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»Danke«, sagte Konstanidis hinter seinem Richtertisch. »Sie können an Ihren Platz zurückkehren.«

Steve erhob sich. Er hatte nicht hinter einem blinden Paravent gesessen, sondern offen auf einem Zeugensessel. Inzwischen kannten ohnehin alle sein Gesicht. Und die griechischen Behörden hatten den internationalen Haftbefehl nicht exekutiert. Vorerst. Er setzte sich zwischen Dana und Catherine. Die drückte seine Hand. Am Morgen war sie mit dem ersten Flieger nach Athen gekommen. Das Gericht hatte sie ausnahmsweise im Saal zugelassen. An Danas anderer Seite beugte sich Maria vor zu Steve und flüsterte: »Danke.«

Sie hatte noch am Vorabend einen Flieger genommen. Plötzlich war alles ganz einfach gewesen. Neben ihr saß Vassilios, über der rechten Stirnseite ein Mullverband. Im Gesicht verstreut Schorf. Den angekokelten Bart hatte er so weit gestutzt, dass von den Brandresten nichts mehr zu sehen war. Auch ein Teil seines Haars war einem Schnitt zum Opfer gefallen. Die Ärzte hatten protestiert, doch der Alte hatte sich die Anwesenheit bei dem Termin nicht nehmen lassen.

Obwohl Konstanidis’ Ultimatum abgelaufen war, hatte er im neu angesetzten Termin Steves Aussage zugelassen. Alles andere hätte die Öffentlichkeit wohl auch nicht akzeptiert, und das wussten er und seine Regierung. Für einen Stromlinienförmigen wie Konstanidis ein ausschlaggebender Punkt. Er war ein Jurist – aber auch ein politisches Tier, das die Stimmungen spürte.

Auf der gegenüberliegenden Seite war alles wie gehabt. Turner saß mit Ephramidis und dessen Mitarbeitern hinter einem Tisch. Direkt daneben in der ersten Reihe erkannte Dana Alana Ruíz, William Cheaver, Derek Endvor und Jeremy McIntyre.

Hinter dem Richtertisch hatten die drei Robenträger Platz genommen, in der Mitte Konstanidis.

Nun trat der Sachverständige an den Richtertisch und zeigte den drei Männern etwas auf einem Laptop. Seine Analyse des Stimmvergleichs zwischen den wenigen Sätzen von Steve auf dem Band und seiner eben genommener Stimmprobe.

Die Richter nickten. Gaben dem Sachverständigen ein Zeichen. Der drehte den Computer so, dass alle die identischen Kurven sehen konnten.

»Der Stimmabgleich bestätigt, dass es sich um dieselbe Person handelt«, übersetzte die Dolmetscherin in Danas Kopfhörer die Aussage des Sachverständigen.

Das hätten sie einfacher haben können, dachte Dana. Trotzdem war sie erleichtert.

Der Richter entließ den Mann mit einem weiteren Nicken.

»Möchte der Herr Staatsanwalt noch etwas sagen?«, fragte Konstanidis.

Michalis Stouvratos erhob sich.

»Der Herr Verteidiger hat recht«, sagte er. »Andere gehören wahrscheinlich dringender nach Den Haag. Und vielleicht, hoffentlich, sehen wir sie dort eines Tages. Aber heute geht es nicht um andere. Sondern um Douglas Turner. Es geht nicht einmal um seine Schuld oder Unschuld. Darüber wird Den Haag urteilen. Es geht um vier einfache Punkte, die das Verhaftungsprozedere erfüllen muss. Es geht darum, ob unsere Gerichte in der Lage sind, schon im Kleinen jene Rechte und Gesetze aufrechtzuerhalten, die wir uns auferlegt haben. Denn nur wenn wir selbst uns daran halten, können wir, was der Herr Verteidiger so eindrucksvoll verlangt, auch andere danach beurteilen.«

Es geht um so viel mehr, dachte Dana. Um unschuldige Opfer, zerstörte Leben auf allen Seiten, Macht und Ohnmacht. Doch hier und heute war nicht der Ort, darüber zu verhandeln, da hatte er recht.

Konstanidis hatte ihm geduldig zugehört. Nun ergriff er erneut das Wort.

»Möchte die Verteidigung noch etwas sagen?«

»Hohes Gericht!« Ephramidis sprang auf. »Mein Mandant gehört nicht vor dieses Gericht! Und noch viel weniger vor jenes in Den Haag! Das ist für ganz andere gedacht! Solche, die seit Jahrzehnten brutalste Ausrottungskriege führen, gegen andere Länder, gegen ihre eigene Bevölkerung! Die ihre Länder ausbeuten, ihre Bürger in Gefängnisse sperren, ›umerziehen‹« – er malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft – »die foltern und auf oft bestialische Weise töten! Warum sind sie nicht hier? Warum nicht in Den Haag? Ich verlange, dass mein Mandant diesen Saal in Freiheit verlässt, jener Freiheit, für die er sein Leben lang gekämpft hat.«

Konstanidis hatte mit ausdrucksloser Miene gelauscht. Nachdem Ephramidis sich gesetzt hatte, wandte der Vorsitzende sich an Turner.

»Möchte der Verhaftete noch etwas sagen?«

Turner schürzte die Lippen trotzig, reckte sein Kinn und schwieg.