13.
T ine und Knud stehen im Fahrstuhl und starren auf die Schiebetür aus poliertem Edelstahl. Tine findet, dass sie im verzerrten Spiegelbild noch schmaler aussieht.
Knud liest etwas auf seinem Smartphone und steckt es dann in die Hosentasche: »Sie schicken morgen noch mal die Hundestaffel raus. Hubschrauber ebenfalls. Sie fassen den Sektor weiter, um nach Viggas Leiche zu suchen.«
Tine seufzt. Zuerst hat die Polizei im Umkreis des Hauses gesucht sowie im Bereich des Fundorts der blutigen Kleidung. Außerdem wurden alle relevanten Straftäter, die zurzeit auf freiem Fuß waren, überprüft – Vergewaltiger, Mörder, Stalker. Die Krankenhäuser wurden abgeklappert, außerdem Autowerkstätten danach, ob jemand ein Fahrzeug gebracht hatte, das Spuren von einem Personenunfall aufwies.
Fehlanzeige. Ebenso Fehlanzeige bei allen Personen im weiteren Bekanntenkreis von Vigga. Niemand hat etwas von ihr oder über sie gehört. Weiter ist nirgends ein Mietwagen auf sie zugelassen worden. Es gab keine Bankaktionen, keine Auslandsreise, bei der ein Ausweis oder Pass vorgezeigt worden wäre. Vigga war wie vom Erdboden verschwunden. Aber niemand verschwindet einfach so vom Erdboden – wenngleich manche Vermisste in ihm verschwinden. Das Einzige, woran sich die Polizei im Moment festhalten kann, sind die Dinge, die rund um Magnus und Liv geschehen sind – und die aufgefundene Kleidung mit Viggas Blut.
»Ich hoffe, sie finden endlich etwas Brauchbares«, sagt Tine. »Ich wünschte, sie könnten die Laboranalysen beschleunigen. Wir wissen nach wie vor noch nicht, zu wem die Fremd-DNA passt, die an Viggas Bekleidung gefunden wurde. Damit kämen wir immerhin etwas weiter.«
»In Magnus’ Auto haben wir zumindest welche gefunden, die zu Vigga passt.«
»Das ist allerdings nicht überraschend. Sie ist immerhin seine Frau und wird das Auto durchaus benutzt haben«, erwidert Tine.
»Früher oder später«, sagt Knud, und die Fahrstuhltür öffnet sich rumpelnd, »werden wir die Leiche finden.«
Tine und Knud treten auf den Krankenhausflur und gehen auf die Station zu, in der Liv untergebracht ist.
»Mich lässt eines nicht los, Knud«, sagt Tine. »Der Tatort.«
»Was meinst du?«
»Du hast doch die alten Fotos gesehen. Die Tatortfotos vom Mord an Livs Mutter.«
»Natürlich kenne ich die.«
»Es sieht sehr ähnlich aus – ich meine, die alten Bilder und der Tatort in Magnus’ Haus.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Livs Panikattacken und ihre Höhenangst rühren daher, dass sie als kleines Mädchen ihre tote Mutter in der Küche liegend gesehen hat, und zwar von der Treppe aus. Jetzt spielen Liv und eine Treppe und eine Küche wiederum eine Rolle.«
»Und ein Mann: Magnus.«
»Ja. Damals war es ihr Vater, ebenfalls ein Mann. Was wissen wir über ihren Vater?«
»Alles, was in den Akten steht.«
»Ich meine: Wo lebt er jetzt?«
»Das können wir schnell feststellen.«
Tine nickt. »Wir sollten sie gleich noch einmal auf dieses ominöse Tagebuch ansprechen. Auf die Einträge darin. Vielleicht fällt ihr etwas mehr dazu ein. Oder sie verändert etwas in ihrer Aussage.«
»Du weißt doch, dass …«
»Ja«, kürzt Tine ab. »Natürlich weiß ich das. Trotzdem. Sie soll das noch einmal rekapitulieren. Ich will wissen, ob sie sich widerspricht oder wiederholt. Nehmen wir uns noch ein wenig Zeit und sehen, was wir herausbekommen, okay?«
»Gut«, sagt Knud.
Tine und er gehen schweigend weiter, grüßen die Beamtin, die Livs Zimmer bewacht, und sammeln sich kurz, bevor sie wieder hineingehen.