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Die auf Hochglanz polierten Helme, Brustpanzer, Schulterplatten, Beinschienen und das dreiteilige Armzeug funkelten im warmen Licht der Herbstsonne, als das Hornsignal ertönte und die beiden Kontrahenten mit eingelegten Lanzen aus Fichtenholz ihren Pferden die Sporen gaben. Rasch wechselten die Ritter aus dem Trab in den Galopp über und nahmen ihren Gegner durch den Sehschlitz in ihrem Helm ins Visier, während sie aufeinander zupreschten. Eine Mittelplanke aus schweren Balken teilte das Kampffeld in zwei Bahnen auf, was verhindern sollte, dass die Pferde miteinander kollidierten.

Von der primitiven Tribüne schallten nun laute Anfeuerungsrufe über das umfriedete Turnierfeld, zu dem die große Wiese direkt hinter dem Marktplatz von Weißenfels an diesem milden Oktobertag geworden war. Gleich dahinter führte ein breiter, steiniger Weg hinauf zur gleichnamigen Burg, die sich auf einer felsigen Hügelkuppe über dem Eifelland erhob.

Markward von Weißenfels, seit einigen Jahren endlich Herr der Burg und eines weiten Umlandes, hielt den Schild mit seinem Wappen in der Linken und die Turnierlanze mit festem, sicherem Griff in der rechten Armbeuge. Mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der jede Kränkung sofort mit dem Schwert ahndete und in seinem Machtbereich niemanden zu fürchten hatte, hielt er auf seinen Gegner zu. Dies war sein dritter Kampf im Lanzenstechen. Das Stechen war nach einer langen Reihe von anderen Kampfspielen und Schaureiten der Höhepunkt dieses ersten von ihm veranstalteten Turniers. Das Tjostieren, wie der Zweikampf mit der Lanze genannt wurde, verlangte ein höchst exaktes körperliches Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter, das zum harmlosen, aber doch spektakulären Zersplittern der Lanze führen sollte.

Markward von Weißenfels hegte keinen Zweifel daran, dass er auch diesmal seine Lanze an der Rüstung seines dritten Kontrahenten brechen und ihn womöglich gar aus dem Sattel stoßen würde, so wie es ihm schon bei seinem ersten Stechen gelungen war. Damit würde er nicht nur seinen Ruhm als Ritter mehren, sondern auch die Furcht vor seinem Können als Krieger.

Zwar wusste auch der heranjagende Raimund von Eggerscheid, der sich nun mit ihm beim Tjost messen wollte, eine Lanze trefflich zu führen. Aber der Bursche würde sich hüten, ihn vor seinen Männern und Vasallen zu blamieren, indem er ernsthaft versuchte, ihm die Stirn zu bieten, indem er ihn hinter den Sattel setzte oder ihn gar in den Dreck des Turnierplatzes warf. Dieser Raimund von Eggerscheid wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, was jenen blühte, die Markward von Weißenfels eine Kränkung zufügten oder sich gar gegen seine Herrschaft aufzulehnen wagten. Und Markward bedauerte, dass er jetzt nur mit einer Lanze aus leicht splitterndem Fichtenholz gegen ihn antrat, deren Spitze zudem noch durch einen Aufsatz, das Turnierkrönlein, an Schärfe und Gefährlichkeit verloren hatte. Nur zu gern hätte er dem aufmüpfigen Ritter die scharfe Spitze einer richtigen Lanze aus hartem Eschenholz in den Leib gejagt, um ihn für alle Zeit loszuwerden. Früher oder später musste er ihn sich sowieso vom Hals schaffen, wenn er Ruhe vor ihm und seinen Getreuen haben wollte. Denn Raimund hatte sich ihm im letzten Jahr nur mit knirschenden Zähnen unterworfen und sicher sann er schon längst darüber nach, wie er das Joch derer von Weißenfels abwerfen konnte. Aber dazu würde er es nicht kommen lassen. Raimund musste bald den Tod finden. Er selbst trat dabei besser gar nicht in Erscheinung, damit daraus nicht noch mehr Hass und Rachsucht gegen ihn erwuchsen. Zudem hatte er für derlei delikate Aufgaben verschwiegene und skrupellose Männer, die diese Arbeit bereitwillig für ihn ausführten, wenn ihnen dafür nur ein Beutel klingender Münzen winkte.

Aber das hatte noch Zeit. Jetzt galt es erst einmal, Raimund von Eggerscheid erneut vor Augen zu führen, wer hier Herr und wer Unterworfener war. Denn nun trennte sie nur noch ein Dutzend Pferdelängen voneinander.

Markward von Weißenfels lachte höhnisch auf, als er sah, wie die Lanze seines Gegners sich scheinbar genau auf seine Brust richtete. Zumindest mochte es von der Tribüne aus so aussehen. Doch in Wirklichkeit war der Winkel zwischen Pferdehals und Lanze viel zu spitz, als dass ihn das Fichtenholz seines Kontrahenten treffen konnte.

Der Bursche kennt seinen Platz! Gut macht er das! Mal sehen, vielleicht lasse ich ihn ja doch am Leben!, fuhr es ihm durch den Kopf und hob sein schlankes Fichtenholz.

Im nächsten Moment trafen die Reiter an der Mittelplanke im Galopp aufeinander. Und während Raimunds Lanze haarscharf an ihm vorbeischoss, brachte Markward seine abgestumpfte Waffe mitten ins Ziel. Sie barst unter lautem Splittern am Brustpanzer seines Kontrahenten. Raimund wankte bedrohlich im Sattel, tat ihm jedoch nicht auch noch den Gefallen, vom Pferd zu stürzen, sondern ließ blitzschnell seine Lanze fallen und hielt sich am hohen Horn seines Turniersattels fest. Und dann waren sie auch schon aneinander vorbei.

Stürmischer Applaus und Gejohle schallten von der Tribüne über den Platz. Markward nahm den Jubel mit Genugtuung und huldvoller Geste entgegen, ließ sein Pferd tänzeln und ritt dann zu seinem jüngeren Bruder Gisebert hinüber, der schon einen mit Wein gefüllten Pokal für ihn bereithielt.

Kaum hatte der Herr von Burg Weißenfels den schweren Helm abgenommen und sich nach dem Weinpokal gebeugt, als Gisebert ihm auch schon zurief: »Du bleibst besser im Sattel, Bruder! Da ist noch ein Ritter, der dich zum Stechen herausgefordert hat!«

Markward zog die buschigen Brauen hoch. »So? Und wer ist es, der jetzt gegen mich antreten will?«

Gisebert zuckte die Achseln. »Keiner hier kennt ihn. Es ist ein durchreisender französischer Ritter, der von unserem Turnier gehört hat. Er nennt sich Maurice von Montblanc. Es ist dieser Kerl dort drüben, dieser schwarze Ritter!« Und damit wies er hinüber auf das andere Ende der Schranken, wo erst vor wenigen Augenblicken Raimund von Eggerscheid zum Stechen angeritten war.

Markward wandte sich um und sah, dass sein Bruder den fremden Herausforderer wahrlich nicht ohne Grund als »schwarzen Ritter« bezeichnet hatte. Denn der Mann saß nicht nur auf einem schwarzen Pferd, sondern auch der Helm und die sträflich leichte Panzerung von Oberkörper, Schulter und Armen waren in einem matten Schwarz gehalten. Dasselbe galt auch für den lederbezogenen, wappenlosen Schild, über dessen Kreidegrund schwarze Farbe aufgetragen worden war.

»Dieser Franzose will gegen mich im Stechen antreten? Nun denn, soll er es versuchen!«, stieß Markward grimmig hervor, wusste er doch, dass seine Ritterehre es ihm verbot, eine solche Herausforderung nicht anzunehmen. »Ich werde ihn in den Staub werfen!« Schnell nahm er einen kräftigen Schluck Wein, packte die neue Fichtenlanze, die Gisebert ihm reichte, und lenkte sein Pferd an den Anfang seiner Kampfbahn.

Augenblicke später verkündete der Herold den Namen des fremden Ritters, der den Herrn von Weißenfels zum Stechen gefordert hatte.

Wieder ertönte das Hornsignal des Bläsers, der damit das Kampffeld für die vierte Tjost des Nachmittags freigab.

Als Markward anritt und sah, dass sein französischer Herausforderer Linkshänder war, lachte er innerlich siegesgewiss auf. Wer bei der Tjost seine Lanze mit der linken Hand führte, musste sie dabei quer über den Hals des Pferdes legen. Das verringerte nicht nur die Reichweite der Waffe beträchtlich, sondern brachte auch beim Aufeinandertreffen erhebliche Nachteile mit sich. Denn wer als Linkshänder von der gegnerischen Lanze getroffen wurde, hatte auch bei einem nicht gänzlich gelungenen, gegnerischen Stoß große Mühe, sich im Sattel zu halten.

»Komm nur! Gleich wirst du Staub fressen, Franzmann!«, stieß Markward mit grimmiger Vorfreude auf seinen vierten Sieg hervor.

In gestrecktem Galopp jagten die beiden Ritter an der Mittelplanke entlang und aufeinander zu. Dreck und Grasnarben flogen unter den trommelnden Hufen der Pferde in die Luft.

Und dann, wenige Sekunden vor dem Aufeinandertreffen, vollführte der schwarze Ritter ein atemberaubendes Manöver, das Markward einen jähen Schreck einjagte. Von den Zuschauern auf der Tribüne kam ein lauter, erregter Aufschrei, als hätten sich die Stimmen der Menge zu einer einzigen vereint.

Markward konnte nicht glauben, was für ein unglaubliches Kunststück der Franzose so kurz vor ihrem Zusammenprall vollführte. Der schwarze Ritter warf seine Lanze mit der linken Hand in die Luft, als handelte es sich dabei um einen kurzen, leichten Stecken, fing sie mit der rechten Hand auf und legte sie mit einer unglaublich geschmeidigen Bewegung unter der Armbeuge ein. Noch nie in seinem Leben hatte Markward etwas so Kunstfertiges gesehen. Ja, er hatte nicht einmal geahnt, dass ein Reiter im vollen Galopp zu solch einem Manöver überhaupt fähig war! Und hätte man ihm davon erzählt, er hätte es für die dreiste Lüge eines Aufschneiders gehalten.

Der Herr von Burg Weißenfels hatte keine Zeit, sich von seinem Erschrecken zu erholen. Denn im nächsten Moment befanden er und sein Gegner sich auch schon in Reichweite ihrer Lanzen.

Markward verfehlte den Brustpanzer des fremden Ritters um mehrere Handbreiten. Seine Lanze stieß ins Leere. Dagegen fand die Waffe seines Herausforderers ihr Ziel und zersplitterte, wie es eine gelungene Tjost vorsah. Der Stoß jagte ihm einen stechenden Schmerz durch die Brust und nur mit allergrößter Mühe vermochte er einen Sturz von seinem Pferd zu vermeiden.

Lautes Geschrei, in das sich so manches schadenfrohe Gelächter mischte, schallte von den Brettern der Tribüne über den Turnierplatz. Das war eine Tjost, die ganz nach dem Geschmack der Leute war, vor allem der einfachen Bauern, Knechte und Vasallen des Burgherrn.

Kaum hatte Markward das Gleichgewicht im Sattel wiedergefunden, als wilder Zorn in ihm aufflammte. Er riss sein Pferd herum, stieß sein Visier hoch und brüllte mit lauter, herrischer Stimme über den Platz, dass der fremde Ritter ihn getäuscht und daher auch kein recht habe, sich als Sieger zu fühlen. Und auf der Stelle fordere er als Revanche ein zweites Stechen mit diesem Herrn Maurice von Montblanc, damit dieser zeigen könne, ob er ihm auch ohne hinterlistige Täuschung gewachsen sei!

Der Burgknecht, der bei dem Turnier die Rolle des Herolds übernommen hatte, griff dann auch sofort zu seinem Horn und blies es schnell zweimal, bevor sich auf der Tribüne Protest erheben konnte. Und damit erklärte er die Tjost für unentschieden. Ein leises Murren war zu vernehmen, aber niemand wagte es, die Richtigkeit dieser Entscheidung laut infrage zu stellen.

Auch der schwarze Ritter erhob keinen Einspruch. Gelassen saß er im Sattel und bedeutete dem Burgherrn und der Menge, dass er gegen ein zweites Stechen nichts einzuwenden hatte, ließ sich eine neue Lanze reichen und führte sein Pferd wieder zurück zum Startpunkt seiner Kampfbahn.

Indessen brachte Markward sein Pferd ganz nahe an das Zelt heran, wo er sich für das Stechen die Rüstung hatte anlegen lassen und wo auch sein Bruder einen Vorrat an Lanzen für die Tjost bereithielt.

»Nicht das verdammte Fichtenholz!«, zischte er Gisebert nun zu, als dieser schon nach einer der gewöhnlichen Turnierlanzen greifen wollte. »Gib mir die Lanze aus Eschenholz! Und komm bloß nicht auf den Gedanken, ein Krönlein auf die Spitze zu setzen!« Gisebert machte ein erschrockenes Gesicht. »Ja, aber . . .«, begann er.

»Halte mich nicht wie ein jammerndes Weib mit Geschwätz auf!«, fuhr Markward ihm schroff über den Mund. »Nun mach schon! Her mit dem Eschenholz! Hier bin ich Herr, falls du das vergessen haben solltest! Und ich denke nicht daran, mich von einem dahergelaufenen Fremden blamieren zu lassen! Der Schweinehund wird was erleben! Ich werde diesen elenden Franzosen aufspießen wie ein Mastschwein am Schlachttag!«

Schnell tat Gisebert, wie sein herrischer, rachsüchtiger Bruder ihm befohlen hatte, und drückte ihm anstelle einer Fichtenlanze verstohlen eine Lanze aus hartem Eschenholz in die Hand.

Markward sprengte mit der gefährlichen Waffe davon und hielt sie dabei auch noch tief unten am Leib seines Pferdes, damit niemand auf der Tribüne Gelegenheit bekam, einen Blick auf die Lanze zu werfen.

Wieder blies das Horn zur Tjost und sofort setzten sich die Reiter an beiden Enden der Kampfbahnen, die durch Fahnenstangen mit bunten Bannern markiert waren, in Bewegung.

Diesmal war Markward hellwach und auf der Hut. Ein zweites Mal würde er sich von dem schwarzen Ritter nicht täuschen und um den Sieg bringen lassen! Dieser Maurice von Montblanc mochte noch so gut und trickreich mit der Lanze umzugehen wissen, er würde bei dieser Revanche dennoch den Kürzeren ziehen. Denn die Eschenholzlanze war ein gutes Stück länger als die aus Fichtenholz. Der Franzose würde noch von Glück reden können, wenn er diese Tjost schwer verletzt überlebte. Doch Markward würde alles daransetzen, dass er ihn in wenigen Augenblicken tot im Dreck liegen sah!

Wildes, ungewöhnlich lautes Geschrei begleitete diesmal die kurze Spanne zwischen dem Anritt und dem Aufeinanderprallen der beiden Reiter.

Markward spürte, wie sein Herz schneller schlug, als wollte es sich dem jagenden Rhythmus seines galoppierenden Pferdes anpassen. In seinen Ohren pochte und rauschte das Blut. Die Zähne zusammengebissen und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, trieb er seinem Pferd die Sporen in die Seite. Je höher seine Geschwindigkeit beim Aufeinandertreffen war, dessen tiefer würde sich seine Lanze in den Leib des Franzosen bohren – und desto schwerer würde die Verwundung ausfallen.

Der schwarze Ritter flog ihm entgegen. Diesmal hatte er seine Lanze schon beim Anritt unter der rechten Armbeuge eingelegt. Damit war die Tjost für Markward eigentlich schon entschieden. Doch er irrte.

Als er meinte, dem Franzosen im nächsten Moment die eisenharte Spitze seiner Lanze in den Leib rammen zu können, rutschte dieser nach rechts aus dem Sattel. Für einen winzigen Augenblick hatte es den Anschein, als hätte der Reiter das Gleichgewicht verloren und müsse in der nächsten Sekunde vom Pferd fallen. Doch da knickte das linke Bein des Ritters scharf nach hinten ein und die Sporen des linken Stiefels verhakten sich an der hohen Rückenlehne des Turniersattels, die dem Reiter beim Aufprall zusätzlichen Halt geben sollte. Gleichzeitig zog der linke Arm den Schild bis fast vor den Helm hoch und streckte sich der Körper des nach rechts aus dem Sattel hängenden Mannes, scheinbar entgegen allen Gesetzen der Schwerkraft. Aus dieser unglaublichen Schieflage, die eine unglaubliche Kraft und Körperbeherrschung verlangte, schoss seine Lanze nach vorn.

Im Bruchteilen von Sekunden begriff Markward, dass seine heimtückische List mit der Lanze aus Eschenholz ihn nicht davor bewahren würde, auch diese zweite Tjost vor aller Augen zu verlieren. Ein Schrei unbändiger Wut entrang sich seiner Kehle, der sogleich in einen brennenden Schmerzes überging, als seine Waffe den Herausforderer weit verfehlte und ihn der Stoß des schwarzen Ritters mit aller Wucht in Höhe des Brustbeines traf. Und es lag so viel Kraft in diesem Lanzenstoß, dass er sich diesmal nicht mehr im Sattel zu halten vermochte. Wie von einem Katapult geschleudert, flog er vom Rücken seines davongaloppierenden Pferdes. Hart schlug er auf dem Boden auf und für einen Augenblick fürchtete er, das Bewusstsein zu verlieren. Sein Schädel dröhnte, als hätte jemand in ihm einen riesigen Gong mit einer Keule angeschlagen. Nur mühsam wälzte er sich im aufgewühlten Erdreich der Turnierwiese auf den Rücken und stieß mit zitternder Hand das Helmvisier auf.

Im selben Augenblick fiel der Schatten des schwarzen Reiters auf ihn, der nun ebenfalls das Helmvisier nach oben schob und ihm sein Gesicht enthüllte.

Ungläubig starrte Markward von Weißenfels zu ihm hoch. Er wurde bleich wie Kreide, glaubte er doch, ein Gespenst im Sattel des Pferdes sitzen zu sehen. Denn der schwarze Ritter, der sich als Franzose ausgegeben und ihn unter dem Namen Maurice von Montblanc herausgefordert hatte, war sein jüngster Bruder Gerolt, den er seit einer Woche gut verscharrt im Wald bei Manderscheid gewähnt hatte!

»Nein, du hast keinen Geist oder Wiedergänger vor dir!«, stieß Gerolt voller Verachtung hervor und er ahnte, was in diesem Moment in seinem tyrannischen Bruder vorging. »Dein Meuchelmörder, den du mir letzte Woche nachgeschickt hast, damit er mich mit seiner Armbrust hinterrücks tötet, hat seine Sache schlecht gemacht. Doch ich habe Gnade mit ihm gehabt und ihn nicht nur leben lassen, sondern ihm auch noch ein paar Silberstücke gegeben, damit er dir meinen blutbefleckten Templermantel mit dem angeblichen Einschussloch zum Beweis bringt, dass er mich auch wirklich umgebracht hat. Nun, zumindest diese Aufgabe hat er offenbar gut ausgeführt, wie ich deinem Gesicht entnehmen kann.«

Noch immer sprachlos vor ungläubigem Entsetzen, starrte Markward zu ihm auf. Ihn würgte Übelkeit.

Zorn und Trauer mischten sich jetzt auf Gerolts Gesicht. »Was hast du bloß befürchtet, als ich letzte Woche nach zwanzig Jahren Abwesenheit vor dir stand? Warum hast du mich sofort wie einen räudigen Hund davongejagt? Hast du vielleicht geglaubt, ich wäre gekommen, um irgendwelche Forderungen zu stellen? Wovor, zum Teufel, hattest du solche Angst, dass du mich noch nicht einmal eingelassen, mir eine warme Mahlzeit und ein Gespräch unter Brüdern gegönnt hast?«, verlangte er voller Bitterkeit von ihm zu wissen. »Ich kam mit guten, redlichen Absichten. Nichts weiter als ein Besuch des Ortes meiner Geburt und Jugend sollte es sein. Aber du hast dich in all den Jahren nicht geändert, Markward. Du bist der gewissenlose Lump geblieben, der du schon damals warst!«

Er wartete auf eine Antwort, doch es kam keine. Und als er sah, dass nun Gisebert und mehrere Burgknechte zu ihnen über die Turnierwiese rannten, schloss er seine Anklage hastig mit den verächtlichen Worten: »Dass du ein Tyrann und skrupelloser Burgherr bist, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten großen Landbesitz zusammengerafft hat und die Bauern bis aufs Blut ausbeutet, habe ich schon vorher gewusst. Doch ich habe nicht geahnt, dass sich hinter der Maske des selbstherrlichen Burgherrn die große Angst verbirgt, dass sich deine Unterworfenen irgendwann gegen dich erheben und du alles verlierst. Und eines Tages wird es so kommen, auch wenn du mit noch so blutiger Hand dein kleines, elendes Reich zu erhalten versuchst! Ich könnte dich jetzt verfluchen, weil du nicht einmal davor zurückgeschreckt hast, deinen eigenen Bruder umbringen zu lassen. Aber das kann ich mir sparen, denn verflucht bist du wohl schon lange! Und du wirst ernten, was du an Hass gesät hast!«

Damit riss Gerolt sein Pferd herum, gab ihm die Sporen und galoppierte davon. Der nahe Wald hatte ihn schon verschluckt, als Gisebert mit der Schar Burgknechte seinen am Boden liegenden Bruder erreicht hatte.