G EGEN ENDE DER 1930 ER - JAHRE ZÄHLTEN HAROLD Staws Eltern zu den Millionen Amerikanern, die mit ihren Familien von der Ostküste nach Südkalifornien zogen, der letzten Grenze für die Jagd nach dem American Dream. Auch Shirley Posners Familie war nach Los Angeles gezogen, wo sie Harold kennenlernte. Sie verliebten sich ineinander, heirateten 1940 und bekamen zwei Kinder. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Harold in einer Munitionsfabrik in Los Angeles.
Nach dem Krieg ließen Harold und Shirley sich in San Bernardino nieder, am östlichen Ende einer Gegend, die als Inland Empire bekannt war, 100 Kilometer von Los Angeles entfernt. Die Kriegsjahre waren eine gute Zeit für L. A. gewesen, denn es war ein Zentrum für die Verteidigungsproduktion. Mit wachsendem Wohlstand wurde ein Großteil des Inland Empire von Farmland und Zitrusfruchtplantagen in Wohngebiete umgewandelt.
Harolds Stiefvater und seine Mutter betrieben ein Lebensmittelgeschäft, und Harold und Shirley taten es ihnen nach. Sie erwarben ein Ladenlokal in der Nachbarschaft. Die Gewinne waren nicht groß, doch nach einigen Jahren erkannte Harold die Zeichen der Zeit. Große Supermarktketten übernahmen die Führung, und es würde bald unmöglich für einen Tante-Emma-Laden sein, gegen sie anzutreten.
Harold musste ein aussichtsreicheres Gewerbe finden.
Im Jahr 1952 machte er eine einzigartige Gelegenheit in Fontana aus, 16 Kilometer westlich von San Bernardino, am Rande einer neuen Schnellstraße, die eines Tages bis nach Los Angeles führen sollte. Fontana war eine boomende Industriestadt. Kaiser Steel hatte dort im Zweiten Weltkrieg eine riesige Fabrik errichtet, und als die USA in den Koreakrieg eingetreten waren, wurde sie noch belebter.
Harold dachte sich, dass diese ganzen Arbeiter – überwiegend Zugezogene, die jetzt gute Löhne erhielten – einen Markt bildeten, an den er Haushaltsgeräte verkaufen konnte. Da die Fabrikarbeiter alle der Stahlarbeitergewerkschaft angehörten, würde sein Geschäft exklusiv an Gewerkschaftsmitglieder verkaufen, so wie ein Post Exchange auf einer Militärbasis.
Zu Beginn hatte er außer der Idee nur wenig. Mit dem bisschen Geld, das die Staws mit dem Lebensmittelladen erwirtschaftet hatten, konnte Harold sich nur die Miete eines winzigen Gebäudes leisten, in dem vorher Hühner gehalten worden waren. Doch mit Unterstützung von Shirley und den beiden Kindern fegte er voller Begeisterung die Hühnerfedern hinaus und eröffnete den Union Store.
Er hatte kein Geld für große Lagerbestände – das gesamte Unternehmen war eine äußerst minimalistische Angelegenheit –, doch er nutzte die Einschränkungen von Raum und Budget, um Preisermäßigungen anzubieten. Die Kunden konnten sich mehrere Ausstellungsstücke ansehen. Wenn sie einen Kühlschrank oder einen Herd sahen, der ihnen gefiel, bestellte er ihn beim Hersteller.
Harolds Idee erwies sich als der visionäre erste Schritt beim Aufbau einer erfolgreichen Einzelhandelskette. Der umgebaute Hühnerstall lief so gut, dass Harold auf ein größeres Gebäude in Upland expandierte, noch mal 20 Kilometer weiter westlich an der Schnellstraße, deren Bau voranschritt. Der Laden in Upland hatte mehr Platz, mehr Lagerbestand und verkaufte jetzt neben den Haushaltsgeräten auch Haushaltswaren. Harold erweiterte seinen Kundenstamm, indem er das Geschäft auch für Mitglieder anderer Gewerkschaften öffnete (und dann die Voraussetzung der Mitgliedschaft ganz entfallen ließ).
Die Fünfzigerjahre waren ein Zeitraum ungebremsten Wachstums für Harold Staw und, wie es schien, seine gesamte Umgebung. Die Bevölkerungszahl des Inland Empire wuchs in diesen zehn Jahren um fast 80 Prozent. Das Umland von Los Angeles (das sich letztlich auf 34.000 Quadratmeilen ausbreitete) wurde immer besser durch das schnell wachsende kalifornische Highway-System erschlossen und zu einer der am schnellsten wachsenden und größten Metropolgegenden der Welt. Scheinbar endlose Ströme von Menschen wurden angelockt von den Möglichkeiten und dem Lifestyle, den Südkalifornien versprach. Diese Leute fanden gute Arbeitsplätze, hatten steigende Einkommen, gründeten Familien, wurden Hausbesitzer und zogen schließlich in größere Häuser.
Sie brauchten Küchengeräte. Sie brauchten Haushaltsartikel. Sie brauchten eine Menge Verbraucherwaren, und Harold Staw war derjenige, der sie ihnen verkaufte.
Harold eröffnete einen noch größeren Laden, jetzt unter dem neuen Namen ABC , in Montclair (nur 5 Kilometer westlich die Schnellstraße herunter). Er handelte einen Mietvertrag für fünfzig Jahre aus. Seine Profitabilität überstieg alles, was er sich hätte vorstellen können, als er in Fontana war, oder was er in Upland hätte erzielen können.
In rascher Folge kaufte er Mitbewerber auf, expandierte und fusionierte in einem Fall mit einem anderen Eigentümer mehrerer Läden. Der ABC Store in Covina – zwischen L. A. und San Bernardino an der weiter wachsenden Schnellstraße gelegen – war gigantisch, über 9000 Quadratmeter. Es war das größte Ladenlokal in Kalifornien, wenn nicht sogar im ganzen Land. Harold verwandelte die Geschäfte in echte One-Stop-Einkaufszentren. Er bot nicht nur alles von Kleidung über Haushaltswaren bis zu Großgeräten, sondern mietete auch Räumlichkeiten für Dienstleister wie Versicherungsagenturen und Optiker.
Zu Beginn der Sechzigerjahre war ABC Stores eine große Einzelhandelskette in Südkalifornien. Harold expandierte 1961 mit seinem bisher größten Vorhaben, einem Zusammenschluss mit dem texanischen Discounter Sage Stores. Sage hatte Wurzeln, die Harold vertraut waren. Während er sich anfangs auf den Verkauf an Gewerkschaftsmitglieder spezialisiert hatte, so hatte Sage an Behördenmitarbeiter verkauft. (Sage war ein Akronym für »State and Government Employees«.)
Staw wurde der größte Aktionär und CEO des kombinierten Unternehmens namens Sage International. Bei seinem Börsengang 1962 wurde das Unternehmen mit 10 Millionen Dollar bewertet, wovon der Familie Staw über 30 Prozent gehörten.
Wie in den meisten Erfolgsgeschichten war auch Harold Staws Aufstieg eine Kombination aus Können und Glück. Es war bemerkenswert, wie er sich selbst von praktisch nichts zu enormem Reichtum katapultierte (mit der Aussicht auf potenziell noch größeren Reichtum). Sein wesentliches Startkapital bestand aus Grips, Durchhaltevermögen und starken Nerven, und er nutzte es, um günstige Entwicklungen auszunutzen, die er zwar vorhersah, die aber außerhalb seiner Kontrolle lagen: die demografischen Veränderungen der Babyboom-Generation und das Wachstum des Konsums.
Diese günstigen Trends setzten sich in Südkalifornien bis in die Sechziger (und darüber hinaus) fort, doch die Chancen im Einzelhandel wurden so lukrativ, dass sie schließlich auch Konkurrenten anlockten, die Harold Staw nicht überlisten, ausstechen oder aufkaufen konnte.
Das Jahr des Zusammenschlusses mit Sage war auch das Jahr, in dem der erste Kmart eröffnete.
Kmart wurde selbst später von Walmart und Target aus dem Weg geschubst (die beide ebenfalls 1962 ihre ersten Läden in Arkansas beziehungsweise in Minnesota eröffneten), doch in den Sechzigerjahren war Kmart mit dem Schubsen an der Reihe. Das galt ganz besonders in Kalifornien. S. S. Kresge, eine nationale Kette bereits erfolgreicher Billigwarenhäuser, errichtete den ersten Kmart nördlich von Los Angeles und San Fernando im Januar 1962. Am Jahresende gab es bereits achtzehn Kmarts im ganzen Land.
Die Kmarts eröffneten ganz in der Nähe von Harolds Geschäften, manchmal gleich gegenüber oder ein paar Häuser weiter. Die Kette schaffte es, seine Preise zu unterbieten. Da sie dieselbe Strategie nutzte, ihr wachsendes Imperium auf Kosten anderer lokaler Händler zu platzieren und zu betreiben, blieben die unabhängigen Discounter Kaliforniens auf der Strecke.
Ende der Sechzigerjahre war ABC (so hießen die kalifornischen Niederlassungen immer noch) nicht mehr gewinnbringend.
In Texas blieb Sage erfolgreich, eröffnete weiterhin neue Läden und florierte. Kmart hatte sich noch nicht wesentlich nach Texas ausgebreitet. Selbst das im angrenzenden Arkansas gegründete Walmart kam erst 1975 nach Texas. Das war gut für das Mutterunternehmen, denn das Wachstum von Sage glich die zunehmenden Verluste bei ABC aus.
Doch es war problematisch für Harold Staw. Er war CEO von Sage International und sein größter Aktionär, doch die texanischen Ladenbetreiber (die durch die Fusion einen beachtlichen Aktienanteil besaßen) regten sich zunehmend darüber auf, dass sie Harolds Verluste in Kalifornien subventionierten. Sie wollten die ABC Stores loswerden; sie verkaufen, solange sie noch irgendeinen Wert hatten. Das bedeutete, den Teil des Unternehmens abzustoßen, den Harold aufgebaut hatte.
Die Entscheidung schien klar genug.
Harold leitete ein Unternehmen mit guten Aktivposten (die Läden in Texas) und schlechten Aktivposten (die Läden in Kalifornien). Er hatte keine gute Antwort auf die Wettbewerbsbedrohung durch Kmart. Außerdem drohten seine texanischen Aktionäre zu revoltieren, weil sie erkannten, dass Sage International (dessen größter Aktionär er war und bleiben sollte) ohne diese kalifornischen Niederlassungen viel profitabler wäre.
Doch Harold wollte sie nicht verkaufen oder schließen. Diese ABC Stores waren seine Babys. Er hatte sie geschaffen. Er hatte sie genährt und zum Wachsen gebracht. Sie waren die Verkörperung von so viel Arbeit und so viel klugen, rechtzeitigen Entscheidungen.
Anfang der Siebzigerjahre eskalierte der Unwille der texanischen Aktionäre in einen Proxy-Fight und einen teuren, schmutzigen Gerichtsprozess.
Der böseste Einschnitt war, dass einer seiner engsten Freunde, der zugleich sein langjähriger Anwalt gewesen war, auf die texanische Seite überwechselte und ihre Klage einreichte.
Doch trotz dieses Aufruhrs bei Sage International weigerte sich Harold, mit ABC Schluss zu machen. Stattdessen handelte er einen Vergleich aus, bei dem er auf alle Ansprüche auf die profitablen Aktivposten von Sage International verzichtete und zum Alleineigentümer der unprofitablen wurde. Die texanischen Anteilseigner nahmen ihre Sage Stores zurück, Harolds Partner aus der früheren Fusion nahmen ihre beiden kalifornischen Läden zurück, und Harold blieb der Rest der kalifornischen Niederlassungen.
Um mit Kmart konkurrieren zu können, nahm Harold das Vermögen, das er und Shirley über zwanzig Jahre hinweg erwirtschaftet hatten, und investierte es in den fruchtlosen Versuch, sein Unternehmen zu retten.
Innerhalb weniger Jahre begegnete ihm das Glück in Form eines Übernahmeangebots von Fred Meyer Inc. Fred Meyer war ein erfolgreicher regionaler Discounter, der in Oregon gegründet worden war und jetzt in Kalifornien Fuß fassen wollte. Damals hatte das Unternehmen über vierzig Geschäfte in vier Staaten und war seit 1960 an der Börse notiert.
Er lehnte das Angebot ab.
Am Ende verlor Harold Staw alle seine Geschäfte sowie das gesamte Vermögen, das seine Familie zusammengetragen hatte. Das Einzige, was ihn und seine Frau Shirley vor dem totalen Elend schützte, war der fünfzigjährige Mietvertrag für das Gebäude in Montclair. Lange nach dem Verschwinden der ABC Stores konnte er damit ein kleines Einkommen erzielen, indem er es an andere Läden untervermietete.
Ironischerweise scheiterten auch viele dieser Mieter an der Ablehnung, sich an die wechselnde Unternehmenslandschaft anzupassen, die Harolds Ruin gewesen war. CompUSA zum Beispiel gehörte ebenso zu den Werbenden beim Superbowl 2002, die später untergingen, wie auch zu Harolds Untermietern.
Wenn man von außen betrachtet, was mit Harold Staw passierte, lässt sich leicht erkennen, dass er einige ziemlich deutliche Signale für den drohenden Abstieg ignorierte: seine Unfähigkeit, mit Kmart zu konkurrieren, die Flucht der anderen Unabhängigen angesichts der neuen Umgebung, die Einstellung seiner früheren Fusionspartner und dass sogar sein enger Freund und Anwalt sich gegen ihn wandte.
Wenn er schon nicht die Möglichkeit hatte, ABC aufzugeben und von einer Position bei Sage zu profitieren, so hätte er doch sicherlich später die Chance gehabt, zu den von Fred Meyer angebotenen günstigen Konditionen auszusteigen. Trotzdem entschied er sich, weiter in das aussichtslose Unterfangen zu investieren, und steckte letztlich alles hinein, was er angespart hatte.
Das Geheimnis bei alldem ist das Warum: Was machte einen wendigen, flexiblen Entscheider so blind, die deutlichen Signale direkt vor seiner Nase zu übersehen? Wie konnte dasselbe Verhalten, das ihm (durch Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen) zum Erfolg verholfen hatte, am Ende sein Scheitern verursachen (durch Unflexibilität, Sturheit und vielleicht auch eine gewisse Selbstüberschätzung)?
Wenn wir diesem Geheimnis für Harold Staw auf den Grund gehen können, dann können wir dies, wie es scheint, auch für viele andere Menschen einschließlich uns selbst tun.
Der allererste Satz einer der ersten und einflussreichsten Studien über unsere Neigung, zu lange an aussichtslosen Unterfangen festzuhalten, selbst angesichts starker Signale, dass wir aussteigen sollten, benennt ganz simpel den Grund dafür, warum dieses Verhalten so verwirrend ist:
»Intuitiv erwartet man, dass Individuen Entscheidungen revidieren oder Verhaltensweisen ändern, die zu negativen Folgen führen.«
Der Autor dieser bahnbrechenden Untersuchung von 1976 mit dem Titel Knee -Deep in the Big Muddy: A Study of Escalating Commitment to a Chosen Course of Action ist Barry Staw, der Sohn von Harold und Shirley.
Während sein Vater stur seinen aussichtslosen Kampf gegen Kmart und einige seiner eigenen Aktionäre führte, studierte Barry Staw und wurde zu einem jener Sozialwissenschaftler seiner Generation, die neue Ansätze entwickelten, um zu ergründen, warum wir an erfolglosen Vorhaben festhalten, trotz schlechter Nachrichten zu lange ausharren und welche Strategien am besten funktionieren, um besser Schluss machen zu können.
Staw war während des Vietnamkriegs aufgewachsen und betrachtete die Beteiligung der Vereinigten Staaten an diesem Konflikt als Paradebeispiel dafür, wie leicht es ist, nicht mehr aus einer Sache herauszukommen, wenn man sie erst mal angefangen hat. Die Teilnahme der USA am Vietnamkrieg war für ihn die lebende, atmende, hochriskante Zeitlupen-Zugkatastrophe eines Beispiels für unsere Unfähigkeit aufzuhören.
Das Verlangen, das Geheimnis des Warum zu lüften, wurde zur Antriebskraft seiner Arbeit. Selbst der Titel seiner wichtigen Studie von 1976, Knee-Deep in the Big Muddy , war eine Anspielung an Pete Seegers Antikriegssong Waist Deep in the Big Muddy von 1967.
Gegen Ende des Krieges wurde allgemein angenommen, dass der Krieg ungewinnbar war. Doch selbst Entscheidungsträger, die sich dessen bewusst waren, konnten die Vereinigten Staaten nicht aus der Situation retten. Vielmehr reagierten sie mit dem, was Staw später als Eskalation des Commitments bezeichnen sollte, auf das fruchtlose Agieren, reagierten auf die zunehmende Gewissheit, dass eine Verstärkung der Beteiligung am Krieg kein wirklicher Weg zum Sieg für die USA war.
Staw verwies auf die Enthüllungen der Pentagon Papers, einer geheimen Geschichte dieses Kriegs des Verteidigungsministeriums, die trotz Einwänden der Regierung von der New York Times und der Washington Post veröffentlicht worden war und derzufolge der Staatsuntersekretär George Ball LBJ 1965 vor der unvermeidlichen Verstrickung in den Konflikt gewarnt hatte: »Wenn wir erst große Verluste erleiden, haben wir einen irreversiblen Prozess in Gang gesetzt. Unsere Beteiligung wird so groß sein, dass wir ohne eine nationale Demütigung nicht aufhören können, ehe wir unsere Ziele vollständig erreicht haben. Ich halte die Demütigung von diesen beiden Zielen für das wahrscheinlichere als das Erreichen unserer Ziele – auch nachdem wir einen furchtbaren Preis dafür bezahlt haben.«
Natürlich schlug Johnson die Warnung in den Wind, und genau dieser Fall trat ein. Der Vietnamkrieg kostete die USA fast 200 Milliarden Dollar (was inflationsbereinigt heute ungefähr 1 Billion Dollar entspricht). Es wurden 58.000 amerikanische Soldaten getötet und weitere 300.000 verletzt. Er beendete die politische Karriere von Lyndon Johnson und kostete ihn die Chance auf eine zweite Amtszeit. Der Krieg ließ eine ganze Generation der Regierung und Autoritäten im Allgemeinen misstrauen.
Dieses Problem mit der Eskalation des Commitments für ungewinnbare Kriege ist ein vertrautes Muster. Nachdem die Vereinigten Staaten in Afghanistan waren, dauerte es zwanzig Jahre, wieder herauszukommen, obwohl drei verschiedene Präsidenten das versprachen. Nach zwei Jahrzehnten der Beteiligung und 2 Billionen Dollar Kosten eroberten die Taliban die Kontrolle zurück, nur wenige Tage nachdem die amerikanischen Truppen abgezogen waren, und gaben damit die Tatsache preis, dass dies ein Krieg gewesen war, in dem die Vereinigten Staaten niemals wirklich gewonnen hatten.
Staws zentrale Erkenntnis über die Eskalation des Commitments ist, dass dieses Phänomen nicht auf Angelegenheiten wie den Vietnamkrieg begrenzt ist, einen komplexen geopolitischen Konflikt, bei dem Nationalstolz mit von der Partie war. Seine Labor- und Feldstudien zeigten, was auf individueller Ebene ebenso gilt wie für Organisationen oder Regierungen: Angesichts schlechter Nachrichten, angesichts starker Signale, dass wir verlieren – Signale, die andere deutlich wahrnehmen –, weigern wir uns nicht bloß, den Rückzug anzutreten. Wir verdoppeln und verdreifachen unsere Bemühungen, treffen weitere Entscheidungen, noch mehr Zeit und Geld (und andere Ressourcen) in die aussichtslose Sache zu investieren, und verstärken unsere Überzeugung, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Barry Staw hat dies vielleicht erst später realisiert, aber seine Arbeit über eskalierendes Commitment lässt uns besser verstehen, wie die Beharrlichkeit, die Harold Staw beim Aufbau eines Geschäftsimperiums half, zu seinem Ruin werden konnte, wie sein Vater so eindeutige Signale ignorieren konnte, dass er aus dem kalifornischen Business aussteigen sollte, bis ihm schließlich nichts mehr blieb als der Mietvertrag für das Gebäude in Montclair.
Wir wissen, wenn viel auf dem Spiel steht, kann Aufhören schwer sein. Doch zu den faszinierenderen Entdeckungen in diesem Bereich gehört, wie wenig tatsächlich auf dem Spiel stehen muss, damit wir unser Commitment eskalieren. In einer Studie, die ein Jahr vor Big Muddy erschien, ging es um den einfachen Vorgang des Wartens.
Die Psychologen Jeffrey Rubin und Joel Brockner führten ein amüsantes Experiment durch, um zwei Fragen zu beantworten: Wie lange warten die Menschen auf etwas, das nie kommt, und welchen Preis bezahlen sie, um weiter zu warten? Wie sich herausstellte, warten die Leute überraschend lange und bezahlen dafür einen Preis, der deutlich den Wert dessen übersteigt, auf das sie warten.
Die Forscher boten den Studenten eine Bezahlung von bis zu 8 Dollar (45 Dollar in heutigem Geld), wenn sie in einem Geschwindigkeitstest erfolgreich ein Kreuzworträtsel lösten. Um die gesamte Summe zu erhalten, mussten sie das Rätsel in weniger als drei Minuten lösen, bei jeder zusätzlichen Minute verringerte sich der Betrag bis hinunter auf 0 Dollar. Sie konnten jederzeit aufhören, selbst wenn sie kein einziges Wort in dem Rätsel gewusst hatten, und erhielten dann 2,40 Dollar für die Teilnahme, aber nur wenn sie aufgaben, ehe die ablaufende Zeit ihre Bezahlung minderte.
Da einige der Wörter sehr schwierig waren, konnten sie ein Kreuzworträtsel-Wörterbuch anfordern (das Ganze fand statt, ehe jedermann Zugriff auf das Internet hatte), doch es gab nur eins, und man sagte ihnen, dass etliche andere Teilnehmer in anderen Zimmern ebenfalls an dem Rätsel knobelten. Das heißt, sie hätten die Arbeit unterbrechen und warten müssen, bis das Wörterbuch verfügbar war, doch die Uhr lief weiter.
Was die Studienteilnehmer nicht wussten: Es gab gar kein Wörterbuch, die Wartezeit war also unbegrenzt.
Etwas über die Hälfte der Teilnehmer wartete auf das nicht vorhandene Wörterbuch über die Zeit hinaus, bei der die Belohnung für die Vervollständigung des Rätsels auf weniger als 2,40 Dollar gesunken war. Mit den Worten der Autoren ausgedrückt: Sie warteten »über diesen ›Point of no Return‹ hinaus und steckten in einem Konflikt fest, aus dem es keinen zufriedenstellenden Ausweg mehr gab«.
Die Eskalation des Commitments ist teuer. Wären die Teilnehmer früher ausgestiegen, hätten sie mehr Geld bekommen. Es mag sich so anfühlen, als würde Aufhören uns ausbremsen, aber Rubin und Brockner zeigen, dass häufig das Weitermachen der Übeltäter ist.
Die Untersuchungen des eskalierenden Commitments während der letzten fünfundvierzig Jahre – in verschiedenen Laborumgebungen, in Feldstudien und Erklärungen allgemein beobachteten Verhaltens – haben gezeigt, dass ein solches Feststecken in aussichtslosen Angelegenheiten in einer Vielzahl von Umgebungen und Umständen vorkommt.
Wir können auf alle möglichen Arten in unseren Entscheidungen festsitzen. Obwohl uns die Möglichkeiten und die relevanten Informationen zur Verfügung stehen, halten wir übermäßig an etwas fest, verweigern den Ausstieg und stärken unsere ursprüngliche Entscheidung, indem wir noch mehr Ressourcen in den Versuch investieren, das Vorhaben zu retten.
Das gilt ebenso sehr für die Aufwendung von mehr Zeit beim Schlangestehen oder für einen ungewinnbaren Krieg, beim Ausharren in schlechten Beziehungen und schlechten Jobs oder wenn wir Geld in ein Auto stecken, das weniger wert ist, als die Reparaturen uns kosten. Deshalb kann ein Haus zum Groschengrab werden. Deshalb schalten wir einen miserablen Film nicht ab, weil wir schon mal angefangen haben, ihn anzusehen. Deshalb werden Unternehmen fortgeführt und stellen Produkte her, die eindeutig zum Scheitern verurteilt sind, oder halten an Strategien fest, wenn die Umstände sich längst verändert haben.
George Ball hatte recht. Ein solches Verhalten ist der Regelfall.
Das Weitermachen trotz unübersehbarer Warnsignale, wie Ali oder Rob Hall es praktizierten, ist nichts Ungewöhnliches. Vor dem sicheren Scheitern aus einem aussichtslosen Unterfangen auszusteigen schon. Menschen wie Stuart Hutchison, Stewart Butterfield und Alex Honnold sind Ausnahmen.
Zusammenfassung Kapitel 4