EINSCHUB 2

Gold oder gar nichts

Als die siebenjährige Alexandra »Sasha« Cohen 1992 begann, sich für Eiskunstlauf zu interessieren, hatten die amerikanischen Frauen bei allen Olympischen Winterspielen seit 1968 Medaillen gewonnen. Bis sie bei hochrangigen Jugendmeisterschaften antrat, war Eiskunstlauf der Frauen das Ereignis der Winterolympiade mit den meisten Zuschauern. Amerikanische Eisläuferinnen wie Kristi Yamaguchi, Nancy Kerrigan, Tara Lipinski und Michelle Kwan waren jedem ein Begriff.

Ein riesiges amerikanisches Publikum sah sich Qualifikationsausscheidungen und nicht-olympische Meisterschaften an auf der Suche nach dem neuen Superstar. Cohen war vier Jahre jünger als Kwan und zwei Jahre jünger als Lipinski (die nach der Olympiade von 2002 aus dem Sport ausschied) und eins von Tausenden sportlichen jungen Mädchen bei stark konkurrenzorientierten, anspruchsvollen Regionalligen, die sich zu hundert Prozent auf diese Rolle konzentrierten.

Sasha Cohen sollte eine der besten Eiskunstläuferinnen ihrer Zeit werden. Von Ende der Neunzigerjahre bis zu ihrer Silbermedaille bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin (mit einundzwanzig) war sie Spitzenathletin bei Jugendwettkämpfen, nationalen und internationalen Ausscheidungen.

Mit gerade mal fünfzehn erlangte Cohen Berühmtheit, als sie im Jahr 2000 bei der amerikanischen Eiskunstlauf-Meisterschaft Zweite hinter Michelle Kwan wurde, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Weltmeisterschaften und eine Olympia-Silbermedaille gewonnen hatte. Bei der amerikanischen Meisterschaft war Kwan ungeschlagen, sie gewann 1996 und dann in acht aufeinanderfolgenden Jahren von 1998 bis 2005.

Cohen war dicht hinter ihr. Mit Ausnahme von 2001, als sie aufgrund einer Ermüdungsfraktur im Rücken pausieren musste, errang sie bei den amerikanischen Meisterschaften zwischen 2000 und 2006 Silber, Silber, Bronze, Silber, Silber und Gold. Nur Michelle Kwan (und die amtierende Olympiasiegerin Sarah Hughes 2003) lagen vor Sasha Cohen.

Als Siebzehnjährige wurde sie 2002 Vierte bei der Olympiade in Salt Lake City und gewann Goldmedaillen in sechs Grand-Prix-Wettbewerben in den Jahren 2002 und 2003 (einschließlich dem Grand Prix der Eiskunstlauf-Finalisten 2003). Zwischen 2001 und 2005 gewann sie sechs weitere internationale Ausscheidungen und erkämpfte sich Medaillen bei den Weltmeisterschaften 2004 (Silber), 2005 (Silber) und 2006 (Bronze).

Während ihrer aktiven Eiskunstlaufzeit waren Cohens Fokussiertheit und ihre Hartnäckigkeit das, was wir von Spitzensportlern der Weltklasse erwarten. Sie begann als Siebenjährige mit dem Eislaufen und trat regelmäßig bei Wettbewerben an, bis sie elf war. Dann nahm sie Hausunterricht, um ihre Übungs-, Trainings- und Wettbewerbszeiten maximieren zu können. Die Intensität ihres Engagements führte zu zahlreichen Verletzungen und den damit verbundenen Rückschlägen. Sie litt weiterhin unter den Rückenproblemen, die sie die US -Meisterschaft von 2001 hatten verpassen lassen, was ihre Wettbewerbserfolge 2004 und 2005 einschränkte.

Doch 2006 schien Sasha Cohens Jahr zu werden. Michelle Kwan war inzwischen fünfundzwanzig und hatte für die Olympiade trainiert, sagte jedoch drei Wettbewerbe Ende 2005 aufgrund einer Hüftverletzung ab. Sie zog auch kurz vor dem Beginn der US -Meisterschaft im Januar ihre Teilnahme zurück und beendete damit ihre achtjährige Siegsträhne.

Cohen gewann Gold und wurde endlich amerikanische Meisterin.

Kwan beantragte eine ärztliche Ausnahmegenehmigung für die Olympiade und erhielt sie auch, musste dann aber einen Rückzieher machen, nachdem sie während ihres ersten Trainings in Turin eine Verletzung erlitten hatte. Das kennzeichnete das Ende von Michelle Kwans Wettbewerbskarriere im Eiskunstlauf. Nun war Cohen ihre offensichtliche Nachfolgerin in der amerikanischen Eislaufdynastie, und dazu gehörten Medaillen bei zehn aufeinander folgenden Olympiaden, fünf davon Gold, zusätzlich zu den dreien aus den vorangegangenen vier Olympiaden.

Cohen lag nach dem Kurzprogramm in Führung, und die Goldmedaille war ihr schon so gut wie sicher. Doch weniger als dreißig Sekunden nach Beginn ihrer Kür bei der Endausscheidung stürzte sie. Ihre wahre Größe zeigt sich daran, dass sie trotz des Sturzes und der sofortigen Erkenntnis, nicht mehr gewinnen zu können, eine fehlerlose Leistung ablieferte und damit immerhin noch die Silbermedaille gewann, was zu ihrer langen Liste von Errungenschaften beiträgt.

Wäre sie nicht gestürzt, so hätte sie sich nach dem Gewinn der Goldmedaille vielleicht aus dem Wettbewerb zurückgezogen. Sie hatte bereits Rückenprobleme und erst kürzlich eine Hüftverletzung erlitten. Bis zur nächsten Olympiade wäre sie fünfundzwanzig, im selben Alter wie Michelle Kwan bei ihrem Olympia-Anlauf von 2006, der damit endete, dass sie aufgrund von drei verschiedenen Verletzungen nicht antreten konnte.

Stattdessen kündigte sie im April 2006, nur zwei Monate nach den Olympischen Spielen, ihre Rückkehr an und bewarb sich für einen Platz im Team von 2010. Sie legte eine Wettbewerbs-, aber keine Eiskunstlaufpause ein. Die Jahre 2006 bis 2009 verbrachte sie unter ähnlich anspruchsvollen Eislaufbedingungen.

Der Lohn für eine erfolgreiche Karriere im amerikanischen Eiskunstlauf ist die Chance, bei professionellen Shows aufzutreten und mit Champions on Ice und Stars on Ice auf Tour zu gehen, und Cohen konnte diesen Lohn einheimsen und trat von 2007 bis 2009 als Headliner in Erscheinung.

Sasha Cohen hatte keine Freude an Tourneen. Es war ein lukrativer Job, aber: »Es war nicht das Leben, das ich wollte. Ich wollte nicht in den Eingeweiden einer Halle herumhängen und immer und immer wieder dasselbe tun wie bei Und täglich grüßt das Murmeltier

Da stellt sich einem natürlich die Frage: Warum hat sie nicht aufgehört, wenn sie so unglücklich war?

Cohen fragte sich das selbst, gelangte aber zu keiner klaren Antwort . Sie konnte dem Eislauf einfach nicht den Rücken kehren, denn das erschien ihr »zu dauerhaft und zu endgültig. Es hätte eine Identität beendet. … Ich glaube, ich musste erst so unglücklich werden, dass ich nicht mehr funktionierte.«

Sie fühlte sich verpflichtet , es noch einmal mit dem olympischen Team zu versuchen. Eislauf war ihre Identität, und Durchhalten war ihre Identität. Alles andere »wäre schwach gewesen, oder ich würde aufgeben, weil es schwer war, wenn ich mich nicht bemühte«.

Im Mai 2009 begann sie mit dem Training, um wieder in den Wettkampf zu gehen. Nachdem sie zwei Grand Prix wegen einer Sehnenscheidenentzündung in der rechten Wade abgesagt hatte (wieder so eine unvermeidliche Ballung körperlicher Rückschläge nach fünfzehn Jahren einer derart anstrengenden Tätigkeit), trat sie 2010 bei den US -Meisterschaften an. Sie hätte einen der ersten beiden Plätze erreichen müssen, um sich für die Olympiade in Vancouver zu qualifizieren, wurde aber Vierte.

Nun machte sie endlich Schluss mit dem Eislauf, wenn auch mehr aufgrund äußerer Umstände als aus freien Stücken. Das Wettkampf-Zeitfenster für Eiskunstläuferinnen schloss sich mit fünfundzwanzig. Sie war dafür zu alt , was sie »nicht als Aufhören interpretierte. Es kam mir einfach so vor, als wäre ich frei.«

Obwohl ihre Eislaufkarriere weit hinter ihr liegt, lebt ihr Vermächtnis fort. Aufgrund ihrer Silbermedaille von 2006, mit der sie die Erfolgsserie der amerikanischen Eiskunstläuferinnen auf elf aufeinander folgende Olympiagewinne ausdehnte, bleibt sie auch 2022 die letzte Amerikanerin, die im Einzelkunstlauf eine Medaille bei der Olympiade gewann.

Nachdem sie gezwungen war, das Eislaufen aufzugeben, führte sie ein glückliches Leben.

Mit sechsundzwanzig begann sie zu studieren , fünfzehn Jahre nach ihrem letzten Schulunterricht. Sie machte den Abschluss an der Columbia University 2016 und hielt in diesem Jahr auch Einzug in die Hall of Fame des amerikanischen Eiskunstlaufs . Sie wurde Investmentmanagerin bei Morgan Stanley, heiratete und bekam zwei Kinder, die im Januar 2020 und im August 2021 geboren wurden.

Aus Sasha Cohens Geschichte lässt sich viel über das Aufhören lernen. Da ist die offensichtliche Anhäufung von versunkenen Kosten in Form all der Zeit, des Geldes und der Mühen , die sowohl von ihr als auch von ihrer Familie in ihre Karriere gesteckt wurden. Da war Verlustangst und die Unfähigkeit (bis sie gezwungen wurde), sich ihr Leben auf der anderen Seite vorzustellen.

Doch wie wir in Teil 3 ergründen werden , lässt sich aus ihrer Erfahrung noch mehr lernen, und das hat mit Identität zu tun. Sasha Cohen hatte viele Gemeinsamkeiten mit anderen in diesem Buch, darunter die Bergsteiger, die den Mount Everest besteigen wollten, so wie der verstorbene Doug Hansen : schon so viel in das Vorhaben investiert, die Betonung auf einem Alles-oder-nichts-Ziel und das Gefühl zu scheitern , wenn man es nur beinahe geschafft hat. Dem musste man durch einen weiteren Versuch begegnen.

Wir sind zu großen Teilen das, was wir tun, und unsere Identität ist eng verknüpft mit dem, auf das wir uns fokussieren, darunter unsere Karriere , Beziehungen, Projekte und Hobbys. Wenn wir etwas davon aufgeben, müssen wir uns mit der Vorstellung konfrontieren, einen Teil unserer Identität aufzugeben. Und das tut weh.