Der junge Krieger stocherte unsicher mit seinem Speer direkt vor Luises Nase herum, was er, seiner Gesundheit zuliebe, besser nicht tun sollte. Die Spitze seiner Waffe bestand aus einem scharfkantig geschlagenen Stein, der mit Riemen an einen soliden Stab gebunden war. Bestimmt konnte man mit dem Ding einen wilden Eber aufspießen, eine wilde Luise eher nicht.
»Ich werde dich durchstechen!«, rief der halbwüchsige Krieger, der von dem Trio den Leadsänger gab. Die anderen beließen es dabei, mit ihren Speeren auf Luise zu zeigen und grimmig zu gucken. Nach menschlichen Maßstäben war keiner von denen älter als fünfzehn, aber das musste hier unten nicht viel bedeuten.
»Nein.« Luise ging einen Schritt auf ihn zu, packte die Waffe und nahm sie ihm ab. In solchen Dingen war seine Süße extrem schnell. Der Junge sah sie nur erschrocken an. »Ich möchte nicht kämpfen ... ich möchte reden. Verstehst du mich?«
»Ich ... habe ...« Der Knabe zögerte.
»Nehmt die Speere herunter. Ihr habt nichts zu befürchten, ich werde euch nicht verletzen.«
Die Jungs hörten auf sie.
»Lebt ihr hier?«
»Ja ... wer bist du?«, fragte ein anderer. Wenn man ihn länger beobachtete, konnte man den Eindruck gewinnen, dass sein Hals ungewöhnlich lang aussah. Die schmutzigen nackten Füße und der Lendenschurz rundeten das Bild des Trios ab. Steinzeit pur. Mit einem wohltemperierten schottischen Dosenbier würde Adam in deren Dorfkneipe nicht rechnen können.
»Wir sind Besucher. Freunde. Wir haben einen sehr langen Weg hinter uns ... wir wollen nur reden. Bitte ... dein Speer, richte ihn nicht wieder auf mich.« Sie gab ihm zu seiner sichtlichen Überraschung die Waffe zurück.
»Kommt ihr von oben?« Die Frage sagte in diesem Zusammenhang bereits einiges aus. Die Jungs hatten die Oberfläche definitiv schon länger nicht mehr betreten.
»Ja.«
»Wie? Niemand kann dort atmen. Der grüne Atem des Ohschulu tötet jeden!« Dieses Volk hatte offenbar keinen Weg gefunden, die verratzte Zimmerpflanze auszuräuchern. Ohschulu, was für ein bescheuerter Name für das Vieh.
»Wir sind stark ... wir nutzen gute Werkzeuge. Wir können dem giftigen Atem trotzen.«
»Oh!«, antworteten alle drei gleichzeitig und beugten ehrfürchtig die Häupter.
»Gibt es hier noch mehr von euch?«
»Selbstverständlich.«
»Habt ihr Eltern?«
»Die hat doch jeder ...« Der Junge lächelte.
»Das stimmt ... gibt es in der Nähe ein Dorf?« Luise gab sich locker, die drei Jungs spiegelten ihre Körpersprache. Die Spannung legte sich, das waren noch Kinder.
»Ja.«
»Zeigst du es mir?«
»Wir dürfen nicht ...«
»Bitte.«
»Bist du wirklich ein Freund?« Die Frage kam von dem Dritten, der mit gesenktem Speer einen Schritt auf Luise zukam und mit dem Finger ihre energetische Kleidung berührte. Dabei leuchtete die Stelle an ihrem Arm kurz auf. Er zog seine Hand umgehend zurück. Das Misstrauen wich nur langsam.
»Hab ihr einen Dorfältesten?«, fragte Adam, vielleicht gab es so jemanden. Nach Bürgermeistern, Botschaftern und Staatssekretären zu fragen, konnte er sich sparen.
»Man'usch!«, rief der Erste, drückte den Rücken durch und legte sich zwei Finger an das Kinn. Die anderen kopierten mit einer Sekunde Verzögerung diese Geste. »Das ist Man'usch.«
»Mein Name ist Luise, das ist Adam. Bitte bringe uns zu Man'usch, wir würden ihn gerne kennenlernen.«
Der Weg führte sie nach kaum zwanzig Metern aus dem Korridor heraus. Zahlreiche Wurzeln hatten hier die massiven Steinquader aufgesprengt oder aus dem Fundament gedrückt. Ein unglaubliches Bild bot sich ihnen. Sie befanden sich in einer gewaltigen unterirdischen Kuppel, die in der Mitte gut zweihundert Meter hoch war. Das Bauwerk aus vermoosten Quadern überspannte eine Distanz von einem Dutzend Football-Feldern. An einigen Stellen in der Kuppel waren dunkle Flecken zu sehen, durch die Licht hindurchbrach. Nicht sehr viel, Adam vermutete den Mond als Quelle dahinter.
»Bäume, Wasser, Pflanzen ... ist das eure Heimat?«, fragte Luise, die sich ebenfalls umsah.
»Ja.«
»Wie nennt ihr diesen Ort?
»Nahalla!«
»Wie ist dein Name?«
»Mar'tan«, erklärte der Junge und legte sich erneut die Finger an das Kinn. Eine interessante Geste, deren Sinn Adam bisher noch nicht verstanden hatte.
»Mar'tan, kennst du Sonnenlicht?«
Er nickte.
»Kommt es tagsüber durch die Öffnungen?«
Er nickte erneut.
»Solche Öffnungen haben Eds Drohnen von oben nicht ausmachen können«, erklärte Adam.
»Ich denke, das ist der Sinn dieses Refugiums ... es soll nicht von oben erkannt werden.«
»Wir gehen nicht nach oben!«, ergänzte Mar'tan. Seine beiden Begleiter liefen bereits vor und riefen lautstark, dass sie neue Freunde mitbringen würden.
Minuten später auf einer Lichtung. Das sah hier unten aus wie eine weichgespülte Disneyversion von dem Horrorwald an der Oberfläche. Adam war bisher weder von bissigen Viechern angesprungen worden, noch musste er sich kratzen, weil ihm etwas von dem Kroppzeug das Blut auszusaugen versucht hatte. Um die Lichtung herum hatten Bewohner mehrere Lehmhütten gebaut. Ein kleiner Wasserlauf floss direkt durch das Dorf. Kinder kamen neugierig auf sie zu, wurden dann aber von ihren sichtlich besorgten Müttern zurückgehalten. Insgesamt versammelten sich um die hundert Bewohner in diesem naturbelassenen Schrebergarten. Nur wenige trugen Waffen. Wirklich alt war hier niemand. Auch die Mütter sahen aus wie Teenager.
»Ich bin Man'usch«, erklärte der einzige Mann, dem bereits ein Bart wuchs. Er sah aus wie Mitte zwanzig, also nicht wie Adam sich einen typischen Dorfältesten vorgestellt hätte. Aber, Alter war relativ, die anderen sahen jünger aus.
»Ich grüße dich, wir kommen in guter Absicht.« Luise lächelte ihn an. Heilige Scheiße, wer redete heute noch so? Okay, die Blassbacken würden vermutlich moderne Redensarten nicht verstehen. »Mein Name ist Luise, mich begleitet mein Freund Adam.«
»Hallo ...« Adam tippte sich mit dem Finger an die Stirn, hier fehlte nur noch ein Drache, der in einer Höhle lebte. Dann könnten die hier Gollums Rückkehr, als Spin-off der Herr-der-Ringe Reihe drehen. Die Körperfarbe und der Wortschatz der Bewohner stimmten bereits.
»Wie habt ihr Ohschulu überwunden?«, fragte der Typ. Viele Augen sahen sie neugierig an. Das mit dem fetten Grottenmolch schien ein echtes Problem zu sein.
»Er hat geschlafen.«
»Oh ...«, drang ehrfürchtig aus vielen Mündern. »Ohschulu hat geschlafen«, folgte dem, laut geflüstert.
»Seid ihr Magier?«
Luise lächelte. »So etwas in der Art.« Zugegeben, mit etwas Abstand war moderne Technik nicht von Magie zu unterscheiden. Woher sollten die Leute es auch besser wissen.
»Früher hatten wir den auch!«, antwortete Man'usch mit stolzerhobener Brust.
»Was wurde aus ihm?« Da sprach die Polizistin aus Luise, die das Gespräch geschickt führte. Es war unnötig, deswegen einen Streit vom Zaun zu brechen.
»Er ruht.«
»Er lebt noch?«
»Am-hehus Magie macht ihn unsterblich. Er wacht über uns, er beschützt uns vor dem Ohschulu. Wir dienen ihm und ehren ihn mit unserem Leben.«
»Wo ruht er?«
»Sieh dich um ... überall.« Na, die Aussage Man'uschs half ihnen nicht weiter. Der Älteste legte sich die Finger an das Kinn.
»Was bedeutet diese Geste?« Auch Adam legte die Finger an sein Kinn, das wollte er gerne verstehen. Der Job als Symbiot in diesem Narren war entspannter gewesen. Vor allem die Perspektive, mit Freude auf Adams Tod zu warten. In seiner neuen Rolle glaubte er mittlerweile sogar, ein besserer Adam zu sein, als es Adam jemals gewesen war. Von seinem Plan besoffen, mit seinem Ding in Reds Hintern kommend, zu verrecken, und endlich sein heiß ersehntes Nest gründen zu können, war nicht viel übrig geblieben.
»Das ist der Schlüssel ...«, antwortete Man'usch sichtlich darüber verwundert, dass weder Luise noch er seinen Erläuterungen folgen konnten. »Der Schlüssel zum Herzen.«
»Herzen?« Adam machte weiter. »Von welchem Herz sprechen wir?« Dieselbe Sprache zu benutzen, bedeutete leider nicht, sich auch zu verstehen.
»Jeder Delos hat ein Herz.«
»Ihr seid Delos?«, fragte Luise.
»Ja.« Man'usch intonierte dieses Ja mit maximaler Überzeugung. Ein Ja , das definitiv Fragen aufwarf, vor allem, wenn man andere Delos kannte. Die Delos, die Adam gerade in den Sinn kamen, waren alles nur widerliche Arschgeigen. Nur Eva fiel aus dem Rahmen dieser dekadenten Wichser, die es geschafft hatten, auszusterben, als schlechte Kopien wieder aufzuerstehen, um sich dann mit einem Mordsanlauf selbst ins Knie zu ficken.
»Delos«, flüsterte Adam und dachte zwangsweise an Raven, er dachte auch an die unbekannte Viren-Lady in seinem Körper, die sich immer noch bedeckt hielt.
»Wieso könnt ihr unsere Sprache sprechen, aber wisst nicht, wer wir sind?«
»Das ist eine lange Geschichte ...« Für einen Menschen ohne Symbioten hätten sich Delos wie besoffene Holländer angehört, die versuchten, griechisch zu lernen und ohne es zu bemerken, auf Ebay einen russischen Sprachkurs aus Nordkorea gekauft hatten. Nein, das war übertrieben. Delos klang wie ein Schotte, der sich in Paris mit französischem Akzent auf Spanisch einen Milchkaffee bestellte. Heilige Scheiße, das war nicht er, die Adamisierung schritt weiter voran.
»Oh ...«
»Adam, warte bitte ...« Luise hielt ihn zurück. »Man'usch, wir würden gerne das Andenken Am-hehus ehren. Wir kennen diesen Namen, kannst du uns herumführen? Wir würden Nahalla gerne kennenlernen.« Sein Schätzchen war wirklich ein pfiffiges Luder.
»So soll es sein.« Man'usch hob die Arme, was die Gruppe in seinem Dorf intensiv miteinander tratschend auseinandergehen ließ. Verständlich, die bekamen nicht häufig Besuch. »Folgt mir!«
Luise und Adam folgten dem Ältesten. Über ihnen donnerte es, das klang nach einem Gewitter. Das Unwetter über der Kuppel verdunkelte den Mond, was für sie beide nur die Sicht abdunkelte. Man'usch blieb stehen und schlug sich mit Feuersteinen eine Fackel an. Der Regen, der anfangs nur durch die Öffnungen lief, entwickelte sich binnen Sekunden zu kleinen und tief herabstürzenden Wasserfällen.
»Wasser ist sehr wichtig!« Er hob die Fackel an und ging weiter. Der Weg, den sie benutzten, war kaum als solcher zu erkennen. Links und rechts wuchsen zahlreiche bunte Früchte an den Bäumen und Büschen. Das Leben funktionierte hier nicht anders als auf der Erde. Die Kraft der Elemente Feuer, Wasser, Wind und Erde hielt alles in der Balance.
»Das ist in unserer Heimat nicht anders ...«, erklärte Luise. Sie gingen eine Anhöhe herauf, dort schien es ein Gebäude zu geben, das nicht aus Lehm erbaut worden war.
»Am-hehus Schrein.« Der Älteste zeigte voller Stolz auf einen kleinen Turm, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Leuchtturm hatte. Nur kleiner und das Meer fehlte. Okay, von einer rotierenden Lampe war auch nichts zu sehen und Schiffe mussten hier sicherlich auch nicht vor Untiefen gewarnt werden. Aber ansonsten sah das Ding aus wie ein Leuchtturm.
Bei Adam knarzte es im Ohr. Luise sah ihn an, sie hörte es auch. Das kam über Funk. Er blieb einige Schritte zurück. Luise nickte und wich nicht von der Seite ihres Führers.
»Ed, kannst du mich hören?« Der Versuch war es wert. In den Korridoren unter der Pyramide war es nicht möglich gewesen, die Kommunikation aufrechtzuerhalten.
»Adam, ich freue mich, deine Stimme zu hören, wo seid ihr? Geht es euch gut?«
»Wir leben. Wir haben eine riesige Kuppel neben der Pyramide unter der Oberfläche gefunden.« Direkt unter dem Kasten hätte es kaum durch das baufällige Dach geregnet.
»Davon wollte ich euch berichten. Inzwischen habe ich belastbare Daten der Satelliten und unserer Langstreckendrohnen auswerten können. Auf Zenit122 gibt es 174 künstlich angelegte Oberflächenbiotope. In jeder dieser Zonen gibt es eine Pyramide und direkt daneben gibt es jeweils vier bis acht gewaltige unterirdische Kuppelbauwerke.«
»Wir haben Kontakt mit einem Naturvolk. Sie sprechen Delos und nennen sich so. Sie verehren einen gewissen Am-hehu als eine Art Gott, Gründervater und Schutzpatron. Kommt dir der Name bekannt vor?«
»Sämtliche Kuppelbauwerke zu untersuchen, wird noch dauern. In eurer Nähe gibt es eine weitere Pyramide. Auch dort leben Delos. Ich müsste deren Genom untersuchen, aber es sollte echt sein.«
»Echt?«
»Echte lebende Delos, so wie sie vor sehr langer Zeit gelebt haben ... auf der Naar gibt es sie nicht mehr. Die Kulturgeschichte dieser Spezies ist gewaltig. Wir kennen deren Ende, dies ist der Anfang.«
»Ed, die sehen aus wie Menschen.« Adam hatte nicht das Gefühl, das Man'usch, der einige Meter vor ihm ging und von Luise beschäftigt wurde, ein Alien war. Jedenfalls nicht die Sorte Aliens, die man sich als Mensch so vorstellte.
»Das sollten wir untersuchen. Weder auf dem Gate noch auf der Naar gibt es korrespondierende Daten. Auch Eva kennt diese Vergangenheit ihrer Art nicht. Das ist, als ob jemand bei denen zu irgendeinem Zeitpunkt diese Epoche ihrer Evolution ausgemerzt hat.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht ... glaub mir. Wir erleben einen grandiosen Fund, der die Zukunft verändern wird.«
Adam schüttelte den Kopf, bei dem Gedanken kniff sogar er. Nein, so ein Arschloch war er nicht. Nicht Adam und auch nicht der Symbiot, der gerade die Brücke hinter der Stirn besetzte. »Willst du die Delos auf Zenit122 etwa denen auf der Naar überlassen?«
»Adam, nein.«
»Da bin ich beruhigt.« Bei der Nummer hätte er nicht mitgemacht. Die Delos auf der Naar sollten ruhig weiter in ihren künstlichen Avataren wie zu lange in der Sonne getrocknete Zombies herumlaufen. »Hört Luise mit?«
»Ja.«
»Sehr gut, Luise ... tritt mir vors Knie, wenn ich gerade Scheiße geredet habe.«
Sie sah kurz zurück und nickte. Man'usch redete weiter, Adam hörte ihm nicht zu.
»Ganz ehrlich, ich sehe nicht, dass den Delos auf der Naar die Zukunft gehört.«
»Die hier sind echt.«
»Das ist richtig.«
»Und wie wird Eva die Geschichte sehen?« Adam wusste nur zu gut, wie sehr Eva eine Zukunft am Herzen lag, in der sich alle Spezies friedlich an einen Tisch setzten. Und damit öffnete sie ihr großes Herz auch für diese verfickten Zombie-Delos.
»Ich werde sie informieren, bisher hat sie immer die Zeichen der Zeit verstanden. Das macht sie aus. Sie weiß genau, wer die Delos, die mit der Naar zurückkehrten, sind.«
»Vertraust du ihr?«
»Ja.«
»Bedingungslos?« Adam mochte Eva, er vertraute ihr auch, er wollte aber in dieser elementaren Frage nicht die Hand für sie ins Feuer legen. Diesmal ging es um ihre Wurzeln.
»Adam, ich kenne sie bereits sehr lange ... sie hat mich gerettet. Meine Heimatwelt gibt es nicht mehr. Glaub mir, wir können auf Eva bauen. Sie wird richtig handeln.«
»Ed, ich vertraue dir. Und ich vertraue Eva, weil du es tust. Wir werden das Schicksal der Delos auf Zenit122 in ihre Hände legen.« Adam wüsste sonst nicht, wie er diese krude Geschichte anders auf die Kette kriegen sollte. Heilige Scheiße, er war doch nur ein Symbiot, der seine vorlaute Klappe nicht halten konnte. Die Welt außerhalb seiner Urmotivation, unter allen Umständen in Adams Leiche ein Nest zu gründen, war scheiße kompliziert. Ein Baum war echt, an den konnte man glauben. Ein Baum würde einen auch nie belügen und immer für einen da sein. Er gewährte Schutz vor Regen und Wind. Hey, so einfach wollte er die Welt, in der er lebte, sehen!
»Adam, ich schicke euch Arbeitsdrohnen durch eine der Öffnungen. Die werden euch unterstützen. Seid nett zu den Delos, die haben nichts mit den anderen zu tun. Ich denke, es war Am-hehus Plan, Zenit122 vor den seinen zu verstecken.«
»Das ist ihm gelungen.« Adam sah, wie Man'usch und Luise in dem Leuchtturm verschwanden. Er beeilte sich aufzuholen. Von oben surrten vier Drohnen auf ihn zu und verblieben ein Stück hinter seinem Rücken. Eine gab der Drohne, die seinem grünen Arsch die energetische Hose verpasste, einen Energieschub. Die Anzeige an seinem Handrücken sprang wieder auf hundert Prozent.
Adam betrat den Turm, das Ding war definitiv nicht aus Lehm gebaut. Der Werkstoff an den Wänden hatte die langen Jahre, ohne Schrammen oder Schimmel anzusetzen, überstanden.
»Hier ehren wir Am-hehu«, erklärte Man'usch, als ob er gerade das belegte Gurkensandwich mit frischer Dillsoße erfunden hätte. Der Turm hatte von innen nicht viel zu bieten. Das karge Ding sah aus wie ein überdimensioniertes Fallrohr. Da fehlte nur die Klospülung. Am Boden, an den Wänden und an der Decke war absolut nichts zu erkennen. Irgendwie war das nicht originell.
»Können wir mit ihm reden?«, fragte Adam, jede andere Frage wäre zu kompliziert gewesen.
»Öffne dein Herz, er wird dich hören ...« Klar, jetzt kam so eine religiöse Nummer. Bei der war Adam schon als Kind durchgefallen, als seine gläubige Lehrerin bereits daran gescheitert war, aus ihm einen guten Menschen zu machen.
»Danke.« Luise zeigte ihren ganzen Charme, den sie in der Regel Adam gegenüber gut zu verbergen verstand. »Dürfen wir hier alleine mit ihm sein?«
»Natürlich.« Man'usch verschwand und ließ sie zurück.
»Ed?«, fragte Luise. »Zeig dich ... das ist gerade etwas viel für mich. Ich brauch etwas zum Ansehen.«
»Kein Problem.« Eine Drohne schuf ein lebensechtes Hologramm der Nessanerin, die einen von Evas Avataren benutzte. Blond wie Luise, sie hätten Schwestern sein können.
»Was ist das hier?«
»Delos-Technologie. Nicht ganz so altbacken wie die Speere, mit denen die hier herumlaufen.« Eds Stimme klang nun völlig natürlich. Sie so zu hören, beruhigte auch Adam. Wächter-KIs zu jagen und an die Wand zu nageln, war einfacher.
»Ein Computer?«, fragte Luise.
»So in der Art ... ist nicht einfach zu beschreiben. Es ist ein Inverter, die benutzt eigentlich niemand mehr.«
»Was zur Hölle sind Inverter?«, fragte Adam, den Begriff hatte er noch nie gehört. Nun, es gab bei den Delos jede Menge kranken Scheiß, den er noch nicht kannte.
»Sie verdrehen Materie.«
»Bitte was?«
»Vorläufer der Gate-Technologie. So etwas wie Teleporter. Objekte können damit abgetastet, dematerialisiert, codiert, versendet und wieder materialisiert werden. Dafür wird die Materie auf subatomarer Ebene verdreht.«
»Und das funktioniert?«
»Nicht gut ... die genutzten Systeme waren nicht fehlertolerant. Wenn ein Inverter nicht sauber war, hat das System jeglichen Dreck, den es aufgezeichnet hat, mit übertragen.«
»Und?« Adam eierte, wie immer bei Eds technischen Erklärungen, wie ein Idiot hinterher. Wieso konnte die Nessanerin keine Worte benutzen, die auch er verstand.
»Hast du Die Fliege gesehen, den Film mit Jeff Goldblum von 1986?«, fragte Ed.
»Den kennst du?« Adam schluckte, jetzt hatte er das Problem mit dem Inverter verstanden.
»Der TV-Empfang auf dem Gate ist sehr gut.«
»Womit ist dieser Inverter verbunden?«, fragte Luise, sie war bereits einen Gedanken weiter.
»Das werden wir herausfinden.« Ed aktivierte den Computer, den Man'usch vermutlich noch nie angeschaltet hatte. An den Wänden bildeten sich Displayflächen, die langsam in den Raum drangen und zu vielfarbigen holografischen Darstellungen mutierten. »Ich schaffe eine Verbindung mit den zentralen Systemen auf dem Gate.«
»Guten Tag«, erklärte ein Mann, wie Ed eine holografische Projektion, ein Delos, größer als die aus Fleisch und Blut, die unter der Steinkuppel lebten. Älter und auch mit einer unnatürlich lang gezogenen Kopfform. »Mein Name ist Am-hehu.«
»Mithilfe des Gates habe ich die Verschlüsselung geknackt. Die Projektion ist ein Serviceprotokoll, eine schlichte KI. Sie wird unsere Fragen beantworten.« Ed war in solch technischen Dingen wirklich fähig.
Luise fing an. »Lebt Am-hehu noch?«
»Nein.«
»Wie ist er gestorben?«
»Er hat den Freitod gewählt.«
»Warum Zenit122?«
»Um die Ursprünge der Delos vor der von ihnen gewählten Zukunft zu beschützen. Meine Kinder sind rein, sie führen das Leben, das mir verwehrt blieb.«
Adam nickte, die Bruchstücke, die sie bisher aufgesammelt hatten, passten zusammen. Am-hehus Motivation und seine Taten klangen plausibel.
»Warum sehen Delos wie Menschen aus?«
»Was sind Menschen?«
»Ed, kann die KI Wissen aufnehmen und verarbeiten?«, fragte Luise dazwischen.
»Bis zu einem gewissen Grad ... probiere es einfach. Ich überwache die Datenbank. Es kann nichts passieren, wir können nur ein wenig klüger werden«, antwortete Ed.
»Ich bin ein Mensch.«
»Du hast lemorianische Augen.« Die Projektion und die KI dahinter konnten also auch sehen.
»Implantiert.«
»Ich kenne keine Menschen.«
Luise sah zu Ed. »Stimmt das?«
»Ja.« Ed ließ dazu passende Bilddaten erscheinen. »Diese Datenbank hat keine Informationen über die Erde.«
»Hilf mir, den Widerspruch zu lösen ... wieso sahen Delos früher so aus, wie Menschen heute? Wo liegt die Verbindung? Gab es bereits einen Kontakt?« Luise wandte sich wieder Ed zu. »Kannst du der KI Daten über die Erde bereitstellen?«
»Übertragung läuft«, bestätigte Ed. Der Service-KI wurden gerade massiv Daten über die Erde in den Speicher geladen.
»Querreferenz 17-K12. Zugriff verweigert.«
»Das ist eine Folgerung. Die KI lernt. 17-K12 ist Teil einer geschützten Datenbank auf der Naar. Ich greife auf die Systeme der Naar zu, starte mit der Übertragung der Daten.« Ed fackelte nicht lange, wie ein Krake hatte sie die Finger in mehreren Systemen. Adam hätte das in tausend Jahren nicht hinbekommen. »Vor 41.207 Jahren erfolgte auf der Erde ein genetischer Insert. 17-K12 beschreibt ein Saat-System, mit dem Delos hochwiderstandsfähige Genome ohne definiertes Ziel ins All geschossen hatten. Die Erde musste zufällig getroffen worden sein.«
»Menschen und Delos haben also dieselbe DNA?«, fragte Luise mit ernster Miene.
»Zum Teil, die Daten beschreiben das Saat-System. Es lässt sich über die Flugbahn der Zeitpunkt des Kontakts berechnen. Die genauen Folgen auf der Erde müssen noch untersucht werden. Es ist denkbar, dass der Homo sapiens wegen des Inserts der Delos die Vorherrschaft über die Erde übernommen hat. Es muss in der Folgezeit eine Vermischung zwischen den verschiedenen genetischen Linien gegeben haben.«
»Darf ich eine Frage stellen?« Adam hatte eine Idee, eine symbiotische Idee.
»Klar.« Ed nickte.
»Was ist ein Saatsystem?« Adam mochte diesen Namen nicht, ihm gefiel vor allem nicht der Gedanke, was die Delos damit noch für einen Scheiß gemacht haben konnten.
»Ein Saatsystem ist eine militärische Vorrichtung zur Delos-Lebensraumgewinnung.« Am-hehus Projektion gab genau die Antwort, die Adam nicht hören wollte.
»Ist?« Adam hakte nach, das Wort war wäre besser gewesen. »Gibt es das Ding noch?«
»Ja.«
»Saatsystem lokalisieren!«, befahl Ed, die Adams Befürchtung sofort aufnahm.
»Sektor B561-F2.«
Ed schüttelte den Kopf. »Mit dem Zugriff auf die Daten der Naar haben wir Informationen über unzählige Raumstationen und Satelliten bekommen. Wie auch die Daten über Zenit122 ... alle Systeme zu deaktivieren ist unmöglich. Dann würden auch auf einigen friedlichen Welten sämtliche Lampen ausgehen. Wir müssen die Systeme einzeln untersuchen, um die relevanten zu finden. Offiziell hat es nie Saatsysteme mit dem Ziel der Lebensraumgewinnung gegeben. Wir auf dem Gate wussten nichts davon.«
»Was ist mit dem Saatsystem in Sektor B561-F2?« Adam entschied, dass er mit dem anfangen wollte.
»Es ist aktiv, es ist erdnah ... ich verschaffe mir Zugriff.« Ed machte weiter. »Ich übernehme das System. System passiviert. Da wird nichts mehr ausgesät.«
»Wann war die letzte Saat?«, fragte Adam, die Spur, der sie folgten, machte ihm Angst.
»Vor 12 Jahren. Eine militärische Virensignatur. T-Bex Klasse ... das Format ist mir nicht bekannt. Verdammt, wer hat das aktiviert?«
»Sag du es uns!«
»Ich frage Informationen ab.«
»Und?« Adam sah zu Ed.
»Wir haben ein Problem.« Auch Ed gab nicht die Antwort, die Adam gerne hören sollte.
»Was für eine Art Problem?« Jede Frage brachte Adam weiter an den Abgrund.
»Raven hat die letzte Saat initiiert.« Das war von allen denkbaren Erklärungen definitiv die übelste. Sogar jetzt, als die abtrünnige Wächter-KI ausgelöscht war, bedrohte Ravens Erbe sie alle.
***