Die unwahre Erscheinung einer eingebildeten Souveränität:

Kritik der Nation, des Staates, des Rechts, der Politik und der Demokratie

Heute gilt der Marxismus und mit ihm die Marxsche Theorie selber im Wesentlichen als eine historisch gescheiterte Orientierung auf den Staat, das sozialstaatliche Netz monetärer Umverteilung, die staatliche Regulation ökonomischer Prozesse, letztlich auf den Staat als Generalunternehmer der Gesellschaft. Man erblickt darin nur noch das Unwesen einer bürokratischen Gängelung des unmündig gehaltenen Individuums und einer repressiven Menschenverwaltung, die Schrecken des Gulags und des Totalitarismus überhaupt: somit alles, was „Marktwirtschaft und Demokratie“ grundsätzlich nicht sein dürfen und nicht sein können. Daran ist insofern etwas Wahres, als die Gesellschaften nachholender Modernisierung, die sich legitimationsideologisch auf Marx beriefen, in der Tat durch und durch staatsautoritär waren bzw. in ihren Überresten noch sind.

Und dieser bürokratische Staatsautoritarismus gehört durchaus nicht bloß zu den Verbiegungen, die der Marxismus unter den Bedingungen der historischen Nachzügler an der Peripherie des Weltmarkts erlebte, sondern er ist immer auch ein Merkmal der marxistischen Arbeiterbewegung, ihrer Parteien und Gewerkschaften, in den kapitalistisch entwickelten westlichen Ländern gewesen. Die europäische Sozialdemokratie ist durch alle ihre Metamorphosen hindurch bis heute eine zutiefst staatsautoritäre Kraft geblieben. Vom ideologischen Zauber- und Trugbild des „Arbeiterstaats“ bis zur repressiven Mitverwaltung der kapitalistischen Zumutungsgesellschaft, von den frühesten programmatischen Deklarationen bis zur Ausformung des keynesianischen bürokratischen Interventions- und Sozialstaats nach dem Zweiten Weltkrieg konnten der Marxismus und seine westlichen Nachfolger bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine durchgehende Staatsorientierung gegenüber der liberalen „Marktfreiheit“ nie verleugnen.

Es wäre eine Verdrehung der Tatsachen, wollte man Marx selber von dieser Staatsorientierung einfach freisprechen. Es lassen sich mehr als genug Aussagen in seiner Theorie anführen, die eindeutig darin gipfeln, dass die sogenannte Arbeiterklasse „die Staatsmacht ergreifen“ müsse, um sich von der (sozialökonomischen) Bedrückung durch die sogenannte Kapitalistenklasse zu befreien, dass der Sozialismus ein „Arbeitsstaat“ mit „Arbeitspflicht“ sein werde, dass es ihm um die wahre Herstellung der „Nation“ und der „“Demokratie“ zu tun sei, und dass der Weg zu alledem ein „politischer“ sein müsse. Aber dabei handelt es sich eben wieder um den exoterischen, also um den systemimmanent auf das Jahrhundert der Arbeiterbewegung hin orientierten und argumentierenden Marx. Und wie dieser exoterische Marx grundsätzlich von einer doppelten historischen Ungleichzeitigkeit (des damaligen „unterständischen“ Arbeiterstatus im allgemeinen und der spezifisch deutschen Verhältnisse im Besonderen) bestimmt ist, so auch im Hinblick auf die Kategorien von Politik, Staat, Nation und Demokratie.

Zum einen handelt es sich um die ihrerseits wieder doppelte staatliche Rückständigkeit Deutschlands im Vergleich zu England und Frankreich: Es war erstens in Kleinstaaten zersplittert und noch nicht zur kapitalistischen Nation erhoben, und es wurde zweitens noch immer von einem überlebten monarchisch-absolutistischen „Gottesgnadentum“ regiert und war noch nicht zur kapitalistischen Republik fortgeschritten. Da Marx als dissidenter Abkömmling des modernen bürgerlichen Denkens von einem aufklärerisch-liberalen, deterministischen Fortschrittsbegriff erfüllt war, mussten seinem Verständnis nach zuerst einmal nicht nur in ökonomischer und kultureller, sondern auch in politischer Hinsicht die noch nicht erledigten „kapitalistischen Aufgaben“ abgearbeitet werden, also die Herstellung von nationalstaatlicher Einheit und bürgerlicher Republik. Soweit Marx das deutsche Bürgertum, über dessen duckmäuserische Feigheit er Hohn und Spott ausgoss, als unfähig zur Ausführung dieser vermeintlichen historischen Agenda ansah, verstieg er sich dazu, der ominösen Arbeiterklasse diese Aufgaben als gewissermaßen im Vorbeigehen zu erledigende aufzuhalsen. Denn was nun einmal auf der Checkliste der Geschichte steht, muss auch ordnungsgemäß abgearbeitet und abgehakt werden. Diese, einem historischen Determinismus entspringende, paradoxe Denkfigur, die eigentlich zu überwindenden Kategorien der kapitalistischen Gesellschaft erst einmal selber zu installieren, damit sie dann später korrekt abgeschafft werden können, wurde nicht umsonst später von Lenin für die paradoxen Anstrengungen der nachholenden Modernisierung im 20. Jahrhundert politisch (und ausgehend von einem verkürzten „politizistischen“ Verständnis) instrumentalisiert. Dass es sich dabei um eine Falle handeln könnte, die das kritische Bewusstsein an eben diese Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung fes- seln würde, war Marx nicht bewusst – oder er wollte es nicht wahrhaben.

Zum andern war nicht nur in Deutschland, sondern auch in den weiter fortgeschrittenen westlichen Ländern des Kapitalismus das soeben erst entstandene und noch immer weiter im Entstehen begriffene Fabrikproletariat eine in vieler Hinsicht rechtlose Masse, also kein voll im bürgerlichen Sinne rechts- und geschäftsfähiges Subjekt, und vom politischen Leben der bürgerlichen Republiken auch im formellen Sinne weitgehend ausgeschlossen. Das Wahlrecht war nicht nur den Frauen verwehrt, sondern auch den männlichen „Besitzlosen“ oder schränkte deren Stimmrecht zumindest weitgehend ein (z.B. durch ein Zensus-Wahlrecht nach Steuerklassen). Unter diesen Umständen musste der Staat, auch der republikanische, als ein schierer Klassenstaat erscheinen, d.h. als eine exklusive Angelegenheit und ein Apparat der besitzenden Klassen. So machte sich unvermeidlich der ganz immanente Impuls geltend, im Rahmen des Daseins als Lohnarbeiter (und sogar zwecks Ausformung und Vollendung dieses Daseins) die volle bürgerliche Rechts- und Staatsbürgersubjektivität der Lohnarbeiter, im Prinzip vor allem der männlichen, anzustreben und herzustellen. Der Kampf der Arbeiterbewegung um Anerkennung im Kapitalismus nahm also notwendigerweise auch eine politische Form an. Die Fahne dieser Bestrebung war der emphatische Begriff der Demokratie, ihre Bewegungsform der Klassenkampf als „politischer Kampf“. So entstand die Sozialdemokratie als politische Partei, ja geradezu als der Prototyp einer modernen politischen Partei im „eisernen Gehäuse“ kapitalistischer Vergesellschaftung. Und Marx konnte gar nicht anders, als diesem Impuls Zugeständnisse zu machen, ihn in die Formulierung seiner Theorie gewissermaßen einzuschmelzen, obwohl gerade dieser politische Kampf nicht aus Kapitalismus und Lohnarbeit hinaus-, sondern im Gegenteil immer tiefer hineinführte und die Menschen auf die gesellschaftlichen Formen, auf die Kategorien und Kriterien des Kapitalismus umso unerbittlicher verpflichtete.

So wurde wie in allen anderen Fragen auch in der Frage von Staatlichkeit, Nation, Politik und Demokratie der radikal kritische Kern der Marxschen Theorie verdunkelt. Was geflissentlich wahrgenommen wurde, war die bloß klassensoziologische Formulierung der Staatstheorie, in der Marx vom Staat als dem „geschäftsführenden Ausschuss der Bourgeoisie“ sprach. Diese Formulierung gehört dem vergangenen Jahrhundert der Arbeiterbewegung an, sie entspricht nicht dem Zustand einer zu Ende entwickelten bürgerlichen Demokratie. Umso bedeutsamer werden dafür die Gedanken jenes „anderen“ Marx, der zusammen mit der „Arbeit“ auch die Rechtsform und die Erscheinungen der demokratischen Staatlichkeit als solche radikal kritisiert. Schon zu Beginn seiner theoretischen Überlegungen stellte Marx die Frage nach dem Charakter einer voll durchgeführten Demokratie und allgemeinen Verrechtlichung – und deckte dabei die Widersprüche von Rechtsform und Staatlichkeit überhaupt auf, die sich nicht mehr im Sinne eines bloß äußeren Gegensatzes von sozialen Klassen bestimmen lassen.

Es mag dem gegenwärtigen Bewusstsein befremdlich vorkommen, dass diese Fragestellung ihren scheinbar weit hergeholten Aufhänger am Problem der Religionskritik hatte. Aber Marx ahnte nicht nur, dass die kapitalistische Gesellschaft eine Art säkularisierte Religion, eine irdische Realmetaphysik des Geldes darstellt (in diesem Sinne hatte sich schon sein Zeitgenosse Heinrich Heine geäußert), sondern er bezog sich auch auf die philosophisch-gesellschaftskritische Debatte in Deutschland vor 1848, die von den sogenannten „Linkshegelianern“ dominiert wurde. Es ging dabei in philosophischer Hinsicht um die Kritik der Religion als einer „falschen“, phantastischen Vorstellung des Menschen von sich selbst und seiner Gesellschaft, eine Vorstellung, die durch Überwindung des religiösen Bewusstseins aufgehoben werden sollte. In gesellschaftspolitischer Hinsicht konnte diesem Impuls die Forderung nach einem Ende der christlichen Staatsreligion entsprechen, also nach einer Trennung von Kirche und Staat, nach Religionsfreiheit etc.

Der geniale Zug von Marx in dieser Debatte bestand darin, dass er die Problemstellung umdrehte, auf die bestehende gesellschaftliche Ordnung zurückführte und damit den „religiösen Schleier“ der ganzen Auseinandersetzung wegzog: An die Stelle einer Überwindung des religiösen Bewusstseins „innerhalb des Bewusstseins“, um die Gesellschaft zu einer menschlichen zu machen, so Marx, müsse umgekehrt die Überwindung der bestehenden Gesellschaft treten, um das religiöse Bewusstsein los zu werden. Bei näherem Betrachten dieser Gesellschaft aber zeige sich, dass die politische Reform oder Emanzipation an dem unheilbaren Widerspruch leide, die wirklichen Probleme bloß zu „privatisieren“, statt sie zu lösen. Wie mit der Religionsfreiheit und dem Ende der Staatsreligion das religiöse Bewusstsein nicht verschwinde, sondern nur in eine private, vor- und außerstaatliche Angelegenheit verwandelt werde, ebenso verhalte es sich mit den sozialen und ökonomischen Problemen. In dem Maße, wie vor allem das ökonomische Privateigentum in der reinen Demokratie nach Abschaffung des Zensus-Wahlrechts als solches keine politische Rolle mehr spiele, werde es sozial erst seine volle negative Entfaltung erreichen.

So kam Marx darauf, die Aufspaltung des Menschen und seiner Gesellschaft überhaupt in eine „ideale“ staatliche Sphäre einerseits und eine „schmutzig“-sozialökonomische, private, bürgerliche Sphäre der abstrakten Arbeit, der Geldinteressen, der ökonomischen Konkurrenz usw. andererseits radikal in Frage zu stellen. Die „bürgerliche Gesellschaft“ in diesem Sinne ist nicht die Gesellschaft, in der eine bestimmte Klasse, nämlich das Besitzbürgertum, herrscht (auch im Staat), sondern sie ist die der bloß abstrakten Staatlichkeit aller Individuen gegenüberstehende Sphäre der verselbstständigten ökonomischen Reproduktion ebenfalls aller Individuen. Ein solcher Zustand der reinen Demokratie, der jedes Individuum qua Staatsbürgerlichkeit als „souveränes“ setzt, während dasselbe Individuum aber gleichzeitig in sozialer („bürgerlicher“) Hinsicht ein obdachloser Bettler sein kann, ein solcher Zustand, meint Marx, sei die Verhöhnung eines menschlichen Gemeinwesens.

Die Staatlichkeit überhaupt, deren höchste und reinste Form die Demokratie darstellt, ist demzufolge nur die andere Seite einer paradoxen Ungesellschaftlichkeit der wirklichen Individuen, die von der blinden Selbstbewegung des Geldes gesteuert werden. Indem sie allesamt dem kapitalistischen Verwertungsprozess unterworfen sind, können sie sich zueinander in ihrer sozialen Praxis nur als Rechtspersonen verhalten. Rechtspersonen aber sind nichts Anderes als „Repräsentanten von Waren“, und indem sich die Menschen zueinander derart als bloße Repräsentanten von ihnen gegenüber verselbstständigten ökonomischen Kategorien verhalten müssen, können sie kein reales Gemeinwesen bilden. Denn die Individuen sind zwar als Staatsbürger in ihrem realen alltäglichen Leben Mitglieder eines Gemeinwesens, in ihrer materiellen Reproduktion aber bilden sie das genaue Gegenteil eines Gemeinwesens, obwohl die Produktionsmittel längst gesellschaftlichen Charakter angenommen haben.

Weit davon entfernt, Verrechtlichung, Staatlichkeit und Demokratie als die Lösung der sozialökonomischen Misere zu begreifen, sieht der andere, verborgene Marx darin nur die Kehrseite dieser Misere selbst. Und genau damit ist er heute erst hochaktuell geworden. Während der Liberalismus die äußerliche, bürokratische Gesellschaftsverwaltung des Staates immer nur kritisierte, um dagegen den Markt und dessen angebliche Freiheit zu favorisieren, versteht die radikale Staatskritik von Marx den Markt nur als die Kehrseite derselben Medaille: Der Staatsautoritarismus ist nur die komplementäre Entsprechung des Marktautoritarismus, der politische Totalitarismus nur eine Erscheinungsform des ökonomischen Totalitarismus. Auf beiden Seiten dieses Verhältnisses bleiben die Individuen unfrei, weil sie im einen Falle der Bürokratie, im anderen Falle den Mächten der anonymen Konkurrenz ausgeliefert sind. Markt und Staat, Politik und Ökonomie bilden nur die beiden Seiten eines paradoxen, irrationalen, schizophrenen Gesellschaftsverhältnisses, in dem die Individuen in einen „homo öconomicus“ und einen „homo politicus“, einen „bourgeois“ und einen „“citoyen“ zerfallen, also mit sich selbst in Widerspruch treten. Es handelt sich um die beiden Seiten ein und desselben schweren Mangels, die nicht gegeneinander auszuspielen, sondern nur beide gleichermaßen aufzuheben sind – in eben jene Vereinigung „konkreter gesellschaftlicher Individuen“, die Marx dann bei seiner Kritik der abstrakten Arbeit im Auge hatte.

Der Klassenkampf als politischer Kampf, und nur als solcher konnte er die Konkurrenz unter den Lohnarbeitern partiell aufheben, vollendete also den Kapitalismus, statt ihn zu überwinden. Er vollendete ihn eben in der staatlich-politischen Sphäre, indem er die verschiedenen sozialen Funktionskategorien des Kapitals als abstrakt „freie“ Staatsbürger gleichschaltete, so dass nun die gleiche, übergreifende Form von Konkurrenz, abstrakter Arbeit, Verrechtlichung und demokratischer Staatsbürgerlichkeit abgeschlossen war. Der Klassenkampf hat damit nicht den Kapitalismus, sondern sich selbst aufgehoben. Aber jetzt tritt der Mangel, die Irrationalität und Negativität dieses gemeinsamen gesellschaftlichen Formzusammenhangs umso krasser in Erscheinung.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts glaubt niemand mehr wirklich an die Politik, die Politiker selbst eingeschlossen. Der gegen die erlahmende Funktionskraft der staatlich-politischen Sphäre abermals angerufene Markt mit seiner anonymen Konkurrenz aber kann kein menschliches Gemeinwesen stiften, nicht einmal ein abstraktes; deswegen bedurfte es ja überhaupt der Aussonderung jener abstrakten staatlichen Sphäre. So beginnt der in sich gespaltene, gesellschaftlich-ungesellschaftliche, unwirklich-ideale und schmutzig-alltägliche Formzusammenhang zusammen mit den darin eingeschlossenen Individuen zu verwildern. Die Realität der Konkurrenz löst die abstrakte Idealität der demokratischen Staatsbürgerlichkeit auf.

Eine Linke, die auf Politik und Demokratisierung fixiert ist, kann die Realität des vollendeten Kapitalismus nicht mehr kritisch erfassen: Statt beide Seiten der Gespaltenheit und damit auch ihre Kategorien aufzuheben, sollen die unaufgehobenen Kategorien der abgesonderten politischen Sphäre auf die ebenso unaufgehobenen Kategorien der bürgerlichen Marktgesellschaft übertragen werden in Gestalt einer Politisierung oder Demokratisierung der betriebswirtschaftlichen Warenökonomie. Diese Illusion hat sich blamiert und erledigt. Die Emanzipation des Menschen kann jetzt nur noch gegen die abstrakte Staatsbürgerlichkeit stattfinden, also jenseits der politischen und demokratischen Illusion ebenso wie jenseits von Arbeit und Konkurrenz.

Eines der Hindernisse dieser endlich über die sogenannte Moderne des warenproduzierenden Systems hinausgehenden Emanzipation ist die Befangenheit im Begriff der „Nation“. Die Nation, keineswegs eine überhistorische Gegebenheit, sondern eine Erfindung des modernen Kapitalismus, stellt nichts Anderes dar als den Mantel oder die kulturell-symbolische, mythologisch vermittelte Kostümierung der staatlich-politischen Sphäre. Sie ist ebenso abstrakt und „unwahr“ wie diese selbst, erscheint aber ih- rer farbigen Einkleidung wegen als konkreter und greifbarer, als Gemeinschaft stiftend nicht gegen die Konkurrenz, sondern in der Konkurrenz durch Ausschließung des Fremden.

In dieser Hinsicht tritt der Gegensatz zwischen dem exoterischen und dem esoterischen Marx abermals krass in Erscheinung, und gerade in Bezug auf Deutschland. Im Sinne seiner deterministischen historischen Checkliste musste Marx auch die Nationalisierung Deutschlands befürworten und den nationalen Geist in der Arbeiterbewegung akzeptieren. Dass der dabei affirmierte sozialdemokratische Patriotismus direkt auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs führte, entlarvte schon frühzeitig die staatsbürgerliche Bestimmtheit der Arbeiterbewegung. Dagegen durchschaute der andere, der eigentlich radikale Marx den Charakter der Nation von Anfang an und polemisierte gegen die Nationalduselei sogar mit besonderer Schärfe.

Dabei stieß er schon sehr früh auf jene besondere „deutsche Ideologie“, die im Zuge der nachholenden Modernisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert die (vorerst noch virtuelle) deutsche Nation zu einer dem Kapitalismus gegenüber (!) vorrangigen Blutsund Kulturgemeinschaft mythologisierte, in der angeblich nicht die verselbstständigte Logik des Geldes oder Tauschwerts, sondern das rein sachliche „gute“ Kapital einer schieren technischen Produktivkraft jenseits der sozialen Gegensätze wirken sollte, ein Konstrukt, das sich immer mehr verdichtete und zum Essential der Nazi-Ideologie werden sollte. In seiner (erst in den 70er Jahren aufgefundenen und in den gängigen Werkausgaben nicht publizierten) Polemik gegen Friedrich List, den Begründer der deutschen „Nationalökonomie“, nahm Marx mit beißender Schärfe alle Grundelemente dieser spezifisch deutschen „Durchsetzung des Kapitalismus mit antikapitalistischen Phrasen“ aufs Korn und formulierte damit eine frühe Kritik der noch unentbundenen Ideologie eines „Nationalsozialismus“, also eines Kapitalismus, der ausgerechnet qua Nationalität nicht-kapitalistisch sein will – vor allem, indem er die Konkurrenz nach außen beschwört, um nach innen eine ethno-rassistische nationale „Volksgemeinschaft“ zu konstituieren.

Auch die Marxsche Polemik gegen die Nationalität im Allgemeinen und gegen die „deutsche Ideologie“ im Besonderen gewinnt heute wieder brennende Aktualität. Erleben wir doch weltweit als Reaktion auf die Krise der Politik eine ethno-nationalistische Regression und in Deutschland eine Wiederkehr jener gespenstischen „deutschen Ideologie“ in neuen Formen, nicht nur bei ostdeutschen Neonazi-Banden.

Lies hierzu den esoterischen Marx in seinen Schriften: