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Hohe Tannenwälder füllten die Täler und zogen sich die Hänge hinauf, aber auch Ulmen und knorrige Eichen behaupteten sich noch in den unteren Bergregionen. In nicht allzu weiter Ferne hoben sich jedoch schon die hohen, wild gezackten Gipfel mit ihren weißen Schneefeldern in den Himmel. Sie mochten noch keine Stunde geritten sein und kamen gerade aus einem schmalen, bewaldeten Tal auf einen mit hohen Felsbrocken übersäten Berghang, als Galcerand Salgues das Zeichen zum Anhalten gab.

»Jemand folgt uns!«, sagte er, den Blick auf den hinter ihnen liegenden Waldsaum gerichtet.

»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte Tarik verwundert, der wie seine Freunde nichts dergleichen bemerken konnte.

»Ganz sicher«, erwiderte der Einsiedler. Und wie zum Beweis flatterte im selben Augenblick ein Schwarm Vögel mit lautem Flügelschlag aus den Bäumen auf, zog einen Halbkreis über dem Wald und entschwand in östlicher Richtung.

Sofort sprangen die Gralsritter von ihren Maultieren, führten sie eiligst vom Weg in den Sichtschutz einer Senke und verteilten sich dann mit blanker Waffe hinter den Felsenblöcken, durch die sich der Pfad bergauf schlängelte. Angestrengt spähten sie zum Wald hinunter, wer sich da an ihre Fersen geheftet hatte.

»Wenn sich in Boucan noch mehr Iskaris aufgehalten haben, wird die Sache für uns verteufelt eng!«, raunte Maurice. »Es braucht bloß einer von ihnen einen anderen Weg zur Abtei einzuschlagen und die Bande dort warnen, dass wir ihrem Hinterhalt an der Hängebrücke entkommen sind. Dann sieht es düster für uns aus!«

Im nächsten Moment tauchte eine Gestalt aus dem Wald auf, die auf einem Maultier saß und dieses mit Stockhieben und Zurufen zu höchster Eile antrieb. Es genügte ein Blick auf das blonde, wehende Haar, um zu wissen, wer da den Pfad hochgeritten kam.

»Donnerschlag, das ist doch Heloise!«, entfuhr es McIvor ungläubig und er ließ sein Schwert wieder in die Scheide zurückgleiten. »Was hat sie bloß hier zu suchen?«

Auch Gerolt, Maurice und Tarik hätten nicht damit gerechnet, sie so schnell wiederzusehen.

»Eine gute Frage. Vielleicht will sie uns eine wichtige Nachricht überbringen«, sagte Tarik stirnrunzelnd. Er klang jedoch nicht so, als hielte er das für wahrscheinlich.

»Heloise hat etwas ganz anderes im Sinn«, sagte Maurice sofort ahnungsvoll. »Und wenn es das ist, was ich vermute, wird sie was zu hören bekommen!«

Auch Gerolt hatte eine derartige Ahnung, verkniff sich jedoch jeden Kommentar. Denn so bitterernst ihre Lage auch sein mochte, so war seine erste Reaktion auf ihren Anblick doch nichts als pure Freude. Er verbarg sie jedoch vor seinen Freunden, die dieses Gefühl offensichtlich ganz und gar nicht teilten.

Sie traten jetzt hinter ihrer felsigen Deckung hervor. Und kaum befand sich Heloise in Rufweite, als Maurice auch schon ungnädig die Stimme erhob: »Kannst du uns mal verraten, warum du hinter uns hergeritten kommst, Heloise? Ich hoffe, du hast dafür eine gute Erklärung!«

»Und ob ich die habe!«, rief sie zurück, ließ ihr Maultier in einen Trab fallen und brachte es dann vor ihnen zum Stehen. Dann verkündete sie ein wenig außer Atem, aber selbstbewusst: »Ich komme mit euch!«

»Das kann nicht dein Ernst sein!«

»Und ob es das ist!«

Maurice schüttelte den Kopf. »Das kommt gar nicht infrage!«, beschied er sie kategorisch. »Bei dem, was wir vorhaben und um jeden Preis wagen müssen, können wir dich wahrlich nicht gebrauchen! Also sieh zu, dass du wieder zurück nach Unac kommst!« »Bei aller Freundschaft, aber Maurice hat leider recht, Heloise«, stimmte Tarik ihm zu, wenn auch sehr viel freundlicher im Ton. »Vor uns liegen Gefahren, die nicht mal wir richtig einschätzen können. Es wäre unverantworlich, dich auf unserem Weg mitzunehmen, der wahrlich ins Ungewisse, ja womöglich in den Tod führt.«

Trotzig reckte Heloise ihnen das Kinn entgegen. »Gefährlicher und ungewisser als unsere Flucht aus Akkon? Gefährlicher und ungewisser als unsere Gefangenschaft in Al-Qahira? Gefährlicher und ungewisser als der Marsch durch die Wüste und das Leere Viertel?«, hielt sie ihnen vor.

Verdutzt blickten sich die vier Gralshüter an. Was konnten sie ihr darauf antworten, war ihnen in diesen gemeinsamen Monaten doch oft genug scheinbar der Tod gewiss gewesen. Und keinmal hatte sich Heloise in dieser Zeit als Last und Behinderung erwiesen.

McIvor kratzte sich am Kopf. »Mhm, dem lässt sich schwer etwas entgegenhalten.«

»Von wegen!«, widersprach Maurice unwirsch. »Eine ganze Menge lässt sich dem entgegenhalten, aber unsere Zeit ist dafür zu kostbar.«

»Du kannst sagen, was du willst, aber mein Entschluss steht fest und davon wird mich keiner abbringen, auch du nicht, mein lieber Maurice«, erwiderte Heloise entschlossen. »Ich hatte schon lange vorgehabt, Unac zu verlassen. Und ich bin nur geblieben, weil Beatrice mich nach dem Tod ihres Mannes angefleht hat, nicht wegzugehen. Aber mit ihrem schrecklichen Tod, den ich mir wahrlich nicht gewünscht habe, bin ich endlich frei, das zu tun, was ich möchte. Und das ist keineswegs ein Leben in Unac! Mir ist es gleich, wohin ihr zieht, wenn es mich nur endlich weg aus dieser Gegend bringt! Ich werde euch auch bestimmt nicht aufhalten. Mit einem Maultier weiß ich sicherlich besser umzugehen als ihr! Und wart ihr nicht immer unsere treuen Gefährten und Beschützer? Wollt ihr mich jetzt einfach wegschicken, als würde ich euch nichts mehr bedeuten?« Ihr Blick ging von einem zum anderen und verharrte dann bei Gerolt.

Galcerand Salgues stand schweigend abseits und wartete mit unbeteiligter Miene, wohin dieser Wortwechsel wohl führen mochte. Ihm schien es gleichgültig zu sein, ob er vier Ritter oder zusätzlich auch noch eine entschlossene, willensstarke Frau in die zerklüftete Bergwelt führen sollte.

Gerolt spürte unter ihrem eindringlichen bittenden Blick, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, und er räusperte sich. »Heloise ist uns nie Ballast und Behinderung gewesen, nicht einmal als kleines Mädchen.«

McIvor nickte. »Immer tapfer und klaglos, das war sie!«, pflichtete er ihm bei und warf ihr einen anerkennenden Blick zu.

»Daran wird sich auch kaum etwas geändert haben«, fuhr Gerolt fort. »Wenn sie also die Gefahr offenen Auges auf sich nehmen will, in die wir uns begeben müssen, dann sollte die Entscheidung darüber auch nur bei ihr allein liegen. Zudem habe ich den Eindruck, dass wir sagen können, was wir wollen, ohne sie dadurch jedoch von ihrem Entschluss abbringen zu können. Wer sollte sie auch daran hindern, uns einfach zu folgen? Wir befinden uns hier wahrlich nicht in offenem Gelände und auf dem Rücken schneller Pferde, um sie im Galopp abhängen zu können. Also, will vielleicht einer von euch Heloise mit Gewalt zur Umkehr zwingen?«

Maurice machte ein betretenes Gesicht und schwieg. Nicht einmal er würde auch nur auf den Gedanken kommen, ihr so etwas antun zu wollen.

»Vielleicht können wir sie mit Galcerand Salgues in irgendeinem Versteck zurücklassen, wenn wir in die Nähe des Ortes gelangt sind, zu dem wir uns Einlass verschaffen müssen«, bot Gerolt an. »Sollte die Vorsehung es so wollen, dass wir scheitern und dabei unser Leben verlieren, kann sie noch immer mit unserem Führer nach Boucan und von dort nach Unac zurückkehren.«

»Das ist ein kluger Vorschlag! So sollten wir es machen!«, stimmte der Schotte ihm sofort zu.

Auch Tarik nickte und sagte mit einer guten Portion Selbstironie: »Was nutzt vier Hunden das Kläffen, wenn der Löwe schon seine Pranke auf der Beute hat?«

Maurice gab sich geschlagen. »Also gut, in Gottes Namen, soll sie mitkommen!«, grummelte er. »Aber vernünftig kann man das wahrlich nicht nennen, was wir da tun!«

»Seit wann lässt du dich denn von der Vernunft leiten, Maurice?«, fragte Heloise schlagfertig. »Das sähe dir doch so wenig ähnlich wie einem Dominikaner der Besuch eines katharischen Gottesdienstes!«

McIvor, Tarik und Gerolt lachten.

Maurice schien kurz zu zögern, ob er sich gekränkt fühlen oder ihre Bemerkung mit Humor nehmen sollte, und er entschied sich für Letzteres. »Bei deinem Dickschädel und deiner spitzen Zunge ist es wirklich kein Wunder, dass du noch nicht unter die Haube gekommen bist!«, konterte er, doch dabei zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. »So, und jetzt nichts wie weiter! Wir haben schon genug Zeit verloren!«

Heloise warf Gerolt einen warmherzigen Blick zu, voller Dank, dass er zu ihr gehalten hatte.

Gerolt erwiderte ihr Lächeln mit leichtem Erröten. Denn ihm war, als könnte sie ihm ansehen, wie freudig sein Herz schlug. Dann wandte er seinen Blick schnell ab und beeilte sich, zu seinem Maultier zurückzukehren. Doch das Lächeln wich lange nicht von seinem Gesicht.