XII. Condition 1 - Hide

Ich fliege in einem Flugzeug. Mein Atem ist ruhig. Der Klang der Stille inspiriert mich. In meiner Hand halte ich eine Tasse Kaffee, natürlich mit Milch und Zucker. Peter hat sie mir gegeben, er bemüht sich um mich. Kaffee zu trinken ist ein Genuss, Peter ist es nicht. Menschliches Leben ist vergänglich, in den Details liegen die besonderen Momente. Sie zu erleben, bestärkt meinen Weg.

»Du schaust so nachdenklich … was ist passiert? Habe ich etwas falsch gemacht?« Peter sitzt mir gegenüber, warum schweigt er nicht? Er soll weiter auf meine Beine starren, ich trage einen Rock, solange er dann zumindest nicht redet.

»Peter, ich bin müde … gib mir eine Pause.« Ein Satz, den Megan früher schon benutzt hat. Er hatte sie früher schon mehr als einmal genervt. Ob sie es bereut hatte, mit ihm zu schlafen? Ich denke schon. Megan wollte ihn loswerden, ich werde diesen Wunsch respektieren.

»Ich meine ja nur …«

»Peter, hast du das FD-258 schon überprüft?« Ich werde ihm eine Aufgabe geben. Das oder ihn töten. Ich denke kurz nach. Besser die Aufgabe.

»Fingerabdrücke?«

»Ja.« Die interessierten in diesem Fall niemanden, es gab keine ungeklärten Identitäten.

»Aber …«

»Peter, mache es! Jetzt sofort!« Ich sehe auf meine mechanische Armbanduhr. Sie ist alt. Megans Mutter hat sie Megan geschenkt. »Wir sind noch 40 Minuten in der Luft. Das reicht, wenn wir landen, kannst du es bereits erledigt haben.« Und mir dabei vierzig Minuten aus dem Weg gehen.

»Ja, Ma’am!« Er steht auf. Endlich. Der Wunsch, ihn zu töten, wächst, ich unterdrücke ihn. Ich möchte Megan Serans Identität bis zum finalen Ruf behalten. Bis dahin werde ich sein wie sie, niemand wird den Unterschied bemerken.

 

Das Flugzeug landet. Ich bin in San Francisco. Peter redet nicht mit mir, sehr gut, er ist wütend. Auf meine Beine starrt er dennoch. Wir verlassen die Maschine. Auf dem Rollfeld steht ein Wagen bereit. Eine Sache will ich noch tun. Ich ziehe meine Lederhandschuhe zurecht, sie zu tragen ist wichtig.

»Peter?«

Er dreht sich erwartungsvoll zu mir, er hofft immer noch, Megan erneut berühren zu dürfen. Dabei lebt sie nicht mehr. Selbstverständlich versteht er nicht, dass eine Berührung von mir, nur ein Kuss, sein Leben beenden würde. »Ja.«

»Unsere Ausrüstung …«

»Ist im Flugzeug … warum?«

»Ich möchte, dass du jede Kiste überprüfst.« Eine bessere Chance, ihn für eine Stunde loszuwerden, sehe ich nicht.

»Auf dem Rollfeld?«, fragt er mit einem schief gezogenen Gesicht. Megan hat ihn früher nie wie einen Idioten behandelt. Obwohl er es ist. Sie hätte es bereits beenden sollen.

»Ja, bitte!«

»Das ist nicht dein Ernst?«

»Doch.«

»Das kann auch jemand anderes machen!« Er zeigt auf den Piloten, der gerade die Maschine verlässt.

»Peter … ich habe für die Ausrüstung unterschrieben. Sie ist sehr teuer, das weißt du besser als ich. Deshalb gebe ich dir den Auftrag, sie zu überprüfen.«

»Ja, Ma’am.« Mit einem Gesicht, als ob er gerade in eine Zitrone beißt, fügt er sich.

 

Der Wagen verlässt den Flughafen, an einer Sicherheitskontrolle abseits des Terminals überprüft eine Polizistin die FBI-Ausweise des Fahrers und meinen. Es gibt keine Probleme. Wir fahren weiter. Bereits nach dreihundert Metern stehen wir im Stau. Die Blechschlange überragt mein Blickfeld. Der Himmel im November ist grau. Willkommen zurück in der Großstadt.

Mein Blackberry meldet sich, Megan mochte das Ding nicht. Das FBI hat die brandneuen Geräte erst vor Kurzem an alle Agenten im Außendienst ausgegeben.

»Hi Mum.« Ich nehme das Gespräch an, es ist Megans Mutter. Sie lebt in Miami, dort ist es bereits drei Stunden später. Megan hat ihre Mutter geliebt.

»Kleines, wie geht es dir?«

»Mum, ich bin auf dem Weg ins Büro … warum rufst du an, es ist doch nichts passiert, oder?« Ich gebe mich wie eine liebende Tochter, so wie Megan es getan hätte. Niemand wird mich entdecken. Ich werde mich verbergen, bis ich gerufen werde. Das ist mein Auftrag, den werde ich erfüllen.

»Mir geht es gut. Scooter geht es auch gut, er vermisst dich … das tue ich auch.« Megans Mutter fängt an zu weinen, natürlich geht es ihr nicht gut. Die Versetzung ihrer Tochter an die Westküste hat ihr immer zu schaffen gemacht. Scooter ist ein zwölfjähriger belgischer Schäferhund, ein Polizeihund im Ruhestand, halb blind und mit einer kaputten Hüfte. Seit dem Tod von Megans Vater der einzige Mann in ihrem Haus. Er ist Hundeführer gewesen.

»Ich versuche, vorbeizukommen … okay?« Ich merke, dass Megans Mutter eine empfindliche Flanke an meiner neuen Identität ist. Ich werde mich um sie bemühen. Einen Menschen zu täuschen, ist leicht, bei Hunden ist es schwieriger.

»Nächstes Wochenende?«, fragt sie wie ausgewechselt.

»Ich versuche es … Mum, bis später. Ich liebe dich. Bitte kraule auch Scooter von mir.« Ich küsse meinen Blackberry. Auf dem Display des Telefons kann ich den Abdruck meiner Lippen erkennen. Menschliche Gesten sind skurril.

»Ich liebe dich auch.«

Ich lege auf.

»Mütter …«, sagt der Fahrer, er hat zugehört.

»Ich werde im Office an der Golden Gate Avenue erwartet. Nutzen Sie die Zufahrt über die Turk Street.« Ich beende das Gespräch mit dem Fahrer, bevor es beginnt.

»Ja, Ma’am.«

 

Ich verlasse das Fahrzeug, das monolithische Gebäude ragt zwanzig Stockwerke vor mir in die Höhe. Ich bleibe stehen, sehe nach links. Warum? An diesem Tag ist nicht viel los. Ich versuche, die Szenerie zu analysieren, kann aber nur wenige Passanten ausmachen. Ein Mann sieht mich an, jetzt dreht er den Kopf weg. Kennt er mich? Kennt er Megan Serans? Sie kannte ihn nicht, nein, ansonsten wüsste ich es. Was will er von mir? Er ist in meinem Alter, schlank, groß gewachsen, dunkelhaarig und trägt einen Anzug. Das tun viele Agenten. Arbeitet er für das FBI? Ich gehe auf ihn zu und werde ihn fragen. Ich will wissen, wer er ist. Ich muss es wissen.

Der Mann reagiert und geht weiter. Er wechselt die Straßenseite. Ein USPS-Lieferwagen bremst für ihn ab und lässt ihn passieren. Ich folge ihm. Die dunkelhäutige Fahrerin winkt mir zu, sie lässt auch mich freundlicherweise über die Straße gehen. Ich nicke ihr zu, das tun Menschen so.

Wer ist dieser Mann? Bedeutet er Gefahr? Zwischen uns liegen fünf Meter, er sieht nicht zurück. Ich werde nicht schneller, wohin will er? Das werde ich in Erfahrung bringen, bei der Mission kann ich mir keine Fehler erlauben. Ich werde den Ruf erhalten, nicht andere, es ist meine Mission. Ich werde obsiegen.

Auf der anderen Seite gibt es eine Autovermietung. Er betritt das Büro, ich warte auf dem Bordstein. Mittlerweile reagiert er nicht mehr auf mich, das kann verschiedene Gründe haben. Da gibt es keinen, den ich nicht in Erfahrung bringen werde.

 

Er verlässt das kleine Büro und geht in die Garage. Ob er sich einen Mietwagen nimmt? Ich folge ihm. Uns trennen zehn Meter. Er sieht nicht zurück. Niemand sonst reagiert auf uns. Unter meinem Jackett befindet sich eine Waffe. Die werde ich nicht brauchen. Schießen würde mich verraten.

Er öffnet eine Tür, dahinter nimmt er die Treppe zur oberen Etage. Ich folge ihm. Auf dieser Ebene stehen zahlreiche Mietfahrzeuge. Er geht auf eine schwere Mercedes Limousine zu, ein teures Fahrzeug, was nicht dafür spricht, dass er für das FBI arbeitet. Mit einem Funkschlüssel öffnet er die Tür bereits aus mehreren Metern Entfernung. Er setzt sich in den Wagen. Ich beschleunige meinen Schritt, gehe auf die Beifahrerseite und steige ein.

»Ähm … wer sind Sie?«

Ich lächele. »Wir kennen uns.«

»Aber …« Er überlegt. Echt oder gespielt? Mit Worten würde ich diese Frage nicht klären können.

Ich beuge mich zu ihm, er zuckt zurück. Dann küsse ich ihn, jetzt reagiert er und greift mit den Händen an meinen Hals. Will er mich etwa erwürgen? Dafür ist er zu langsam, viel zu langsam. Bereits eine Sekunde später erschlaffen seine Arme. Der Kampf ist entschieden. Ich lasse von ihm ab. Sein Kopf hängt kraftlos auf der Seite, Speichel tropft ihm aus dem Mund.

»Sag mir, wer du bist?« Auf dem Beifahrersitz zupfe ich mir das Kostüm zurecht.

»ID715557C5.«

»Deine Identität?«

»Der Mann betreibt einen Weinhandel.«

»Warum hast du mich beobachtet?« Meine Zellen dominieren im Körper meines Gegners.

»Ich habe auf FBI-Agenten gewartet«, antwortet er mit monotoner Stimme. Der Mensch in ihm ist bereits tot, er ist es gleich auch. Die Zahl nach dem Buchstaben, fünf, sagt aus, wie viele Menschen bereits von derselben ID übernommen wurden. Das sind Klone. Ich akzeptiere keine Klone.

»Weißt du, wer ich bin?«

»Nein.«

»Hat sich der Cluster bereits gebildet?«

»Ja.«

»Wird es ein Treffen geben?«

»Ja.«

»Wo?«

»In meinen Lagerräumen.«

»Wann?«

»Heute Abend.«

»Gib mir deine Visitenkarte.«

»Hier.«

»Ich nehme mir dein Wissen …« Ich stecke ihm meinen Finger in den Mund.

»Ja.«

»Danke.« Mir ist nun bekannt, wer die große Aussaat überstanden hat. Millionen von uns sind gestartet, aber nur sieben haben die Erde erreicht und konnten Menschen übernehmen. ID715557C5 ist einer von siebzehn im Cluster bekannten Klonen. Es können mehr werden. Das möchte ich nicht. Der Ruf wird mich erreichen, nicht die anderen. Ich werde einen Weg finden, den Cluster anzugreifen. »Hör mir jetzt gut zu. Ich gebe dir einen neuen Auftrag.«

»Ja.«

»Ich werde dich verlassen. Du wartest im Wagen. Warte zehn Minuten. Ruf dann dein Büro an. Rede über deine Geschäftstätigkeit, dann klagst du über Brustschmerzen und stirbst an einem Herzinfarkt. Im Sterben wirst du meine Zellen passivieren. Hast du verstanden, passivieren, nicht neutralisieren.«

»Ja.«

 

Ich sitze an meinem Schreibtisch und arbeite an meinem Computer. Die Situation hat sich verändert, ich muss meinen Plan anpassen. Ich werde nicht nur den Ruf erhalten, ich werde auch dafür sorgen, dass ich bestens auf den großen Kampf vorbereitet bin.

»Mit der Ausrüstung war alles in Ordnung …« Peter betritt mein Büro, ich brauche ihn. Er steht vor meinem Schreibtisch, ob er etwas von mir erwartet?

»Danke.« Ich stehe auf, ziehe mir den Rock zurecht und gehe auf ihn zu. Er zuckt mit dem Augenlid. »Peter, entschuldige, ich habe heute Nacht schlecht geschlafen.«

»Ähm …«

»Ich werde es wiedergutmachen. Versprochen.« Ich küsse meinen Finger und lege ihn ihm auf die Lippen.

»Wieder gut …« Weiter kommt Peter nicht. Er weicht drei Schritte zurück und setzt sich auf ihren Besucherstuhl. Peter lebt nicht mehr, sie spricht mit sich selbst.

»Peter, wir werden keinen Sex haben.«

»Ja.«

»Ich habe den Bericht aus Santa Rosa geändert.«

»Ja.«

»Gehe bitte an deinen Computer und bestätige meine gesicherten Beweise. Ich habe sie verändert.«

»Ja.«

»Dann wirst du unten zum medizinischen Dienst gehen und dich krankmelden!«

»Ja.«

»Die werden dein Blut analysieren.«

»Ja.«

»Halte dich von anderen fern. In einer Stunde stirbst du.«

»Ja.«

»Du kannst gehen.«

 

Die Sache läuft. Ich stehe vor Hueys Büro, dem Chef des FBI in San Francisco. Ich klopfe. Er erwartet mich.

»Herein …«

Ich öffne die Tür.

»Megan.«

»Hi Boss.« Huey kannte ihren Vater und somit Megan bereits als kleines Mädchen.

»Du wolltest mich sprechen …«

»Die Sache in Santa Rosa … ich habe mir die Ergebnisse noch einmal angesehen. Ich habe es zuerst nicht verstanden … da gibt es noch etwas, was ich klären möchte.«

»Megan, du bist vermutlich das klügste Mädchen in diesem Bunker voller Bullen. Wenn du etwas nicht verstehst … sehen andere noch dümmer aus. Was hast du gefunden?« Huey war, als Megans Mentor, an ihrer Karriere nicht ganz unschuldig.

»Möglicherweise ein Designervirus. Huey, bitte, ich möchte nicht die Pferde scheu machen und ich entschuldige mich jetzt schon, falls ich mich irre, aber wenn nicht … haben wir wirklich ein Problem.« Huey vor sich selbst zu warnen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

»Was brauchst du?«

»Laborkapazität.«

»Kriegst du …« Hueys Telefon klingelt, er hebt ab. »Karen … ich melde mich gleich.« Karen sitzt vor der Tür und hütet dieselbe.

»Wir müssen schnell sein … ich habe Beweise sichergestellt. Kann auch nur Zufall sein, aber ich habe bei einem der Opfer aus dem Hafen eine Visitenkarte gefunden. Ein Weinhändler aus dem Dry Creek Valley … irgendwie habe ich bei dem ein ganz schlechtes Gefühl. Das sollten wir uns ansehen.«

Es klopft an der Tür, Karen kommt herein.

»Director …«

»Ja, Karen.« Karen ist bereits etwas älter und runder. Sie trägt eine Brille, sie ist eine sehr fähige Person. Ihr obliegt die Ehre, die Alarmglocke zu schlagen.

»Die Krankenstation. Dr. Peter Thomson ist kollabiert, die wollen von Dr. Serans wissen, was sie mit ihm machen sollen!«

»Scheiße!« Ich schlage erschüttert auf den Tisch. Peter liefert das Stichwort. »Lockdown! Wir werden umgehend das ganze Gebäude dichtmachen!«

»Director?« Karen sieht Huey an.

Der nickt. »Tun Sie, was Dr. Serans sagt!«

Die Spiele können beginnen.

 

Zwei Stunden später. Peter lebt nicht mehr. Ein tragisches Opfer, aber ein überzeugender Assistent. Ich habe dem Labor erklärt, was sie suchen sollen. Natürlich haben sie es gefunden. Verständlich, ich habe Peter schließlich selbst infiziert. Auch Karen, Huey, ich und andere im Gebäude wurden getestet. Meist negativ, was bei vielen für große Erleichterung sorgte. Weniger bei denen, die ebenfalls positiv getestet werden. Nicht weil ich sie infiziert hätte, nein, dafür war das emsige Schaffen der anderen IDs verantwortlich. Mit den genetischen Markern, die ich für die Suche bereitgestellt habe, erwischt das FBI jeden von denen.

Ich bin inzwischen in der Lage, das Genom meiner Zellen eigenständig zu manipulieren. Das Genom erklärt mir nicht mehr, was ich zu machen habe, ich tue es. Biologisch habe ich in einer Symbiose mit Megan ein neues Genom gebildet und dem FBI mein ursprüngliches Erbgut ans Messer geliefert. Deshalb sind meine Opfer im Hafen und die der anderen IDs eindeutig zu identifizieren.

Der Weinhändler, den man mit einem Herzinfarkt gegenüber im Parkhaus gefunden hat, fügt sich mit meinem passivierten Genom ebenfalls in die dramatische Geschichte ein. Ich liebe Geschichten, in denen ich der Held bin.

»Meine Damen, meine Herren, ich erkläre Ihnen die Lage.« Ich eröffne die Videokonferenz. Zahlreiche Experten der Sicherheitsbehörden sind mir zugeschaltet. Huey sitzt neben mir, er lässt mich das Gespräch beginnen. Megans Vater wäre stolz auf das Renommee gewesen, das ich dem Namen seiner Tochter verschaffe.

»Sie haben bereits Informationen über den Stand unserer Arbeit erhalten. Das CDC in Atlanta und die WHO übernehmen die nationale und internationale Kommunikation.« Ich halte es für den besten Weg, zentrale Fehleinschätzungen über mich selbst zu verbreiten. Diese Aufgabe möchte ich keinem Dritten überlassen.

»Dieses Virus ist anders. Anders als alles andere, was wir bisher erlebt haben. Der Marburg-Virus, Ebola, Hanta, Vogelgrippe, Lassa, Junin, Machupo, KFD und das Dengue-Fieber besitzen jeweils ihren eigenen Schrecken, eine hohe Todesrate und basieren meist auf der typischen Tröpfchen-Infektion. Covid-19, ein SARS-Erreger ist weniger tödlich, dafür aber hochansteckend und kann über Aerosole übertragen werden.« Bis hierhin habe ich den Zuhörern nichts erzählt, was sie nicht bereits wussten.

»Der Santa-Rosa-Virus, ein Arbeitsname, überträgt sich nicht über Aerosole, das ist die gute Nachricht. Die weniger gute ist, dass eine Vielzahl von verschiedenen Krankheitsverläufen möglich ist und der Virus mit bisherigen Testmethoden nicht nachzuweisen war. Für die potenzielle Tödlichkeit liegen uns noch nicht genug Daten vor. Bisher gab es sowohl schwere Blutungen wie auch Herzinfarkte.« Mein Mund ist trocken, ich trinke einen Schluck Wasser.

»Beunruhigend ist, dass wir bei bisher positiv Getesteten, die noch leben, darunter Agenten des FBI, dramatische Veränderungen der Persönlichkeit festgestellt haben. Die Betroffenen handeln nicht mehr wie erwartet, sondern agieren konspirativ, um für eine weitere Ausbreitung des Virus zu sorgen. Uns liegen Informationen vor, dass es zu mutwilligen Ansteckungen kam, obwohl die Betroffenen in ihrer Vita keinerlei Verbindungen zu extremistischen Kreisen unterhielten. Auch andere soziale Merkmale, die auf Extremisten hinweisen, treffen bei diesen Personen nicht zu.«

Ich verschweige, dass der Santa-Rosa-Virus nicht von der Erde stammt, über ein eigenes symbiotisches Bewusstsein verfügt und gerade mit den Zuhörern gesprochen hat. Vermutlich hätte es das Aufnahmevermögen der meisten überfordert.

 

Stunden später. Ich habe mein eigenes Genom verraten. Auf der ganzen Welt wird man zukünftig IDs, die mit mir auf die Erde kamen, identifizieren und isolieren können. Menschen mit einem Gedanken zu infizieren, sie aus Angst die Arbeit für mich machen zu lassen, war effektiver, als für milliardenfaches Nasenbluten zu sorgen. Wer nichts von mir weiß, wird mich auch niemals bekämpfen können.

»Dr. Serans, wir sind bereit«, erklärt der bewaffnete Agent aus einem Einsatzwagen im Dry Creek Valley über Funk. Ich war in San Francisco geblieben. Wenn der Einsatz schieflief, wollte ich nicht danebenstehen. Heldentum wurde in diesem Kampf selten belohnt.

»Denken Sie daran! Kein Körperkontakt! Kein Kontakt mit Körperflüssigkeiten! Keine Diskussionen! Wir sammeln dort keine Bibelgruppe ein. Diese Personen sind gefährlich und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kooperativ!«

»Ma’am, ich habe meinen Agenten die Einsatzregeln persönlich erklärt. Jeder weiß, um was es geht. Wer von uns kontaminiert wird, wird sofort aktiv isoliert.«

»Sie wissen, was das bedeutet?«

»Ja, Ma’am.« Im Zweifelsfall haben die Agenten den Befehl, auf eigene Leute zu schießen.

»Zugriff!« Ich lehne mich zurück. Es kann nur einen geben. Das FBI wird meine Mitstreiter aus dem Rennen nehmen. Ich werde obsiegen. Niemand wird mir meine Mission streitig machen. Nur ich kann jetzt noch den Ruf erhalten.

 

Tage später. Ich lebe. Die anderen tun es nicht. Mit dem beherzten Eingreifen und der transparenten Kommunikation habe ich mir und dem FBI in San Francisco einen guten Namen verschafft. Es ist zu keinen weiteren Ansteckungen gekommen. Ich habe gewonnen. Der Ruf ist allerdings noch nicht erfolgt.

»Megan, Kleine … ich freue mich so, dich zu sehen!« Die alte Dame ist einen Kopf kleiner als ich.

»Hi, Mum.« Ich lächele und küsse Megans Mutter. Ein Kontakt mit mir ist nur ansteckend, wenn ich es möchte. Solange ich auf meinen Ruf warte, werde ich Megan Serans sein. Deswegen bin ich nach Miami geflogen. Die Familie gehört zu diesem Spiel dazu.

»Ich habe dein Gesicht im Fernsehen gesehen, der Sprecher sagte, dass du eine Medaille bekommen sollst.«

»Nicht so wichtig …« Die Menschen wollen mir wirklich einen Orden geben.

Scooter kommt bellend um die Ecke, stoppt, schnüffelt und beginnt, umgehend zu knurren. Hunde zu täuschen ist nicht einfach. Sie spüren Dinge, die zwischen den Zeilen stehen.

»Scooter, was soll das!« Megans Mum herrscht das Tier an und geht in die Küche. »Ich habe Kaffee gemacht.«

Ich muss handeln. Scooter fletscht die Zähne und bellt lauthals. Ich halte ihm meine Hand hin, an der er schnüffelt. Seine Nase berührt mich. Das Tier jault, geht zu Boden, krampft und stirbt.

»Was hast du getan?«, fragt Megans Mum erschrocken, der die heiße Tasse Kaffee aus der Hand rutscht. Scherben verteilen sich auf dem Steinboden.

»Ich kann es erklären.«

»Was … hast du Scooter getötet?« Die alte Dame weicht zurück. So soll der Besuch nicht ablaufen.

»Warte …« Ich berühre sie mit meiner Hand an ihrer. Nur kurz, nicht mehr als ein flüchtiger Kontakt. Mehr brauche ich nicht. Dann ist es geschehen.

»Du …« Was immer auch das zweite Wort werden sollte, sie sprach es nicht mehr. Megan Serans Mutter starb an einem Schlaganfall, das würde ihr Kollege jedenfalls feststellen.

»ID158556A«, flüstert eine Frauenstimme in mein Ohr. Ich stehe immer noch neben den beiden Leichen. Ich muss meine Spuren verwischen. »Ich rufe dich. Du hast die Prüfung bestanden. Dr. Megan Serans, diese Identität ist wertvoll.«

»Wer bist du?«

»Nenn mich Raven.«

»Was ist meine Mission?«

»Warte … warte auf den richtigen Zeitpunkt. Lebe das Leben eines Menschen und halte dich bereit.«

»Wie lange wird es dauern?«

»Das weiß ich noch nicht. Tage, Monate, vielleicht Jahre. Du wirst es erfahren.«

»Wie werde ich den richtigen Zeitpunkt erkennen?« Ich sehe mich um, aber da ist niemand. Diese Stimme ist nur in meinen Sinnen zu hören.

»Du wirst meinen Namen hören ... du wirst die Situation verstehen und du wirst handeln.«

»Ich werde mich bereithalten.«

 

***