Nichts war in Ordnung! Ob Adam nur einmal in seinem Leben einen Tag erleben würde, der nicht bereits vor dem Frühstück voll für den Eimer war? So ein Tag, der gut anfing, dann langsam besser wurde, um später richtig cool zu werden: mit einem kalten Bier in der Hand am Strand die Sonne zusammen mit einer Braut untergehen sehen, die ihm nicht ständig auf die Nerven ging. Leider war er davon weit weg. Heilige Scheiße, sogar 958 Lichtjahre weit entfernt!
»Du bist ein Idiot!« Luise als eine schwierige Person zu bezeichnen, wäre untertrieben gewesen. Sein blonder Engel mit kahlrasiertem Nacken und nach unten gezogenen Gesichtszügen stand mit einem entsicherten Colt 2011 neben ihm und zielte in einen dunklen Korridor. Hier stank es gotterbärmlich. Nein schlimmer, als ob man einer Leiche fermentierte Heringe in die Löcher gestopft und sie dann in einen alten Klimaschacht zum Abhängen gepackt hätte.
»Ähm …« Adam kontrollierte den Handscanner, der die Qualität der Atemluft als tadellos einstufte. Es gab genug Sauerstoff, keine Giftstoffe und auch keine Viren. Na ja, über den Geruch schwieg sich der Scanner aus. Typische Rutus-Technologie - bei dem, was bei den Fischköpfen so alles im Suppentopf landete, hatten die mit dieser Duftmarke eher keine Probleme.
»Was jetzt?« Luise schüttelte den Kopf und verschloss den Helm ihres Druckanzugs. Keiner von ihnen wusste, was sie hier zu erwarten hatten. Blutrünstige Aliens, Pippi Langstrumpf oder Kermit, der Frosch – Adam hätte nichts davon überrascht. Inzwischen erachtete er den Plan, auf dieser abgelegenen Raumstation eine abtrünnige Wächter-KI zu suchen, nicht als seine beste Idee. Aber auf Verstärkung zu warten, hätte Stunden gedauert. Zeit, die er der verbrecherischen KI nicht zubilligen wollte.
»Ich kann die Signatur ausmachen …« Auch Adam verschloss den Helm, während er mit dem Scanner den Korridor abtastete. An den Wänden klebte etwas Gelb-Schwarzes, das auf den Gitterboden tropfte und dabei die schwarze Farbe hell färbte. Er wollte wirklich nicht wissen, was das für ein Zeug war.
»Wenn ich heute draufgehe, bringe ich dich um!« Luise ging langsam weiter. Ihr zartes Stimmchen hörte er mittlerweile über die Lautsprecher seines Helms.
»Ich versuche, die Signatur zu identifizieren!« Adam speiste die Signale in eine offene Datenbankabfrage und hoffte auf eine schnelle Antwort. In den letzten Wochen hatten sie bereits sieben Wächter-KIs zerstören können. Mit der passenden Delos-Ausrüstung war das kein Thema. Raven blieb allerdings flüchtig, dieses binäre Miststück verstand es meisterlich, unerkannt zu bleiben.
»Wer ist es?« Luise ging in die Hocke, sie mussten zuerst wissen, wen sie am Haken hatten. Erst dann konnten sie zuschlagen. Wächter-KIs konnten neben Computern, Speichereinheiten und aktiven Netzwerken auch in humanoiden Lebewesen, tonnenschweren Kampfrobotern oder einer alten Kaffeemaschine überleben. Gerade der Variante mit den Kampfrobotern wollten sie aus dem Weg gehen.
»Die Abfrage läuft …« Natürlich waren sie über ein von Ed, einer inzwischen dauerhaft blondierten Nessanerin, auf dem Arcurus Gate kontrolliertes Wurmloch an diesen Ort gekommen. Eine alte Raumstation der Delos am Rande des bekannten Universums. Angeblich war dieser Schrotthaufen bereits vor dreißigtausend Jahren verlassen worden, wofür er sich allerdings gut gehalten hatte. Energie, Druck, Wärme, alles was für humanoide Lebensformen wichtig war, funktionierte noch. Jedenfalls besser als die Heizung in Adams letztem Auto, und das hatte erheblich weniger Jahre auf dem Buckel.
»Adam! Wir haben keine Zeit!« Auch Luise überprüfte einen Scanner an ihrem Kampfanzug, an dem ein kleiner grüner Punkt munter ihren Arm heraufhopste. Im Zweifelsfall kein gutes Zeichen. »Da kommt etwas auf uns zu!«
»Fuck!« Adam schlug sich auf das Display, weswegen die Datenbank leider auch nicht schneller eine brauchbare Identifikation herausrückte. In den letzten Wochen hatte er lernen müssen, dass Wächter-KIs sich durchaus unterscheiden konnten. Neben Universal-Miststücken wie Raven waren die anderen zu völlig unterschiedlichen Dingen in der Lage. »Das System hängt!«
»Noch 36 Meter …«
»Unsere Ebene?« Auf der Raumstation gab es mehrere davon, genauer gesagt sogar fünf, zumindest wenn der Plan stimmte, den Ed ihnen gegeben hatte. Nur wegen der Mitarbeit der Delos auf der Naar waren sie überhaupt in der Lage gewesen, diese verfluchte Raumstation am Arsch der Milchstraße zu finden.
»Ja … ähm … nein … ich weiß es nicht. Egal … was auch immer da kommt, es kommt auf uns zu!« Luise steckte die Pistole weg und nahm ihr Gewehr in den Anschlag. Ein Höllengerät, ein 40er Parallel-Impuls-Lader, Delos-Technologie, hoffentlich würde sie damit nicht die alte Raumstation in Stücke schießen. Hier draußen im Nichts zu verrecken, wäre echt uncool gewesen.
»Zum Glück hast du alles im Griff …« Adam konnte sich diese Spitze nicht verkneifen, dafür teilte sein Schätzchen selbst zu gerne aus. Zugegeben, Luise war eindeutig das heißeste Eisen auf zwei Beinen, die jemanden wie ihn, ohne dass er dafür bezahlen musste, drangelassen hatte. Sex war das Einzige, was zwischen ihnen funktionierte, alles andere glich einer fortlaufenden Katastrophe.
»Ach … sagt der Herr, der nicht in der Lage war, die Signatur drei Minuten früher zu überprüfen. Noch sieben Meter!« Sie entsicherte die Waffe. In der Dunkelheit war nach wie vor nichts zu erkennen. Fuck, nur noch sieben Meter, sie hätten das blöde Ding inzwischen bereits sehen müssen.
»Da ist nichts!« Adam wich zurück, stolperte und saß einen Moment später auf dem Hintern. Alter, noch vor ein paar Monaten hatte er in London für Miss Jenkins Haschplätzchen verteilt, für die Rolle des neuen Star Lords war er definitiv einen Kopf zu klein. Der Boden, die Wände, alles um sie herum begann zu vibrieren. Diese verfickte Raumstation war eine Falle!
»ÜBER UNS!« Luise schrie, riss die Waffe hoch und schoss. Das war der Unterschied zwischen ihnen, sie fackelte nicht lange. Gleißend helle Feuergarben brannten sich über ihren Köpfen durch das Verbundmetall. Ein Delos Werkstoff, geschaffen für die Ewigkeit, mit so einem negativ geladenen Metall-Keramik-Faser-Brösel-Kram drin. Das Zeug hielt offenbar besagte dreißigtausend Jahre und länger oder, sobald Luise in der Nähe war, nur drei Minuten. Ein Wunder, dass er beim Sex mit ihr bisher mit nur einigen blauen Flecken, Bissspuren und einem verkratzen Rücken davongekommen war. Eine tollwütige Wildkatze zu ficken, wäre vermutlich sicherer gewesen.
»WO?« Adam hielt sich die Hand vor den Helm, er sah nichts. Sein Scanner am Unterarm vibrierte, er wollte gerade darauf schauen, als ihn eine Explosion zurück in Richtung Schleuse beförderte. »ICH SEHE NICHTS!« Weder in dem Korridor, in dem Luise feuerte, noch auf dem Scanner, bei dem es ihm nach der Bruchlandung noch nicht gelungen war, den Text zu lesen.
»WIE IMMER!« Luise hatte sich nicht bewegt. »WOZU HAST DU EIGENTLICH LEMORIANISCHE AUGEN UND BIST TROTZDEM BLIND WIE EIN MAULWURF?« Seine Süße hatte einen energetischen Gefechtsschild aktiviert und schoss dem Kühlschrank mit Armen, der durch die Decke fiel, mit kurzen, gezielten Feuerstößen seine mechanischen Eingeweide aus dem Chassis. Ein ungleicher Kampf: Roboter gegen eine wütende Frau, da konnte die Blechbüchse nur verlieren. Was Luise im Kampf intuitiv tat, fiel Adam meist erst drei Sekunden später ein. Und zugegeben, sie sah mit den implantierten lemorianischen Augen wie ein Luchs, er nicht.
»Ähm … ja.« Adam rappelte sich auf und aktivierte den hellgelben Gefechtsschild. Daran hätte er auch früher denken können. Sie hatten den Delos bei ihrer Ausrüstung noch weitere taktische Spielereien zu verdanken.
R A V E N, stand in orange leuchtenden Buchstaben blinkend auf seinem Display. Jetzt hatten sie die Antwort, auf die sie gewartet hatten. Jackpot, sie war der Hauptgewinn. Raven war das meistgesuchte Individuum im gesamten Universum. Nach dem gescheiterten Aufstand der Wächter-KIs gegen die Delos und sämtliche von Humanoiden bewohnte Welten hatten Ermittlungen ergeben, das sie allein dafür den Anstoß gegeben hatte. Die gesamte Intrige, die Naar, die Arche der Delos, die Erde und das Arcurus Gate zu vernichten, stammte von ihr. Natürlich hatte eine KI kein Geschlecht, aber sich das Böse in Form einer Frau vorzustellen, fiel Adam leichter.
»Das Ding ist erledigt!« Luise ließ den an der Mündung rauchenden Impulslader sinken. Von dem zerstörten Kampfroboter vor ihren Füßen war nicht mehr viel zu erkennen, irgendwie fehlte da bereits mehr als die Hälfte. Sie blickte durch das Loch, das sie in die Raumstation geschossen hatte. Adam stand jetzt neben ihr. Sie konnten gemeinsam ins All sehen und den sandigen Planeten erkennen, den die alte Raumstation umkreiste. Angeblich gab es dort unten kein Leben. Von rechts erhellte eine Sonne das ganze Szenario.
»Ich habe Raven identifiziert.« Adam zeigte ihr die Meldung an seinem Unterarm.
Luises Augen wurden schmaler. »Das soll Raven gewesen sein?« Sie zeigte auf ihre Beute, einige Metallränder des Roboters glühten noch einen Moment nach.
»Das ist die Meldung.« Adam hatte sich die Ergreifung Ravens ebenfalls dramatischer vorgestellt. Mit einem uralten Roboter durch die Korridore zu poltern, war weder elegant noch effektiv gewesen. Nein, das sah wirklich nicht nach ihr aus.
»Das ist doch Blödsinn!« Sie schüttelte den Kopf und tauschte das Magazin an ihrer Waffe. »Hast du eine weitere Signatur auf der Raumstation?«
»Nein.« Adam ging näher an den zerstörten Roboter heran und tastete die ehemals gepanzerte Brustregion, von der nicht viel übrig geblieben war, ab. Dahinter verbargen solche Systeme üblicherweise ihre zentralen Steuerungssysteme. »Die Kiste ist komplett im Arsch.«
Luise drehte sich auf die Seite, stemmte die Hände in die Hüften und sah ins All. Ein Kraftfeld, eine Notsicherung, hatte eben einen Druckverlust verhindert. »Scheiße!«
»Sir, darf ich eine Anmerkung machen?«, fragte der Symbiot, der nach wie vor in Adams Eingeweiden lebte und sich dabei eines Teils seines Bewusstseins bediente. Inzwischen hatten sie eine Vereinbarung getroffen: Der Symbiot redete nicht mehr bei jeder unpassenden Gelegenheit dazwischen und würde dafür nach Adams Tod sein Nest bekommen. Zudem bis dahin nach Feierabend regelmäßig schottisches Dosenbier.
Adam deaktivierte den Funk. »Was?« Das mit dem Sir sollte er dem Symbioten schnell wieder austreiben. Bei Adams kriminellem Werdegang war er sicherlich alles andere als ein Sir . Überdies der Symbiot bei Adams mittelgrau bis rabenschwarz schattierter Seele selten für die helleren Momente stand.
»Sir, alle Körperfunktionen befinden sich im grünen Bereich.« Genau diese Macht hatte der Symbiot über ihn, der sein komplettes Immun- und Hormonsystem kontrollierte.
»Schön … danke.«
»Sir, dennoch möchte ich anmerken, dass ihre Nebenniere seit Wochen erhöht Katecholamin und Glukokortikoid produziert. Das sind biochemische Botenstoffe, die eine nicht immer förderliche Anpassungsreaktion des Körpers auf besondere Belastungen bewirken. Ich empfehle an dieser Stelle …«
»Ich habe Stress …«
»Sir, das ist mir bekannt«, antwortete der Symbiot devot, der sich nach wie vor an ihren Deal hielt. Adam traute ihm nicht, er traute noch nicht einmal sich selbst. In gewisser Weise spielten sie beide eine Rolle. Ehrlich war keiner von ihnen. Das respektlose, egoistische und maßlose Arschloch in ihm existierte immer noch. Adam hatte mit der Jagd nach den Wächter-KIs und dem Vertrauen, das Eva und andere ihm gewährten, eine Aufgabe bekommen, die ihn aktuell auch noch bei dreihundert Sachen in der Kurve in der Spur hielt.
Luise kam auf ihn zu. Sein Schatz stand sicher nicht für das Gute im Leben, eines Tages würde sie ihn töten, aber sie war zu verführerisch, um von ihr abzulassen. Nein, sie war die Strafe, die er sich redlich verdient hatte. »War es das?«
»Warte einen Moment …« Adam aktivierte erneut den Funk, er wollte noch eine weitere Meinung hören, Raven auf diese Art besiegt zu haben, wäre einfach zu schön gewesen.
»Hallo Adam, hi Luise …« Vor ihnen bildete sich ein lebensgroßes Hologramm von Ed, der Eva erlaubt hatte, weiterhin einen weiblichen menschlichen Avatar zu benutzen. Ed trug eine weiße und körperbetonte Uniform.
»Ed, ich habe die Missionsdaten übertragen … Luise hat bisher nur einen Roboter erlegt. Raven, deren Signatur wir zuvor identifiziert haben, ist seitdem verschwunden.«
»Zerstört?«
»Sag du es uns!«, rief Luise dazwischen.
»Alle Daten sprechen dafür …« Ed stand auf der Brücke des Gates, neben ihr konnte Adam für einen Moment Red erkennen. Eine weitere Nessanerin, die ihren menschlichen Avatar nicht mehr freiwillig hergab.
»War sie es wirklich?«
Ed sah sich das holografisch animierte und zeitlich gestauchte Gefecht an. Das wirkte in der Animation noch wilder als in echt. Red blieb neben ihr stehen. »Sie existiert noch.«
»Sehe ich auch so!« Luise stimmte Reds trockenem Statement zu. »Wo ist sie?«
»Das war nur der Köder … die Schlange will euch verarschen.« Red, mit ihren langen roten Haaren, verstand es nicht nur blendend auszusehen, sondern auch die Situation äußerst treffend zu beschreiben. »Passt auf euch auf!«
»Wir brauchen taktische Unterstützung … wo ist Eva?« Adam wollte Red nicht widersprechen, aber nur die Gefahr zu sehen, reichte nicht, um ihr zu begegnen.
»Auf der Naar … es geht um Politik. Es würde dauern, sie in das Gespräch einzubinden«, erklärte Ed. Eva, selbst eine Delos, genoss in der aktuellen Lage eine besondere Vertrauensposition. Sie kontrollierte das Gate und sorgte damit für Frieden zwischen den Völkern. Besonders zwischen Rutus und Delos, die sich ansonsten die Schädel einschlagen würden. Die Erde spielte in diesem interstellaren Machtpoker keine große Rolle. Man hätte sogar Luise und ihn als die beiden einzigen Menschen bezeichnen können, denen, weil Eva ihnen vertraute, überhaupt ein gewisses Gewicht beizumessen war.
»Und wie sollen wir sie jetzt finden?« Adam presste die Lippen zusammen, keine der sieben erlegten Wächter-KIs hatte sich bisher vor dem Scanner an seinem Handgelenk verstecken können. Nur deswegen waren sie ihren Gegnern einen Schritt voraus gewesen. »Habt ihr wenigstens etwas über die Raumstation?«
»Die Delos gewähren uns freien Zugriff auf die Archive der Naar. Die Station wurde vor 34.712 Jahren erbaut, auf dem Planeten wurden fast 3.000 Jahre lang Erze abgebaut« , erklärte Ed, die Adam weitere Schaubilder übertrug. Die Delos hatten aus der Oberfläche des Planeten einen Schweizer Käse gemacht. Da hätte man bequem halb London unter der Erde verstecken können.
»Das Ding sieht nicht so alt aus …«
»Adaptive Architektur … die Raumstation ist in der Lage, sich selbst in Schuss zu halten. Die Delos wollten solche Standorte aus politischen Motiven nicht aufgeben.«
»Wir haben eine Wartungsdrohne erledigt «, fügte Luise hinzu, die genau über dem Opfer stand.
»Von denen gibt es noch mehr … sehr viele mehr. Ich frage gerade das Leitsystem ab. Von den 430 eingemotteten Drohnen sind 38 online. Weitere können bei Bedarf aktiviert werden. Jede davon ist in der Lage, Waffen zu tragen.«
»Ed, übernimm sie«, sagte Adam. Luise würde kaum alle erschießen können.
»Erledigt …28 habe ich online. 12 davon auf der Raumstation, die anderen befinden sich auf der Oberfläche. Der Rest ist nicht erreichbar … nein, an die komme ich nicht heran.«
»Gibt es auch Drohnen, die du auf der Raumstation nicht erreichen kannst?«, fragte Adam. Im Zweifelsfall drohte genau von denen weitere Gefahr.
»Drei …«
»Deren Position brauchen wir. Ed, nutze die zwölf Drohnen, um die verbleibenden drei Systeme in die Ecke zu treiben!« Luise ging mit dem Gewehr im Anschlag weiter. »Wir werden die drei Ausreißer stellen und vernichten.«
In der Leitung knackte es. Ed antwortete nicht mehr. Das Hologramm verschwand. Fuck, das konnten sie gerade nicht gebrauchen. Jemand störte die Funkverbindung. Na ja, wenn es noch nach einem Hinweis verlangte, dass Raven wohlauf war, das war er.
»Ed?«, rief Adam.
Keine Antwort.
»Es ist Raven!« Luise spähte den Korridor aus. Adam konnte kaum etwas sehen. Zehn Meter vor ihnen befand sich die nächste Druckschleuse. Die Raumstation besaß eine rotierende Ringstruktur, die Fliehkraft sorgte trotz des Lochs, das Luise in die Decke geschossen hatte, für die passende Bodenhaftung. »Sie weiß, dass wir kommen … und sie weiß auch, dass wir die Nummer mit den Wartungsdrohnen durchschaut haben!«
An der Seite öffnete sich eine Tür und eine massive sowie kopflose Drohne auf vier Beinen gesellte sich zu ihnen. Waffen trug das System keine, es übernahm, ohne ein Wort zu verlieren, die Führung und stellte sich schützend vor sie.
»Das Ding mag dich!«, witzelte Adam, der den beiden folgte. Sein Scanner zeigte nun die übernommenen Drohnen und die, bei denen Raven die Kontrolle haben könnte, an.
»Immerhin einer!«, gab Luise schnippisch zurück. Die Sache gestern auf der Erde hatte sie ihm noch nicht verziehen. Dabei hatte er an dem Zwischenfall keine Schuld gehabt.
»Jetzt hör schon auf … du bist doch nicht mehr sauer, oder?«, fragte er unsicher. Natürlich war sie das, die Frage hätte er sich auch sparen können. Es gab Tage, an denen er noch nicht einmal laut atmen konnte, ohne sich ihren Groll einzufangen.
»Du hast sie geküsst !«, feuerte Luise zurück. Klar, es war genau die Geschichte, die er im Sinn gehabt hatte. Die Schleuse öffnete sich. Zu ihrem mechanischen Wachhund gesellte sich ein zweiter, die beide den Weg auf die höheren Decks aufklärten.
»Ja … ähm … nein!« Adam räusperte sich. »Sie hat mich geküsst.« Er hatte es nicht verhindern können. Die blöde Kuh hatte sich in dem New Yorker FBI Büro, ohne zu fragen, an seinen Hals geworfen und ihn in überschwänglicher Freude auf die Wange geküsst. Eine an sich harmlose Geschichte, die Luise offenbar nicht so sah.
»Wo ist der Unterschied?«
»Ich habe nicht angefangen!«
»Du hast dich jedenfalls nicht gewehrt!«
»Hätte ich sie erschießen sollen?«
»Ja!«
»Heilige Scheiße, Luise! Was ist mit dir los?« Adam hatte die Frau höflich, aber bestimmt von sich weggedrückt. Mehr wäre bei dem FBI-Empfang kaum passend gewesen.
»Wir sind launisch!«
»Wir?« Adam wurde gerade heiß und kalt. Hoffentlich hatte sie nur einen an der Waffel und sprach von sich in der Mehrzahl.
»IDIOT!«
»Ähm … ja.« Der war er im Zweifelsfall wirklich. Er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte.
»Ich bin schwanger …«
Adam schluckte.
»Und wage dich nicht zu fragen, von wem!«
»Ah … ja!«
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
»Ähm … was vielleicht an dem äußerst geschickten Timing liegen könnte!« Adam hatte das Gefühl, für diese Worte vorher seine Zunge wie ein Stück Klebeband vom Gaumen lösen zu müssen. Verdammt, seine Beine wurden weich.
»Scheißkerl!« Luise ging weiterhin vor und zielte auf die nächste Schleuse, er rannte ihr wie ein dummer Junge hinterher. Die Vorstellung, Vater zu werden, wurde nur noch von dem Schrecken überragt, sich Luise als Mutter vorzustellen.
»Jetzt mach aber mal einen Punkt!« Adam räusperte sich, dabei musste er einen Schritt nach rechts ausgleichen. Mit der Schulter stieß er dabei an die sicherlich früher einmal weiße Wand. Das sah hier aus wie auf einem imperialen Sternenzerstörer, der die letzten Jahrzehnte von einem Rudel anarchistischer Hausbesetzer in Beschlag genommen worden war. Was für ein Drecksloch!
»Ich bring dich um!« Luise sah ihn an, zum Glück senkte sie die Waffe und zielte nicht auf ihn. Zugetraut hätte er es ihr. »Wenn du … bringe ich dich um!«
»LUISE!« Mit der Wucht ihres Namens, den sein Mund verließ, taumelte er in Richtung der anderen Seite des Korridors. Das ging zu schnell. Ihm gelang es nicht, den Schritt auszugleichen, und er knallte deswegen mit dem Helm gegen die Wand. Sogar volltrunken war er früher geschickter die Treppen zu den Toiletten heruntergekommen. »Lui …« Der Versuch, ihren Namen zu wiederholen, scheiterte kläglich.
»WAS?«, brüllte sie zurück. Vor ihnen hatten sich inzwischen vier dieser riesigen hundeähnlichen Drohnen eingefunden. Denen fehlte nur ein wedelnder Schwanz, dann wäre das Bild perfekt gewesen.
»Ich …« Adam stemmte sich dagegen, aber das war, als ob ihm jemand den Stecker zog.
»Oh Sir, ich stelle fest, dass es Ihnen nicht gut geht. Das ist merkwürdig, da ich eigentlich nichts Ungewöhnliches feststellen kann. Weder ihr Magen noch ihr …« Weiter kam der Symbiot mit seinen Erklärungsversuchen nicht. In der nächsten Sekunde kotzte Adam das Innere seines Helms voll. Eine unappetitliche Angelegenheit, sich auf diese Weise das Frühstück erneut durch den Kopf gehen zu lassen. Ein Sandwich mit mariniertem Frühstücksfleisch, ein Stück davon hing ihm jetzt im Auge.
»Adam!« Luise kam zu ihm und öffnete seinen Helm, zum Dank dafür bekam sie den zweiten Schwall ab. Na ja, besser so, als in der Kotze zu ersticken. »Was ist los?« Während sein Helm offen und ihrer geschlossen war, konnte er sie nur gedämpft verstehen. Auch der Symbiot versuchte, ihm etwas zu sagen, was er nicht verstehen konnte. Alles um ihn herum drehte sich.
»Hallo Adam, hallo Luise, ich bin überrascht, euch wiederzusehen«, erklärte Raven mit seidenweicher Stimme, die sich zwei Meter von ihnen entfernt als Hologramm bildete. Übel, der Scanner an seinem Arm hätte ihre KI erkennen müssen, was er leider nicht getan hatte.
»Raven!« Luise sah sie an und verzog den Mund, sie würde sicherlich keine Sekunde zögern zu schießen, wenn Raven ihr ein Ziel gewähren würde.
»Geht es Adam nicht gut?«, fragte die verfickte KI. Diese Verlogenheit war nur schwer zu ertragen.
»Das wird nichts daran ändern, dass ich dich heute vernichten werde!«, fauchte Luise.
»Oh … in dem Zustand?«
»Mir geht es bestens!« Luise sah zu Raven, hielt aber Adams Hand. »Du wirst heute terminiert!«
»Luise, Schätzchen, er ist der Vater deines Kindes … du würdest ihn wirklich sterben lassen, um mich zur Strecke zu bringen?« Raven wartete nicht damit, den Finger in die Wunde zu legen.
»Das ist nur sein Magen … die Freude Vater zu werden, hat ihn umgehauen.«
»Sicherlich …« Raven griff sich mit der Hand ans Kinn, sie sah aus wie die FSK18 Version einer Elfe, deren durchsichtiges Kleid absolut nichts ihrer heute weißblonden Lockenpracht verdeckte. Vermutlich hatte sie auf Herrenbesuch gehofft.
»Spar dir den Scheiß!«, fuhr Luise sie an. »Du kannst hier nicht weg, du kannst mich nicht übernehmen und die drei Drohnen werden dir nicht helfen! Sobald ich deinen Avatar in die Finger bekomme, reiße ich deine energetische Signatur aus ihm heraus! Daran wird auch dein billiger Look nichts ändern!«
»Das sind große Worte für jemanden von der Erde … aber in deinem Fall äußerst zutreffend. Nimm es mir daher bitte nicht übel, wenn ich dir aus dem Weg gehe … ich schätze meine Existenz durchaus.«
»ICH WERDE DICH VERNICHTEN!«, brüllte Luise, deren grenzenlose Wut Adam einschüchterte. Er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. »HAST DU MICH VERSTANDEN? VERNICHTEN!«
»Deine Entscheidung … Adam braucht deine Hilfe. Wenn du mich verfolgst, wirst du ihn opfern müssen. Ich bin gespannt darauf, welche Wahl du triffst.«
***