Adam stürzte nicht tief, landete dafür umso härter. Seine verreckenden Schwebepads gaben bei dem Fall kaum mehr als einen lauen Furz ab. Aber er stand auf seinen Beinen. Alles war voller Dreck und glühendem Staub, sehen konnte er kaum etwas, hatte er gerade einen direkten Weg in die Hölle gefunden?
»Adam?« Das war Luise, die bei dem Schauspiel aus sicherer Entfernung zugesehen hatte. Das war definitiv einer der Gründe, warum Frauen ihre Männer überlebten.
»Ich bin hier …« Er hatte keine Ahnung, wo hier war, sah nach oben und entdeckte vielleicht acht Meter über seinem Kopf ein Loch in der Decke. Klar, er hatte es in die Granitplatte geschossen, die jetzt verflüssigt oder kleingebröselt an den Wänden klebte. Ansonsten war in diesem dunklen Loch nicht viel zu sehen. Das Overlay-Display in seinem Helm flimmerte nur noch.
»Lebst du noch ?« Eine Frauenfrage.
»Nein.«
»Ist es da unten sicher?«
»Ich habe mir beide Beine gebrochen und fleischfressende Würmer dringen in meine Rüstung ein …«
»Übertreib nicht … ich komm runter.« Was bei ihr geschickter aussah als bei seinem Abgang. Dank der aktiven Schwebepads setzte sie elegant neben ihm auf.
»Meine Rüstung ist leer …« Jetzt fiel das Ding ganz aus, er hatte die gesamte Energie verballert.
Sie schüttelte den Kopf und steckte ihm ein Überbrückungskabel an der Taille in die Rüstung. Egal, was sie dabei sagte, er konnte es ohne eine aktive Funkverbindung durch die geschlossenen Helme nicht verstehen.
»Yeah, ich bin wieder online …« Mit Luises Energieschub startete seine staubige Blechbüchse neu. Es konnte weitergehen, er war wieder im Geschäft.
»Typisch … aber gut gemacht. Wir sind drin.« Mit ihren Worten schossen drei von ihren vier Drohnen an ihnen vorbei. Eine hielt die Stellung und sicherte den Eingang. Zudem diente das System als Funkrelais, um die Verbindung zu halten. »Ed, wir brauchen taktische Informationen. Wo sollen wir hin?«
»Ich lasse sofort ein Szenario berechnen … über das Innere der Pyramide gibt es von der Naar keinerlei Daten. Ihr müsst das Umfeld erkunden. Aber seid vorsichtig, die Delos wissen auch nicht, was Am-hehu in dem Tempel getrieben hat«, erklärte Ed. Nach und nach legte sich der Staub, zwei der Drohnen waren bereits im Dunkeln verschwunden, eine blieb bei ihnen und sorgte für Licht. Das sah hier wirklich wie eine altägyptische Pyramide aus. Überall an den Wänden konnte er in den Stein geschlagene Bilder und Schriftzeichen erkennen. Lesen konnte er den Scheiß nicht, noch nicht einmal mit dem Sekret, dass er als Symbiot in Adams Hirn absondern konnte.
»Wo willst du hin?«, fragte Luise.
»Es gibt nur eine mögliche Richtung …« Adam ging weiter. Am Eingang stehen zu bleiben hätte niemandem geholfen. Mit schweren Schritten setzte sich der gepanzerte Schutzanzug in Bewegung.
»Ich folge dir.«
»Die Strukturen sind sehr umfangreich … es könnte länger dauern, um einen passenden Weg zu einem interessanten Ziel zu finden. Die beiden Drohnen klären in verschiedenen Richtungen bis zu hundert Meter in der Sekunde auf. Auf dieser Ebene haben sie bereits sieben Abzweigungen und Abgänge gefunden.«
»Oh ja …« Adam blieb an der ersten Kreuzung stehen, er suchte ein Schild, mit dem er den Weg zu einer Cafeteria finden würde. »Und wo sollen wir lang?«
»Was suchen wir überhaupt?«, fragte Luise. »Ich glaube nicht, dass wir den Hausherren finden. Hier war schon ewig niemand mehr … dieser Am-hehu ist sicherlich nicht mehr hier.«
»Wartet einen Moment«, antwortete Ed.
»Wir warten.«
»Das gefällt mir nicht!« Adam sah sich um, seine symbiotischen Sinne sagten ihm, dass er hier nicht bleiben sollte. Dieses steinerne Grab roch nach Tod. Das konnte er sogar mit verschlossenem Visier riechen. Er dachte spontan an schottisches Dosenbier, Sex mit Luise und eine Wiese mit großen Bäumen. Die Chancen, hier unten nichts davon zu bekommen, stiegen mit jeder weiteren Sekunde, die sie dumm herumstanden. »Luise, bitte, wir können nicht warten.«
»Und … was willst du tun?«, fragte sie.
»Wir stehen hier wie auf dem Präsentierteller … du warst Polizistin. Komm schon, oder hast du hierbei ein gutes Gefühl?« In dieser Sache waren sich seine symbiotischen und die von Adam adaptierten Sinne völlig einig.
Luise nickte ihm zu. »Ed, wir brauchen eine Anweisung!«
Ed antwortete nicht.
»Fuck! Nicht schon wieder!« Aus Adams schlechtem Gefühl wuchs binnen einer Sekunde eine Scheißangst.
»ED! HÖRST DU UNS!«
Nichts. Luise bekam keine Antwort. Adam schloss seine lemorianischen Augen, nein, der Symbiot tat es. Es galt, den Moment zu verstehen. Sie hatten erneut den Kontakt zu Ed verloren. Beim letzten Mal war danach nur Scheiße über ihnen ausgekippt worden. Er hörte in sich hinein. Symbioten waren eigentlich in allen Belangen eine schwache Spezies, aber sie hatten einen guten Überlebensinstinkt. Nein, das stimmte nicht. In seiner Erinnerung verrutschten ein paar Dinge. Wenn er ehrlich zu sich war, war seine parasitäre Lebensform dumm wie ein Stück Brot. Und bei den Idioten, die auf Arcurus lebten, konnten die nachfolgenden Generationen auch kaum klüger werden. Alles, was Symbioten im Sinn hatten, war, ihren Wirt schnell unter die Erde zu bringen. Punkt. Die Zeit mit Adam hatte ihn verändert. Da war etwas Menschliches, das sich in ihm breitmachte. Er hatte es bereits scherzhaft Adamisierung genannt, aber genau das traf es. Wenn er jetzt also einen besonderen Instinkt für Gefahr entwickelte, war das Adam geschuldet. Er hatte es in der Vergangenheit geschafft, trotz seiner körperlichen Schwächen auf Londons Straßen zu überleben.
»Wir sind abgeschnitten!«, sagte Luise. Noch war in keiner der vier Richtungen etwas zu sehen. Auch die Drohne, die bei ihnen war, gab keinen Ton mehr von sich.
»Haben wir noch Kontakt mit der Drohne am Eingang?« Adam überlegte, er wollte wissen, wo sie standen.
»Nein.«
»Die anderen beiden?«
»Nichts.«
»Vertraust du mir?«
»Du Arsch, was soll die Frage … ich bekomme ein Kind von dir!« Luise verstand es nicht.
»Vertraust du mir?« Nur darauf kam es an. Menschen waren zu etwas in der Lage, was sie nahezu einzigartig machte, in ihren Sinnen konnte aus eins und eins, drei werden. Sie tickten anders, sie nutzten Erfahrung, Glauben und Wunschdenken, um aus dem Nichts etwas zu folgern. Damit lagen sie sicherlich nicht immer richtig, waren aber anderen Spezies oft einen Schritt voraus.
»Ja …«
»Raus aus der Rüstung!«
»Du bist bescheuert!«
»Ja …« Das war nicht von der Hand zu weisen, wenn man tief in Adams Sinnen steckte, musste man zwangsweise bescheuert werden. Zurück zum Thema: Im Tod auf kargem Steinboden lag so etwas schrecklich Unwiderrufliches. »Raus aus der Rüstung!«
»Du meinst das ernst, oder?«
»Oh ja.« Kein Bier, kein Sex, kein Baum, er hatte es noch nie ernster gemeint. Adam begann, die Rüstung zu öffnen. Ob man die Luft hier atmen konnte? Er würde es herausfinden. Das Visier öffnete sich, es roch faulig, hier war schon ewig nicht mehr gelüftet worden.
»Du bist verrückt!«
»Luise, raus aus der Rüstung!«, schrie er sie an. »Wenn du leben willst, höre auf mich!«
»Ich bin verrückt!« Sie hatte ihr Visier ebenfalls geöffnet. »Ich hätte mich auch niemals mit dir einlassen dürfen!«
»Hast du aber!« Adam wurde in diesem Moment auch klar, dass die unbekannte Lady, die sich mit ihm um Adams schwarze Seele geprügelt hatte, schon länger nichts mehr von sich gab. Warum schwieg sie? Sie dürfte ihn kaum tot sehen wollen. Sie wollte etwas von Adam, was sie sicherlich nicht bekommen würde, wenn er in diesem verfickten Tempel verrecken sollte. Warum schwieg sie also?
»Idiot!« Luise legte weitere Rüstungsteile ab. »Was willst du damit erreichen?«
»Überleben!«
»Ohne die Rüstung, die uns schützt?«
»Tut sie das wirklich?« Wie weit kam man mit Rutus-Hardware in einem Delos-Tempel? Er wusste es nicht, ging aber davon aus, es bald zu erfahren.
»Wie meinst du das?«
»In der Luft befinden sich Schimmelsporen.« Das konnte er schmecken, das Zeug gelangte über die Atmung in Adams Blut. Damit konnte er umgehen, er ersäufte die Eindringlinge mit seinen Sekreten. Ähnliche Sporen gab es auch auf Arcurus, gefräßige kleine Biester, er mochte sie nicht.
»Das weißt du woher?«, fragte sie.
»Mein Symbiot sagt es mir …«
»Der, der immer nur Scheiße erzählt?«
»Genau der!« Luise besaß keinen Symbioten, sie hatte von den Rutus Nanoide bekommen, die aber ebenfalls mit den Sporen klarkommen sollten.
Beide hatten jetzt die Rüstungen verlassen, beide trugen darunter nur dünne Funktionsunterwäsche und Kupferhalsbänder. Schutz bot nichts davon. Er nahm sie an die Hand und führte sie an die Seite. Es gab keine Alternative.
»Ich will meine Waffe mitnehmen!«
»Die brauchst du nicht …« Adams Intuition leitete ihn.
»Und das weißt du, weil …«
»Ich weiß es einfach.« In der Hocke sitzend, nahm er Luise in den Arm. Sie roch nach Schweiß, das mochte er. Sie ließ es sich gefallen. Beide warteten.
Lange dauerte es nicht. Die letzte Drohne sackte ein Stück ab, dann fiel das Licht aus und sie kullerte über den Boden. Dunkelheit strich durch den Korridor. Menschen hätten nichts sehen können, lemorianische Augen schon.
»Was ist das?«, flüsterte Luise, sie sah es auch. Millionen kleine grünliche Pünktchen umgaben sie. Waren die schon die ganze Zeit hier gewesen?
»Die Bewohner dieses Tempels ...« Mikroskopisch kleine Bewohner, die sich auf der Drohne und den Rüstungen absetzten. Wie auch auf der langärmligen Funktionsunterwäsche. Luise und er konnten dem nicht entgehen, sich aber dagegen behaupten. Menschen ohne ihre besonderen Fähigkeiten hätten das nicht gekonnt. Zenit122 war ein äußerst tödlicher Planet.
»Wir können dem widerstehen … aber hätten das nicht auch die Rüstungen für uns erledigt?«, fragte sie.
»Rutus-Rüstungen.«
»Von mir aus …«
»Lass uns zusehen.« Adam war sich inzwischen sicher, dass sein Instinkt ihn richtig geleitet hatte. Zuerst war es an der Drohne zu erkennen. Das Metall und der Kunststoff, aus dem sie gefertigt war, lösten sich auf. Die Werkstoffe verwandelten sich und wurden zu den winzigen grünen Sporen, die bei dieser Reaktion minimal Licht absonderten. Sehr wenig Licht, aber genug, um es zu erkennen.
»Das glaube ich nicht …« Jetzt verstand sie es. Den schweren Rüstungen, den Waffen, den Computern erging es nicht anders. Sie wurden alle zu Sporen und bewegten sich weiter. Weiter zu ihnen. Millionen von denen saßen auf ihrer Haut. Von der Funktionsunterwäsche und den Kupferhalsbändern blieb nichts übrig. Nur ihre Körper waren in der Lage, dem Angriff zu widerstehen.
»Ähm … ja.« Adam hüstelte, es zog am Hintern. Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes nur mit der nackten Haut davongekommen. Und das auch nur, weil sie schwer verdaulich waren.
»Scheiße!« Luise stand auf und sah an sich herab. So viel zum Einsatz überlegener Rutus-Alien-Technologie. »Und jetzt?«
»Kannst du sehen?«
»Klar!«
»Ich auch … komm!« Sie verließen die Kreuzung. Wie war das mit seinen Plänen? Spontan und zügellos wollte er sein, einfach tun, was ihm in den Sinn kam. Er würde kaum eine bessere Gelegenheit dazu bekommen. Bier, Sex und ein schöner Baum blieben seine Ziele, aber dafür müsste er einen Weg finden, um zu überleben. Von gefräßigen Sporen aufgefressen zu werden, gehörte nicht dazu. Er ging mit Luise weiter. Ein Mensch, eine Frau, seine Frau? Auf jeden Fall trug sie Adams Kind in sich. Er konnte sie nicht zurücklassen. War das wieder so eine Menschensache? Er war sich absolut sicher, dass noch kein Symbiot vor ihm sich bisher diese Fragen hatte stellen müssen. Das war Neuland. Er erlebte Dinge, die niemand seiner Art zuvor erlebt hatte. Er entdeckte eine neue Welt.
»Wo willst du hin?«
»Weg … weg von hier, aber wir werden das Geheimnis dieses Tempels ergründen.« Bisher hatte Luise bei ihren gemeinsamen Einsätzen immer den Ton angegeben, sogar meistens recht schroff. Das war beim Sex mit ihr auch nicht anders. So war sie und irgendwie hatte Adam seine devote Rolle akzeptiert. Änderte sich das gerade? Sie hatte ihn nach dem Weg gefragt.
»Du bist …«
»… derjenige, der uns beide rettet!« Er gab ihr einen Kuss, der sie für einen Moment sprachlos machte. Adam könnte es ihm später danken, dass der Symbiot sie für ihn zuritt.
»Ich bin …«
»Nackt … ich weiß. Es ist dunkel, uns sieht keiner … und falls doch einer spannt, du siehst gut aus.«
»Adam!«
»Weiter!« Mit Nanoiden, Symbiotensekret und lemorianischen Augen gerüstet ging es tiefer in die Pyramide hinein. Kleidung, Technik oder Waffen hatten sie keine dabei.
»Hast du überhaupt einen blassen Schimmer, wo wir sind?«, fragte Luise, als ob sie es besser wüsste.
»Nö!«
»Mir ist kalt!«
»Soll ich dich wärmen?« Es bot sich gerade an, er griff zu. Fühlte sich gut an.
»Da ist mir nicht kalt.« Sie drückte seine Hand weg. »Du bist unmöglich!«
»Wollte nur behilflich sein!«
»Wenn ich dich nicht besser kennen würde, würde ich sagen, dass du gerade gerne durch diese schwarzen Gänge gehst.«
»Nein.«
»Aber?«
»Ich tue es gerne mit dir zusammen.« Was war das denn? Fing er jetzt an, romantischen Blödsinn zu reden? Das hätte noch nicht einmal Adam getan. Er musste sich vorsehen, die Adamisierung nahm seltsame Züge an. Heilige Scheiße, nein, das wollte er nicht sagen, das waren Adams Worte. Egal, also was passierte mit ihm? Er war ein Symbiot, ein egoistischer kleiner blutsaugender Mistkerl, dem nur daran lag, seinen Wirt unter die Erde zu bringen.
»In diesen Gängen sterben?« Sie lächelte und nahm seine Hand. Jetzt fing auch noch Luise an, liebevolle Dinge zu sagen. Oh Gott, nein, hatte sie jemand übernommen?
»Wenn es so sein soll …« Adam wusste, dass es ab einem gewissen Punkt nur noch in eine Richtung ging. Nach vorne, es störte ihn nicht mehr, was ihnen alles zustoßen könnte. Was passierte, würde eben passieren. Für den Symbioten waren diese Gedanken neu. Nein, sie waren nicht von ihm. Waren sie von der unbekannten Lady, die ihn so unsanft überfallen hatte? Nein, auch das stimmte nicht. Adams Immunsystem hielt immer noch ihre Zellen in Schach. Das Patt zwischen ihnen hatte sich nicht verändert. Waren die Gedanken von Adam? Von dem Adam, den er auf der Wiese hatte sitzen sehen?
»Da ist eine Tür … siehst du sie?«, fragte Luise. Eine steinerne Tür, gut fünf Meter hoch und drei Meter breit. Bis auf die winzigen grünen Sporen gab es hier kein Licht. Sie hielt immer noch seine Hand. Die stickige Luft schmeckte abgestanden, am Boden lag eine dicke Schicht abgestorbener Sporen.
»Klar.« Die war nicht zu übersehen. Adam legte seine Hand auf die Steinplatte. War es Zufall, diese Tür gefunden zu haben, oder hätte sie jeder Weg zu einer Tür geführt?
»Eintreten?« Sie lächelte.
»Anklopfen.« Adam schlug gegen den Stein, der Klang verriet, dass sie nicht gerade dünn war.
Warten.
Nicht so lange, wie Adam es erwartet hatte. Es knarrte und die Pforte öffnete sich. Es war davon auszugehen, dass Eva einen Scheiß darüber wusste, was hier vor sich ging. Egal, wer ihnen gleich gegenübertreten würde, der oder die Person hatte einiges dafür getan, um nicht gestört zu werden. Begaben Luise und er sich in Gefahr? Oh ja, das taten sie auf jeden Fall. Adam erinnerte sich an dumme Witze, in denen der Protagonist vor seinen Schöpfer trat. Gut, das würde nicht passieren. Delos waren keine Götter.
»HALLO!«, rief er, bereit zu reagieren. Was immer er auch noch in die Waagschale legen konnte, er würde es tun.
Keine Antwort.
Hinter der Tür zeigte sich eine Halle, eine große Halle, eine scheißgroße Säulenhalle. Der Stil war nicht mehr derselbe, altägyptisch sah das hier nicht aus. Die Wände waren heller, glatter, es gab auch keine Schriftzeichen oder ähnliche Symbole. Das alles glich eher einer gigantischen Schachtel. Wohlgemerkt, eine bisher verschlossene und dunkle Schachtel.
Mit ihnen drangen auch Sporen in die Halle ein, vorher schien es hier keine gegeben zu haben. Coole Sache, sie sorgten in diesem Loch für etwas Licht.
»HALLO!« Adam versuchte es erneut.
»Hier ist niemand …«, sagte Luise. Eine enttäuschende Vorstellung, Adam hatte jemanden erwartet.
»Warum sind wir dann hier?«, fragte er.
»Weil Eva uns geschickt hat.« Eine einfache, aber treffende Antwort.
»Und wer hat die Tür geöffnet?«
»Vermutlich nur ein alter Mechanismus, den wir aktiviert haben … hier ist absolut niemand. Nichts, was wir bisher auf Zenit122 erlebt haben, wirkt gesteuert. Die Sporen hätten jeden angegriffen, unser Glück, dass wir das abkönnen. Wenn Am-hehu jemals hier gelebt hat, ist er schon ewig weg oder mausetot.«
»Du könntest durchaus recht haben …« Adam musste an seine symbiotische Vergangenheit denken und an den Parasiten, die unbekannte Lady in ihrem aktiven Immunkörpermäntelchen, die er bisher noch nicht losgeworden war. »Sehen wir, was Eva hier wollte? Hat sie diese riesige Halle interessiert? Sehen wir überhaupt etwas, worüber es sich zu berichten lohnt?«
Luise löste sich von ihm und drehte sich. Mit ihr bewegten sich die Sporen, die auf ihrer Haut lagen und den Konturen ihres Körpers einen magischen Glanz gaben. »Was siehst du?«
»Dich.«
»Sieh genauer hin …«
»Ich sehe, was ich begehre.«
»Das tun wir immer … unsere Wahrnehmung ist selektiv. Wir sehen, was wir erwarten, was wir kennen oder auch, wovor wir uns fürchten … aber dieses Bauwerk ist nicht für uns geschaffen worden. Das ist ein Grab … wie bei den Pyramiden auf der Erde.«
»Für wen?«
»Das weiß ich nicht … wir wissen nichts über An-hehu und natürlich auch nichts über seine Motive. Das hier, alles in dieser Pyramide, ist nur ein altes Relikt. Vielleicht hat es früher eine Bedeutung gehabt … heute nicht mehr.«
»War das alles Zeitverschwendung?«
»Nein.« Luise kam auf ihn zu, sie küsste ihn. »Ich habe jemanden kennengelernt, den ich zuvor nicht kannte.« Sie sanken in inniger Umarmung auf den Boden, das war kein Stein, es war Glas. Glas, unter dem sich plötzlich etwas bewegte. Etwas, was ihm gerade eine sicherlich wohltuende Abwechslung versaute.
»Da ist etwas!«
»Ich sehe es auch …« Die Sinnlichkeit verflog schneller, als sie aufgekommen war. »Was ist das?«
Adams Instinkt brüllte in seinen Gedanken, die Sporen mochten harmlos sein, das, was sich unter dem Glas befand, war es nicht. Heilige Scheiße, das Ding war riesig. Konnte er eine Art Tentakel erkennen? Ein Oktopus des Grauens, ohne Wasser, in einer Pyramide, der sie verschlingen wollte? So ein Schwachsinn!
Im nächsten Moment schlug der tobende Schwachsinn wenige Meter neben ihnen durch das Glas. Vielleicht hätte er Luises nackten Po nicht auf den Boden drücken sollen. Nein, das war noch größerer Blödsinn. Was da durch den Boden kam, war grün, über und über mit diesen winzigen Sporen bedeckt, mehrere Meter lang und sah auch beim besten Willen nur abgrundtief hässlich aus. Ob sich diese zu groß gewordene Zimmerprimel vegetarisch ernährte? Er wollte es nicht herausfinden. »LUISE! RAUS HIER! SOFORT RAUS HIER!«
Sie rannte, er tat es ihr gleich, so schnell wie er konnte. Das Tentakel-Dingens ließ den Boden förmlich explodieren. Dort, wo das armdicke Glas nach unten fiel, ging es mächtig abwärts. Mit mehr Bewegung der Sporen gab es für seine empfindlichen Augen auch mehr Licht. Beinahe schon zu viel des Guten. Der Abgrund, der sich unter ihm offenbarte, war gewaltig. Und nicht unbewohnt.
Vor ihnen brach der Glasboden ein. Luise sprang, was sie dank der Nanoiden im Blut auch sehr gut konnte. Sie überbrückte ein riesiges Stück. Ein Tentakel, das Ding sah wirklich aus wie eine Pflanze, schlug nach ihr, verfehlte sie aber. Luise landete auf einem Stück noch vorhandenen Boden, rollte sich ab und rannte weiter. Bis zur Tür waren es noch zwanzig Meter.
Adam hatte keine Wahl, er musste denselben Sprung schaffen, um nicht als Düngestäbchen in der Blumenerde zu enden. Rennen, das Symbiotische in ihm stellte ihm alle Kräfte zur Verfügung, die sein Körper aufzubringen in der Lage war. Er flog durch die Luft. Was für ein Absprung. Das Stück, auf dem er landen wollte, hatte er fest im Blick. Den Tentakel, der ihm dieses Stück zertrümmerte, nicht. Oh, es kam noch schlimmer. Das Ding aus der Tiefe besaß mehr als ein Ärmchen. Mit einem Tentakelschlag von der Seite schlug er eine andere Flugbahn ein. Da war nichts, auf dem er landen konnte. Der gesamte Glasboden löste sich in Wohlgefallen auf. Unter ihm ging es mindestens fünfzig Meter in die Tiefe. Jetzt war auch klar, aus welchem Loch die ganzen Sporen herkamen. Da unten gab es Abermilliarden von denen. Der Abgrund, der ihn umgab, wurde heller und heller.
»Adam!«, rief Luise.
Er sah sie nicht mehr. Er fiel, er fiel in die Tiefe. Das mit der Schwerkraft war echt scheiße. Da waren weitere Tentakel, die wild nach ihm schlugen. Nein, die schlugen eigentlich nach allem, was sich bewegte. Das Ding war schlichtweg eine gewaltige Pflanze, die es sich über Jahre hinweg in der Dunkelheit gemütlich gemacht hatte. Verständlich, sie wollte nur die ungebetenen Gäste vertreiben, die es direkt über ihr miteinander hatten treiben wollen.
Von unten traf ihn ein weiterer Tentakelschlag und beförderte ihn wieder in die Höhe. So hoch, dass er gezielt nach einem sehr langen Tentakel greifen konnte. Tentakelreiten war wie Bullenreiten, nur in Hardcore. Das mit dem Bullen hatte Adam in den Staaten nur einmal probiert und sich dabei tierisch auf die Fresse gelegt. Mit seinen symbiotisch gedopten Muskeln klappte es besser. Er antizipierte die Bewegung, wartete auf den richtigen Moment und ließ sich dann im hohen Bogen abwerfen. Punktlandung, er bekam zwei Meter vor der Pforte seine Beine auf den Boden und lief den Schwung aus.
»Du bist verrückt!« Luise wartete bereits auf ihn. An der Pforte waren sie sicher. Hier war der Steinboden massiv.
»Nach dir …« er schnappte sich ihre Hand und lief den Korridor entlang. Den Weg zum Ausgang zu finden, war nicht schwer, sie mussten nur ihren Spuren folgen, die sie inmitten der Sporen hinterlassen hatten. Der Ausflug in die Pyramide würde Evas Fragen vermutlich nicht beantworten können. Sie hatten Am-hehu nicht gefunden. Wahrscheinlich lebte er nicht mehr und von seinem Lebenswerk blieb nicht mehr, als eine kaum vermittelbare Liegenschaft und eine hundert Tonnen schwere Zimmerpflanze.
***