KAPITEL 6

Affen und Podeste

A UF DER HIGHSCHOOL FANDEN ERIC TELLERS FREUNDE , dass seine Frisur aussehe wie der Kunstrasen von AstroTurf, deshalb fingen sie an, ihn Astro zu nennen. Er nahm den Spitznamen an wie eine zweite Haut und malte im College sogar Astro, den Zeichentrickhund aus The Jetsons , auf seine Autotür.

Astro Teller machte 1998 an der Carnegie Mellon University seinen PhD in Künstlicher Intelligenz. Während seines Aufbaustudiums war er Mitschöpfer einer interaktiven Galerieinstallation, bei der Porträtmalerei und Computerwissenschaft miteinander verknüpft wurden. Zu dieser Zeit schrieb er auch seine ersten beiden Romane.

Zwischen damals und 2010 war er Mitgründer von fünf Unternehmen. Eins davon war ein Hedgefonds, der Investments durch die Technik des maschinellen Lernens auswählte. Ein weiteres stellte erfolgreich tragbare Körpermonitoren her. Er arbeitete außerdem als Professor in Stanford.

Gemeinsam mit Larry Page, Sergey Brin und Sebastian Thrun entwickelte er den internen Innovations-Hub bei Google. Page und Brin waren zwei der Mitgründer von Google. Der damalige Vice President Thrun war vorher Professor an der Carnegie Mellon und in Stanford gewesen. Er war ein Robotik-Innovator, leitete das unternehmenseigene Projekt des autonomen Fahrzeugs und gründete später Udacity, eine Online-Bildungseinrichtung.

Sie nannten das Unternehmen zunächst »X« als Platzhalter, denn sie hielten den Namen für ein relativ unwichtiges Detail, das auch später noch festgelegt werden konnte. X blieb jedoch der Unternehmensname, was gut passt, weil Google seinen Namen später in Alphabet veränderte.

Teller wurde CEO von X, seine tatsächliche Berufsbezeichnung lautet allerdings »Captain of Moonshots«. Seine einzige Bedingung, um diese Stelle anzunehmen, war vollständige Autonomie über das Unternehmen, was ihm von den Google-Gründern zugesichert wurde. Obwohl X ein Tochterunternehmen von Alphabet ist, bestand er immer auf einer kulturellen Trennung.

X wurde zu einer bekannten Ideenschmiede in der nicht-traditionellen Tradition von Bell Labs, Xerox PARC und Thomas Edisons Laboren. Die Mission von X ist es, Technologien zu entwickeln und einzuführen, um »das Leben von Millionen, ja sogar Milliarden Menschen besser zu machen«.

Sie beschäftigen sich insbesondere mit der Identifikation und der Beschleunigung von weltverändernden Ideen. Das heißt, sie lehnen viele gute Ideen ab, weil der Wandel, den diese Ideen herbeiführen würden, für ihre Mission zu gering wäre. Einer der Slogans von X lautet: »Zehnfache Wirkung auf die vertracktesten Probleme der Welt, nicht bloß 10 Prozent Verbesserung.«

Teller könnte der perfekte Mann sein, um ein Innovationslabor mit derart ambitionierten Zielen zu leiten. Doch revolutionäres Denken ist ihm nicht einfach zugeflogen. Sein Großvater väterlicherseits war Edward Teller, der legendäre Physiker, der zu den Erfindern der Wasserstoffbombe gehört. Sein Großvater mütterlicherseits war Gerard Debreu, ein mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Ökonom und Mathematiker. Sein Vater war Philosoph der Quantenmechanik, und seine Mutter war Modedesignerin und Lehrerin für hochbegabte Kinder.

Innovation, ob im wörtlichen oder im übertragenen Sinne, liegt ihm einfach im Blut.

X ist ein Innovations-Hub, aber es geht nicht um irgendeine Innovation zu irgendeinem Preis oder mit irgendeinem Zeithorizont. X hat eine sehr spezifische Zielsetzung: die besten Ideen innerhalb von fünf bis zehn Jahren vom Konzept bis zur kommerziellen Rentabilität zu bringen. Es reicht nicht aus, dass die Idee eine weltverändernde Lösung ist oder auch nur dass die angestrebte Lösung machbar ist. Es muss auch gewiss sein, dass sie ökonomisch sinnvoll ist, damit sie sich selbst trägt und Gewinn bringt.

Die Begründung für den Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren ist: Wenn die Lösung in kürzerer Zeit entwickelt werden könnte, arbeitet wahrscheinlich schon ein anderer daran. Wenn es länger dauert als zehn Jahre, könnte die Technologie veraltet sein, bis sie auf den Markt kommt.

Hat ein Projekt erst mal den Punkt erreicht, an dem es seine Produkte verfeinert oder seine Operationen erweitert, erhält es von X seinen »Doktortitel«. Der berühmteste Doktorand von X war eins seiner ersten Projekte, ein selbstfahrendes Auto. Im Jahr 2017 wurde es Waymo, ein Alphabet-Unternehmen. Bis Anfang 2021 hatte Waymo einen Wert von 30 Milliarden Dollar. Weitere Projekte, die es bis zur Marktreife schafften, waren Google Brain (eins der größten neuralen Netzwerke für maschinelles Lernen, das es je gab), Verily Life Sciences (eine Zusammenstellung von medizinischen Technologien wie beispielsweise eine intelligente Kontaktlinse, die den Glukosewert bestimmt) und die Lieferdrohne Wing.

Viele der Projekte, die es nicht geschafft haben, waren tolle, innovative Ideen für die Lösung globaler Probleme. Projekt Loon entwickelte eine Technologie zur Schaffung eines Netzwerks von riesigen hoch fliegenden Ballons, um einer Milliarde Menschen in den letzten nicht angebundenen Regionen der Welt Zugriff auf das Internet zu geben. Projekt Foghorn sollte als saubere, im Überfluss vorhandene Alternative zum Öl Seewasser in Treibstoff verwandeln.

X braucht eine Menge große Anläufe und weiß, dass die meisten davon Rohrkrepierer sind. Teller betrachtet jedes Projekt so, als würde er eine Option auf die Zukunft einkaufen. Wie bei den meisten Optionen muss man immer weiter und immer größere Beträge bezahlen, um sie zu behalten.

»In den nächsten paar Jahren werden wir tausend Optionen kaufen«, sagte er mir. »Wir brauchen nur vier pro Jahrzehnt, um zu Sundar zu gehen [Pichai, der CEO von Alphabet].« Teller fasst seine Tätigkeit so auf, dass er durch kluges Handeln mit möglichst wenig Geld ein wertvolles Portfolio aufbauen soll.

Selbst wenn man Alphabet gehört, hat man nur begrenzte Zeit-, Geld- und Aufmerksamkeitsressourcen. Das bedeutet, Teller muss die Projekte identifizieren, die sich nicht schnellstmöglich bewähren. Um radikale Ideen zu verfolgen, muss er ein radikaler Verlustbegrenzer sein. Jeder Dollar, den sie einsparen, indem sie schnell die Bremse ziehen, ist ein Dollar, den sie auf etwas verwenden können, das tatsächlich die Welt verändern könnte.

Damit die X-Mitarbeiter besser loslassen können, hat Astro Teller ein besonderes mentales Modell ersonnen, das in die Struktur von X eingewoben ist: Affen und Podeste.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen einem Affen beibringen, mit brennenden Fackeln zu jonglieren, während er in einem öffentlichen Park auf einem Podest steht. Wenn Sie so ein eindrucksvolles Schauspiel hinkriegen, haben Sie eine einträgliche Nummer.

Teller erkennt, dass zwei Bestandteile erforderlich sind, um bei diesem Vorhaben Erfolg zu haben: den Affen trainieren und das Podest bauen. Ein Teil der Sache stellt ein möglicherweise unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zum Erfolg dar. Und der andere ist das Errichten des Podests. Podeste wurden schon bei den alten Griechen und möglicherweise auch davor gebaut. Im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden sind Podeste gründlich ausgereift. Heutzutage kann man sie im Möbelladen oder im Baumarkt kaufen, oder man dreht einfach einen Bierkasten um.

Der Engpass, das Schwierige, ist das Trainieren des Affen, der mit den brennenden Fackeln jongliert.

Zweck dieses mentalen Modells ist es, Sie daran zu erinnern, dass es keinen Sinn hat, das Podest zu bauen, wenn Sie den Affen nicht trainieren können.

Mit anderen Worten, Sie sollten den schwierigsten Teil des Problems zuerst angehen.

»Affen und Podeste« ist in den Sprachgebrauch der Organisation eingeflossen. Wenn die X-Leute Projektpräsentationen machen, sieht man #MONKEYFIRST und Affen-Icons. So identifizieren sie das Schwierige, das erledigt werden muss, damit das Projekt umsetzungswürdig ist.

Die Lektion dabei lautet: Wenn Sie Ihr Unternehmen starten, sollten Sie nicht als Erstes die perfekte Visitenkarte gestalten oder in das schönste Logo investieren oder sich den coolsten Namen ausdenken.

So hat X schließlich überhaupt seinen Namen bekommen.

Den Affen vom Tisch bekommen

Projekt Foghorn, bei dem X eine Technologie entwickelt, um Meerwasser in Treibstoff zu verwandeln, bietet ein Beispiel dafür, wie das mentale Modell mit dem Affen und dem Podest funktioniert. Der erste Affe wäre der Machbarkeitsnachweis, aber den haben schon die Wissenschaftler geliefert, mit denen sie eine Partnerschaft geschlossen haben und deren Arbeit ihre Aufmerksamkeit auf diese Innovation gelenkt hat. Der zweite Affe war die kommerzielle Nutzbarkeit. Der Treibstoff musste zu Kosten produziert werden, die deutlich niedriger sind als der gegenwärtige Benzinpreis, um breite Marktakzeptanz zu erzielen.

Als sie anfingen, wären 8 Dollar pro Gallone des Benzinäquivalents an den teuersten Märkten wie Skandinavien wettbewerbsfähig gewesen. Die erste Hürde waren die enormen Kosten für die Errichtung von Rohrleitungen im Meer. Sie dachten, sie hätten eine Lösung gefunden, indem sie sich mit der vorhandenen Entsalzungs-Infrastruktur zusammenschlossen. Doch schnell erkannten sie, dass die weltweite Kapazität dieser existierenden Fabriken ihre Produktionsbedürfnisse kaum ansatzweise erfüllen konnte. Da halfen auch die seinerzeit sinkenden Kosten traditioneller Treibstoffe nichts.

Sie erkannten, dass sie den Affen nicht zu fassen kriegten. Da es zu unwahrscheinlich war, dass sie innerhalb der nächsten drei Jahre konkurrenzfähig würden, wurde Foghorn fallen gelassen.

Die Anwendung des Prinzips von Affen und Podesten bedeutet manchmal, etwas nach zwei Jahren zu beenden oder nach fünf Jahren oder, wie es bei Loon der Fall war (dem Projekt, das abgelegene Gebiete mit Internetzugang versehen sollte), nach neun Jahren. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob es zwei, fünf oder neun Jahre sind, solange man es früher beendet, als man es anderenfalls getan hätte.

Wenn Sie Ihre Verluste früher begrenzen können, ist das ein enormer Gewinn. Ein zusätzlicher Bonus ist, dass es Ihnen Freiraum verschafft, sodass Sie Ihre begrenzte Aufmerksamkeit und Ressourcen in aussichtsreichere Vorhaben stecken können, die eine höhere Werterwartung haben, was die Opportunitätskosten verringert.

»Wenn wir die Achillesferse finden«, sagte mir Teller, »dann danken wir Gott, dass wir sie nach 2 Millionen Dollar gefunden haben statt nach 20 Millionen.«

Astro Teller hat eindeutig verstanden, dass man durch Aussteigen schneller ans Ziel kommt.

Je schneller Sie erkennen, dass Sie aufgeben sollten, umso schneller können Sie zu etwas Besserem übergehen. Und je eher das geschieht, umso mehr Ressourcen sparen Sie ein, die Sie dann in aussichtsreichere Vorhaben stecken können.

Das Schöne am mentalen Modell der Affen und Podeste ist, dass es Ihnen manchmal schon vor dem Beginn zum Ausstieg verhilft.

Vor Jahren befasste X sich mit der Entwicklung dessen, was jetzt als Hyperloop bekannt ist, ein experimentelles Hochgeschwindigkeits-Schienensystem. Das Konzept war prima. Aus Ingenieurssicht war der Aufbau der physischen Infrastruktur kein allzu großes Problem.

Die Affen, um den Hyperloop rentabel zu machen, waren beispielsweise, ob man Passagiere oder Fracht sicher an und von Bord bringen konnte und ob man das System ohne Zwischenfälle beschleunigen und abbremsen konnte. Ein paar Hundert Meter Schienenstrecke konnten nichts darüber aussagen, ob diese Herausforderungen zu bewältigen waren. Genau genommen fanden Teller und das Team heraus, dass man praktisch das ganze Ding bauen musste, ehe man wusste, ob es funktionierte. Man würde eine Reihe von Podesten bauen müssen, ehe man herausfand, ob die Affen störrisch waren.

Sie beschlossen rasch, den Plan nicht zu verfolgen.

Eine von Tellers wertvollen Erkenntnissen ist, dass das Podestbauen die Illusion des Fortschritts erzeugt anstelle des Fortschritts selbst.

Wenn Sie etwas tun, von dem Sie bereits wissen, dass Sie es schaffen, lernen Sie nichts Wichtiges darüber, ob das Vorhaben die Umsetzung lohnt. Sie wissen bereits, dass Sie das Podest bauen können. Das Problem ist, ob Sie den Affen trainieren können.

Teller erkennt außerdem, dass Sie durch den Podestbau versunkene Kosten anhäufen, die den Ausstieg schwerer machen, selbst wenn Sie feststellen, dass Sie den Affen nicht dazu bringen können, mit den Fackeln zu jonglieren. Indem Sie sich zuerst auf den Affen konzentrieren, verkleinern Sie natürlich den Trümmerberg, den Sie anhäufen, wenn Sie zuerst etwas lösen, das in Wirklichkeit bereits gelöst ist.

Diese Fortschrittsillusion durch Podestbau sehen wir beim kalifornischen Schnellzug. Wir haben in flachem Gelände überall zahllose Kilometer Eisenbahnschienen verlegt. Im Wesentlichen hat man das schon vor über 150 Jahren herausgefunden und Eisenbahngesellschaften dadurch im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu den profitabelsten Unternehmen der Welt gemacht. Dass wir diese Infrastruktur schaffen können, wissen wir bereits.

Das heißt, jede Schiene, die im inneren Bereich der Strecke verlegt werden kann, ist ein Podest. Und doch war der erste genehmigte Gleisabschnitt im Jahr 2010 auf flachem Land zwischen Madera und Fresno.

Astro Teller versteht auch einen subtileren, aber nicht weniger wichtigen Faktor, nämlich dass wir die Tendenz haben, angesichts eines schwer lösbaren Affen unsere Aufmerksamkeit lieber auf das Podestbauen zu richten als auf das Aufgeben.

Wir bevorzugen die Illusion des Fortschritts gegenüber dem Aufgeben und dem Eingeständnis des Scheiterns.

Auch dies lässt sich wieder mit dem kalifornischen Schnellzug illustrieren. Angesichts der großen Affen des Pacheco-Passes und der Tehachapi Mountains fing die Authority an, zwei weitere Podeste zu bauen, die Strecke zwischen Bakersfield und Merced und, nachdem diese fertig war, die Strecke zwischen San Francisco und Silicon Valley, die 2019 von Gouverneur Newsom abgesegnet wurde.

Wären die Entscheidungsträger in Kalifornien so an die Probleme des Projekts herangegangen, wie X es tut, nämlich mit Affen und Podesten, dann hätten sie das Projekt wohl so rasch fallen gelassen, wie X den Hyperloop fallen gelassen hat. Doch stattdessen wächst ihr Katamari immer weiter und macht es immer schwieriger, den Hochgeschwindigkeitszug loszulassen.

Auf einen unlösbaren Affen zu stoßen und sich dann dem Podestbau zuzuwenden, ist eine Katastrophe an zwei Fronten. Sie stecken nicht nur weiterhin Ressourcen in etwas, nachdem Sie klare Signale erhalten haben, dass Sie keinen Erfolg damit haben werden, sondern dies sind auch Ressourcen, die Sie anderswo besser einsetzen könnten. Jeder Dollar, den die Authority weiterhin in dem Hochgeschwindigkeitszug versenkt, steht nicht für andere große Ideen zur Verfügung, die eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, den kalifornischen Steuerzahlern von Nutzen zu sein.

Affen und Podeste lassen sich auf einige sehr gute Ratschläge reduzieren:

K.-o.-Kriterien

Wir wissen bereits, dass wir nicht besonders gut rational auf Signale reagieren können, die uns den Abbruch nahelegen. Tatsächlich neigen wir dazu, auf schlechte Nachrichten zu reagieren, indem wir unser Commitment noch verstärken, anstatt unsere Verluste zu begrenzen. Einfach nur das Problem zu erkennen, nützt nichts, ebenso wenig wie der Jedi-Trick: »Wie wär’s, wenn ich mir vorstelle, ganz unvoreingenommen an diese Entscheidung heranzugehen?«

Aber es gibt etwas, das helfen kann.

Wenn wir im Voraus die Signale identifizieren, auf die wir achten sollten, und einen Plan erstellen, wie wir darauf reagieren, können wir die Chance erhöhen, dass wir unsere Verluste dann begrenzen, wenn es angeraten ist.

Das heißt im Wesentlichen: Wenn Sie mit einem Vorhaben beginnen, stellen Sie sich vor, was Ihnen signalisieren könnte, dass es die Mühe nicht länger lohnt. Fragen Sie sich: »Welche Signale würden mich, wenn ich sie in der Zukunft entdecke, zum Verlassen meines Weges veranlassen? Was könnte ich über den Zustand der Welt oder meiner selbst erfahren, das mein Commitment für diese Entscheidung verändern würde?«

Diese Liste bietet Ihnen eine Reihe von K.-o.-Kriterien, also im wahrsten Sinne des Wortes Kriterien, die ein Projekt k. o. gehen lassen oder Sie davon abbringen, um die Verluste zu begrenzen. Es ist eins der besten Instrumente, um herauszufinden, wann Sie rechtzeitig aussteigen können.

K.-o.-Kriterien können Informationen sein, die Ihnen deutlich machen, dass der Affe nicht trainierbar ist oder dass die Zielerreichung nicht wahrscheinlich genug ist oder dass das Schicksal sich gegen Sie gewendet hat.

Wir können uns potenzielle K.-o.-Kriterien für viele der von uns betrachteten Beispiele vorstellen. Für Harold Staw hätte es sein können, dass ein Verkauf dringend angeraten ist, wenn die Profitabilität der Läden unter einen gewisse Grenzwert sinkt. Oder Ihr K.-o.-Kriterium könnte eine Verlustgrenze sein, bei der Sie das Unternehmen verkaufen oder schließen würden, sobald Sie persönlich zusätzliches Geld (oder mehr als einen bestimmten Betrag) zuschießen müssen, um die Läden am Laufen zu halten. Oder im Extremfall könnte es sein, dass vertrauenswürdige Ratgeber Ihnen sagen, Sie sollen den Kurs ändern, zum Beispiel wenn Ihr bester Freund und Anwalt bei einem Prozess die Seiten wechselt.

Im Falle von Glitch könnte es ein K.-o.-Kriterium für den Ausstieg sein, wenn Sie bis zu einem bestimmten Datum nicht eine bestimmte Zahl von treuen Kunden erreicht haben.

Was den kalifornischen Hochgeschwindigkeitszug angeht, so kann man sich viele anwendbare K.-o.-Kriterien vorstellen, zum Beispiel aufzugeben, wenn sich das ursprünglich eingeplante Budget mehr als verdreifacht hat.

Eins der eindeutigsten Beispiele für ein K.-o.-Kriterium ist die Umkehrzeit auf dem Mount Everest. Wenn man es bis 13 Uhr nicht auf den Gipfel geschafft hat, kann man vor Einbruch der Dunkelheit nicht sicher zum Lager 4 hinabsteigen, daher muss man den Anstieg abbrechen.

Itamar Simonson und Barry Staw untersuchten 1992 die Wirkung einer solchen Vorausplanung als Bestandteil derselben Studie, in der die Teilnehmer einer von zwei Biersorten ein Budget zuteilten, schlechte Nachrichten erhielten und dann die Chance zu einer zweiten Zuteilung erhielten.

Die Forscher wollten wissen, ob Vorausplanung den Teilnehmern helfen würde, Zuteilungen vorzunehmen, die eher denjenigen der Teilnehmer glichen, die unvoreingenommen die Entscheidung trafen.

Wie Sie sich erinnern werden, gaben die Probanden, die unvoreingenommen die zweite Zuteilung (10 Millionen Dollar) vornahmen, 3,7 Millionen Dollar dem Produkt, das schon zuvor die finanzielle Förderung erhalten hatte, im Vergleich zu etwas über 5 Millionen Dollar derjenigen, die diese vorherige erfolglose Entscheidung getroffen hatten. Wir wissen bereits, dass die Aufforderung an die Teilnehmer, eine unvoreingenommene Analyse der Pros und Kontras mit Blick nach vorn vorzunehmen, keine Verhaltensänderung bewirkt hatte.

Was jedoch funktionierte, war, dass man eine Gruppe vor der ersten Entscheidung Benchmarks in Form von Minimalzielen für Umsätze und Gewinne setzen ließ. Nachdem diese Teilnehmer die schlechten Performance-Daten erhalten hatten, teilten sie nur 3,9 Millionen Dollar demselben Produkt zu, das sie zuvor gewählt hatten. Ihre Zuteilung entsprach nun derjenigen der Probanden, die tatsächlich unvoreingenommen entschieden hatten. Und es war eine große Verringerung im Vergleich zu den anderen, die beide Zuteilungen vorgenommen, aber keine Benchmarks gesetzt hatten.

Das deckt sich mit vielen nachfolgenden Studien, die über alle möglichen Arten von Vorbindungsverträgen gemacht wurden. Ob es um das Befolgen von Diät-, Arbeits- oder Studienplänen geht, solche Vorbindungsverträge lassen Menschen rationaler handeln.

Grundsätzlich schaffen K.-o.-Kriterien einen Vorbindungsvertrag für den Ausstieg.

Tunnelblick

Sie können sich wahrscheinlich viele Anwendungsfälle für K.-o.-Kriterien in Ihrem Leben vorstellen. Wenn Sie zum ersten Mal mit jemandem ausgehen, denken Sie voraus. Was könnte passieren, das Sie denken lassen würde, es sei Zeit, die Beziehung zu beenden? Oder im Falle eines einzigen Dates, was würde Sie das Treffen beenden lassen wollen? Dasselbe können Sie auch mit dem Besuch einer bestimmten Uni, der Auswahl eines Studienfachs, der Berufswahl oder der Annahme einer Stelle machen.

Eine offensichtliche und wertvolle Anwendung von K.-o.-Kriterien hat mit dem Trichtermanagement der Verkaufsfunktion eines Geschäfts zu tun. Ein großes Problem für Verkaufsmitarbeiter ist es, all die Gelegenheiten an der oberen Seite des Trichters zu handhaben: Welche verfolgt man? Und wenn man erst mal eine aufgegriffen hat, wann lässt man sie wieder los?

Es liegt im Interesse eines Unternehmens, dass die Verkaufsmitarbeiter ihre Zeit für die aussichtsreichsten Optionen aufwenden, und zwar basierend auf einer Kombination aus Abschlusswahrscheinlichkeit und potenziellem Vertragsumfang.

Natürlich sind viele dieser Schwierigkeiten nicht auf den Verkauf beschränkt. Wenn man erst mal angefangen hat, eine Verkaufsgelegenheit zu verfolgen, steckt man Zeit und Mühe hinein. Diese Zeit und Mühe machen es schwierig, von der Gelegenheit abzulassen, und je mehr Ressourcen man investiert, umso schwieriger wird es, aufzugeben und den Schaden zu begrenzen.

Abgesehen von der Ressourceninvestition in erfolglose oder geringwertige Verkaufsaktivitäten gibt es auch noch die Opportunitätskosten. Sie haben begrenzte Ressourcen. Jede Minute, die Sie für etwas mit geringer Werterwartung aufwenden, ist eine Minute, die Ihnen für andere Gelegenheiten mit größerem Wert fehlt.

Diese Probleme sind sogar noch größer, wenn Sie Verkäufer haben, die von ihrem Charakter her bis zum bitteren Ende einfach nicht von einer möglichen Verkaufsgelegenheit ablassen können. Verkäufer sind von Natur aus hartnäckig. Diese Einstellung gibt ihnen (ähnlich wie Pokerspielern, die nicht passen wollen, solange es noch irgendeine Chance auf den Gewinn gibt) die Gewissheit, dass sie niemals etwas aufgeben und sich dann fragen: »Was wäre, wenn?« Doch das ist, genau wie bei den Pokerspielern, eine schlechte Ressourcennutzung und ein Rezept zum Pleitegehen.

Das Aufstellen von K.-o.-Kritierien kann sehr wertvoll sein, um innerhalb des Vertriebs rationalere und effizientere Entscheidungen zu treffen.

Ein Beispiel: Mit einem meiner Kunden, mParticle, arbeitete ich an der Entwicklung und Anwendung von K.-o.-Kriterien im Verkaufsprozess. mParticle ist ein SaaS-Unternehmen (Software as a Service) und bietet eine Kundendatenplattform (KDP ), mit der Teams ihre Kundendaten vereinheitlichen und mit verschiedenen Marketing- und Analyse-API s (Application Programming Interfaces) verknüpfen können.

Zu Beginn unserer Zusammenarbeit fiel es ihren Verkaufsmitarbeitern schwer, die geringwertigen Kaufinteressenten fallen zu lassen, zum Teil weil die Kultur die Vorstellung stärkte, das Unternehmen würde Boden verlieren, wenn man eine Gelegenheit verpasste.

Die Zeit eines Verkaufsmitarbeiters ist kostbar und eine begrenzte Ressource. Die Zeit, die er für geringer bewertete Interessenten aufwendet, kann er nicht den höher bewerteten Interessenten oder der Entwicklung neuer Gelegenheiten widmen. Wenn er also nicht rasch die wahrscheinlichen Sackgassen identifiziert und verlässt, verlangsamt das in der Realität den Fortschritt.

Die Aufstellung einer Reihe von K.-o.-Kriterien könnte dem Team helfen, den Schaden schneller zu begrenzen, wenn die Signale deutlich sind.

Um solche Kriterien zu entwickeln, arbeiteten wir mit dem Vertrieb zusammen und erstellten eine Liste von Signalen, die ihnen anzeigten, wann es sich nicht lohnte, eine Gelegenheit weiter zu verfolgen. Dazu schickten wir den Verkaufsmitarbeitern und der Vertriebsleitung die folgende Anregung:

Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Gelegenheit verfolgt, die durch eine Angebots- oder Informationsanfrage entstanden ist. Jetzt ist es sechs Monate später, und aus dem Geschäft ist nichts geworden. Rückblickend erkennen Sie frühe Anzeichen dafür, dass kein Abschluss erzielt werden würde. Welche waren das?

Im Allgemeinen bezeichnet man diese Idee, sich selbst in die Zukunft zu versetzen, sich ein Scheitern vorzustellen und dann zurückzusehen, um die Gründe dafür herauszufinden, als Prämortem . Das Prämortem ist ein sehr gutes Instrument für die Entwicklung von hochwertigen K.-o.-Kriterien.

Diese spezielle Anregung zielte auf die Frühwarnzeichen des Scheiterns ab, die Verkaufsmitarbeiter (und wir alle) gern übersehen, wegargumentieren oder ignorieren. Mit anderen Worten, wir suchten nach jenen Hinweisen darauf, dass etwas schlecht läuft, die wir intuitiv beachten sollten, was wir aber nicht tun.

Wir baten die Teammitglieder, außerhalb einer Gruppenanordnung auf die Anregung zu antworten, unabhängig und asynchron, damit wir die größtmögliche Bandbreite an Antworten erhielten, die von der Meinung der anderen unbeeinflusst waren. Wir ließen sie auch rein hypothetisch antworten, nicht im Hinblick auf irgendeine bestimmte Gelegenheit, die sie gerade verfolgten oder versäumt hatten. Das machten wir, weil wir wussten, dass die Perspektive am stärksten voreingenommen ist, wenn man unmittelbar vor einer Ausstiegsentscheidung steht oder eine soeben verpasste Chance analysiert.

Es gab mehrere Signale, die in den Antworten wiederholt genannt wurden, zum Beispiel: Der potenzielle Kunde hat nie jemanden aus der Geschäftsleitung zu den Meetings mitgebracht, die Anfrage wurde erkennbar von einem Konkurrenzangebot beeinflusst, oder der Interessent kam direkt zum Preis, ohne sich nach anderen Informationen zu erkundigen.

Wir verwandelten diese Signale dann in eine Reihe von K.-o.-Kriterien. Einige Signale auf der Liste waren stark genug, um die Bemühungen unverzüglich einzustellen, wenn man ihnen begegnete. Wenn der Interessent beispielsweise sofort auf den Preis zu sprechen kam, galt das als ausreichend starkes Anzeichen, dass die Angelegenheit in eine Sackgasse mündete, denn es signalisierte, dass der potenzielle Kunde den Verkäufer nur als Strohmann nutzte, um den Preis eines Mitbewerbers zu drücken.

Andere Signale dagegen erforderten weiteres Handeln. Wir identifizierten für jedes davon die Informationen, die der Verkäufer so schnell wie möglich beim potenziellen Kunden entdecken musste. Je nach Ergebnis würde der Verkäufer die Geschäftsgelegenheit entweder weiterverfolgen oder liegen lassen.

Wenn zum Beispiel während der ersten paar Meetings kein Mitglied der Geschäftsführung dabei war (ein weniger gewisses K.-o.-Kriterium), wurde der Verkäufer angewiesen, beim nächsten Meeting eine Absprache mit der Geschäftsleitung zu treffen. Er erklärte dann dem potenziellen Kunden, dass die Geschäfte seiner Erfahrung nach reibungsloser ablaufen, wenn Führungskräfte beider Seiten anwesend sind, und bot an, bei der nächsten Besprechung jemanden von seiner Geschäftsführung mitzubringen, wenn der potenzielle Kunde dasselbe tue. Wurde dieses Angebot abgelehnt, ließ der Verkäufer den Deal platzen.

Die Erstellung dieser K.-o.-Kriterien verhalf dem Verkaufsteam zu einem effizienteren Trichtermanagement und sorgte dafür, dass die Verkäufer mehr von ihrer Zeit auf die Gelegenheiten mit dem höchsten Potenzial verwendeten, während sie die mit geringem Potenzial schnellstmöglich liegen ließen. Die K.-o.-Kriterien gaben auch den Verkäufern von mParticle eine neue Gewinnchance. Natürlich umfassen die Firmenevaluationen von Verkäufern immer noch die Frage, wie viel Umsatz sie bringen, aber jetzt zählt dazu auch, wie gut die Verkäufer beim Umgang mit ihren Geschäftsgelegenheiten die K.-o.-Kriterien handhaben.

Für von Natur aus hartnäckige Menschen, die immer kurz vor einem Abschluss stehen, ist ein solcher zusätzlicher Weg zum Gewinn entscheidend, um zum richtigen Zeitpunkt den Absprung zu schaffen.

Wir neigen dazu, die Vorstellung von Trichtermanagement mit Verkäufern oder Investoren zu verknüpfen. Doch jeder von uns hat einen Trichter zu managen: die Interessen, die wir verfolgen können, die Kurse, die wir besuchen können, die Projekte, die wir bei der Arbeit übernehmen können, die Stellen, auf die wir uns bewerben können, die Personen, mit denen wir Dates verabreden können.

Wir alle müssen diese Entscheidungen darüber treffen, welche Gelegenheiten wir verfolgen und welche wir auslassen oder fallen lassen. Beim Treffen dieser Entscheidungen wollen wir möglichst wenig Zeit mit dem verbringen, das sich nicht lohnt, und möglichst viel Zeit mit dem anderen.

Sie können K.-o.-Kriterien festlegen, ehe Sie bei einem Unternehmen eine Stelle annehmen oder sich für ein Studienfach oder eine Universität entscheiden, oder beim Kauf eines Hauses oder bei der Entscheidung für Ihren Wohnort. Wenn Sie Geld für ein Konzertticket ausgeben, können Sie darüber nachdenken, welche Wetterverhältnisse herrschen müssten, damit Sie auf die Kosten pfeifen und zu Hause bleiben.

K.-o.-Kriterien funktionieren auch gut bei Marktinvestitionen. Das Setzen einer Stop-Loss- oder Gewinnmarke sind Beispiele für K.-o.-Kriterien, Sie können diese aber auch breiter fassen und sich im Vorfeld fragen, welche Marktsignale Sie veranlassen würden, Ihre Investitionsstrategie zu ändern.

Das Gute an K.-o.-Kriterien ist, dass Sie Ihre Chance, sie zu setzen, nicht verpasst haben, wenn Sie das Vorhaben bereits angeschoben haben. Ob es um jemanden geht, mit dem Sie sich treffen, oder um ein Haus, das Sie bereits besitzen, oder um ein Investment, das Sie vornehmen, oder um eine Universität, die Sie besuchen – Sie können zu jedem Zeitpunkt über irgendeinen zukünftigen Zeitrahmen nachdenken, sich vorstellen, dass Sie mit Ihrer Situation unzufrieden sind, und die Benchmarks festlegen, die Sie verpasst haben, oder die Signale, die Ihnen verdeutlicht haben, dass Sie aufgeben sollten. Vielleicht haben Sie beim Kauf einer Aktie keine Stop-Loss- oder Gewinnmarke gesetzt, aber Sie können es jetzt tun.

Schließlich hat die Gegenwart immer einen Vorsprung vor etwas.

Zustände und Zeitpunkte

Die besten Abbruchkriterien vereinen zwei Dinge: einen Zustand und einen Zeitpunkt. Ein Zustand ist genau das, wonach es klingt: eine objektive, messbare Verfassung, in der Sie oder Ihr Projekt sich befinden, eine Benchmark, die Sie erreicht oder verfehlt haben. Ein Zeitpunkt ist das Wann.

Im Allgemeinen enthalten K.-o.-Kriterien sowohl Zustände als auch Zeitpunkte, also »Wenn ich zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Zustand erreicht habe (oder nicht), muss ich abbrechen.« Oder: »Wenn ich X nicht bis Y (Zeit) erreicht habe, höre ich auf.« Oder: »Wenn ich X nicht bis zu dem Zeitpunkt erreicht habe, an dem ich Y (Geld, Mühe, Zeit oder andere Ressourcen) aufgewendet habe, sollte ich es bleiben lassen.«

Eins der K.-o.-Kriterien für mParticle war das Fehlen von Entscheidungsträgern im Besprechungszimmer, was das Angebot einer Einbeziehung der Geschäftsleitung beim nächsten Treffen auslöste. Übersetzt in Zustände und Zeitpunkte: »Wenn ich beim nächsten Meeting (Zeitpunkt) keinen Geschäftsführer im Raum sehe (Zustand), lasse ich das Geschäft platzen.«

Um ein Beispiel für das Zusammenspiel von Zuständen und Zeitpunkten zu finden, brauchen Sie sich nur die Prinzipien von X anzusehen. Die Projekte von X müssen das Potenzial haben, zehnfach die Welt zu verändern (ein Zustand), und sie müssen innerhalb von fünf bis zehn Jahren (ein Zeitpunkt) kommerziell tragfähig sein (ein Zustand).

Admiral McRaven bewies eine einzigartige Umsetzung dieses Konzepts der Zeitpunkte und Zustände mit hohem Einsatz, als er die Planung für die Operation Neptune Spear beschrieb, den Angriff auf Osama bin Laden. Die Operation wurde in 162 Phasen aufgeteilt. In jeder Phase wusste man, welchen Zustand man erreichen musste, um weiterzumachen, und bei welchem Zustand man in dieser Phase abbrechen musste. Da all dies im Voraus geplant wurde, hatte McRaven, wie er mir sagte, spontan nur noch etwa fünf Befehlsentscheidungen zu treffen, nachdem die Mission begonnen hatte und sie bereits mittendrin waren.

Er nannte zwei Beispiele für die Kriterien, die ihn zu einem Abbruch der Mission veranlasst hätten. Wären sie an irgendeinem Zeitpunkt eine Stunde hinter den Plan zurückgefallen, hätten sie abgebrochen. Oder hätten sie entdeckt, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt bis zu 50 Prozent der Wegstrecke zu bin Ladens Unterschlupf von der pakistanischen Regierung aufgespürt und verraten worden waren, wären sie umgekehrt. Wären sie jenseits der 50-Prozent-Marke verraten worden, so wäre dies eine Befehlsentscheidung gewesen, die McRaven spontan hätte treffen müssen.

Der Überfall war natürlich erfolgreich, und McRaven musste diese K.-o.-Kriterien nicht anwenden. Aber das gilt nicht für alle Missionen. Ein berühmtes Beispiel ist die »Operation Eagle Claw« von 1980, als man während der Carter-Regierung versuchte, vom Iran festgehaltene amerikanische Gefangene zu befreien. Eins der K.-o.-Kriterien bei dieser Operation war: Wenn der Bestand an Luftfahrzeugen unterhalb von sechs einsatzfähigen Hubschraubern sank, würden sie die Mission abbrechen. Sie schickten acht Hubschrauber in die erste Phase, doch nur fünf kehrten betriebsbereit zurück, was dieses K.-o.-Kriterium auslöste, deshalb brachen sie ab. Hätten sie solche Bedingungen nicht im Voraus festgelegt, kann man sich leicht vorstellen, wie schwierig es in diesem Moment, da so viel auf dem Spiel stand, gewesen wäre, die Abbruchentscheidung zu treffen.

Die Wichtigkeit des Nachdenkens über Zustände und Zeitpunkte beim Festlegen von K.-o.-Kriterien im Voraus wurde in Situationen mit hohem Einsatz entwickelt und getestet, bei der eine große Zahl von Menschenleben und gigantische, weltverändernde Entscheidungen auf dem Spiel standen. Doch die Konzepte sind auch auf Ihre persönlichen Entscheidungen anwendbar, wenn Sie versuchen, Ihre Ressourcen auf die wichtigen Dinge zu verteilen, und das Podestbauen vermeiden wollen, wenn Sie eigentlich aufgeben sollten.

Kevin Zollman, Professor an der Carnegie Mellon University und Fachmann für Spieltheorie, gab ein hervorragendes Beispiel für die Anwendung von Zuständen und Zeitpunkten bei der akademischen Stellensuche. Es gibt nur relativ wenige Tenure-Track-Stellen 2 für PhDs in Geisteswissenschaften. Diese beschränkte Zahl ist recht gut bekannt und wird sich wohl nicht groß ändern.

Ein frischgebackener PhD steht bei seiner Suche nach einer Tenure-Track-Stelle zwei großen Problemen gegenüber, die dem Aufstellen von K.-o.-Kriterien im Voraus eine hohe Bedeutung geben. Das erste ist, dass es bei den Geisteswissenschaften als Einbahnstraße betrachtet wird, wenn man den akademischen Raum verlässt. Entscheiden Sie sich, aus dem akademischen Betrieb auszusteigen, ist es unglaublich schwer, dorthin zurückzukehren. Das Wissen, dass diese Entscheidung endgültig ist, macht einen Ausstieg schwerer, selbst wenn die dafür sprechenden Signale recht deutlich sind.

Das zweite Problem ist, dass man in den Geisteswissenschaften eine Menge Podeste bauen kann in Form von endlosen Anstellungen als wissenschaftliche Hilfskraft oder Doktorand. Das sind zwar keine Tenure-Track-Positionen, aber sie schaffen die Illusion des Fortschritts, dass man in seiner Karriere vorankommt.

Man kann sich leicht von einem Podest zum nächsten bewegen, vom Doktoranden zur wissenschaftlichen Hilfskraft und so weiter, und glauben, dass der große Durchbruch gleich um die Ecke wartet. Natürlich häuft man mit jedem Podest versunkene Kosten an, steckt immer mehr Zeit und Mühe in das Vorhaben, und das macht es immer schwerer, den Absprung zu finden.

Um nicht in diese Falle zu geraten, legen Sie im Vorfeld Benchmarks in Form von Zeitpunkten und Zuständen fest. Ermitteln Sie die Durchschnittszeit, die ein frischgebackener PhD braucht, um sich eine Tenure-Track-Stelle zu sichern, und kreisen Sie dieses Datum auf Ihrem Kalender als Ausstiegsfrist ein. Wenn das zum Beispiel vier Jahre nach Ihrem PhD liegt und Sie innerhalb von vier Jahren (Zeitpunkt) keine Tenure-Track-Position ergattert haben (Zustand), sollten Sie aufgeben.

Wenn es Ihr Ziel ist, ein Olympia-Läufer zu werden, finden Sie heraus, wie schnell die besten Läufer der Welt als Fünfzehnjährige im Hundert-Meter-Lauf waren, oder als Achtzehnjährige, oder als Läufer in der Universitätsmannschaft. Sie können diese Meilensteine auf dem Weg kennzeichnen, und wenn Sie sie erreichen, machen Sie weiter (solange es Sie immer noch glücklich macht). Verfehlen Sie sie dagegen, hören Sie auf und suchen sich ein neues Ziel.

Zustände und Zeitpunkte können Sie auch auf Beziehungen anwenden. Wenn Ihr Ziel die Ehe ist (oder eine gleichwertige langfristige und bindende Gemeinschaft), Ihr Partner aber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keinen Antrag gemacht hat (oder Ihren Antrag nicht angenommen hat oder anderweitig eine langfristige Verpflichtung eingegangen ist), sollten Sie weiterziehen und jemanden suchen, der sich ebenso gern fest an Sie binden möchte wie Sie sich an ihn.

Dasselbe gilt auch für Ihre Karriere. Wenn Sie in einer Einstiegsposition arbeiten, die eine gewisse Aussicht auf Beförderung hat, ermitteln Sie so früh wie möglich die Zwischen-Meilensteine für die Erfolgreichen, seien es Gehaltserhöhungen oder Beförderungen oder eine Erweiterung der Verantwortung oder was immer in diesem Unternehmen üblich ist. Informieren Sie sich darüber, wann andere, die es geschafft haben, diese Signale auf dem Weg nach oben erhalten haben, und fügen Sie diese Zustände und Zeitpunkte Ihren K.-o.-Kriterien hinzu.

Besser, nicht perfekt

Als ich Poker spielte, stellte ich eine Reihe von K.-o.-Kriterien auf, die mir beim Aussteigen halfen (aus Runden und aus Spielen). Ein Beispiel war eine Stop-Loss-Marke. Wenn ich einen bestimmten Betrag verloren hatte, stieg ich aus. Das war besonders zu Beginn meiner Laufbahn wichtig, denn gerade Pokerneulinge können schlecht unterscheiden, ob sie verlieren, weil sie schlecht spielen oder weil sie einfach Pech haben. (Gewinnmarken ergeben beim Poker keinen Sinn, deshalb wendete ich dieses Instrument nicht an.)

Auch nachdem ich Profi geworden war, hielt ich die Stop-Loss-Marke aufrecht. Spitzen-Pokerspieler sind sogar noch schlechter bei Abbruchentscheidungen, wenn sie mittendrin stecken, besonders wenn sie mittendrin stecken und verlieren . Selbst nachdem ich Erfahrungen gesammelt und einen besseren Eindruck von der Qualität meines Spiels und von den kurzfristigen Schwankungen des Glücks gewonnen hatte, setzte ich noch Verlustgrenzen.

Ich merkte auch, dass ich besser in Sessions von sechs bis acht Stunden oder weniger spielte, daher nahm ich mir vor, nach diesem Zeitraum aufzuhören. Da ich mir der Wichtigkeit der Spielbedingungen stärker bewusst war, entschied ich mich auch zum Aufhören, wenn die Qualität der Spieler sich auf ungünstige Weise drastisch veränderte, weil einige Spieler sich ihre Gewinne auszahlen ließen und andere ihre Plätze einnahmen.

Diese K.-o.-Kriterien ließen mich beim Abbrechen von Spielen besser werden. Aber war ich perfekt? Nicht mal annähernd.

Hörte ich immer auf, wenn ich meine Verlustgrenze erreicht hatte? Nein. Wenn ich im Casino noch Mittel zur Verfügung hatte, kam es vor, dass ich mir noch etwas Geld nahm und weiterspielte.

Hörte ich immer nach sechs bis acht Stunden zu spielen auf? Definitiv nicht. Es gab Zeiten, da ich über vierundzwanzig Stunden am Stück spielte. Und ebenso gab es Zeiten, in denen ich mich davon überzeugte, dass ich immer noch in einem guten Spiel war, obwohl die Spieler, die es so gut gemacht hatten, gegangen und von viel härteren ersetzt worden waren.

Ich war keineswegs makellos, aber besser, als ich ohne diese K.-o.-Kriterien gewesen wäre. In dem einzigen langen Spiel meiner Pokerkarriere war meine Bilanz sicherlich eine positive, weil ich – einen Teil der Zeit – die mentalen und finanziellen Ressourcen verringern konnte, die ich in Situationen mit negativer Werterwartung investierte.

Entscheidend ist, besser zu sein, nicht perfekt. Wir sind schließlich alle nur Menschen, und wir agieren unter ungewissen Bedingungen. Es ist schwer, den perfekten Zeitpunkt fürs Aufhören zu finden.

Astro Teller weiß, dass sie bei X nicht immer zum genau richtigen Zeitpunkt aufhören. Das ist für ihn okay, denn sie machen es insgesamt besser, weil sie es immer versuchen. »Das ist genau der Grund, warum X so enorme Erträge einfährt. Nicht weil wir perfekt sind in dem, was wir erreichen wollen, sondern weil wir so unablässig danach streben, dass wir bescheidene Erfolge erzielen, und die erweisen sich als enorm groß.«

Zusammengenommen helfen uns das mentale Modell der Affen und Podeste sowie die K.-o.-Kriterien, unsere Abneigung gegen den Ausstieg in der Verlustzone zu überwinden. Erstens lassen sie uns schneller Nein sagen, was die beim Ausstieg zu ertragenden Verluste auf natürliche Weise mindert. Und je weniger man im Minus ist, desto leichter fällt das Aufhören.

Zweitens: Wenn man im Voraus klare K.-o.-Kriterien aufstellt und sich fest vornimmt, beim Auftauchen dieser Signale aufzuhören, ist es einfach wahrscheinlicher, dass man sich daran hält, selbst angesichts von Verlusten. Wann immer Sie im Voraus eine Entscheidung über die Schadensbegrenzung treffen können, finden Sie leichter den Absprung.

Zusammenfassung Kapitel 6

  • Affen und Podeste ist ein mentales Modell, das Ihnen früher auszusteigen hilft.
  • Podeste sind der Teil des Problems, von dem Sie wissen, dass Sie es lösen können, wie die Gestaltung der perfekten Visitenkarte oder des Logos. Das Schwierigste ist es, den Affen zu trainieren.
  • Wenn Sie einem komplexen, ehrgeizigen Ziel gegenüberstehen, sollten Sie (a) zuerst das Schwierige identifizieren, (b) es schnellstmöglich zu lösen versuchen und (c) sich vor falschen Fortschritten hüten.
  • Das Bauen von Podesten schafft die Illusion, dass Sie Ihrem Ziel näher kommen, aber das Einfache zu erledigen ist Zeitverschwendung, wenn das Schwierige im Grunde unmöglich ist.
  • Sich zuerst um den Affen zu kümmern, lässt Sie früher Nein sagen, begrenzt die Zeit, die Mühen und die finanziellen Mittel, die Sie in ein Projekt stecken, und macht den Absprung leichter.
  • Wenn wir vor einem schwierigen Problem stehen, das wir nicht lösen können, haben wir die Tendenz, uns dem Podestbau zu widmen, statt uns für den Ausstieg zu entscheiden.
  • Vorausplanung und Vorbindungsverträge erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Sie früher aufhören.
  • Wenn Sie mit einem Vorhaben beginnen, legen Sie eine Reihe von K.-o.-Kriterien fest. Das ist eine Liste von Signalen, die Sie in Zukunft sehen könnten und die Ihnen sagen, dass es Zeit zum Aufgeben ist.
  • K.-o.-Kriterien schützen Sie vor schlechten Entscheidungen, wenn Sie »mittendrin stecken«, indem sie die Zahl der Entscheidungen begrenzen, die Sie treffen müssen, wenn Sie bereits Gewinne oder Verluste gemacht haben.
  • In Organisationen geben K.-o.-Kriterien den Beschäftigten eine andere Belohnungsmöglichkeit jenseits der verbissenen und blinden Weiterverfolgung eines Projekts bis zum bitteren Ende.
  • Eine gängige, einfache Methode für die Aufstellung von K.-o.-Kriterien ist die Arbeit mit »Zuständen und Zeitpunkten«: »Wenn ich bis (Zeitpunkt) (Zustand) erreicht/nicht erreicht habe, höre ich auf.«