„Oh mein Gott, da ist Graf Palffy!“
Hellen klopfte Cloutard auf die Schulter und deutete hektisch Richtung Haupteingang. Auf den Treppen war eine kleine Bühne aufgebaut worden, die für die Segensworte des Papstes nach der heiligen Messe gedacht war. Darauf drängten sich eine Menge an Sicherheitsleuten, Kardinälen und andere anscheinend wichtige Menschen. Palffy ging zum Podium mit dem Mikrofon. Er hielt etwas in der Hand, was Hellen von ihrer Position aus nicht genau sehen konnte.
„Verdammt, François. Was ist, wenn Palffy hier das Attentat begehen will und gar nicht auf die Messe wartet? Wir müssen so schnell wie möglich auf diese Bühne“, rief Hellen und begann sich durch die Menschenmenge zu kämpfen, als plötzlich Palffys Stimme zu hören war.
„Heiliger Vater, es ist mir eine große Ehre sagen zu können, dass wir, Blue Shield und UNESCO, sämtliche in den letzten Wochen gestohlenen heiligen Reliquien wiederbeschaffen konnten.“
Spontaner Applaus und Jubelrufe aus der Menge unterbrachen Palffy. Er wartete ein paar Sekunden, bis die Begeisterung wieder abebbte. Er genoss den Moment merklich.
„Stellvertretend für all die wertvollen Reliquien darf ich Eurer Heiligkeit heute das Turiner Grabtuch überreichen. Alle anderen Reliquien sind in Sicherheit und werden in den nächsten Tagen an die jeweiligen Bestimmungsorte zurückgebracht.“
Der Papst nickte dankend und nahm die Lederrolle in die Hand, in der sich offenbar das Turiner Grabtuch befand. Er machte einen Schritt auf Palffy zu und bedankte sich mit ein paar persönlichen Worten bei ihm.
„Scheiße, Palffy ist nur ein paar Zentimeter vom Papst entfernt“, schrie Hellen. „Er hat jetzt die Gelegenheit.“
Hellen stand nun unmittelbar vor der Bühne. Eine Reihe von Sicherheitsleuten versperrte ihr den Weg.
„Hier wird gleich ein Attentat auf den Papst verübt“, schrie sie einen der Sicherheitsmänner an, der aber keine Miene verzog. Offenbar hatte er sie nicht einmal verstanden, denn die Jubelrufe wegen der Übergabe des Grabtuchs überdeckten Hellens Stimme. Cloutard stand nun auch hinter ihr.
„Hellen, ich glaube nicht, dass Palffy vorhat, den Papst selbst zu ermorden.“
Cloutard deutete nach oben. Palffy verabschiedete sich vom Heiligen Vater und ging in die Sagrada Famila. Der Papst übergab einem seiner Begleiter das Turiner Grabtuch und zog sich zurück, um sich auf die Messe vorzubereiten. Hellen runzelte die Stirn und sah Cloutard verwirrt an.
„Das wäre jetzt die beste Möglichkeit gewesen. Was haben die vor?“, fragte Hellen.
Cloutard schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, ich hoffe nur nicht, dass wir mit diesem Attentatsverdacht auf dem völlig falschen Dampfer sind. Lass uns mal unsere Plätze in der Kirche einnehmen.“
Cloutard aktivierte das Earpiece. „Tom, wir gehen jetzt rein. Vor der Kirche haben wir gerade Palffy und den Papst gesehen.“ Cloutard brachte Tom auf den neuesten Stand.
„Ja, trotzdem müssen wir Palffy auf jeden Fall im Auge behalten.“
Die Kirche begann sich zu füllen. Rund 9.000 Menschen passen in die Sagrada Familia und sie würde heute bis zum letzten Platz gefüllt sein. Auch über die Seiteneingänge strömten Menschenmassen herein. Alles ging sehr geordnet vonstatten, auch wenn es offenbar keine Sitzordnung gab. Hellen und Cloutard versuchten, Plätze so weit vorne wie möglich zu ergattern. Die Nonnen rund um Schwester Lucrezia hatten sie bereits vor der Kirche aus den Augen verloren.
„Hellen, wir sollten uns aufteilen, damit wir aus verschiedenen Perspektiven einen Blick auf das Geschehen haben“, schlug Cloutard vor.
„Ja, wir müssen Palffy unbedingt im Blickfeld haben, um irgendwie verhindern zu können, wenn sie den Papst angreifen.“ Hellen griff sich an das Earpiece. „Tom, wo bist du?“
„Ich schaue mich hier draußen um und suche Guerra. Ich glaube nicht, dass Palffy das Attentat persönlich ausführt. Die Gelegenheit hätte er schon gehabt. Verständlicherweise will er sich da nicht die Finger schmutzig machen. Wir müssen also auch nach Guerra und Ossana Ausschau halten“, sagte Tom.
Cloutard nickte und deutete nach vorne. „Da sitzt Palffy!“
Hellen sah Palffy in der zweite Reihe sitzen, offenbar für die VIPs reservierte Plätze. Der Bereich war zusätzlich abgesperrt und eine Menge Sicherheitsleute befand sich im Umkreis. Rund um Palffy saßen etliche Promis, Politiker und Wirschaftsgrößen. Weder Hellen noch Cloutard achteten auf den unscheinbar wirkenden Mann in einfachem Priestergewand, der neben Palffy Platz genommen hatte.
Hellen und Cloutard nahmen ihre Plätze ein. Kurz darauf begann die Orgel zu spielen und die Einweihungsmesse begann. Der Papst trat mit einer stattlichen Anzahl von Kardinälen flankiert zum Altar.
„In nomine patris et filii et spiritus sancti“, eröffnete der Heilige Vater die Messe.
Hellens Blick wanderte unaufhörlich umher und suchte nach Verdächtigen. Rund um den Papst stand eine stattliche Armada von Kardinälen, Würdenträgern, Ministranten und natürlich auch Sicherheitsleuten. Plötzlich erschrak Hellen und hätte fast entsetzt aufgeschrien. Einer der Sicherheitsleute, die unmittelbar neben dem Altar standen, hatte gerade an sein Ohr gegriffen und in sein Headset gesprochen. Sie hatte diesen Sicherheitsmann wiedererkannt. Es war Jacinto Guerra.