Lektionen aus dem erzwungenen Abbruch
A LS MAYA SHANKAR SECHS JAHRE ALT WAR , HOLTE ihre Mutter eine kleine Geige vom Dachboden des Familienwohnsitzes in Connecticut. Mayas Mutter hatte das Instrument, das ihrer Mutter gehörte, aus Indien mitgebracht, als sie in die Vereinigten Staaten emigriert war. Mayas drei ältere Geschwister hatten es bereits als uncool abgetan. Aber Maya war sofort davon angetan.
Rasch erwies sie sich als Wunderkind. Mit neun Jahren bestand sie das Vorspielen für den Vorkurs an der Juilliard School, dem legendären Konservatorium für darstellende Künste in New York. Jeden Samstag brachte ihre Mutter sie für ein intensives zehnstündiges Bootcamp zur Juilliard und holte sie wieder ab.
Maya brillierte so sehr, dass sie es mit dreizehn in ein heiß umkämpftes Vorspielen mit Itzhak Perlman schaffte, der allgemein als einer der besten Violinisten der Welt gilt und sechzehn Grammys, einen Grammy für sein Lebenswerk sowie vier Emmys gewonnen hat.
Perlman nahm sie als seine Privatschülerin an. Maya Shankar, die so früh so viel erreicht hatte, war auf dem Weg zu einer beispiellosen Karriere auf dem höchsten Niveau der Berufsmusiker.
Doch all das wurde ihr genommen, als sie eines Tages im Sommer vor ihrem Abschlussjahr an der Highschool beim Spielen einer schwierigen Passage aus Paganinis Caprice Nr. 13 einen Sehnenriss im Finger erlitt.
Sie ließ sich operieren, um die Sehne wiederherzustellen, doch die Schmerzen blieben. Im folgenden Jahr versuchte sie, dagegen anzuspielen, indem sie Schmerzmittel nahm. Schließlich wurde zusätzlich zu dem Sehnenriss eine juvenile rheumatoide Arthritis bei ihr diagnostiziert. Diese Diagnose bedeutete nicht nur, dass sie das Geigenspielen aufgeben musste, sondern sie stand auch vor einer Zukunft, in der sie tagtäglich unter Schmerzen leiden und möglicherweise am Ende nicht mehr laufen können würde.
Es war das plötzliche Ende einer vielversprechenden Laufbahn.
Die Frage ist, was macht man, wenn man gezwungen ist, ein Ziel aufzugeben, auf das man sein ganzes Leben lang hingearbeitet hat? Die Antwort lautet natürlich, dass man sich ein neues Ziel suchen muss.
Wir alle erleben Zeiten, in denen die Welt uns mit dem aufzuhören zwingt, was wir tun. Wenn Sie in einer Beziehung sind, kann Ihr Partner sich entschließen, mit Ihnen Schluss zu machen, obwohl Sie lieber weitermachen würden. Ständig verlieren Menschen ihre Arbeit. Ihr Chef könnte unzufrieden mit Ihren Leistungen sein und Sie deshalb entlassen. Oder es hat gar nichts mit Ihren Leistungen zu tun, sondern die Firma, für die Sie arbeiten, muss Einsparungen vornehmen oder stellt den Betrieb ein. Das kann auch zutreffen, wenn Sie es sind, der das Unternehmen führt. Ein Mitarbeiter könnte Sie verlassen. Ein Mitbewerber könnte Ihnen einen verlässlichen Vertrag abjagen. Ihr Kapital könnte aufgezehrt sein und Sie zum Aufgeben zwingen.
Manchmal treffen Sie die Entscheidung zum Abbruch, und manchmal trifft die Welt die Entscheidung für Sie.
Es ist natürlich schmerzlich, wenn die Ausstiegsentscheidung nicht bei Ihnen liegt. Aber wenn das geschieht, müssen wir letztlich alle wieder aufstehen, uns den Staub abklopfen und nach etwas Neuem Ausschau halten.
Und genau das tat Maya Shankar. Nachdem sie ihre Verbitterung darüber überwunden hatte, dass ihre Leidenschaft – ihre Identität – ihr regelrecht entrissen worden war, bewarb sie sich für das College und wurde in Yale angenommen. Im Sommer vor ihrem ersten Semester fand sie ein altes Lehrbuch ihrer Schwester im Keller, Steven Pinkers Der Sprachinstinkt . Die Idee, Linguistik zu studieren, »traf mich wie ein Blitzschlag«, sagte sie.
Sie machte in Yale ihren Abschluss in kognitiver Psychologie, erhielt ein Rhodes-Stipendium und machte in Oxford ihren PhD.
Während ihres Studiums in Oxford erfuhr Shankar, dass die rheumatoide Arthritis eine Fehldiagnose gewesen war. Diese Nachricht war der Aufschub einer Zukunft, die, wie sie gefürchtet hatte, von einem gesundheitlichen Abbau eingeschränkt sein würde. Und möglicherweise bedeutete sie einen Weg zurück zur Geige. Sie trat einige Male auf und begann, nach Konzertwettbewerben Ausschau zu halten, aber das Spielen auf Eliteniveau war keine Option mehr, weil sich aufgrund der zurückliegenden Operationen an ihrer Hand Narbengewebe gebildet hatte.
Nachdem sie ihren Doktor gemacht hatte, kehrte sie in die Vereinigten Staaten zurück und absolvierte ein postdoktorales Forschungsstipendium am Cognitive and Systemes Neuroscience Laboratory der Stanford University. Dort erkannte sie, dass das Alltagsleben einer Neurowissenschaftlerin sie nicht glücklich machte, denn ihre Tätigkeit bedeutete, stundenlang allein in einem Kellerlabor zu sitzen und fMRT -Aufnahmen zu verwalten und auszuwerten.
Sie sehnte sich nach Zusammenarbeit. Sie wollte eine Arbeit mit einer sozialen Komponente.
Das hatte sie über sich selbst gelernt, als sie gezwungen gewesen war, das Geigenspiel aufzugeben. Im Laufe der Zeit hatte Shankar erkannt, dass sie zwar vieles am Spielen des Instruments liebte, eine ganz bestimmte Sache jedoch überhaupt nicht mochte: den Solo-Part der Solo-Violinistin.
Im Keller des Stanford-Labors erkannte sie, dass sie schon wieder solo arbeitete, genau jener Aspekt ihrer Zeit als Violinistin, der nichts für sie war, wie sie festgestellt hatte.
Deshalb hörte sie auf.
Shankar beschloss, ihre akademische Karriere an den Nagel zu hängen, sobald sie das postdoktorale Projekt abgeschlossen hatte. Sie tat es trotz des kognitiven Gegenwinds. Desselben Gegenwinds, den so viele Menschen erlebt hatten, deren Geschichten dieses Buch erzählt. Tatsächlich sind das die Hindernisse, die wir alle überwinden müssen.
Hindernisse wie versunkene Kosten, die zehn Jahre Zeit und Mühe, die sie in ihren Abschluss investiert hatte. Ihre innere Verbundenheit mit den Forschungsprogrammen, die sie entwickelt und durchgeführt hatte, ebenso wie all die Auszeichnungen, Stipendien und Abschlüsse, die sie bekommen hatte. Was mit diesen Abschlüssen einherging, war ein PhD hinter ihrem Namen, und das machte einen Großteil ihrer Identität aus. Dr. Maya Shankar.
Ich vermute, einer der Gründe, warum sie aufhören und all das überwinden konnte, was die Waage manipulierte, war ihre frühere Erfahrung mit dem erzwungenen Abbruch, die sie gelehrt hatte, dass es immer andere Möglichkeiten gibt, die man vernachlässigt, wenn man ein Ziel verfolgt. Man erkennt sie bloß nicht, weil man nicht danach sucht.
Nachdem sie ausgestiegen war, befand sie sich erneut in der Position, herausfinden zu müssen, was sie als Nächstes tun wollte.
Es gab für Shankar keinen mühelosen oder selbstverständlichen nächsten Schritt. »Was macht ein Postdoktorand in kognitiver Neurowissenschaft, wenn er erkennt, dass er kein Akademiker sein oder allgemeiner Managementberater werden will?«, sagte sie zu mir. »Der Weg war nicht klar vorgezeichnet.«
Bei einer Hochzeit begegnete sie ihrer Doktormutter aus Yale, Dr. Laurie Santos, und sie verabredeten sich zum Tee. Santos erzählte ihr von der unglaublichen Arbeit in angewandter Verhaltensökonomie, die gerade in der Regierung stattfinde und besonders die Stärke von Standards nutze, um ein positives Verhalten zu fördern. Diese Standards sind als »Nudges« bekannt und erlangten Berühmtheit durch den Bestseller Nudge von Richard Thaler und Cass Sunstein. Santos stellte die Verbindung zwischen Shankar und Sunstein her, der sie dann mit Tom Kalil bekannt machte, dem wissenschaftlichen Berater von Präsident Obama und leitenden Direktor des Büros für Wissenschafts- und Technologiepolitik.
Sie brachte Kalil die Idee nahe, eine neue Stelle für sie einzurichten und ein Team von Experten für Verhaltenswissenschaft zusammenzustellen, um die Bundesbehörden zu politischen Strategien aufgrund von verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen zu beraten. Ihm gefielen ihre Ideen, und er stellte sie als Leitende verhaltenswissenschaftliche Beraterin ein. Anfangs hatte sie kein Budget, keine Vollmacht und kein Team. Doch innerhalb eines Jahres hatte sie eine behördenübergreifende Gruppe aus Verhaltenswissenschaftlern, politischen Fachleuten und Programmmachern zusammengestellt, die das erste sozial- und verhaltenswissenschaftliche Team des Weißen Hauses gründeten und leiteten.
Als Obama im Januar 2017 aus dem Amt schied, ging auch Shankar und wurde Global Director für Verhaltenswissenschaften bei Google. Im Jahr 2021 wurde sie auch Schöpferin, Gastgeberin und Produzentin des Podcasts A Slight Change of Plans, der zweifellos von den maßgeblichen und keineswegs geringfügigen Änderungen ihrer eigenen Pläne inspiriert wurde.
Maya Shankars Laufbahn war von abrupten Veränderungen gekennzeichnet, und ob sie nun zum Abbruch gezwungen wurde oder freiwillig aufhörte, sie ist immer wieder auf den Füßen gelandet.
Es läuft natürlich nicht immer alles so glatt. Ein Sehnenriss endet nicht immer mit einem Rhodes-Stipendium. Die wissenschaftliche Karriere auszuschlagen, endet nicht immer mit einem Job im Weißen Haus oder einer Führungsposition bei Google.
Doch auch wenn die meisten von uns nicht dafür bestimmt sind, das zu erreichen, was Maya Shankar erreicht hat, so können wir doch alle etwas aus ihrer Geschichte lernen. Hätte sie sich nicht die Sehne gerissen, dann hätte sie sich nie mit der kognitiven Psychologie beschäftigt, was sie letztlich ins Weiße Haus und dann zu Google führte, denn sie hätte nicht nach einer anderen Tätigkeit Ausschau gehalten.
Sie werden nicht immer etwas Besseres finden, wenn Sie zum Aufgeben gezwungen werden, aber manchmal schon. Das Problem ist, dass die meisten von uns niemals diese anderen Chancen entdecken, weil wir nicht sehen können, wonach wir nicht einmal suchen.
Die Lektion dabei ist, dass wir nicht darauf warten sollen, zum Suchen eines Plans B gezwungen zu werden. Wir sollten immer ein bisschen Forschung betreiben, besonders weil der Plan B sich manchmal als besser erweisen kann als das, was wir bereits tun.
Bis zum Alter von sechsundzwanzig Jahren folgte ich der beruflichen Laufbahn einer Akademikerin und Wissenschaftlerin. Diese Laufbahn begann mit meiner ersten Woche als Columbia-Studentin. Ich bewarb mich für studentische Hilfstätigkeiten und entdeckte die Ausschreibung einer Stelle als Forschungsassistentin von Dr. Barbara Landau, einer Kognitionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Erstsprachenerwerb. Ich bekam die Stelle und arbeitete vier Jahre lang mit ihr zusammen, während meiner ganzen Studienzeit in Columbia. Barbara wurde zu einer Mentorin und Freundin und ermutigte mich, bei ihren Mentoren an der University of Pennsylvania zu studieren, der legendären Lila Gleitman und ihrem ebenso legendären Mann Henry.
Ich verbrachte fünf Jahre an der Penn, erhielt ein Stipendium der National Science Foundation und machte meine Doktorandenseminare sowie die Forschungen für meine Dissertation. Im Winter meines letzten Jahres an der Graduiertenfakultät hatte ich eine Reihe von prestigeträchtigen Bewerbungsgesprächen zum Beispiel an der New York University, der Duke, der University of Texas in Austin und der University of Oregon. Ich war auf dem besten Wege, mir eine Tenure-Track-Stelle zu sichern.
Doch zugleich hatte ich in diesem letzten Jahr mit chronischen Magenproblemen zu kämpfen, die mir viel Ärger und die ganze Zeit Übelkeit verursachten. Ich war beim Arzt gewesen und hatte die Diagnose Gastroparese bekommen, eine potenziell gefährliche Krankheit, bei der der Magen sich nicht richtig entleert. Mein Plan war, das auszuhalten, die Bewerbungsgespräche durchzustehen, meine Dissertation zu beenden und meine Aufmerksamkeit dann auf meine Gesundheit zu richten.
Aber mein Körper hatte andere Pläne.
Ein paar Tage vor meinem ersten Vorstellungsgespräch an der NYU wurde die Sache akut, und ich landete für ein paar Wochen im Krankenhaus, unfähig, irgendwelche Nahrung oder Flüssigkeit bei mir zu behalten. Meinen Eintritt ins Arbeitsleben musste ich verschieben. Ich wurde zu der Entscheidung gezwungen, die Uni eine Zeit lang ruhen zu lassen, um mich zu erholen und mich um meine Gesundheit zu kümmern.
Da mein Körper mich zwang, die Graduiertenfakultät zu verlassen, hatte ich das Stipendium nicht mehr, das mir ein bescheidenes Auskommen ermöglichte.
Ich brauchte dringend Geld.
Da begann ich mit dem Pokern, um in der Zwischenzeit etwas zu tun zu haben. Es war zehn Jahre bevor Poker im Fernsehen allgegenwärtig wurde und bevor Online-Poker zu einer angesagten Sache wurde. Den meisten Menschen kam wahrscheinlich überhaupt nie in den Sinn, dass Pokern ein Beruf sein konnte.
Doch zufällig spielte mein Bruder, Howard Lederer, schon seit zehn Jahren Poker und verdiente sich seinen Lebensunterhalt in New York bei hoch dotierten Spielen, an denen einige der besten Spieler der Ostküste teilnahmen. Er hatte auch schon Erfolge auf einer größeren Bühne erzielt und mit dreiundzwanzig Jahren das Finale der jährlichen Hauptveranstaltung der World Series of Poker in Las Vegas erreicht, womit er damals der jüngste Spieler war, dem dies je gelungen war.
Während ich an der Graduiertenfakultät war, hatte er mir angeboten, mich mit zum Golden Nugget zu nehmen und ihn während seiner jährlichen Teilnahme an den World Series zu begleiten. Ich ergriff die Chance, denn natürlich konnte ich mir so eine Urlaubsreise selbst nicht leisten.
Bei dieser Reise probierte ich es zum ersten Mal selbst am Pokertisch mit geringen Einsätzen. Da ich meinem Bruder zu Collegezeiten stundenlang zugesehen hatte, als wir beide in New York wohnten, verstand ich genug von dem Spiel, um einen gewissen bescheidenen Erfolg zu erzielen.
Als ich dann schlagartig gezwungen war, die akademische Laufbahn zu verlassen, war es mein Bruder, der vorschlug, ich solle doch Poker spielen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, bis ich die Dissertation beenden und wieder in den Schoß der Wissenschaft zurückkehren konnte.
Die Umstände schränkten meine Möglichkeiten dessen, was ich für meinen Lebensunterhalt tun konnte, sehr stark ein. Ich wusste von einem Tag zum anderen nicht, wie es mir gehen würde, daher brauchte ich flexible Zeiten. Ich hatte absolut die Absicht, irgendwann nächstes Jahr Professorin zu werden, deshalb brauchte ich etwas, das ich mühelos abbrechen konnte, wenn es so weit war.
Poker entsprach meinen Bedürfnissen sehr gut. Wenn ein Spiel läuft, kann man mitmachen oder nicht, wann immer man will. Man kann sich aussuchen, an welchen Tagen man arbeitet, wann man anfängt und wann man das Spiel verlassen will. Und wenn man Poker für etwas anderes aufgeben möchte, muss man niemanden davon informieren oder sich darüber sorgen, dass man jemandem Scherereien macht, der von einem abhängig ist.
Der Rest meiner Geschichte ist wohlbekannt. Ich verliebte mich in die Herausforderungen des Pokerspiels, selbst in die Version, die dort gespielt wurde, wo ich anfing, nämlich im verrauchten Keller einer Bar in Billings, Montana. Ich hatte das Lern- und Kognitionsverhalten studiert, und Poker war eine lebensnahe, risikoreiche Anwendung dieser Themenbereiche. Mir gefiel die fortwährende Prüfung, mich in einer so ungewissen Umgebung durchsetzen zu müssen, besonders die Überwindung genau der kognitiven Verzerrungen, über die wir in diesem Buch gesprochen haben.
Ich ging im nächsten Frühjahr nicht zurück an die Penn … und auch nicht im Frühjahr danach.
Ich blieb beim Poker, gewann schließlich die Meisterschaft der World Series of Poker, das WSOP Tournament of Champions und die NBC National Heads-Up Poker Championship, und hatte eine sehr ertragreiche und lange Karriere. Was eigentlich etwas »für die Zwischenzeit« hatte sein sollen, dauerte am Ende achtzehn Jahre.
Im Alter von sechsundzwanzig Jahren war jede andere als die akademische Laufbahn praktisch unerforschtes Territorium. Als ich diese Reisen nach Las Vegas plante, kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass Poker irgendetwas anderes sein könnte als etwas, das ich zum Spaß im Urlaub spielte, bestenfalls vielleicht ein Hobby, das ich im weiteren Leben gelegentlich ausüben würde.
Ich hatte Freude an dem Spiel und gewann während dieser Urlaubsreisen ein bisschen Geld, aber Poker als irgendeine Chance zu betrachten, war so albern, dass ich sogar mit Lila Witze darüber riss. Als ich sie nach einer dieser Reisen zum ersten Mal wieder an der Uni traf, erzählte ich ihr scherzhaft: »Ich hatte so viel Spaß beim Pokern, dass ich fast nicht zurückgekommen wäre.«
Wir lachten beide darüber.
Um Poker als ernsthafte Karriereoption zu betrachten, musste ich erst gezwungen werden, die Uni zu verlassen, meine Chance verpassen, mindestens ein Jahr lang die nächste Stufe meiner akademischen Laufbahn zu nehmen, verzweifelt ein Einkommen brauchen und aufgrund meiner Gesundheit sehr eingeschränkt sein.
Sowohl für mich als auch für Maya Shankar und für jeden, der gezwungen ist, einen mit viel Leidenschaft verfolgten Weg zu verlassen, können das Momente der Entdeckung sein. Manchmal bringt ein erzwungener Abbruch einen dazu, neue Chancen zu erforschen, so wie Maya, als sie ihre Liebe zur Kognitionswissenschaft entdeckte. Und manchmal sieht man, wenn man zum Aufhören gezwungen wird, Optionen in einem neuen Licht, die man die ganze Zeit direkt vor der Nase hatte.
So ging es mir mit dem Pokern.
Was Ameisen uns über den Plan B lehren können
Die Welt ist unsicher. Was immer Sie in Angriff genommen haben – ein Projekt, eine Sportart, eine Arbeit, eine Beziehung –, könnte morgen nicht mehr vorhanden sein. Die Welt könnte Ihnen das entreißen, was Sie vorhaben. Oder Sie selbst beschließen es aufzugeben, wenn die Umstände sich verändern.
Vielleicht haben Sie Ihre Arbeit geliebt, solange Sie einen Chef hatten, der Sie gefördert hat, aber dann geht er weg und wird von jemand Toxischem ersetzt. Vielleicht leben Sie in einer Wohnung, die Ihnen total gefällt, und dann macht Ihr neuer Nachbar in der Etage über Ihnen jede Nacht um zwölf Stepptanz. Oder Sie steigen auf einen Berg, und es zieht dichter Nebel auf.
In all diesen Situationen ist die Werterwartung Ihres Vorhabens nicht mehr dieselbe wie bei der anfänglichen Entscheidung dafür.
Nicht immer ist es die Welt, die sich verändert. Manchmal sind Sie es, der sich verändert. Ihr Geschmack, Ihre Vorlieben und Ihre Werte entwickeln sich im Laufe der Zeit. Ein Job, den Sie mit zwanzig toll fanden, ist vielleicht kein so toller Job mehr, wenn Sie dreißig sind. Wenn Sie jünger sind, sind hoher Druck und 80-Stunden-Wochen vielleicht genau das, was Sie wollen. Aber mit dreißig werten Sie Ihre Zeit womöglich anders und sind weniger bereit, Zeit mit Ihrer Familie zu opfern, um Ihre Karriere voranzutreiben.
Ob es nun die Welt ist, die sich ändert, oder ob Sie selbst es sind, manchmal haben Sie die Wahl, mit etwas aufzuhören, und manchmal trifft die Welt diese Entscheidung für Sie.
Realistischerweise werden wir alle ein, zwei solcher Situationen in wichtigen Angelegenheiten erleben, vielleicht sogar viele Male in unserem Leben. So oder so ist das Ergründen anderer Gelegenheiten und das Bereithalten wenigstens eines Anfangs oder eines Plans B ein Eckstein für leichteres Aussteigen.
Die Ameisen machen das ganz richtig.
Wenn sie etwas finden, das toll aussieht, zum Beispiel eine Melone, die auf einer Terrasse vom Tisch gerollt und zerplatzt ist, suchen mindestens einige von ihnen weiter nach anderen Nahrungsquellen. Schließlich kann die Melone verschwinden, wenn die Familie sie wegräumt oder die Terrasse mit dem Gartenschlauch abspritzt. Einige Ameisen halten also weiter Ausschau, auch wenn die Melone noch da ist.
Wir Menschen dagegen tun das leider oft nicht, bis wir dazu gezwungen werden.
Maya Shankars Melone war die Geige. Meine war die kognitive Psychologie. Beide nahmen wir keinerlei gezielte Exploration von Ausweichplänen vor, weil es keiner von uns jemals in den Sinn kam, dass wir zum Aufgeben gezwungen werden könnten. Keine von uns fing an, sich nach einem anderen Ziel umzuschauen, solange wir das Äquivalent einer exploitierbaren Nahrungsquelle hatten. Das gilt auch für viele der Personen, denen wir in diesem Buch begegnet sind.
Während Stewart Butterfield auf Glitch konzentriert war, fiel ihm das Einhorn direkt vor seiner Nase nicht mal auf. Slack war die ganze Zeit da, aber er musste erst Glitch aufgeben, um sein Potenzial zu erkennen. Dasselbe war Butterfield schon zuvor passiert, als ihm erst das Geld für Game Neverending ausgehen musste, damit er das Potenzial von Flickr erkannte.
Sasha Cohen war gezwungen, den Eiskunstlauf aufzugeben, weil sie zu alt dafür wurde. Das befreite sie von etwas, mit dem sie unzufrieden war, und ließ sie andere Dinge explorieren, denen sie sich widmen konnte. Schließlich machte sie einen Abschluss an der Columbia, wurde Investmentmanagerin bei Morgan Stanley und gründete eine Familie. Das schenkte ihr mehr Zufriedenheit, als sie in den letzten Jahren ihrer Karriere empfunden hatte, als sie unglücklich auf Tournee ging, aber erst nachdem sie gezwungen worden war, danach zu suchen.
Die Ameisen treffen das richtige Gleichgewicht zwischen Exploitation und Exploration. Die Stärke der Pheromonspur bestimmt den Anteil von Ameisen, die weitersuchen, doch egal wie ausgeprägt dieser Geruch ist, die Zahl der suchenden Ameisen fällt niemals auf null, und das ist auch vollkommen sinnvoll. Die Welt, in der die Ameisen leben, enthält immer ein bestimmtes Maß an Ungewissheit. Dinge verändern sich. Sprichwörtlich gar nichts bleibt oder dauert ewig.
Wir leben natürlich in derselben Welt. Und wir sollten diese Lektion für uns nutzen.
Ameisen kommen extrem gut zurecht. Sie überleben schon seit über 100 Millionen Jahren. Sie gedeihen in jedem Klima und jeder Region. Auch deshalb sind sie so gut im Überleben, weil sie immer explorieren.
Einfach formuliert verschafft dieser kleine Anteil an Exploration der Kolonie einen Ausweichplan, bevor sie gezwungen sind, eine Nahrungsquelle aufzugeben. Darüber hinaus ermöglicht es den Ameisen, etwas noch Besseres zu finden.
Wir Menschen täten gut daran, dem Beispiel der Ameisen zu folgen und immer auf der Suche zu bleiben. Wir sollten nicht damit warten, bis wir zum Aufgeben gezwungen werden.
Einmal hielt ich einen Vortrag vor einer Gruppe von Verkaufsprofis, und am Ende fragte mich einer von ihnen, ob er die Anrufe von Headhuntern annehmen solle, obwohl er seine derzeitige Arbeit wirklich liebte.
Ich sagte ihm, das solle er selbstverständlich tun. Erstens könnte sein Arbeitsplatz verschwinden. Das Unternehmen (ein Start-up) könnte pleitegehen oder Stellenkürzungen vornehmen müssen. Unter diesen Umständen wäre es sicherlich von Vorteil, schon mal Beziehungen zu Headhuntern aufgebaut zu haben. Außerdem könnte auch etwas innerhalb des Unternehmens passieren, das sich auf die Freude an der Arbeit auswirken konnte. Das Produkt könnte floppen, oder sie könnten einen neuen Vertriebsleiter bekommen, mit dem er nicht zurechtkäme. In diesem Fall würde es eine rationale Entscheidung über das Bleiben oder Gehen wesentlich einfacher machen, die verfügbaren Optionen zu kennen.
Und es könnte sich auch gar nichts ändern. Er könnte weiterhin einen tollen Job haben und ihn gern ausüben, aber wenn er nicht gelegentlich mal bei diesen Headhuntern die Fühler ausstreckte, würde er nie herausfinden, ob es nicht noch etwas Besseres gab.
An dieser Stelle sind Ameisen dem Menschen wirklich überlegen, denn eine Ameise hätte mir so eine Frage nie gestellt. Sie würde die Anrufe einfach entgegennehmen.
Anmerkungen aus der Londoner U-Bahn
Pendler sind wie Ameisen: Wenn sie in einen anderen Ort ziehen oder eine neue Stelle an einem neuen Standort antreten, fangen sie an, alle möglichen verschiedenen Wege zur Arbeit zu erforschen, um die effizienteste Route zu ermitteln. Doch wenn sie einmal eine gefunden haben, wird diese – anders als bei den Ameisen – rasch zum Status quo, und von da an nehmen sie jeden Morgen und jeden Abend denselben Weg und stellen die Suche nach Alternativen ein.
Es sei denn, sie werden dazu gezwungen.
So wie es 2014 vielen der zwei Millionen Menschen erging, die täglich zwei Fahrten mit der Londoner U-Bahn machen (die auch als »Tube« bekannt ist). Die Tube umfasst elf Linien, 270 Stationen und über 400 Schienenkilometer, das heißt, es gibt viele unterschiedliche Arten, um von A nach B zu gelangen.
Im Januar 2014 rief Großbritanniens größte Transportgewerkschaft zu einem 48-stündigen Streik auf, der am Dienstagabend des 4. Februars beginnen sollte. Als der Streik aufgenommen wurde, wurden 171 der 270 U-Bahn-Stationen für diese beiden Tage geschlossen. Das heißt, viele Pendler waren gezwungen, alternative Strecken zu finden.
Was geschah also, als viele dieser Pendler nur für zwei Tage einen neuen Weg zur Arbeit finden mussten? Shaun Larcom aus Cambridge sowie seine Kollegen Ferdinand Rauch aus Oxford und Tim Willems vom Internationalen Währungsfonds werteten die Daten aus, um die Antwort auf diese Frage eines erzwungenen Ausstiegs zu finden.
Sie stellten fest, dass viele Leute vor dem Streik einen Umweg gemacht hatten, um zur Arbeit zu kommen. Es mag überraschend sein, dass so viele Pendler nicht die kürzestmögliche Strecke gefunden hatten, aber wenn Sie mal einen Blick auf den Plan der Londoner U-Bahn werfen, verstehen Sie es.
Der Plan ist eindeutig nicht maßstabgerecht. Seine Einfachheit, Strukturiertheit und Symmetrie machen ihn zu einer der am besten lesbaren Nahverkehrsübersichten, aber es ist unmöglich, damit die Distanz oder die Fahrtzeit von A nach B mit verschiedenen Linien zu ermitteln.
Bei diesem großen Einbruch mussten 70 Prozent der Pendler für zwei Tage einen anderen Arbeitsweg finden. Nach Beendigung des Streiks blieben etwa 5 Prozent bei ihrer neu entdeckten Fahrtstrecke. Diese Menschen hatten ihre Fahrtzeit im Durchschnitt um über sechs Minuten pro Fahrt verringert. Bei einer durchschnittlichen Fahrtzeit von 32 Minuten verringerten die Dauerwechsler ihre Fahrzeit um etwa 20 Prozent, das heißt, sie sparten zwölf Minuten täglich, eine Stunde pro Woche und vier Stunden im Monat ein.
Diese Alternativstrecken hatten die Pendler die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt. Aber sie mussten erst gezwungen werden, ihre übliche Strecke aufzugeben, um eine bessere zu ermitteln.
Stellen Sie sich nur vor, wie viele Menschen gewechselt hätten, wenn der Streik länger gedauert hätte und sie länger als zwei Tage hätten explorieren müssen. Das ist eine wertvolle Lektion darüber, warum wir auch dann explorieren sollten, wenn wir nicht dazu gezwungen werden. Viele Londoner haben diese Lektion anscheinend gelernt, denn die Forscher stellten fest, dass neben den 5 Prozent, die dauerhaft wechselten, die Pendler selbst nach dem Streik noch verstärkt Alternativstrecken erforschten.
Durch den Zwang zum Aufhören begannen die Pendler, sich mehr wie Ameisen zu verhalten.
Mike Neighbors ist ein legendärer Basketballtrainer für weibliche Universitätsmannschaften. Seine Errungenschaften während seiner ersten acht Spielzeiten als Cheftrainer (2013 bis 2021), darunter vier Jahre an der University of Washington und vier an der University of Arkansas, sind praktisch unerreicht von Trainern der NCAA Division I in dieser Stellung: 176 Siege (das zweitbeste Ergebnis aller Zeiten) und sechs Spielerinnen, die in die WNBA gedraftet wurden, was noch kein anderer Trainer innerhalb dieses Zeitraums geschafft hat.
Trainer Neighbors schreibt seinen Erfolg zu großen Teilen dem Aussteigen zu.
Nachdem er sich über zehn Jahre lang als Assistenztrainer an diversen Schulen hochgearbeitet hatte, bekam er schließlich 2013 seine Chance als Cheftrainer an der University of Washington. Er übernahm eine Liga, in der die studentischen Sportlerinnen an sechs Tagen wöchentlich spielten oder trainierten, was für Universitäts-Basketballteams der Status quo war. Die NCAA verlangt, dass Spieler der Division I mindestens einen sportfreien Tag pro Woche bekommen sollen, und praktisch jeder NCAA -Trainer behandelt diese Minimal- als Maximalanforderung.
Nach vielen sieglosen Jahren waren die Huskies in den vorangegangenen zwei Spielzeiten unter Trainer Kevin McGuff (der Neighbors als Co-Trainer holte) wieder auf die Beine gekommen. Als McGuff als Cheftrainer an der Ohio State anfing, oblag es Neighbors, die steigenden Erwartungen zu erfüllen.
Sofort geriet seine Mannschaft ins Schlingern, verlor die ersten beiden Spiele, darunter eine furchtbare Niederlage von 91:77 im Eröffnungsheimspiel gegen die University of Portland, ein Team, das die Huskies im Jahr zuvor unter Trainer McGuff um 20 Punkte geschlagen hatten.
Sie wurden ein bisschen besser und gingen mit 6:4 in die Weihnachtspause, aber Neighbors war klar, dass er noch mehr Veränderungen vornehmen musste. Kleine Verletzungen häuften sich, und er erkannte, dass seine Sportlerinnen in Anbetracht der Trainingsintensität bei den Spielen nicht Vollgas geben konnten.
Während der Pause hatte er die Zeit und den Freiraum, um über mögliche Umwälzungen nachzudenken, und als er quer über den Kontinent zurück nach Washington flog, entschied er sich zu einer drastischen Veränderung.
Er beschloss, einen weiteren Trainingstag pro Woche wegzunehmen, seinen Spielerinnen also zwei freie Tage statt einem zu gewähren.
Für diesen unkonventionellen Schritt entschied er sich, weil seine Mannschaft von Verletzungen heimgesucht wurde. Sie waren körperlich ausgelaugt, und er wusste aus all seinen Jahren als Assistenztrainer, dass die Verletzungen sich mit Fortschreiten der Spielzeit häufen würden. Er vermutete, der zusätzliche Erholungstag würde seinen Spielerinnen mehr Zeit auf dem Platz geben, wenn es am meisten darauf ankam – während der Spiele.
Um zu verstehen, wie kühn diese Entscheidung war, müssen Sie sich bewusst machen, dass kein anderer Trainer der Division I dies tat. Es war Ende 2013, lange bevor der Begriff Selbstfürsorge in Mode kam. Er wusste, er ging ein Risiko ein, und er würde die Schuld tragen, wenn es nicht klappte. Doch wenn die Huskies und seine Trainerkarriere untergingen, so drückte er es aus, dann gingen sie wenigstens auf seine Weise unter.
Während die meisten Trainer versuchten, jede Sekunde Trainingszeit aus ihren Spielern herauszuquetschen, die die NCAA -Regeln ihnen durchgehen ließ, schockierte Coach Neighbor nach der Rückkehr der Huskies aus der Weihnachtspause mit der Verkündung seines Plans, der Mannschaft einen zusätzlichen freien Tag zu gewähren.
Sofort wurde er aus allen Richtungen kritisiert. Aus der Herrenliga hieß es: »Die geben einfach auf. Die bemühen sich nicht mal.« Als er seine Mentoren in seinen Plan einweihte, sagten sie: »Mann, wenn Sie das machen, werden Sie entlassen.« Sein Spitzen-Neuzugang und beste Spielerin, die Erstsemester-Studentin Kelsey Plum, attackierte ihn für seine Entscheidung: »Wir trainieren nicht genug. Das ist doch verrückt. Das wird nicht funktionieren.«
Plum änderte ihre Meinung, und ihre Mannschaftskameradinnen stimmten ihr vollkommen zu, als sie die Veränderungen bemerkten, beginnend mit einem Spiel im nächsten Monat gegen die auf Platz 3 rangierende Stanford-Mannschaft, die sie im Jahr zuvor um 35 Punkte geschlagen hatte. Jetzt, bei Neighbors erstem Spiel im nationalen Fernsehen, stoppten sie nach 62 Spielen ihre Pac-12-Gewinnsträhne mit einem schockierenden Umsturzsieg von 87:82.
Das war kein Glückstreffer. Washington spielte eine starke Saison, verdiente sich die Zulassung zur WNIT und gewann drei Spiele, ehe die Mannschaft im Viertelfinale ausschied. In seiner zweiten Spielzeit gelang den Huskies die Rückkehr in die NCAA -Ausscheidung. Ein Jahr später schafften sie es unter die Final Four. Im Abschlussjahr dieser Mannschaft waren sie eins der besten Teams landesweit, schlossen mit 29:6 ab und schafften die Sweet Sixteen. Jede Mannschaft gewann mehr Spiele als die Mannschaft im Jahr zuvor.
Als dieser Jahrgang seinen Abschluss machte, bat Neighbors Alma Mater, die University of Arkansas, ihn darum, eine Kehrtwende bei ihrer Damen-Basketballmannschaft vorzunehmen, und er wurde Cheftrainer der Razorbacks. In seinen ersten vier Spielzeiten an der Arkansas hatte die Mannschaft den größten Erfolgslauf ihrer Geschichte.
Der zusätzliche freie Tag machte die Mannschaften von Trainer Neighbor nicht weniger konkurrenzstark oder ließ sie weniger gewinnen. Sie fingen an, mehr Siege zu erzielen.
Und dieser zusätzliche freie Tag verschaffte ihnen nicht nur mehr Siege auf dem Spielfeld. Er gab den Spielerinnen auch Zeit und Raum, andere Gelegenheiten und Interessen auszuloten, die sie nicht hätten ausloten können, wenn sie einen weiteren Tag mit dem Training hätten verbringen müssen. Sie nutzten diesen Tag auf eine Art, die ihnen weit über ihre College-Basketball-Karriere hinaus zum Vorteil gereichte.
Es ist verblüffend, was man an einem einzigen Tag schaffen kann.
Manche Spielerinnen mit dem Ehrgeiz, in der WNBA zu spielen, so wie Kelsey Plum, verbrachten den zusätzlichen Tag im Fitnessstudio. Sie hatte später eine der größten College-Basketball-Karrieren aller Zeiten und war erster Pick beim WNBA -Draft von 2017.
Andere Spielerinnen nutzen die Zeit zum Lernen, was ihren Notendurchschnitt anhob und sich natürlich positiv auf ihre künftigen Berufsaussichten auswirkte. Einige erforschten neue potenzielle Berufslaufbahnen. Eine Spielerin arbeitete an ihrer Immobilienmaklerlizenz. Sie wurde eine der erfolgreichsten Maklerinnen der Region Seattle für den gehobenen Preisbereich. Eine andere Spielerin nutzte den freien Tag, um sich ein Praktikum bei Nike zu verschaffen. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie dort weiter und stieg rasch im Unternehmen auf.
Viele Menschen glauben (besonders im Sport, aber auch in vielen anderen Bereichen), dass man sich fokussieren muss, um Erfolg zu haben, und einen Plan B zu haben, erhöhe nur die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Doch Trainer Neighbors räumte mit dieser Vorstellung auf. Obwohl viele seiner Spielerinnen sich an ihrem Tag der Exploration einen Plan B zurechtlegten, wurden seine Mannschaften sogar noch besser.
Die Gelegenheiten diversifizieren
Trainer Neighbors traf die Entscheidung, seinen Spielerinnen einen zusätzlichen freien Tag zu geben, weil er Verletzungen verringern wollte, doch damit ging einher, dass seine Spielerinnen diese Zeit nutzen konnten, um ihre Interessen, Qualifikationen und Chancen zu diversifizieren. Das lässt sich mit dem vergleichen, was die Ameisen tun. Indem sie weiter explorieren, diversifizieren die Ameisen das Nahrungsquellenportfolio für die Kolonie. Diese Diversifizierung hilft, die Auswirkungen von Pech zu verringern. Wenn eine Nahrungsquelle versiegt, stehen ihnen bereits andere Optionen zur Verfügung.
Die Stärke der Diversifizierung ist in der Investmentwelt natürlich wohlbekannt. Investoren wollen aus denselben Gründen wie Ameisen ein diversifiziertes Portfolio, um die Auswirkungen auf ihren Nettoertrag zu verringern, falls eins der Investments danebengeht.
Das trifft nicht nur auf Investoren oder Ameisen zu. Wir alle können uns durch ein breit gefächertes Portfolio an Interessen, Qualifikationen und Chancen vor Ungewissheit schützen.
Gäbe es keine Ungewissheit und Sie wüssten ohne jeden Zweifel, wie die Dinge sich entwickeln, dann bräuchten Sie keine Diversifizierung. Ihre Nahrungsquelle stünde Ihnen immer zur Verfügung, und es wäre immer die beste. Ein Investment, nämlich das mit der sicheren höchsten Werterwartung, würde Ihnen in Ihrem Portfolio genügen. Sie würden sich immer nur den besten Arbeitsplatz aussuchen und diesen niemals verlieren.
Aber so ist die Welt natürlich nicht. Und deshalb sollten Sie die Anrufe des Headhunters annehmen. Weil diese Explorationsgespräche Sie schützen können für den Fall, dass das Unternehmen, bei dem Sie arbeiten, in die Insolvenz geht, oder dass Stellenkürzungen vorgenommen werden, oder dass Sie einfach merken, dass Ihr Job Ihnen keinen Spaß mehr macht.
Dass ich das Pokern in meinem Portfolio hatte, ermöglichte mir – wenn auch unbeabsichtigt –, dass ich mich mit etwas beschäftigen konnte, als ich meine akademische Laufbahn unterbrechen musste. Dass Stewart Butterfield Flickr und Slack in seinem Portfolio hatte, ließ ihn sich schnell von den Misserfolgen mit Game Neverending und Glitch erholen.
Wir alle sollten es uns zum Ziel machen, in jedem unserer Portfolios eine größtmögliche Diversifizierung von Interessen, Qualifikationen und Chancen herbeizuführen.
Das können Sie in Ihrem eigenen Leben auf alle möglichen Arten tun. Beispielsweise ist es eine gute Idee, an Ihrem Arbeitsplatz weitere Positionen zu explorieren, indem Sie um Teilnahme an allen Ihnen zur Verfügung stehenden Onboardings oder Schulungen bitten, solange sich das nicht negativ auf die Arbeit auswirkt, für die Sie in erster Linie zuständig sind.
Diese anderen Positionen auszuloten, nutzt Ihnen auf mehrere Arten. Es maximiert die Zahl der Stellen, für die Sie qualifiziert sind, und lässt Sie andere Laufbahnen ausprobieren, die Sie anderenfalls nicht in Betracht gezogen hätten. Wenn Ihr Arbeitsplatz dann aus irgendwelchen Gründen verschwindet, haben Sie mehr Möglichkeiten, denen Sie sich zuwenden können.
Manchmal entdecken Sie vielleicht, dass Ihnen eine andere Position besser gefällt als Ihre gegenwärtige. Mit den durch Exploration entwickelten neuen Qualifikationen in Ihrem Portfolio können Sie leichter in diese neue Position wechseln.
Dasselbe Prinzip greift auch bei Ihrer Ausbildung. Gehen Sie nicht mit der festen Vorstellung eines bestimmten Hauptfachs an die Uni. Erwägen Sie mehrere Fächer, deren Inhalte oder zukünftigen Berufsaussichten Sie interessieren könnten. Wenn Sie Ihre Seminare auswählen, nehmen Sie diejenigen, die den Anforderungen für möglichst viele Fächer entsprechen. Damit maximieren Sie die Anzahl der Ihnen zur Verfügung stehenden Optionen und diversifizieren Ihre Qualifikationen. Wenn Sie die Wahl zwischen zwei Hauptfächern haben, nehmen Sie das, mit dem Ihnen die meisten Karrieremöglichkeiten offenstehen.
In Ihrem ersten Studienjahr sollten Sie im Wesentlichen so viele Fächer wie möglich »daten«. Was persönliche Beziehungen angeht, so hilft Ihnen diese Explorationsphase (Dating), bessere Entscheidungen darüber zu treffen, an wen Sie sich letztlich binden. Doch im Gegensatz zu einer festen Beziehung sollte Ihr Maß an Exploration in praktisch allen anderen Bereichen, ob Ausbildung, Karriere, Hobbys oder sogar der Arbeitsweg, niemals auf null sinken.
Diversifikation ermöglicht Ihnen nicht nur eine weichere Landung, wenn Sie zum Aufgeben gezwungen sind. Sie hilft Ihnen auch, rationalere Entscheidungen über die Abkehr von etwas zu treffen, das sich nicht länger weiterzuverfolgen lohnt. Denn es ist leichter, einer Sache den Rücken zu kehren, wenn man weiß, worauf man zugeht .
Andere Optionen verfügbar zu haben, nimmt einen Teil der Ungewissheit darüber, was als Nächstes kommen soll, die Sie vom Aufgeben abhalten kann.
Philips hat bewiesen, um wie viel leichter das Aufhören ist, wenn man mehr darüber weiß, wohin man sich wendet. Vor über hundert Jahren hatten die Gebrüder Philips eine Innovationsschmiede gegründet, sodass sie ihr Portfolio durch die Entwicklung neuer Produkte und Technologien diversifizieren konnten. Diese Schmiede brachte das Unternehmen auf den Weg zur Medizintechnologie. Indem es die Diversifizierung seines Produktportfolios fortsetzte, konnte es geringerwertige Gelegenheiten loslassen, darunter das Kerngeschäft mit den Leuchtmitteln, und sich den besseren zuwenden, die es auf diesem Weg entdeckt hatte.
Hier gilt natürlich dasselbe wie für alles andere, was das Abbruchverhalten verbessert: Nur weil Ihr Portfolio diversifiziert ist, heißt das noch lange nicht, dass Sie auch gute Entscheidungen darüber treffen, wovon Sie ablassen und was Sie weiterverfolgen. Schließlich hat Sears ein lukratives und wachsendes Finanzdienstleistungsimperium aufgebaut, das es abzustoßen beschloss, um sein strauchelndes Einzelhandelsgeschäft zu retten.
Andere Möglichkeiten zu haben, gibt Ihnen aber wenigstens die Chance, bessere Entscheidungen darüber zu treffen, womit Sie aufhören und woran Sie festhalten. Wenn Sie immer weiter neue Gelegenheiten ausloten, um die Diversifizierung Ihres Portfolios zu erhöhen, hilft Ihnen das, wenn Sie zum Aufhören gezwungen werden, wenn das, was Sie tun, sich nicht mehr weiter zu tun lohnt, und wenn etwas gut läuft, lässt es Sie erkennen, ob sich eine bessere Möglichkeit bietet.
Aus welchen Gründen Sie auch mit etwas aufhören mögen, Sie müssen sich jedenfalls immer vergegenwärtigen, dass das, was Sie für Ihren Plan B halten, oft zu Ihrem Plan A wird.
Im März und April 2020, als Covid-19 die Vereinigten Staaten eiskalt erwischte, erzeugte die Pandemie einen riesigen erzwungenen Abbruch. Innerhalb dieser zwei Monate verloren 20 Millionen Menschen ihre Arbeit, zeitweise waren es 1 Million pro Tag.
Für die rund 28 Millionen Amerikaner, die im Einzelhandel, im Beherbergungsgewerbe und in der Gastronomie beschäftigt sind, hörte die Arbeit einfach auf. Es gab keine Kunden mehr. Eine riesige Anzahl dieser Unternehmen schloss vorübergehend oder dauerhaft. Viele andere mussten ihre verbleibenden Beschäftigten entlassen, zwangsbeurlauben oder ihre Stundenzahl drastisch kürzen. Die Ungewissheit für diese Arbeitskräfte und Betriebe blieb bis Ende 2020 äußerst groß.
Als die Menschen sich wieder wohler damit zu fühlen begannen, in Läden, Hotels und Restaurants zurückzukehren, hätte man annehmen sollen, dass nach all dieser Ungewissheit die Entlassenen voller Eifer zu ihrer Arbeit zurückkehren würden. Doch etwas Überraschendes war geschehen. Ab April 2021 gab es eine zweite Welle von Massenkündigungen, nur dass sie diesmal von den Beschäftigten ausging.
Der große Rückzug hatte begonnen.
Im April kündigten fast 4 Millionen Menschen freiwillig ihre Stelle, die höchste Zahl, seit das Amt für Arbeitsstatistik 2001 mit seiner Zählung begonnen hat. Die höchste Kündigungsrate fand sich bei den Beschäftigten im Dienstleistungsbereich, genau jenen, die zu Beginn der Pandemie zum Gehen gezwungen worden waren. Über 1,3 Millionen dieser Arbeitskräfte hörten im April auf. Mit anderen Worten, nur allein in diesem Monat nahm einer von zwanzig Beschäftigten in Dienstleistungsberufen seinen Hut.
Fast ebenso viele Mitarbeiter in diesem Bereich kündigten im Mai. Ein neuer Kündigungsrekord wurde im Juni erreicht und im Juli erneut übertroffen. Und dann noch einmal im August.
Warum kündigten so viele Menschen, die während der Pandemie ihre Arbeitsplätze verloren hatten, gerade dann, als die Stellen wieder da waren?
Auf Grundlage dessen, was wir in diesem Buch über Ausstiegsentscheidungen gelernt haben, können wir ein paar Mutmaßungen anstellen.
Erstens waren die Menschen, die zu Beginn der Pandemie ihre Arbeit verloren hatten, gezwungen, andere Optionen auszuloten, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnten, was sie im Allgemeinen unter anderen Umständen nicht getan hätten. Das gab ihnen ein besseres Gefühl für den Arbeitsmarkt und ließ sie Chancen erkennen, die sie sonst vernachlässigt hätten.
Zweitens ermöglichte es ihnen auch, ihre eigenen Präferenzen neu zu erkunden. So wie Maya Shankar herausfand, dass sie nicht gern allein arbeitete, ließ die Kündigung sie die Frage stellen, was ihnen an der Arbeit gefallen hatte und was nicht. Wollten sie am Arbeitsplatz physisch präsent sein oder lieber von zu Hause aus arbeiten? Wollten sie ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können? Mochten sie ihre Arbeit? Fanden sie sie erfüllend? Gab es etwas, das sie zufriedener machen würde? Man könnte meinen, dass die Menschen sich die ganze Zeit solche Fragen stellen, aber oft muss man erst zum Aufhören gezwungen werden, ehe man genauer hinschaut.
Drittens hat man als derzeit Beschäftigter ein offenes mentales Konto. Die Kündigung veranlasste all diese Menschen, die Konten zu schließen. Wir wissen, dass es schwer ist, zu gehen, wenn man ein Konto offen hat. Man fühlt sich wie ein Versager, als wäre man gescheitert oder hätte aufgegeben. So viele kognitive Kräfte arbeiten gegen einen. Aber als diese Massenkündigungen stattfanden, schlossen die Menschen, die zum Gehen gezwungen wurden, diese mentalen Konten und machten Tabula rasa.
Wenn Ihnen so etwas passiert, wird Ihr Katamari wieder zu einem kleinen Klumpen. Jetzt sind Sie eher so wie die Ameisen, die ein neues Territorium betreten und die Gegend erkunden, um zu sehen, was es alles gibt.
Durch den erzwungenen Abbruch von allen Lasten befreit, war es für die Entlassenen leichter, sich zu fragen: »Wie gut gefällt mir eigentlich das, was ich da mache?« Es fiel ihnen auch leichter, diese Frage rational zu beantworten, vor allem weil sie im Wesentlichen gezwungen waren, Alternativen auszuloten. Viele Menschen fanden heraus, dass sie ihre Tätigkeit nicht weiterführen wollten, und sie wollten sich neuen Gelegenheiten zuwenden.
Sie können natürlich nur zu etwas Neuem wechseln, wenn es Wechselmöglichkeiten gibt, und mit dem großen Rückzug ging die große Neueröffnung einher. Als alles wieder aufmachte, wurde ein neuer Rekord in der Schaffung von Arbeitsplätzen aufgestellt. Für diejenigen, die hatten wechseln wollen, gab es eine Menge Möglichkeiten.
Die große Wiedereröffnung schuf ein viel stärker diversifiziertes Portfolio an Gelegenheiten für Menschen, die danach Ausschau hielten.
Das beschleunigte das Wachstum neuer Arbeitsplätze in vielen Branchen, doch die Kündigungs- und Wechselwelle war stärker bei denjenigen ausgeprägt, die zu Beginn der Pandemie gezwungen worden waren, ihre Stelle aufzugeben. Genau wie die Passagiere der Londoner U-Bahn, nachdem alle Stationen wieder bedient wurden, suchten diejenigen, die ihre Stelle verloren hatten, auch dann online weiter, als diese Stellen wieder zurückgekommen waren.
Sie lernten die Lektion, die die Ameisen perfekt beherrschen: Warte mit dem Erkunden von Alternativen nicht, bis du zum Gehen gezwungen wirst.
Wenn wir auf uns selbst gestellt sind, neigen wir dazu, uns so stark auf unsere Tätigkeit zu fokussieren, dass es praktisch alles andere ausschließt. Nicht nur, dass wir keine anderen Möglichkeiten explorieren. Wir erkennen sie nicht mal, wenn sie direkt vor uns liegen. Wir werden kurzsichtig. Diese Unfähigkeit, andere Optionen zu erkennen, erschwert es zusätzlich zu all den anderen Kräften, welche die Waage manipulieren, unsere Tätigkeit zu wechseln, denn wie kann man schließlich zu etwas wechseln, von dem man nicht mal weiß, dass es existiert?
Mit dieser Kurzsichtigkeit werden wir uns als Nächstes beschäftigen.
Zusammenfassung Kapitel 10