Bleiben oder gehen?
IN DEN RUND HUNDERT JAHREN ZWISCHEN HENRY Fords Erfindung der Massenproduktion für Automobile und der Entwicklung von Fahrtenvermittlungsapps waren Taxifahrer die Vorboten der »Gig Economy«. Die Mehrzahl der Taxifahrer war schon immer selbstständig. Sie bekommen keinen Stundenlohn. Sofern sie keine eigene Taxilizenz haben, mieten sie das Fahrzeug an und zahlen eine feste Gebühr für zwölf Stunden.
Da sie keine Angestellten sind, müssen sie nicht die gesamten zwölf Stunden fahren, und das tun sie häufig auch nicht. Sie können – und müssen – während dieser zwölfstündigen Schicht entscheiden, wann sie fahren und wann nicht.
Deshalb ist das Verhalten von Taxifahrern ein gutes Studienobjekt für das Abbruchverhalten.
Wenn ein Taxifahrer seinen Arbeitstag beginnt, gibt es viele Unwägbarkeiten, die sich günstig oder ungünstig auf seine Verdienstbedingungen auswirken können. Es gibt ein paar Muster bezüglich der Anzahl seiner Fahrten, aber während er herumfährt, erhält er weitere Informationen über diese Bedingungen. Er sollte sich immer die potenziellen Verdienstmöglichkeiten anschauen und auf dieser Grundlage entscheiden: »Bleibe ich, oder gehe ich?«
Die Ökonomen alter Schule würden auf Grundlage der Theorie des rationalen Handelns voraussagen, dass die Fahrer die Anzahl ihrer Arbeitsstunden maximieren, wenn es viele Kunden gibt und sie am meisten Geld verdienen. Dementsprechend minimieren sie die Zahl ihrer Arbeitsstunden, wenn es niemanden zu befördern gibt.
Das ähnelt der Zielsetzung von Spitzen-Pokerspielern im Hinblick darauf, wann sie weiterspielen und wann sie passen. Sie wollen die Zahl der Stunden maximieren, in denen sie gut spielen und das meiste Geld verdienen, und die Zahl der Stunden minimieren, in denen sie schlecht spielen und die Spielbedingungen ungünstig sind.
Wie so vieles andere, das Ökonomen alter Schule über das rationale Handeln vorausgesagt haben, läuft es auch hier nicht wie prognostiziert, wenn man sich das tatsächliche Verhalten der Menschen ansieht. Die Verhaltensökonomie beruht auf der Vorstellung, dass es Umstände gibt, unter denen wir uns systematisch irrational verhalten. Das Verhalten von Taxifahrern (und den meisten Pokerspielern) passt auf alle Fälle in diese Kategorie.
Der Verhaltensforscher Colin Camerer, Professor an der Caltech und Pionier der Neuroökonomie, untersuchte das Verhalten von Taxifahrern mit einer herausragenden Gruppe von Mitarbeitern, darunter George Loewenstein, Linda Babcock und Richard Thaler. Sie erfassten die Fahrten von fast zweitausend New Yorker Taxifahrern.
Dabei fanden sie heraus, dass die Fahrer keine besonders guten Entscheidungen darüber trafen, wann sie weiterfahren sollten. Und die Fehler, die sie machten, verliefen in beide Richtungen, das heißt, sie hörten bei guten Marktbedingungen zu früh auf und fuhren bei schlechten zu lange weiter.
Statt ihre Fahrtzeiten zu maximieren, wenn es reichlich Fahrgäste gab, und ihre unproduktiven Zeiten zu minimieren, hörten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit frühzeitig auf, wenn die Nachfrage nach ihren Diensten hoch war. Gab es nur wenige Passagiere, arbeiteten sie die gesamten zwölf Stunden bis zur Erschöpfung bei geringem Vorteil.
Camerer und seine Kollegen befragten die Fahrer (sowie die Fahrzeugverwalter), um die von ihnen verwendete Heuristik zu verstehen, mit der sie entschieden, wann sie weiterfuhren und wann sie aufhörten. Sie entdeckten, dass die Fahrer sich ein tägliches Einnahmenziel setzten und auf dieser Grundlage festlegten, wann sie zu arbeiten aufhörten, dabei aber die nützlicheren Informationen über Einnahmebedingungen ignorierten, die sie während ihrer Schicht erlangten.
Die Fahrer hörten frühzeitig auf, wenn sie mit Leichtigkeit weitere Fahrten hätten durchführen können, nicht weil sie dachten, dass die nächste Stunde auf der Straße ihnen nicht viel einbringen würde, sondern einfach weil sie ihr Einnahmenziel für diesen Tag erreicht hatten. Aus demselben Grund arbeiteten sie lange in unproduktiven Schichten, weil sie nicht heimkehren wollten, ehe sie ihr Ziel erreicht hatten.
Es scheint sehr offensichtlich, dass die Taxifahrer nicht in Werterwartungen dachten.
Wenn sie ihr Tagesziel frühzeitig erreichten, bedeutete das, dass die Fahrbedingungen sehr gut waren. Das heißt, die von ihnen verwendete Heuristik veranlasste sie, zu einem Zeitpunkt aufzuhören, an dem der Betrag, den sie in der nächsten Stunde zu verdienen erwarteten, im obersten Bereich des Spektrums lag. Hatten sie dagegen schon viele Stunden gearbeitet und waren immer noch weit von ihrem Ziel entfernt, fuhren sie weiter, wenn der Definition entsprechend der von ihnen erwartete Verdienst gering war.
Wie viel kostete die Fahrer dieses umgekehrte Abbruchverhalten? Eine Menge, wie sich herausstellte.
Camerer berechnete, dass die Fahrer 15 Prozent mehr Einnahmen erzielen würden, wenn sie genau dieselbe Stundenanzahl arbeiteten, aber diese Stunden entsprechend der Nachfrage verteilten. Sogar wenn die Fahrer einfach eine willkürliche Heuristik wählten, zum Beispiel täglich dieselbe Stundenzahl zu arbeiten, ohne die Konditionen zu berücksichtigen, würden sie 8 Prozent mehr verdienen als mit der von ihnen verwendeten Strategie.
Könnten die Fahrer besser entscheiden, wann sie aufhören und wann sie weitermachen sollten, würden sie ihr Ziel – den größtmöglichen Gewinn aus ihrem Taxi zu erzielen – um 8 bis 15 Prozent schneller erreichen. Offensichtlich hat die schlechte Aussteuerung von Bleiben und Gehen einen sehr hohen Preis. Die Taxifahrer trafen Entscheidungen, die ihnen in beiden Richtungen schadeten, sie hörten zu früh auf und blieben zu lange.
Bis hierhin haben wir uns darauf konzentriert, dass ein rechtzeitiges Aufhören sich meist wie ein verfrühtes Aufhören anfühlt. Das sagt uns die Arbeit von Steven Levitt. Doch die Taxifahrer beweisen uns, dass wir unter bestimmten Umständen tatsächlich zu früh aufgeben, wenn wir nicht beharrlich genug sind. Das ist letztlich der Grund, warum es ein überaus beliebtes Buch namens Grit gibt, das aus Angela Duckworths einflussreicher und maßgeblicher Arbeit zu diesem Thema hervorgegangen ist.
Dass wir beide Arten von Fehlern machen, manchmal zu lange aushalten und manchmal zu früh aufgeben, sollte keine große Überraschung sein, denn Bleiben oder Gehen sind keine separaten Entscheidungen. Sie sind ein und dasselbe.
Wann immer Sie sich zum Weitermachen entschließen, hören Sie per definitionem nicht auf. Das Gegenteil trifft zu, wenn Sie sich für den Abbruch entscheiden.
Wenn wir auf der einen Seite der Gleichung schlecht sind, sind wir es dann auch auf der anderen? Das ist fraglich.
Die Taxifahrer hörten zu früh auf, wenn es gut lief, und fuhren zu lange weiter, wenn es schlecht lief. Wenn wir die Umstände verstehen, unter denen wir diese Fehler begehen, kommen wir zum Kern dessen, warum wir so schlecht im Aufhören sind und wie wir besser darin werden könnten.
Papierzuwächse und Papierverluste
Das Verhalten der New Yorker Taxifahrer von 1990 stimmt überein mit einer klassischen Studie von Daniel Kahneman und Amos Tversky, die 1979 veröffentlicht wurde und ein ähnliches Missverhältnis zwischen Weitermachen und Aufhören feststellte.
Seit den 1970er-Jahren bestimmten Kahneman und Tversky Verhaltensfaktoren, die erklärten, wann und warum wir häufig von vollkommen rationalen Entscheidungen abweichen. Ihre Arbeit von 1979 beschrieb, was zu einem Fundament der Verhaltensökonomie wurde: die Prospect Theory.
Die Prospect Theory ist ein Modell dessen, wie Menschen Entscheidungen treffen unter Berücksichtigung systematischer Präferenzen und kognitiver Verzerrungen wie Risiko, Ungewissheit, Gewinne und Verluste. Eine der zentralen Erkenntnisse der Prospect Theory ist die Verlustangst , wonach die emotionale Wirkung eines Verlusts stärker ist als die korrespondierende Wirkung eines vergleichbaren Gewinns. Genau genommen fühlt sich das Verlieren ungefähr zweimal so schlimm an, wie das Gewinnen sich gut anfühlt.
Wenn wir unter neuen Optionen auswählen, lässt die Verlustangst uns diejenigen bevorzugen, mit denen der geringste absolute Verlust verbunden ist, selbst wenn diese Optionen mit einer geringeren Werterwartung einhergehen. Mit anderen Worten, unsere Scheu vor dem Verlust lässt uns Entscheidungen treffen, die ein rational Handelnder nicht träfe.
Stellen Sie sich vor, Sie bekämen die folgenden beiden Angebote, die Ihnen die Wahl zwischen einer sicheren Sache und einem Spiel lassen. Für welche Option würden Sie sich in jedem der Fälle entscheiden?
Wenn Sie so sind wie die meisten Menschen und wie die Teilnehmer an der Studie von Kahneman und Tversky (und an allen Studien, die diesen Aspekt der Prospect Theory aufgreifen), wählen Sie den Abbruch, wenn Sie in Führung liegen, das heißt, Sie nehmen die sicheren 100 Dollar im ersten Szenario. Das kommt Ihnen wahrscheinlich sinnvoll vor. Warum sollten Sie schließlich die 100 Dollar riskieren, die Sie bereits in der Tasche haben, indem Sie eine Münze werfen?
Wenn Sie dagegen hinten liegen wie im zweiten Szenario, werden Sie sich für das Spiel entscheiden und die Münze werfen. Auch das wird Ihnen sinnvoll erscheinen. Wenn Sie bereits 100 Dollar schuldig sind, warum nicht die Chance nutzen, diese 100 Dollar wiederzubekommen?
Natürlich erreichen Sie bei beiden Vorschlägen langfristig den Break-even, egal für welche Option Sie sich entscheiden. Liegen Sie um 100 Dollar vorn, wenn Ihnen der Münzwurf angeboten wird, können Sie einen sicheren Gewinn von 100 Dollar einstreichen, indem Sie ablehnen, oder Sie können spielen. Nehmen Sie den Münzwurf, erhalten Sie in der Hälfte der Fälle 200 Dollar und in der anderen Hälfte nichts, was langfristig ebenfalls einen Gewinn von 100 Dollar ausmacht.
Wenn Sie um 100 Dollar hinten liegen, bieten die beiden Optionen erneut auf lange Sicht identische Ergebnisse. Sie können entweder den sicheren Verlust von 100 Dollar hinnehmen, wenn Sie die Münze nicht werfen, oder Sie wählen das Spiel. Wenn Sie die Münze werfen, radieren Sie in der Hälfte der Fälle den Verlust der 100 Dollar aus und verlieren in der anderen Hälfte 200 Dollar, was langfristig einen erwarteten Verlust von 100 Dollar bedeutet.
Es gibt also keinen Unterschied, wie viel Sie langfristig zu gewinnen oder zu verlieren erwarten können. Was das Spiel Ihnen jedoch bietet, ist die Chance, den Ausgang zu verändern. Das Spiel verschafft dem Wählenden die Möglichkeit, Glück in die Gleichung einzubringen, und verwandelt somit eine sichere Angelegenheit in ein ungewisseres kurzfristiges Ergebnis.
Dieser Unterschied zeigt eine Asymmetrie darin, wann wir aufhören und wann wir spielen wollen. Sind wir in der Gewinnzone , wollen wir das Glück nicht in der Gleichung haben, denn es könnte auslöschen, was wir bereits gewonnen haben. Wir wollen aussteigen, solange wir vorn liegen.
Sind wir jedoch in der Verlustzone , nehmen wir das Spiel und fügen Glück in die Gleichung ein in der Hoffnung, dass wir ausgleichen können, was wir bereits verloren haben. Auf einmal macht die Ungewissheit uns nichts mehr aus. Wenn wir verlieren, wollen wir das Glück mit einbeziehen.
Müssen wir unvoreingenommen eine Entscheidung treffen, solange wir also noch keine Verluste oder Gewinne erzielt haben, erzeugt die Verlustangst eine Vorliebe für Optionen, die mit einer geringeren Verlustwahrscheinlichkeit in Zusammenhang stehen. Das macht uns risikoscheu und hält uns davon ab, Optionen zu wählen, bei denen wir verlieren könnten.
Haben wir dagegen auf dem Papier bereits Verluste eingefahren, werden wir risikofreudig. Das hat Daniel Kahneman folgerichtig als Angst vor dem sicheren Verlust charakterisiert.
Die Angst vor dem sicheren Verlust lässt uns nicht mit etwas aufhören wollen, das wir bereits begonnen haben. Denn wir können diese Verluste auf dem Papier nur dann in realisierte Verluste verwandeln, wenn wir aufhören und das Spiel ablehnen. Die Möglichkeit des Münzwurfs eröffnet die Möglichkeit zu vermeiden, dass wir das tun müssen.
Wenn wir auf dem Papier einen Gewinn haben, scheuen wir jedes Risiko, das uns verlieren lassen könnte, was wir bereits gewonnen haben. Jetzt wollen wir sicherstellen, dass wir diesen Papiergewinn in einen realisierten Gewinn verwandeln können, also lehnen wir das Spiel ab.
Kahneman und Tversky wollten herausfinden, ob diese Tendenzen stark genug waren, damit die Leute für die Möglichkeit zu zahlen bereit wären, einen sicheren Gewinn zu garantieren, sowie für die Möglichkeit, einen sicheren Verlust zu vermeiden.
Stellen Sie sich vor, wir verändern unsere beiden Vorschläge folgendermaßen:
Beachten Sie, dass keines der beiden ein Break-even-Angebot ist.
Wenn Sie mit 100 Dollar vorn liegen, verschafft Ihnen der Münzwurf in der Hälfte der Fälle 220 Dollar und in der anderen Hälfte 0 Dollar. Das heißt, wenn Sie durch den Münzwurf die 100 Dollar riskieren, die Sie bereits gewonnen haben, erhalten Sie langfristig 110 Dollar. Dieses neue Angebot ist also jetzt eine Wahl zwischen dem langfristigen Gewinn von 110 Dollar, wenn Sie spielen, und dem sicheren Gewinn von 100 Dollar, wenn Sie aufhören und weggehen. Lehnen Sie den Münzwurf jetzt ab, weisen Sie also diesen zusätzlichen Gewinn von 10 Dollar zurück.
Kahneman und Tversky fanden heraus, dass die Leute tatsächlich willens waren, diesen zusätzlichen Profit aufzugeben, um ihren sicheren Gewinn zu garantieren. Sie bezahlen also, um zu vermeiden, dass ihnen der Gewinn durch einen Münzwurf verlustig geht und sie es dann bereuen müssen.
In unserem Beispiel schlagen sie einen Return on Investment von 10 Prozent aus, das ist zehn Mal mehr, als irgendein Sparkonto Ihnen bieten würde, auf dem Sie Ihr Geld parken können. Dennoch steigen die meisten Menschen aus, statt ihren Vorteil zu nutzen.
Haben Sie dagegen einen Verlust von 100 Dollar auf dem Papier und erhalten ein Angebot, bei dem Sie die Hälfte der Zeit diesen Verlust tilgen können, die andere Hälfte jedoch 220 Dollar zahlen müssen, ist damit nun eine negative Werterwartung in Höhe von 10 Dollar verbunden. Jetzt gilt es, sich zu entscheiden zwischen dem sicheren Verlust von 100 Dollar oder dem Spiel, mit dem Sie langfristig 110 Dollar verlieren. Das heißt, wenn Sie sich für den Münzwurf entscheiden, verlieren Sie 10 Dollar mehr, als wenn Sie einfach gehen und den sicheren Verlust wählen.
Kahneman und Tversky fanden heraus, dass die Menschen tatsächlich für die Chance bezahlen, Glück in die Gleichung einzufügen, was die einzige Art ist, wie sich der sichere Verlust abwenden lässt.
Ein rational handelnder Mensch würde im ersten Fall den Münzwurf wählen und ihn im zweiten Fall ablehnen. Doch wie bei so vielem anderen verhalten sich die Menschen nicht rational, wenn es um sichere Verluste und sichere Gewinne geht. Die Entscheidung über Bleiben und Gehen wird umgekehrt.
In Anbetracht dieser Erkenntnisse wollen wir unseren Abbruch-Aphorismus noch folgendermaßen erweitern:
Rechtzeitig aufzuhören fühlt sich meistens an wie zu früh aufzuhören, und dieses Meistens gilt besonders dann, wenn man in der Verlustzone ist .
Aufhören, wenn man vorn liegt?
Es ist wenig überraschend, dass kein Mangel herrscht an wohlbekannten Ratschlägen, die Menschen vom Aufhören abhalten sollen, wo es doch so einen schlechten Ruf hat.
Es gibt jedoch eine Spruchweisheit, die tatsächlich zum Aufhören ermutigt: Hör auf, solange du vorn liegst. Genau wie viele dieser Sinnsprüche, die zu unbegrenztem Durchhalten aufrufen, schlechte Ratschläge sind, ist auch diese eine Weisheit, die sich für das Abbrechen ausspricht, kein bisschen besser, obwohl sie bereits über vierhundert Jahre alt ist.
Aufhören, solange man vorn liegt, verstärkt genau jene Irrationalität, die Kahneman und Tversky festgestellt haben.
Manchmal ist es natürlich vernünftig aufzuhören, solange man vorn liegt, besonders wenn man bei etwas gewinnen konnte, das auf lange Sicht eher Verlustaussichten birgt. Zum Beispiel Baccara oder Craps. Stellen Sie sich vor, Sie spielen Baccara und haben ein paar Hundert Dollar gewonnen. Das wäre ein Glücksfall, denn für jeden Dollar, den Sie in diesem Spiel setzen, verlieren Sie 2,5 Cent. Wenn Sie weiterspielen, löst sich Ihr Gewinn auf lange Sicht auf, denn wie heißt es so schön: Die Bank gewinnt immer.
Das ist ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören, solange man in Führung liegt. Wenn die nächste Runde, die Sie spielen, verlustträchtig ist.
Aber wer aufhört, während er vorn liegt, tut dies im Allgemeinen nicht, weil ihm bewusst geworden ist, dass er einfach Glück hatte und die Verlustchancen ausgestochen hat. Er hört auf, während er vorn liegt, einfach weil er vorn liegt, egal ob die Situation, in der er sich befindet, langfristig günstig oder ungünstig ist. Wenn er dabei aus einer verlustträchtigen Sache aussteigt, ist das vermutlich Zufall. Er will einfach nicht aufs Spiel setzen, was er bereits erreicht hat, selbst wenn er für den Ausstieg einen Preis zu bezahlen hat.
Das deckt sich letztlich mit dem, was Kahneman und Tversky herausgefunden haben.
Der Rat, den wir eigentlich geben sollten, ist zu kompliziert, um ihn in einen kurzen Satz zu packen: Man soll aufhören, solange man vorn liegt … wenn das Spiel, das man spielt, oder der Weg, auf dem man geht, verlustträchtig ist. Wenn Sie sich in einer Situation befinden, die eine negative Werterwartung beinhaltet, steigen Sie unter allen Umständen aus. Aber machen Sie weiter, wenn Sie eine positive Werterwartung haben.
Das taugt allerdings nicht für einen griffigen Aphorismus. Versuchen Sie mal, das auf einen Kaffeebecher zu drucken.
Auch Aktientrader – die nicht professionellen, die online handeln – tendieren zum Aufhören, wenn sie vorn liegen, und zum Dranbleiben, wenn sie im Hintertreffen sind. Gemeinsam mit einigen Kollegen übertrug Alex Imas, jetzt Professor an der Booth School of Business der Universität Chicago, diese wohlbekannte Erkenntnis von Kahneman und Tversky auf eine Umgebung außerhalb des Labors.
Wenn die Trader auf der Plattform eine Position eröffneten, platzierten sie eine Order zum Schließen der Position, sobald sie einen bestimmten Preis oberhalb oder unterhalb des Vertragspreises erreichte. Man nennt das Gewinnerzielungs- oder Stop-Loss-Order. (Pokerspieler legen zwar im Allgemeinen keine Gewinnerzielungswerte fest, aber häufig Verlustmarken, das heißt, sie beenden das Spiel, wenn sie einen bestimmten Geldbetrag verloren haben.)
Beachten Sie, dass das Festhalten an einer Stop-Loss-Order die Händler zwingt, Verluste auf dem Papier in realisierte Verluste umzuwandeln, während eine Gewinnerzielungs-Order das Gegenteil tut, nämlich den Händler die Gewinne auf dem Papier behalten lässt auf die Gefahr hin, dass sich der Markt gegen sie wendet. Das ist so, als würde man schon im Vorfeld festlegen, den Münzwurf abzulehnen, wenn man 100 Dollar schuldig ist, und ihm zuzustimmen, wenn man 100 Dollar zu bekommen hat.
Die Forscher wollten herausfinden, ob die Trader an ihren Gewinnerzielungs- und Stop-Loss-Orders festhielten oder ob sie eher so waren wie die Teilnehmer bei Kahneman und Tversky, die weiterspielten, wenn sie verloren, und aufhörten, wenn sie gewannen.
»Fast keiner hält sich an seine Gewinnerzielungs-Order«, verriet mir Alex Imas. »Sie steigen vorher manuell aus.« Mit anderen Worten, die Trader hören früher auf, als die Gewinnerzielungs-Order empfehlen würde, um einen Gewinn zu sichern, egal ob das Halten dieser Position eine profitable Entscheidung wäre. Wenn sie auf dem Papier einen Gewinn verzeichnen, haben sie keinerlei Interesse daran, weiterhin Glück in die Gleichung einfließen zu lassen und Erträge aufs Spiel zu setzen, die sie sich in die Tasche stecken könnten.
(Ich hoffe, es wird deutlich, wie schlecht der Ratschlag »Hör auf, wenn du vorne liegst« wirklich ist, denn er bestärkt unsere natürliche Tendenz, in solchen Situationen irrational zu handeln.)
Wenn die Trader dagegen verlieren, löschen sie ihre Stop-Loss-Orders und setzen lieber darauf, dass die Position sich erholt und sie ihre Verluste auf dem Papier nicht in realisierte Verluste verwandeln müssen, eine Entscheidung, die das Risiko immer größer werdender negativer Erträge mit sich bringt.
Es sollte natürlich unser Ziel sein weiterzumachen, wenn wir eine positive Werterwartung haben, egal ob wir bei unserem vorangegangenen Handeln bereits gewonnen oder verloren haben. Da diese Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen werden, wissen wir nur selten mit Gewissheit, ob Weitermachen oder Aufhören die beste Wahl ist. So wie es leichter für die Taxifahrer ist, zu erkennen, ob sie ein Tagesziel erreicht haben, ist es für jeden von uns leichter zu erkennen, ob wir vorn oder hinten liegen, daher nutzen wir dieses Signal, um zu bestimmen, ob wir fortfahren oder nicht.
Das Ergebnis ist, dass wir abbrechen, wenn es gut läuft, selbst wenn wir eine gute Chance vertun, noch mehr zu gewinnen. Läuft es dagegen nicht gut, wollen wir nicht aufhören, selbst wenn das Weitermachen – der Versuch, auf die andere Seite der Null zu gelangen – die Sache eher verschlimmert.
Beim Poker habe ich das immer wieder beobachtet. Die meisten Spieler konnten gar nicht schnell genug ihre Chips zusammenraffen und zur Kasse laufen, wenn ihnen auch nur der kleinste Vorwand geboten wurde, das Spiel abzubrechen. Waren sie jedoch in der Verlustzone, klebten sie regelrecht an ihren Stühlen fest. Oft habe ich erlebt, dass eigentlich kompetente Pokerspieler beim Spiel Geld verloren und sich weigerten, Schluss zu machen, wenn sie betrunken, müde, wütend oder einfach nicht in der Lage waren, gut zu spielen.
Diese Aufhören-wenn-es-gut-läuft-Strategie kostet Pokerspieler echtes Geld und lässt sie die Stunden minimieren, in denen sie gut spielen, weil das mit dem Gewinnen zusammenhängt, und die Stunden maximieren, in denen sie schlecht spielen, weil das mit dem Verlieren zusammenhängt.
Täuschen Sie sich nicht, das kostet auch Sie Geld. Sei es an der Börse oder bei irgendeinem anderen Investment, diese Verhaltenstendenz beeinflusst Ihren Nettogewinn.
Die Trader, die ihre Stop-Loss-Orders durchbrochen haben, waren natürlich keine Experten. Würde sich diese Tendenz in Luft auflösen, wenn sie es wären? Werden Sie besser in solchen Abbruchentscheidungen, wenn Sie genügend Erfahrung und Fachkenntnis bei etwas besitzen?
Das würde sich mit dem decken, was beim Pokern passiert. Spielexperten treffen bessere Entscheidungen darüber, wann sie passen und wann sie ein Spiel beenden sollten. Und wie sich zeigte, verhalf die Erfahrung auch den Taxifahrern dazu, besser aufhören zu können.
Henry Farber, Wirtschaftswissenschaftler in Princeton, untersuchte für eine 2015 erschienene Arbeit die Daten zum Verhalten der Taxifahrer von 2009 bis 2013. Er stellte fest, dass erfahrene Fahrer zwar keine perfekten, aber doch bessere Entscheidungen über das Weiterfahren und das Aufhören trafen als Neulinge.
Wenn die Erfahrung Pokerspielern und Taxifahrern zu einer größeren Ausgewogenheit verhilft, können erfahrene Investoren vielleicht auch besser entscheiden, wann und was sie verkaufen, als Freizeitanleger.
Mit einer Gruppe von Kollegen, zu denen auch Alex Imas gehörte, stellte Klakow Akepanidtaworn genau diese Frage, und die Antwort lautet … gewissermaßen.
Die Analyse der Forscher ergab, dass erfahrene Anleger die Fehler hinter sich lassen, die häufig von Hobbyinvestoren begangen werden. Diese Portfoliomanager folgten nicht der einfachen Heuristik des Aufhörens, wenn es gut läuft, und des Weitermachens, wenn man im Minus ist. Doch die Analyse zeigte auch eine Asymmetrie bei der Qualität dieser Kauf- und Verkaufsentscheidungen.
Die Forscher untersuchten Daten von erfahrenen Marktteilnehmern, über 700 institutionellen Portfoliomanagern, die Vermögen im Wert von durchschnittlich fast 600 Millionen Dollar verwalteten. Es ist wenig überraschend, dass die Kaufentscheidungen der Investitionsexperten viel besser abschnitten als eine Benchmark, die einfach den Markt abbildete. Die von diesen Portfoliomanagern erworbenen Börsenwerte übertrafen die Benchmark im Durchschnitt aufs Jahr gerechnet um über 120 Basispunkte (oder 1,2 Prozentpunkte).
Diese Investoren verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, gute Strategien für ihre Investments ausfindig zu machen, und sie profitieren von ihren Recherchen und ihrem Fachwissen. In der Abbildung Ertrag Kaufen – Ertrag Halten , die ihre Überschüsse im Zeitverlauf wiedergibt, sehen Sie, wie stark ihre Entscheidungen über das Aufnehmen einer Position die Benchmark übertreffen.
Doch wie steht es mit ihren Abbruchentscheidungen? Wie gut sind ihre Entscheidungen darüber, welche Aktien verkauft werden sollen?
Um herauszufinden, wie gut diese Investitionsexperten bei Verkaufsentscheidungen waren, verglichen Akepanidtaworn, Imas und ihre Kollegen die tatsächlichen Verkaufsentscheidungen der Investoren mit einer hypothetischen Strategie, bei der sie willkürlich auswählten, welche Aktien aus ihrem Portfolio zum Zeitpunkt des Verkaufs abgestoßen werden sollten.
Mit anderen Worten, wie schnitten ihre Ausstiegsentscheidungen beim Verkauf einer Position ab im Vergleich zum Werfen von Dartpfeilen auf ein Portfolio, bei dem einfach das verkauft wird, worauf der Pfeil landet?
Ziemlich mies, wie sich herausstellte.
Der Vorteil, den diese Experten beim Aktienkauf haben, spiegelt sich nicht im Verkauf wider. Sie haben zwar ein Plus von 120 Basispunkten bei den überschüssigen Erträgen aufseiten der Kaufentscheidungen, dafür allerdings ein Minus von aufs Jahr gerechnet 70 bis 80 Basispunkten aufseiten der Verkaufsentscheidungen. Das heißt, sie würden besser abschneiden, wenn sie einfach willkürlich aus ihrem Portfolio auswählten, was verkauft werden soll.
Das sehen Sie an der Abbildung Ertrag Verkaufen – Ertrag Halten , die zeigt, wie viel sie im Laufe der Zeit im Vergleich zum Dartpfeilwerfen verlieren.
Ein Großteil der maßgeblichen Überschüsse, die diese Anlageexperten mit ihren Entscheidungen darüber erzielen, welche Aktien sie ihren Portfolios hinzufügen, geht bei ihren Verkaufsentscheidungen aufgrund von Opportunitätskosten wieder verloren. Sie können es so betrachten: Würden sie willkürlich auswählen, was sie verkaufen, hätten sie mehr Geld, um es in bessere Gelegenheiten zu investieren.
Seien es Investoren aller Art, Taxifahrer, die Probanden von Kahneman und Tversky, Pokerspieler oder Bergsteiger am Mount Everest – wir sehen, dass diese mangelnde Ausstiegsfähigkeit einen hohen Preis fordert.
Die Autoren haben sich mit den Daten beschäftigt, um zu verstehen, welche Strategie die Anlageexperten bei ihren Verkaufsentscheidungen anwendeten. Sie fanden heraus, dass sie mit ihren Verkäufen vor allem ihre nächsten Positionen finanzieren wollten. Das bestimmte den Zeitpunkt. Und wenn es darum ging, welche Aktien sie verkauften, um diese Mittel zu erzielen, stellten die Forscher fest, dass die Investoren eine Heuristik einsetzten, die nur wenig mit der Werterwartung zu tun hatte. Stattdessen neigten sie dazu, Aktien nur dann zu verkaufen, wenn sie entweder extreme Gewinner oder extreme Verlierer im Portfolio darstellten.
Mit anderen Worten, beim Kauf versuchten diese Profi-Investoren, Positionen zu finden, die gute Aussichten auf steigende Kurse hatten. Beim Verkauf dagegen schienen sie sich nicht so viel bis gar keine Arbeit zu machen, weder im Hinblick auf den Zeitpunkt des Abstoßens dieser Positionen noch bezüglich ihrer zukünftigen Aussichten.
Die beste Ausstiegsstrategie wäre es, das gesamte Portfolio zu betrachten (nicht nur die Ausreißer darin), zu entscheiden, welche im weiteren Verlauf den geringsten Wert erzeugten, und diese dann zu verkaufen. Das würde den Wert des Portfolios insgesamt maximieren. So ist schließlich auch ihre Kaufstrategie. Nach dieser handeln sie gekonnt und erfolgreich unter Verwendung großartiger datenbezogener Strategien, um Überschusserträge zu erzeugen.
Stellt sich die Frage, warum sie in einer so datenintensiven Umgebung nicht das Problem bemerken, das sie mit ihren Ausstiegsentscheidungen haben, oder die Daten nutzen, um eine Lösung für dieses Problem zu entwickeln.
Feedback für das, was man nicht tut
Wenn es ums Aufhören geht, haben wir ein Feedbackproblem. Wenn wir etwas tun, verfolgen wir es natürlich nach. Wir wissen, was dabei herauskommt, denn das ist der Weg, den wir gehen. Wenn wir den Mount Everest besteigen oder ein Unternehmen führen oder eine Beziehung führen oder eine Arbeitsstelle haben – immer verfolgen wir diese Dinge nach, weil wir darinstecken . Das ist die Timeline, auf der wir uns bewegen.
Doch wenn wir sie beenden, haben wir ein doppeltes Problem damit, Feedback zu bekommen.
Erstens ist bei den meisten Dingen, aus denen wir aussteigen, keine offensichtliche Information darüber verfügbar, wie sie ausgegangen wären, wenn wir weitergemacht hätten. Das ist rein hypothetisch oder kontrafaktisch. Was, wenn ich dieses Geschäft nicht aufgegeben hätte? Was, wenn ich bei dem Arbeitsplatz geblieben wäre? Was, wenn ich das Studienfach oder die Uni gewechselt hätte?
Anstelle von Fakten haben wir nur dieses »Was, wenn«.
Dadurch lässt sich schwer beurteilen, ob unsere Entscheidung aufzuhören besser war, als die Entscheidung weiterzumachen gewesen wäre. Wir haben nichts, das wir direkt miteinander vergleichen können, abgesehen von dem, was in unserer Vorstellung existiert.
Zweitens verfahren wir meist nach dem Motto Aus den Augen, aus dem Sinn , wenn wir etwas aufgeben. Wir verfolgen nicht nach, was wir hinter uns gelassen haben. Das ist es wahrscheinlich, was das Problem mit den Portfoliomanagern verursacht. Wenn sie eine Position eröffnen, verfolgen sie deren Verlauf täglich nach, weil sie Teil des Portfolios ist. Sind sie jedoch erst einmal ausgestiegen, beobachten sie sie nicht länger auf dieselbe Weise, denn sie ist jetzt nicht mehr in ihrem Besitz. Sie ist nicht mehr Teil ihrer Gewinn- und Verlustrechnung, jedenfalls nicht, soweit sie das offensichtlich erkennen können.
Das Tragische dabei ist, dass diese Investoren in der seltenen Lage sind, dass tatsächlich Daten vorliegen, um die Qualität ihrer Entscheidungen beurteilen zu können. Sie können Antworten erhalten auf Fragen wie: Habe ich zum richtigen Zeitpunkt verkauft? Habe ich zu früh verkauft? Habe ich zu spät verkauft? Hätte ich etwas anderes aus meinem Portfolio verkaufen sollen, das im Hinblick auf die Benchmark besser abgeschnitten hätte?
Bei ihren Untersuchungen stellten die Forscher fest, dass die Investoren weiterhin Verluste durch ihre Ausstiegsentscheidungen erzielten, einfach weil sie nicht die Analyse durchführten, um es herauszufinden.
Manchmal führen Trader Schattenbücher über Aktien, die zu kaufen sie zwar erwogen, aber nicht umgesetzt haben, um zu sehen, wie diese Entscheidungen ausgegangen wären. Kunden, die am Finanzmarkt tätig sind, habe ich empfohlen, dieselbe Strategie anzuwenden, um das Feedbackproblem bei Verkaufsentscheidungen zu lösen. Sie sollten Buch führen über diese Verkaufsentscheidungen und herausfinden, wie sie im Vergleich zu einer Benchmark abschnitten, bei der sie zum gleichen Zeitpunkt einfach willkürlich etwas anderes aus ihrem Portfolio verkauft hätten.
Es gibt viele Situationen, in denen sich nicht nachvollziehen lässt, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn wir einfach dabeigeblieben wären. Doch das Problem für die Portfoliomanager hat eine offensichtliche Lösung. Sie müssen ihre Verkaufsentscheidungen ebenso konsequent nachverfolgen wie ihre Kaufentscheidungen.
Zusammenfassung Kapitel 3