die dort«, sagte er. »Gleich haben wir’s.«

Turner war nicht so gelassen, wie er sich gab, verriet ein Blick über die Schulter.

Sean war es auch nicht. Noch immer wusste er nicht, ob Mahir und seine Hintermänner ihnen tatsächlich die griechische Polizei vom Hals halten konnten. Bis jetzt wirkte es so.

Aber darauf verlassen wollte er sich nicht. Sein Blick scannte das Vorfeld. Keine Sicherheitsleute, kein Militär. Nur vereinzelte Servicewagen und -personen. Sean scannte noch einmal. Neben ihm Biff.

»Sieht gut aus«, sagte der.

Sie gaben den anderen ein Zeichen und marschierten los.

»Er hat Sie gekannt«, beharrte Derek. »Kennen Sie ihn?«

General Nestor Booth hatte die Halle verlassen und hastete neben Derek hinter Sean Delmario, seinem Team und Douglas Turner her.

»Ganz sicher nicht«, zischte der General. »Und dass er mich kennt, ist nicht verwunderlich. Ich bin General. Er war einfacher Lieutenant.«

Ein General von vielen, dachte Derek. In seiner Militärzeit hatte er auch längst nicht alle Generäle gekannt.

»Und bevor Sie jetzt Theorien spinnen«, fuhr Nestor fort, »von uns gab es keinerlei Auftrag.«

»Von uns auch nicht«, sagte Trevor schräg hinter Derek. Jeremy schnaufte einige Meter hinter ihnen.

»Sean!«, rief Derek. »Mister President!«

Die Gerufenen wandten sich um, liefen aber weiter.

Derek beschleunigte. Erreichte sie. Lief nun neben dem Anführer der Söldner und dem Ex-Präsidenten.

»Hören Sie mir jetzt genau zu«, sagte er zu Delmario. »Wir wissen, dass Sie von Mahir Clement angeheuert wurden.«

»Das weiß ich auch«, antwortete Sean. »In Ihrem Auftrag. Er hat mir eine Videogrußbotschaft von Ihnen gezeigt.«

Derek wäre fast gestolpert.

»Er hat was?«

»Ein Video. Sie stellen sich vor und hoffen, dass es meinen Einsatz nicht brauchen wird. Kam wohl anders.«

»Ich habe so ein Video nie aufgenommen«, erklärte Derek. »Das muss eine Fälschung gewesen sein.«

»Dann aber eine gute.«

Derek hörte einen Anflug von Verunsicherung in Seans Stimme.

»Alles ist möglich heute.«

Sie hatten ein Viertel der Strecke zu dem einzigen Flugzeug zurückgelegt, dessen Treppe herabgelassen war.

»Mahir hatte zuletzt intensiven Kontakt mit einem russischen Milliardär, der dem Kreml nahesteht«, sagte Derek. Von unten heizte der Asphalt die Luft auf.

»Das meinen Sie nicht ernst«, sagte Sean. Warf ihm einen ganz kurzen Blick zu.

»Sagt unsere Intelligence. Zugegeben, noch wissen wir nichts sicher. Außer dass Sie nicht von uns beauftragt wurden. Warum hätten wir das auch tun sollen? General Booth hat drei Teams in Souda Bay bereitstehen. Die hätten wir geschickt.«

Sean lief unbeirrt weiter. Schwieg.

»Verstehen Sie, was ich sage?«, fragte Derek eindringlich.

Turner, ein wenig außer Atem, wandte sich an ihn: »Wollen Sie behaupten, hinter dieser Aktion stecken die Russen? Warum sollten die das tun?«

»Um uns wie wild gewordene Cowboys dastehen zu lassen?«, schlug Derek vor. »Und die ganze westliche Welt gegen uns aufzubringen?«

Sie kamen dem Flugzeug immer näher.

»Na und?«, mischte Turner sich ein, der alles mit angehört hatte. »Dann hätten die Russen immerhin etwas unternommen! Im Gegensatz zu Arthur, diesem Schlappschwanz!«

»Verstehen Sie nicht, in was für eine Lage das die Vereinigten Staaten bringt? Auf den verschiedenen Ebenen?«

Turner lachte höhnisch.

»Natürlich verstehe ich das! Ich war selbst Präsident! Zum Glück bringt es nicht die Vereinigten Staaten in eine verzwickte Lage. Sondern bloß Arthur. Sein Problem. Mir ist es egal, wer mich hier rausholt. Und Sean hier ist es egal, wer ihm dafür wahrscheinlich sehr viel Geld bezahlt hat. Nicht wahr, Sean?«

Der Angesprochene schwieg und beschleunigte seine Schritte.

Dana entdeckte den Volvo und den Range Rover auf dem Parkplatz.

»Da sind sie«, stieß sie hervor.

»Beide leer«, stellte Alex fest. »Die sind schon unterwegs zum Flieger.«

Hektisch sahen sie sich um.

»Irgendwo müssen Limousinen mit Direktablieferung am Jet ja durchfahren können«, sagte sie. »Siehst du etwas?«

»Da links vorn vielleicht«, rief Alex.

Könnte sein. Alex versuchte es. Trieb den Wagen am VIP -Terminal entlang. Nach etwa zweihundert Metern öffnete sich rechts von ihnen eine Lücke in den Fassaden. Kein Tor. Kein Zaun. Keine Kontrollen. Wer es bis hierher geschafft hatte, schaffte es überallhin.

Zwei Fahrstreifen. Ein Schild:

Private Charter .

Darunter ein Warnschild.

Achtung, Flugzeuge!

Alex zweigte ab.

Vor ihnen öffnete sich das Flugfeld.

»Welcher Flieger ist jetzt der für Turner?«, fragte Alex angesichts des Dutzends Privatjets, die vor ihnen aufgereiht standen.

Dana stoppte abrupt. Blickte nach rechts, zum Terminal. »Da kommen sie«, sagte Dana. »Eins, zwei. Turner. Vier, fünf. Noch mehr. Wer ist das?«

»Kann ich nicht erkennen«, sagte Alex. »Sieht aus wie Typen in Anzügen. Und Freizeitkleidung.«

»Polizei?«

»Höchstens Zivil. Ich sehe keine Waffen.«

Dana prüfte die Maschinen vor ihnen. Einige standen mit den Schnauzen in ihre Richtung. Andere mit dem Heck.

Dana entdeckte, wohin sie mussten.

Sie schätzte die Entfernung auf zweihundert Meter.

Der Trupp mit Turner war vielleicht noch hundert Meter von dem Flugzeug entfernt.

Mit dem Auto waren Alex und Dana schneller dort. Und dann? Noch immer keine Polizei zu sehen, nirgends.

Wo waren die, zum Teufel?

»Da vorn«, sagte sie zu Alex. »Der Jet mit der herabgelassenen Treppe. Ich mache das Telefon hier bereit zum Filmen.«

Nur bei einem der Jets war unter dem Rumpf eine herabgelassene Treppe zu sehen.

Langsam fuhr Alex an. Möglichst spät für Aufmerksamkeit sorgen.

Sean versuchte einzuordnen, was Derek Endvor ihm gerade erzählt hatte. Steckten hinter der Befreiung tatsächlich die Russen? Die Folgen konnten fatal sein. Oder bluffte Derek, aus welchem Grund auch immer? Er war mit Turner und Team auf halbem Weg über den glühenden Beton vom Terminal zum Jet, als er das Fahrzeug entdeckte. Ein blassroter Kleinwagen. Er kam von der Fahrbahn für Direktzufahrten zu den Jets. Vor fünf Tagen hatten Sean und die anderen nach ihrer Ankunft aus Zypern über diesen Weg den Flughafen mit dem Range Rover verlassen.

Sean konnte die Marke nicht erkennen. Das Auto hielt auf die Bombardier zu. Oder eine der Nachbarmaschinen. Wer war das? Wohin fuhren sie? Service? Personal für einen der Jets? Catering? Nach Essen sah es nicht aus. Zu klein. Zu schäbig. Polizei war es auch nicht. Das war schon einmal gut.

Bei den anderen Jets entdeckte Sean keine herabgelassenen Treppen. Musste nichts heißen. Vielleicht wollte jemand eine andere Maschine vorbereiten.

Mit einem Kopfnicken wies er Biff auf das Auto hin.

Der hatte es auch schon gesehen.

Schulterblick. Auch Hopper und Sal hatten ihre Blicke auf den Wagen gerichtet. Sie beschleunigten ihre Schritte.

»Wer ist das?«, fragte Turner.

»Werden wir sehen«, sagte Sean. »Sieht aber nicht wirklich bedrohlich aus, die Karre, finden Sie nicht?«

Sean musste hier jetzt für Ruhe sorgen.

Schulterblick.

Turner hatte die rechte Hand hinter dem Rücken.

Sean konnte sich denken, wo.

Mach jetzt nichts Unüberlegtes.

Die Männer mit Turner gingen schneller.

»Sie haben uns gesehen«, sagte Alex.

Jetzt erkannte Dana auch die ersten Personen in den Anzügen. Derek Endvor sowie weitere Gesichter aus dem Gerichtssaal.

Flogen die jetzt alle gemeinsam aus?

Danas Aufregung und Angst schlugen in Wut um. Diese Unverfrorenheit!

Sie würden das Flugzeug fast gleichzeitig erreichen.

Dana spürte ihren Magen bis in den Hals. Die vergangenen Tage waren absurd genug gewesen. Von den letzten Stunden ganz zu schweigen.

Wo blieb die Polizei?!

Alex beschleunigte, schoss jetzt auf den Jet zu.

Sie würden zuerst da sein.

Jetzt erkannte sie Turner.

Wie früher auf den Drohnenbildern lief er inmitten der anderen. Sonnenbrille. Schirmkappe. Eine Hand hinter dem Rücken. Schmerzen? Hatte er sich auf der Flucht verletzt?

Das Fahrzeug erreichte das Flugzeug. Alex fuhr so nah an die Treppe, dass die Fahrerseite sie fast berührte. Stoppte.

Das Heck ihres Wagens blockierte die Treppe.

Dana öffnete das Handschuhfach. Holte heraus, was sie an Unterlagen fand. Eine Gebrauchsanweisung für das Auto in einer weichen Tasche. Zwei weitere kleinere Taschen mit anderen Unterlagen.

»Nimm, was du an Gegenständen findest«, forderte sie Alex auf.

»Wozu?«

»Frag nicht, mach!«, rief sie. Klemmte sich die Taschen unter den linken Arm. In der Hand ihr Telefon.

»Und sag deinen Kumpels, dass ich auf Twitter live gehe. Account just4alld, mit einer Vier für ›for‹.«

Öffnete Twitter. Stellte auf Livestream. Öffnete mit der Rechten die Tür. Sprang aus dem Wagen. Wechselte das Telefon in die Rechte.

Lief um den Kühler des Autos und hielt das Telefon zum Filmen auf Brusthöhe vor sich.

»Nicht die!«, hörte Sean den Ex-Präsidenten hinter sich.

Er erkannte die Frau sofort.

Dana Marin.

Sie war bei Turners Verhaftung vor ein paar Tagen als Vertreterin des ICC dabei gewesen.

Woher kam die jetzt?

Alles, was sie bei sich trug, waren zwei kleine Taschen unter einer Achsel. Und ein Telefon, direkt auf sie gerichtet.

Keine Waffe.

Auf dem Fahrersitz erkannte Sean noch eine Gestalt.

Die jetzt auch die Tür öffnete und ausstieg.

Ein Typ. Marins griechischer Freund.

»Ich streame das hier live«, rief sie. »Die ganze Welt kann Sie sehen!«

»Sie blufft!«, rief Turner.

Der Fahrer hatte eine Fußmatte aus dem Wagen mitgenommen. Wozu das? Mit der Rechten hielt er ebenfalls ein Telefon vor seine Brust.

Filmte auch.

Oder gab zumindest vor, es zu tun.

»Lassen Sie uns vorbei«, rief Sean, »dann kommt niemand zu Schaden.« Griff mit seiner Rechten zu der Waffe im Schulterholster unter der Jacke.

Die Frau zögerte.

Dann tat sie einen Schritt zur Seite. Noch einen.

Noch einen.

Der junge Grieche folgte ihr wie ein Synchronschwimmer im Trockenen.

Sie hielten die Telefone weiter auf sie gerichtet.

In der Eingangstür des Jets erschien der Co-Pilot.

Sean gab ihm ein Daumen-hoch. Maschinen starten.

Der Co-Pilot verschwand in der Kabine.

»Dana!«, rief Derek Endvor. »Lassen Sie es! Es ist vorbei!«

Noch ein Schritt zur Seite. Sie stand schon auf halbem Weg zwischen dem Auto und der Tragfläche des Jets.

Turner drängte sich an Sean vorbei.

»Worauf warten wir noch?«, rief er.

Sean sah, dass Turner die Waffe aus dem Hosenbund gezogen hatte.

Turner erreichte den Wagen, der die Treppe blockierte.

Mit ein wenig Geschick konnte man daran vorbeiklettern. Er richtete die Waffe auf die Frau.

Verdammt! Nicht nötig!

Sean eilte zu ihm.

Dana Marin trat noch ein paar Schritte zurück. Ihr Telefon hielt sie weiterhin in der Rechten.

Geschickt griff sie mit ihrer Linken nach den Taschen unter ihrer Achsel.

Hinter ihr nahmen die zwei Triebwerke am Heck des Flugzeugs mit leisem Sirren ihren Betrieb auf. Überrascht wandte sie sich um, sah aber sogleich wieder zu ihnen.

Sagte etwas zu dem Griechen, das Sean durch das Triebwerkgeräusch nicht mehr verstand. Übergab ihm ihre Taschen.

Marin wandte sich wieder ihnen zu. Hob die freie Hand über den Kopf. Filmte mit der anderen. Oder tat so.

Verdammt, wenn die tatsächlich live streamte?

Der Mann duckte sich unter die Tragfläche und huschte nach hinten. Wollte der davonlaufen?

Vor dem Triebwerk richtete sich Marins Begleiter wieder auf.

Hob den Arm mit ihren Taschen, als wollte er einen Football werfen.

»Die wollen das Triebwerk lahmlegen!«, rief Sean. Er war zu weit weg, um rechtzeitig hinzurennen und den Mann davon abzuhalten. Musste es trotzdem versuchen.

»Schießen Sie!«, brüllte Turner.

Dana reckte ihre leere Linke so hoch wie möglich.

Zitterte am ganzen Körper.

Jetzt bloß nicht das Telefon fallen lassen.

Auf dem Display waren die Männer neben dem Auto und dem Flugzeug zu sehen. Hinter ihr dröhnten die lauter werdenden Triebwerke.

Turner hatte immer noch die Pistole auf sie gerichtet.

»Nicht schießen!«, brüllte sie. »Zivilistin! Keine Kampfhandlung! Nicht! Schießen!«

Die Triebwerke legten zu. Der Söldnertyp hatte ihr Vorhaben ganz richtig erkannt. Aber Alex hatte anscheinend noch keine Tasche geworfen. Oder nicht getroffen.

Jetzt lief der Söldner auf sie zu. Eine Pistole in der Hand.

»Schießen Sie!«, hörte und sah sie Turner brüllen.

Dana machte mit ihren erhobenen Händen zwei Schritte auf die beiden Männer zu.

Fixierte den Söldner.

»Das ist es, was seinesgleichen tun!«, überbrüllte sie die Triebwerke. »Sie und Ihresgleichen auf Zivilisten schießen lassen, damit Sie selbst im Privatjet fliegen können.«

Der Söldner hatte sie fast erreicht.

Verlangsamte seine Schritte.

»Warum schießt er nicht selbst?!«, rief Dana. »Er hat die Waffe schon auf mich gerichtet!«

»Nun schießen Sie schon, Soldat!«, brüllte der Präsident mit hassverzerrtem Gesicht. »Sie sind Amerikaner! Ich war Ihr Präsident! Das ist Ihr Job!«

»Das wäre jetzt Mord«, sagte Derek.

Bislang hatte er die Situation aus wenigen Metern Entfernung beobachtet. Trevor, Nestor Booth, der keuchende Jeremy neben sich.

Zeit einzugreifen.

Derek hastete zu Turner. Der Mann hatte die Kontrolle über sich verloren. Wenn er sie je gehabt hatte.

Stand mit ausgestrecktem Arm da, die Pistole auf Dana Marin gerichtet.

Der würde doch nicht schießen.

Die Frau stand direkt vor der Tragfläche.

Mit dem Treibstofftank des Jets.

Falls sie wirklich live streamte, waren das schon jetzt verheerende Bilder.

Dann hörte er die Schüsse.

Einen. Noch einen.

Drei, vier.

Fünfsechssieben.