XI. Tiefenrausch

Adam rannte. Rannte gemeinsam mit Luise um sein Leben. Nein, er würde nicht in diesem Tempel verrecken. Nicht so, nicht heute, davon war er überzeugt. Der Wandel in ihm, einem Symbioten, war nicht länger zu leugnen. Das war wie ein Vertrag, ein Deal, von dem sie beide profitierten. Eine Kooperation, Adam gebührte das Leben, ihm der Tod. Beide würden sie bekommen, was sie wollten. Aber nur, wenn er diesen Scheiß überlebte.

»Da vorne ist der Ausgang!«, rief Luise, die vor ihm herlief. Nackt, das war schon nett anzusehen, kraftvoll und elegant. Als Symbiot wunderte er sich über das angenehme Gefühl, das er verspürte, wenn sie in seiner Nähe war. Das war mehr als pure Körperlichkeit. So eine Menschensache, aber das war okay.

»Weiter!« Eine andere Maxime gab es nicht, Adam wollte so schnell wie möglich diese Pyramide verlassen. Alles andere spielte keine Rolle. Nur raus hier!

»Das ist ganz schön hoch …« Luise wurde langsamer, sie waren an der Stelle angekommen, an der Adam die schwere Siegelplatte zerschossen hatte. Die Spuren konnte man nicht übersehen. Verdammt, das waren mindestens acht Meter, ohne dass es hier irgendeine Hilfe gegeben hätte, um dort heraufzuklettern. Mit den Schwebepads ihrer mittlerweile zerstörten Schutzanzüge wäre das kein Thema gewesen.

»Kannst du springen?« Adam wusste nicht, wo die Leistungsgrenze ihrer Körper lag.

»Ich versuche es …« Luise ging in die Hocke, jede Faser ihres drahtigen Körpers wirkte gespannt. Ihre Oberschenkel sahen aus wie Sprungfedern. Sie atmete aus, sie sprang, sie schnellte in die Höhe. Er hatte noch nie jemanden so hoch springen sehen. Sie reichte mit den ausgestreckten Händen bis auf eine Armlänge an die Öffnung heran. Eine enorme Leistung, doch dann fiel sie zurück auf den Boden und landete wie eine Katze. Das hatte nicht geklappt, sie schüttelte verärgert den Kopf. »Ich probiere es erneut!«

 

Einige Minuten später, Luise hatte es nicht geschafft. Das war einfach zu hoch. Leider verschafften ihr die winzigen Nanoiden nicht die Fähigkeit, zu fliegen.

»Es geht nicht …« Sie atmete heftig. »Was meinst du, gibt es noch einem anderen Weg?«

»Den gibt es immer …« Adam überlegte, eine gute Idee wäre gerade nicht schlecht gewesen. Von oben drang ein Piepen zu ihnen, beide hoben sie die Köpfe.

»Warum habt ihr euch ausgezogen ?« Das war die Stimme von Ed, übertragen durch die vierte Drohne. Sie hatten das System, das am Zugang die Stellung hielt, offenbar nicht verloren, sondern nur nicht erreichen können.

»Ist eine blöde Geschichte …«, antwortete Luise mit einem herzlichen Lächeln. Ihr ganzer Körper war mit grünen Sporen bedeckt, Adam sah nicht besser aus.

»Wir brauchen Hilfe.« Adam streckte den Arm nach oben. Die Drohne senkte sich, so dass sie sich beide auf dem Weg nach oben festhalten konnten. Luise küsste ihn dabei.

 

Luise hatte der Drohne, also Ed, alles erzählt. Die Geschichte mit den Sporen, der Rüstung, ihrer Kleidung und der 100 Tonnen schweren Zimmerpflanze auf Speed.

»Die Sporen sind höchstwahrscheinlich gefährlich … ich schicke Ausrüstung, um den Zugang zu versiegeln. Wir müssen euch beide gründlich reinigen.«

Luise nickte, im Sonnenlicht konnte man es noch besser sehen, sie sah aus wie der Grinch mit Titten. Nein, sie sah definitiv besser aus, nur war sie eben genauso grün. Die seltsamen Sporen von der Haut loszuwerden, war einfacher gesagt als getan, abstreifen funktionierte nicht und mit Wasser wurde man sie auch nicht los.

»Ich …« Adam verzog den Mund.

»Was ist?«, fragte Luise.

»Ich muss pissen.«

»Tu dir keinen Zwang an.« Sie hielt die Arme verschränkt und lehnte sich gegen die unterste Steinreihe der Pyramide, während aus einem frisch geöffneten Tunnel weitere Drohnen Ausrüstung nach Zenit122 brachten. Die würden mit dem technischen Zeug den Zugang zum Tempel versiegeln und danach Luise und ihn mit einer Drahtbürste oder so etwas abschrubben.

Adam stellte sich einige Meter abseits an einen Baum und ließ es laufen. Das erste Mal, dass er es in Adams Körper tat. Fühlte sich gut an. So befreiend. Es roch aber übel. Heilige Scheiße, das stank gotterbärmlich. Als ob er innerlich am vergammeln und seit Tagen ein toter Fisch in seiner Blase herumgeschwommen wäre. Da verlor sogar der arme Baum seine Blätter.

»Adam!«, rief Luise angewidert und drehte sich weg. Verständlich, wenn er gekonnt hätte, wäre er vor sich selbst weggelaufen.

»Ähm … sorry.« In Adams Gedanken drehten sich einige Rädchen, warum verlor der Baum seine Blätter? Das tat er wirklich, was Bäume beim angepinkelt werden ansonsten nicht taten. Auch nicht, wenn ein blasenkranker Bär seine Ladung an die Rinde setzte, also, warum konnte Adam mit seiner Pisse einen Baum entlauben? Zahlreiche Blätter regneten auf ihn herab. Das Holz knarrte, dann brach der gut einen halben Meter dicke Stamm auf und zerbröselte in einer äußerst unappetitlichen und widerlich stinkenden grünen Sporenwolke.

»Was machst du da?« Luise lief erschrocken auf ihn zu, verharrte kurz und wich wieder zurück.

»Ich habe nur …« Adam spürte, dass es mit dem Suchen nach einer Entschuldigung nicht besser wurde. Er sah nach unten, sein Ding hatte er immer noch in der Hand. Sogar an einem Stück, dem machte das grüne Zeug nichts, das er auspinkelte. Dem Baum allerdings schon und auch dem Gestrüpp in unmittelbarer Nähe. Die Sporen stammten aus seinem Körper, er hatte sie aufgenommen, als er durch die Pyramide gelaufen war. Die Sekrete, die seinen Körper vor dieser aggressiven Scheiße schützten, taten dies eben nicht für den vor seiner Nase dahingerafften Baum. Er nickte. Und für besagtes Gestrüpp, dem es nicht besser ging, auch nicht. Schlimmer noch, die Sporen lösten eine Kettenreaktion aus, die sich schnell ausbreitete. Ein wirklich widerliches Dreckszeug, alles, was die grünlichen Sporen berührten, wurde zu weiteren grünen Sporen. Der schnelle Zerfall, der um ihn herum ständig größer wurde, hatte bereits einen Durchmesser von zehn Metern.

»ED! WIR BRAUCHEN HILFE!« Adam hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

»Oh …«, hörte Adam eine Drohne mit Eds Stimme sagen. »Ich denke, du hast dir etwas eingefangen.«

»WAS!«

»Warte … ich versuche, die Ausbreitung einzudämmen.« Inzwischen waren in der Nähe über zwanzig Drohnen aktiv, kleine, die zur Aufklärung dienten und größere, massive Einheiten, die den Zugang zur Pyramide energetisch versiegelten. »Ich bilde ein Energiefeld … bleibe bitte ruhig stehen. Ich möchte dir nicht den Kopf abschneiden.«

»Das wäre nett.«

»Also Sex, mi Amor, kannst du die nächsten Tage vergessen …«, erklärte Luise, die sich das Lachen nicht verkneifen konnte. Sie stand außerhalb der Gefahrenzone, die Ed mit seiner energetischen Gegenmaßnahme eintütete. Es funktionierte, die Ausbreitung der Sporen endete in einem grün wabernden Kraftfeld.

»Und wie komme ich jetzt hier raus?«, fragte Adam, der mitten in der Pampe stand.

»Einen Moment … ich arbeite daran. Falls da noch ein paar Tropfen kommen … bitte jetzt abschütteln.« So ganz ernst nahm Ed das Problem nicht.

»Arsch!«

»Das wird funktionieren!« Ed ließ das Kraftfeld mit dem verseuchten Baum und der kontaminierten Erde energetisch komprimieren und vom Rest, der sie umgab, isolieren. Dabei löste sich Adam aus dem Müllsack für extraterrestrische Blattläuse. Genauso grün, genauso verseucht wie zuvor. »Nicht tropfen!«

»Ja.« Er hielt sich den Sack fest. Luise hatte Probleme, nicht vor Lachen auf die Knie zu gehen.

»Luise, das gilt auch für dich. Nicht tropfen, nicht schwitzen, nicht spucken … und am besten auch nicht mehr atmen als notwendig. Ihr seid beide extrem toxisch!«

»Oh …« Luise sah betroffen auf ihren nackten Bauch, natürlich sah sie ähnlich versifft aus wie er. Jetzt grinste Adam. »Und jetzt?«

»Ich überlege …«

Adam ging auf sie zu und gab ihr einen Klaps auf den nackten Po, weswegen Sporen, die dabei abfielen, am Boden umgehend eine ähnliche Kettenreaktion auszulösen drohten.

»Nicht bewegen! Nichts anfassen! Mit nichts wackeln! Am besten auch nicht reden! Könnt ihr beide bitte für eine Minute die Füße ruhig halten!«, rief Ed. Eine Drohne fing die sich ausbreitenden Sporen umgehend auf. Zwei weitere Drohnen wichen Luise und ihm nicht von der Seite. Sie isolierten sämtliche Sporen, die sich laufend weiter von ihnen lösten. Das hörte nicht mehr auf.

»Ed!«, flüsterte Luise gedrückt, das Lachen blieb ihr mittlerweile im Halse stecken.

»Ich habe eine Idee!«

»Ja, bitte!«

»Kommt!« Ed ließ Drohnen eine Art energetischen Anzug auf Luises und seinen Körper projizieren. Das sah aus, als ob sie sich transparente Plastiktüten angezogen hätten. Aber, nur das zählte, diese Maßnahme hielt die Sporen im Zaum. »Ich kann euch nicht reinigen, da eure Körper ständig neue Sporen produzieren.«

»Was!«, rief Luise erschrocken.

»Andere hätten das nicht überlebt.«

»Was für ein Segen!« Sie klang wütend.

»Das ist es wirklich. Bei dir sind es die Nanoiden und bei Adam das Symbiotensekret, beides wirkt dem Zerfallsprozess entgegen. Die Balance hält euch am Leben.«

»Und wenn ich wieder pinkeln muss?«

»Nein, Adam!«

»Habe es ja verstanden.«

»Das ist nur eine temporäre Lösung … ich werde euch auf dem Gate behandeln.«

»Gibt es die todschicke energetische Kleidung auch mit ein wenig mehr Privatsphäre?«, fragte Luise und zeigte mit den Händen auf ihren nackten Bauch. Verständlich, man sah alles.

»Gibt es … Entschuldigung. Magst du schwarz?«

»Alles … nur nicht durchsichtig«, sagte Luise, während sich ihr neuer Anzug schwarz färbte.

»Rosa bitte?«

»Ist das dein Ernst!«, rief Luise dazwischen.

»Kein Problem. Schwarz.« Ed färbte auch Adams neuen Anzug schwarz ein. Das musste so eine Frauensache sein, die manchmal einfach Dinge taten, die sie nicht gesagt hatten. »Ihr dürft euch und anderen dennoch nicht nahekommen. Die Sporen würden sämtliche Avatare auf dem Gate zerstören.«

»Geht klar …« Luise grinste, das gefiel ihr sichtlich. Adam konnte sich auch denken, warum: Mit dem Scheiß konnte sie sich sicher sein, dass er die Finger von Red lassen würde.

Adam dachte nach, das mit den Sporen war wirklich blöd. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah den Drohnen bei der Arbeit zu. Das energetische Siegel, das Ed auf dem aufgesprengten Zugang zur Pyramide hinterließ, sollte eine Weile halten. Zudem konnten die schweren Generator-Drohnen, die auf Zenit122 bleiben würden, bei Bedarf nach Hilfe rufen.

»Der Tunnel ist bereit … ihr könnt zurückkommen. Ich habe auf dem Gate einen Quarantänebereich für euch gebildet. Da seid ihr erst mal in Sicherheit.«

»Wartet …« Adam war noch nicht fertig, er sah an der gewaltigen Pyramide hoch. Dahinter begann langsam die Sonne über Zenit122 unterzugehen.

»Ja?«

Auch Luise sah ihn an.

»Wir geben auf?«

»Wie meinst du das?«, fragte Ed.

»Wir ziehen einfach ab?« Adam sah, dass sie bis auf einen in grüne Krümel gepissten Baum nichts erreicht hatten. Sie hatten auch nichts über Am-hehu in Erfahrung bringen können. Das war keine zufriedenstellende Mission.

»Zenit122 ist eine Sackgasse.«

»Sicher?« Adam war es nicht. Auch wenn er in der Schule eine Pfeife gewesen war, wusste er, dass die Bauherren solcher Pyramiden sich arge Schweinereien hatten einfallen lassen, um späteren Grabräubern den Tag zu versauen. Also das mit dem Tag versauen hatte funktioniert, das mit dem Grab leerräumen noch nicht. Er erinnerte sich, wie trickreich die Junkies in London gewesen waren, wenn sie die Haschplätzchen von Miss Jenkins nicht bezahlen wollten. Heilige Scheiße, egal, was diese elenden Motherfucker auch probierten, er hatte deren Geld- und Dope-Verstecke immer gefunden. Man musste nur denken wie ein Arschloch, dann ging es, das hatte er drauf.

»Adam?« Jetzt sah ihn seine süße und verdammt grüne Luise von der Seite an. Fuck, in der nächsten Nacht würde es keine Marsmännchen-Nummer geben.

»Wir gehen noch einmal rein …« Er hatte auch schon eine Idee, wo er erneut nachsehen wollte.

Luise verzog das Gesicht. »Du bist verrückt!«

»Ja.« Ein Symbiot, der vorgab ein Mensch zu sein, weil sein Wirt im Lala-Land saß, hatte sich dieses Adjektiv redlich verdient. Alles hier war völlig verrückt!

»Bist du dir sicher?«, fragte Ed. »Ich denke nicht, dass Eva das von dir verlangen würde.«

»Eva oder du?«

»Okay … deine Entscheidung.«

»Luise, du musst nicht mitkommen … ich gehe auch alleine.« Adam hatte sich entschieden.

»Arschloch!« Sie schlug nach ihm, traf ihn aber nicht. »Nee, mein Freund, auf dich passe ich auf!«

»Adam, ich hefte dir die Drohne an den Rücken. Sie schützt dich und sich selbst vor den Sporen. Zudem kannst du mit ihrer Hilfe kurzzeitig fliegen. Achte auf die Energie, die Anzeige dazu siehst du auf dem Handrücken. Du hast drei Stunden, wenn du es übertreibst, auch weniger. Ich vermute, dass unsere Verbindung, sobald ihr tiefer in die Pyramide vordringt, erneut kollabieren wird. Alles Gute. Ich hoffe wirklich, dass es das wert ist.«

»Ich auch …« Adam ging zu der Öffnung und sprang, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, in das Loch. Ihm war klar, dass ihn seine Sturheit früher oder später den Kopf kosten würde.

Er segelte langsam auf den staubigen Grund, ging einen Schritt auf die Seite und machte Luise Platz. Auf sie musste er nicht lange warten. Er hatte nicht ernsthaft erwartet, dass sie ihn alleine in die Pyramide zurückkehren ließ. Dafür kannte er sie zu gut. Keiner von ihnen konnte aus seiner Haut.

»Diesmal ein anderer Weg?«, fragte sie.

»Nein.« Adam folgte den Fußspuren, die Sporen hier sorgten für ein schwaches, aber für ihre Augen ausreichend helles Licht. »Ich will wieder zu der fetten Pflanze.«

»Die hat mit elendig langen und tonnenschweren Tentakeln nach uns geschlagen!«

»Aber nicht getroffen … also halb so wild.« Luise kratzte ihn auch und er konnte die Finger nicht von ihr lassen. Das war, was Sturheit ausmachte, schlicht Dinge wiederholen, von denen man wusste, dass sie eigentlich nicht funktionierten.

»Du bist verrückt!«

»Oh ja!«

Es ging weiter in die Tiefe. Auf dem Weg gab es keine Besonderheiten, alles war wie beim letzten Mal. Eine kurze Vibration zeigte an, dass die Pflanze noch aktiv war.

»Hat das Ding gerade gefurzt?«, fragte Luise.

»Nein, nein … bestimmt nicht.« Heilige Scheiße, er wollte Luise nicht beunruhigen, aber das hatte sich wirklich wie ein gewaltiger Furz angehört.

»Wieso frag ich eigentlich …«

»Du bist aufmerksam.«

»Und du ein Idiot!« Luise verfehlte ihn wieder, mit diesen halbherzigen Schlägen wollte sie ihn nicht wirklich treffen. Das war ihre Art, ihm zuzustimmen.

 

Es dauerte nicht lange, da standen sie erneut an der Pforte. Die immer noch offen stand. Immerhin, noch waren keine Tentakel zu sehen, die den Kitt aus dem Mauerwerk schlugen. Dieses tonnenschwere Pflanzen-Vieh war ruhig. Nun gut, das war es bei ihrem ersten Besuch anfänglich ebenfalls gewesen.

»Und jetzt?«, fragte Luise. Sollte inzwischen nicht bereits klar sein, was er vorhatte?

»Ich springe …« Adam nahm einige Schritte Anlauf, er wollte sicherlich nicht zu lange über den Plan nachdenken. Er handelte spontan, so wie es ihm gerade in den Sinn kam. Das war es, was Leben ausmachte, er ließ es geschehen.

»WAS!«

»Du kannst hier warten.« Ihr das Gegenteil vom dem, was sie tun sollte, zu sagen, funktionierte meistens.

Adam flog durch die mit Millionen grüner Sporen verseuchte Luft. Er atmete das Zeug immer noch ein. Eds energetische Pampers lieferten keine Atemluft, sie sorgten nur dafür, dass nichts Ätzendes von ihm auf dem Boden landete.

»Ich hasse dich!« Sie sprang ihm umgehend nach. Das mit dem Hassen meinte sie nicht so.

Er sah nach unten, die riesige Pflanze bewegte sich nicht, sie segelten langsam darauf zu. Das Ding wirkte aus der Nähe noch größer als von oben. Die gräulich-grünen Tentakel dürften an den dicksten Stellen über einen Meter stark sein. So etwas wie ein Kopf war nicht zu erkennen. Rechts von ihnen schien sich nun etwas zu bewegen. Das Monster hatte sie bemerkt. Es wachte auf.

»Wir sollten nicht lange bleiben!« Das war der Plan, den er gerade anpasste. Adam ging nicht davon aus, mit dem Vieh die Situation erörtern zu können. Sie mussten sofort weiter, um nicht als blutiges Relief an der Mauer zu landen.

»Ach was!«

»Sieh dich um!« Adam tat das gleiche. »Hier muss es eine Tür geben! Die müssen wir finden!«

»Das ist dein Plan?«

»Gut, oder?«

»Adam Doit! Ich bringe dich um!« Während Luise ihn bedrohte, schlug bereits der erste wüste Tentakelhieb ins Leere. Ein geschickter Kämpfer war das Ding nicht. Ähnlich wie der 250 Pfund schwere Arsenal-Fan, der nach einer Schachtel Haschplätzchen auf Ex, seine nicht minderschwere Freundin aus dem Fenster geworfen hatte. Die fette Tonne wäre damals fast auf seiner Motorhaube gelandet. Mann, war das knapp gewesen, sie hatte zum Glück nur die verrostete Regenrinne abgerissen, eine Laterne abgeknickt und den mit Hundescheiße verschmierten Hydranten im Bürgersteig versenkt.

»Später …« Adam stand wieder auf seinen Beinen, jetzt wurde das Vieh richtig sauer. Luise landete fünf Meter neben ihm und, was kaum zu glauben war, direkt vor einem Torbogen. Sein Schätzchen hatte es wirklich drauf.

»HIER!«, brüllte sie.

»LAUF!« Über die weitere Wahl des Weges bestand im Moment kein Diskussionsbedarf. Die Pflanze hatte zahlreiche Tentakel, die nun über ihnen wild durch die Luft schlugen. Und sie wild verfehlten. Luise verschwand als Erstes durch den Torbogen, Adam ließ nicht lange auf sich warten. »WEITER!«

Hinter ihnen schlug ein Tentakel ein tonnenschweres Bruchstück aus dem Torbogen. Genau wie bei dem Arsenal-Fan, der hatte Adam damals mit einem rechten Schwinger köpfen wollen, aber in seiner stinkigen Bude nur seine eigene Zwischenwand perforiert. Erst, als Adam ihm mit einer Bratpfanne den linken Meniskus einmal um das Knie herumgedroschen hatte, war der säumige Kunde bereit gewesen, mit Adam die Begleichung seiner Schulden zu erörtern. Miss Jenkins hatte für dieses ungebührliche Gebaren kein Verständnis, ihre in der Stadt legendären Haschkekse gab es nicht umsonst.

»Den Wachhund haben wir geschafft!«, sagte Luise.

»Wachpflanze.«

Sie ging weiter. »Und jetzt?«

»Möchtest du nicht wissen, was jetzt kommt?« Adam folgte weiteren Treppen, die in die Tiefe führten. Sein Instinkt hatte sie bis hier geführt, es ging weiter.

»Doch!«

»Siehst du.« Adam sah an ihrer Schulter einen tiefen Schnitt. »Bist du verletzt?«

»Das war ein scharfes Bruchstück … hat wehgetan.« Sie schien sich an dieser Verletzung nicht weiter zu stören. Verwunderlich, der Schnitt war so tief, dass er den Knochen sehen konnte. Das hatte Eds energetische Kleidung offenbar nicht verhindern können, das Loch in der Schulter wirkte riesig.

»Die Nanoiden?«

»Sie heilen mich … das geht schnell.« Zuerst verschloss sich die Wunde, dann die energetische Kleidung. Sekunden später war von der schweren Verletzung nichts mehr zu sehen.

»Energiestand: 67 Prozent.« Adam sah auf seinen Handrücken, er sollte besser aufpassen, seine symbiotischen Sekrete waren zu solchen Tricks nicht in der Lage.

 

Der Marsch in die Tiefe ging weiter. Der Boden wurde sauberer, was an weniger Sporen lag, die hier herumlagen. Das bedeutete leider auch, immer weniger von den langen Korridoren und Treppen erkennen zu können. Eine andere Lichtquelle gab es nicht.

»Ich sehe kaum noch etwas …« Adams Augen brauchten zumindest ein wenig Licht.

»Geh vor … ich sehe dich. Die Sporen an dir leuchten, das reicht mir, um zu sehen, wo wir sind«, erklärte Luise, deren lemorianische Augen besser waren als seine.

 

»Siehst du wirklich noch etwas?« Adam tat es nicht mehr. Alles war schwarz. Die Luft schmeckte überraschend feucht, was viele Gründe haben konnte. Gegen Ertrinken half sein Symbiotensekret auch nicht. Es blieben zahlreiche Optionen, hier unten zu sterben und auch die nächsten Jahre nicht gefunden zu werden.

»Dich … ich habe dich im Blick.«

»Gut …« Er ging weiter, Luises Worte konnte man durchaus zweideutig verstehen.

»Nach rechts …« Sie gab die Richtung vor. Wäre er alleine aufgebrochen, wäre er jetzt im Arsch gewesen. »Gleich kommt eine Treppe. Noch vier Schritte.«

Er hörte auf sie und ging die Treppe herab. Etwas veränderte sich, er glaubte, in einiger Entfernung ein schwaches Rauschen hören zu können. Ein Wasserlauf könnte so klingen. Solange das Zeug nicht in den Korridor lief, würde er damit keine Probleme haben.

»Hörst du das?«, fragte sie.

»Ja.«

»Es gibt keine weitere Abzweigung … wir folgen dem Korridor. Gleich kommt eine Treppe. Zieh den Kopf ein, da ist eine Wurzel, die einen Weg durch den Stein gefunden hat.«

»In der Tiefe?«

»Offenbar …« Luise kam näher, er konnte sie riechen. Sie berührte seine Hand und ging direkt neben ihm. »Hast du eine Idee, was dieser Am-hehu hier unten verstecken wollte?«

»Bestimmt einen legendären Goldschatz.« Adam stellte sich gerade den glitzernden Haufen vor, auf dem er, dann unvorstellbar reich, nach dem Fund einen Freudentanz machen würde.

»Männerträume …«

»Ja.« Ein Traum von Adam, Symbioten waren Gold und Juwelen völlig egal.

»Weitere Ideen?«

»Einen Harem, voller …«

»Ich nehme den Goldschatz.« Luise hielt ihre Hand vor seine Brust, sie wurde langsamer. »Einen Moment ...«

Adam wartete.

»Da ist etwas!« Sie ging in die Hocke.

Er tat es ihr gleich. Sehen konnte er in diesem schwarzen Loch überhaupt nichts.

Das hörte sich an, als ob kleinere Steine gegeneinandergeschlagen wurden. Funken sprangen und brachen kurz die Dunkelheit. Da entzündete jemand eine Fackel. Das durch die Flammen entstehende Licht war für Adams lemorianische Augen hell wie eine prächtige Harrods-Schaufensterbeleuchtung an einem verkaufsoffenen Adventssamstag an der Brompton Road.

Der Funkenschläger wirkte menschlich, er konnte sie trotz seiner Fackel nicht sehen. Der Mann, er trug einen Speer, war nicht allein. Die waren zu dritt und jeweils mit weiteren, noch nicht entzündeten Fackeln und Speeren ausgerüstet.

»Fackeln und Speere?«, flüsterte Luise und stand auf. »Hey, ich glaube es nicht.« Sie ging ihnen entgegen.

»Vielleicht wohnen die hier …« Adam folgte ihr, die Männer waren kleiner als Luise und hatten ungefähr seine Größe. Wirklich bedrohlich sahen sie nicht aus. Bei allem, was hier unten zu erwarten gewesen wäre, diese Truppe war nicht dabei gewesen.

Jetzt sah auch das Trio Luise auf sie zumarschieren, weswegen sie sofort ihre Speere nach vorne streckten.

»Halt! Wer seid ihr! Bleibt sofort stehen!«, rief einer der Männer, der Stimme nach noch nicht sonderlich alt. Seine Haut war blass, man konnte feine Äderchen erkennen. Der kam vermutlich nicht oft an die Sonne.

»Hast du ihn auch verstanden?«, fragte Luise, die verwundert stehen blieb.

Adam lächelte, natürlich verstand er sie. Das Symbiotensekret ließ ihn so gut wie alle bekannten Sprachen verstehen. Der Dialekt des Kriegers klang zwar etwas seltsam, war aber definitiv eine Sprache, die er kannte. Sogar inzwischen perfekt verstehen, lesen und sprechen konnte. »Die sprechen Delos.«

 

***