XVI. Condition zero - contact

Der Schläfer ist erwacht. Viele Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet, es gab sogar Zeiten, in denen ich aus den Augen verlor, wer ich bin, weshalb ich auf die Erde geschickt wurde, und wann ich Erlösung für mein unwirkliches Dasein finden werde. Die Nähe zu anderen Menschen ist verwirrend. Ich habe geheiratet und sogar zwei nicht infizierte Kinder bekommen, die nicht wissen wer ich bin. Niemand weiß es. Wenn mein Mann mich begehrt, schlafe ich mit ihm und auch meine Kinder suchen in jedem passenden wie unpassenden Augenblick meine Nähe. Einen Hund haben wir nicht.

»Dr. Serans, kommen Sie bitte«, sagt ein FBI-Agent, der mir eine Tür öffnet. Ich sehe mich um, in meiner Nähe sind viele Menschen. Ich berühre niemanden, wenn es nicht meiner Sache dient. Ich beherrsche mich zu jeder Zeit. Ich kooperiere, ich kontrolliere den Tag, ich werde mich als würdig erweisen. Mein Plan hat funktioniert, ich habe einen Teil von mir verraten, um mich hinter dieser Täuschung zu verstecken. Das gelingt mir seit zwölf Jahren. Niemand hat jemals eine Lücke in meiner Phalanx gefunden.

»Danke.« Ich nicke freundlich, eine Geste, die viele Türen zu öffnen vermag. In der Stille liegt die Wahrheit. Ich habe nie mehr geredet als notwendig. Eine Eigenschaft, die alle in meiner Nähe akzeptiert haben. So kennen mich alle, einige mögen mich sogar. Niemand verdächtigt mich, nicht die Person zu sein, als die mich alle kennen: Dr. Megan Serans, Professorin, FBI-Agentin, Mutter, Ehefrau, gläubige Christin, nirgends auf der Erde wird mehr geheuchelt als in der Kirche. Gott gibt es nicht, mich schon.

»Ma'am, Ihre persönliche Verbindung nach London ist geöffnet. Sie werden erwartet«, sagt der Agent und zeigt auf eine Treppe. Es geht abwärts. Ich folge ihm und laufe die Treppen herab. Unten wartet hinter einer durch zwei Agenten bewachten Tür eine helle Scheibe auf mich. Das ist meine erste Reise durch den gefalteten Raum. Eine weite Reise, hinaus zum Arcurus Gate und zurück nach London. Eine direkte Querverbindung zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Kontinent ist nicht möglich.

 

»Sie sind Polizistin?« frage ich Luise Ruiz del Garbo, eine groteske Person. Eine gescheiterte spanische Polizistin. Ihr sehniger Hals zeigt ihre Anspannung, dabei haben sich alle bemüht, Evas Handlanger freundlich zu begrüßen. In ihre falschen lemorianischen Augen zu blicken, ist kaum zu ertragen. Ich ziehe meine Hand zurück, Luise hat offenbar nicht vor, mir ihre zu geben.

»War.«

»Was ist passiert?«, frage ich aufmerksam. Natürlich kenne ich die Antwort, für ihre Ergreifung existiert ein internationaler Haftbefehl. In ihrer Heimat ist sie keine Heldin. Ihr Vater ist zutiefst enttäuscht und im Netz kursieren schockierende Videos aus ihrem zügellosen Sexualleben. Sie gilt als eine nationale Schande.

»Einiges.« Die Spanierin sieht zu ihrem Partner: Adam Doit, ein Amerikaner, ein Drogenhändler und ein Krimineller. Kleiner als sie, kein stattlicher Mann, mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck und spitzer Nase. Auf einer Heldenskala von eins bis zehn bekäme er eine minus elf. Wenn ich ihn zur Strecke gebracht habe, wird die Welt mir danken. Er sieht zu Eva, die diesen Blick unbeeindruckt an Botschafterin Gutierrez weitergibt.

Stille.

Ein Moment der Unsicherheit, der mir nicht gefällt. So habe ich das Treffen nicht geplant.

»Na dann ... schön, Sie bei uns zu haben.« Ich lächele, lege meinen Kopf auf die Seite und weiche einen Schritt zurück. Der Sieg ist erst perfekt, wenn ich alle habe. Ich mache keine halben Sachen, damit würde ich meiner Herrin nicht gegenübertreten wollen. Ich werde die Initiative an Eva übergeben. Sie hat die Macht, den Moment zu kontrollieren und meiner Sache zu dienen.

»Ich denke, wir sollten keine weitere Zeit verlieren. Jedem von uns ist die Brisanz der Lage bewusst«, erklärt Eva. Souverän, kraftvoll und wunderschön, sie ist eine geborene Führerin. Andere sehen zu ihr auf. Über Bildschirme sind in diesem Besprechungsraum weitere Menschen mit dieser Runde verbunden. Die halbe Welt sieht uns zu. Die vielen Jahre des Wartens haben mich genau hierhin geführt. Einen besseren Platz gibt es nicht.

»Dr. Serans, bitte schildern Sie uns Ihren Kenntnisstand.« Eva wirft mir den Ball zurück.

»Ich bin Forensikerin, spezialisiert auf chemische und biologische Kampfstoffe. In meiner Position beim FBI wurde ich vor zwölf Jahren zu einem Tatort in Santa Rosa an der Westküste gerufen. Meine Analysen haben mich überrascht, da ich so einen Virus noch nie zuvor gesehen hatte. In der Eskalation der Ereignisse wurden mehrere Zivilisten und FBI-Agenten kontaminiert. Das Glück und richtige Entscheidungen waren aber auf unserer Seite, und wir konnten sehr früh die Ausbreitung eingrenzen und alle Infizierten stellen.«

»Wie ist Ihnen das gelungen?«, fragt Ruiz del Garbo, die trotz ihrer ablehnenden Mimik Neugierde zeigt. Doit steht, ohne eine Reaktion zu zeigen, neben ihr. Ich werde vorsichtig sein und nicht den Fehler begehen, sie zu unterschätzen. Heute werde ich beenden, was viele Jahre zuvor begonnen hat.

»Der Virus wird durch den Austausch von Körperflüssigkeiten: Speichel, Blut, Schweiß und Sperma übertragen. Die Ansteckung anderer ist dabei nicht wahllos. Infizierte, sogar verdiente FBI-Agenten, zeigten in Folge auffällige Veränderungen ihrer Persönlichkeit und, was ich für noch beachtlicher halte, ein konspiratives Verhalten, um den Erreger gezielt weiterzugeben.«

»Den Infizierten war der Virus bewusst?« Luise geht jetzt auf die Geschichte ein. Verständlich, so einen Erreger gab und gibt es auf der Erde nicht.

»Ich denke ja ...«

»Sie denken?«

»Es hat keiner überlebt. Notwendige Verhöre konnten nicht rechtzeitig durchgeführt werden.« Genau das habe ich damals verhindert, so konnte keine der anderen IDs oder deren lästige Klone, Dummheiten von sich geben. Ich brauchte keine Hilfe.

»Wir haben einen Anschlag in Kopenhagen und einen hier in der Botschaft. Die Täter waren drei Agenten mit tadellosem Ruf: ein Amerikaner, ein Russe und ein Brite. Drei Männer aus drei verschiedenen Dienststrukturen, die nie zusammengearbeitet haben. Ich denke, wir können ebenfalls die Möglichkeit ins Auge fassen, dass sie Opfer eines solchen Virus geworden sind ... ich habe den russischen Agenten, der für meinen Schutz zuständig war, persönlich gekannt. Dieses Verhalten hätte ich niemals von ihm erwartet.« Elena bringt mit dem Stichwort mein Vorhaben auf die nächste Ebene. Sie tut, was ich von ihr erwarte.

Auch Eva macht mit. »Ich kann an dieser Stelle die Beteiligung einer energetischen Berührung ausschließen. Red, eine nessanische Spezialistin, hat die Spurensicherung unterstützt. Wäre eine Wächter-KI oder ein Delos an den Anschlägen beteiligt gewesen, wüssten wir es. Ein energetischer Kontakt, ohne Spuren zu hinterlassen, ist nicht möglich.«

Ich nicke. »Einverstanden ... in diesem Fachbereich vertraue ich auf Ihre Expertise.« Natürlich hat Eva recht, ich habe selbst die Frau infiziert, die mit allen drei Agenten im Kontakt stand. Um diesen Männern ihren Willen zu nehmen, bedurfte es nur einer flüchtigen Berührung. »Ich möchte den Gedanken aufnehmen. Im Rahmen der Ereignisse habe ich das Blut der Attentäter aus Kopenhagen untersuchen dürfen und dieselben Marker gefunden, wie bei dem Zwischenfall vor zwölf Jahren in San Francisco. Das ist der Santa-Rosa Virus.«

»Deutlicher könnte es nicht sein!«, bestätigt Elena und stemmt dazu passend die Hände in die Hüften.

»Wir kommen von einer Welt mit dem Namen Zenit122, dort haben wir Hinweise auf ein altes Saatsystem der Delos gefunden, das vor genau zwölf Jahren das letzte Mal benutzt wurde«, erklärt Doit distanziert, er steht nach wie vor abseits im Raum. Eine Aussage, mit der ich nicht gerechnet habe.

»Die Naar war vor zwölf Jahren sehr weit von der Erde weg...«, sage ich und wundere mich zugleich. Adam Doit überrascht mich. Er ist gefährlich. Ich werde auf ihn achten. Wenn es stimmt, stamme ich genau von diesem Saatsystem ab. Das wusste ich nicht. Aber ja, meine Herrin wird es benutzt haben.

»Das stimmt.« Doit nickt. »Ich habe niemanden von der Naar beschuldigt, das Saatsystem aktiviert zu haben.«

»Natürlich ...« Ich lächele. Doit ist wirklich gefährlich. Hinter der Narrenkappe verbirgt er etwas. Bemerkenswert ist zudem, dass ich die Überbringerin meines Willens nicht nur zu den drei Agenten, sondern auch zu Adam Doit geschickt habe. Bei einem Kontakt hat sie ihn gegen seinen Willen küssen und infizieren können. Das hat funktioniert, dennoch zeigt er eine Immunreaktion. Wieso? Wie kann er sich gegen meinen Willen zur Wehr setzen?

»Sehr weit weg ...« Eva stimmt mir zu. Von der Naar war niemand an meiner Aussendung beteiligt. »Adam, danke, das ist eine wichtige Information.«

»Wer kann es sonst gewesen sein?«, frage ich, die Antwort bereits wissend. Mit diesem Einwand ändert sich die Situation grundlegend, er birgt Gefahr. Oder eine neue Möglichkeit. Ich entscheide mich, die Chance zu ergreifen.

»Einen Moment ...« Eva packt sich ans Ohr. Ich weiß, mit wem sie verbunden ist. Ruiz del Garbo und Doit sind es auch. Es ist Ed, ein Nessaner, der auf dem Arcurus Gate in einem Einmachglas lebt. Diese Spezies hat kein Geschlecht. »Ich bekomme neue Informationen ... auf dem Gate gibt es eine Bedrohung.«

»Bitte?« In diesem Fall ist mein Erstaunen sogar echt. Das Arcurus Gate ist das Zentrum der Macht.

»Jemand versucht, in der direkten Nachbarschaft zum Gate mehrere Wurmlöcher aufzubauen, die von Raumschiffen durchflogen werden können. Dafür ist wahnsinnig viel Energie notwendig ... wir wissen nicht, wer dahintersteckt, oder wie derjenige die dafür eingesetzte Energie generieren kann.«

»Kann mir das bitte jemand erklären?«, frage ich, an dieser Stelle muss ich aufpassen, mein Wissen zurückzuhalten. Megan Serans kann nicht wissen, was ich weiß.

Eva stellt einen fingernagelgroßen mobilen Projektor auf den Tisch, im nächsten Moment verwandelt sich der Besprechungsraum optisch in die Brücke des Arcurus Gates. Ein beeindruckendes Stück Technologie der Delos.

»Hallo, ich bin Ed«, sagt eine weibliche blonde Projektion. Eine attraktive Erscheinung, die auch eine um wenige Jahre ältere Schwester von Ruiz del Garbo hätte sein können. Dass sich Nessaner herausnahmen, einen Avatar zu benutzen, ist eine unerträgliche Anmaßung. Ed ist keine Frau!

»Ed, wir verzichten auf eine Vorstellung ... leg sofort los«, sagt Eva, die ihre Rolle im Griff hat. Ich passe auf. Die Entwicklung auf dem Arcurus Gate kann meinen Plan gefährden.

»Wir werden angegriffen!«

»Von wem?« Jetzt wird sogar Doit wach. Ich bin es bereits. Ich werde nicht dulden, dass ein anderer Dieb mir zuvorkommt. Das Arcurus Gate gehört mir.

»Das wissen wir nicht. Red versucht, die Signatur zurückzuverfolgen. Bisher ist es ihr leider noch nicht gelungen.« Ed sieht zu einer jungen, schlanken und rothaarigen Frau, die ihren blumigen Namen nicht zu Unrecht trägt. Ein Nessaner wie er, oder von mir aus auch sie, ich werde sie brechen.

»Das kann niemand von der Naar sein.« Evas Einwand ist richtig. Die Naar ist vollständig isoliert, da will sich jemand anderes das Arcurus Gate aneignen.

»Rutus?«, fragt Ruiz del Garbo. Die Anzahl möglicher Angreifer ist überschaubar, natürlich sind es Rutus. Sie sind die Rivalen der Delos um die Vorherrschaft im Universum.

»Dafür gibt es keine Beweise ... unsere Agenten in Del'Narrow haben nicht über passende Aktivitäten berichtet.«

»Rutus!«, sagt Eva. Dieses Urteil muss sie fällen. Nur sie kann Ed befehlen, Del'Narrow anzugreifen. Auch diese Entwicklung ist neu, ich lasse es geschehen. Die Rutus sind entbehrlich. »Was sagt Milena?«

»Sie wären es nicht.«

»Lügt sie?«

»Ich weiß es nicht ... Milena bietet mir an, das Gate mit ihren Raumschiffen zu verteidigen.«

»Nein!«, sagt Eva.

»Was soll ich tun?«

»Drohe Milena die Vernichtung von Del'Narrow an!« Eva spricht ein Machtwort, was ihr sowohl von Ed, wie auch von Ruiz del Garbo und Doit besorgte Blicke einbringt.

»Bist du dir sicher?«

»Ja.«

»Und wenn wir uns irren?« Ed zweifelt, das ist ihre Schwäche. Sie muss angreifen, den Rutus darf auf keinen Fall das Arcurus Gate in die Hände fallen.

»Ed! Milena lügt! Sie kennt unsere Vereinbarung! Sie bricht sie! Dafür hat sie zu bezahlen!« Eva nutzt genau die richtige Wortwahl. Ed soll tun, was ihr befohlen wird.

»Die Opferzahlen wären ...«

»Ed! Schluss jetzt! Du wirst Del'Narrow angreifen! Hol Milena in die Konferenz! Ich werde es ihr selbst sagen!«

»Ja ...« Ed gibt klein bei und zeigt mit dem Finger auf Red, diese nickt betroffen.

Auf der holografischen Brücke des Arcurus Gates bildet sich die Projektion einer weiteren Person. Milena, der Magistrat von Del'Narrow und Erzfeindin der Delos. Die stinkenden Tentakel unter ihrer roten Nase beben.

»WAS SOLL DAS?«, schnaubt die Rutus. Ich würde gerne reden, aber es steht meiner Rolle nicht zu. Megan Serans ist nur ein Mensch, der diese Dinge nicht wissen kann. Rutus sind eine extrem widerstandsfähige Spezies, sie zu übernehmen, ist nicht möglich.

»Milena! Brich sofort den Angriff ab!«

»Eva ... hör auf, das sind wir nicht. Ich habe Ed meine Hilfe angeboten. Wir können eine Expeditionsflotte aussenden, um das Gate vor den unbekannten Angreifern zu beschützen.«

»Ich glaube dir nicht!« Eva bleibt bei ihrer Linie. »Ich habe Ed die Order erteilt, Del'Narrow zu vernichten. Es ist auch völlig egal, aus welchem dunklen Loch du den Angriff führst oder wie du die benötigte Energie auftreiben konntest ... bevor auch nur ein Raumschiff das Gate erreicht, verlierst du deine Heimatwelt!«

»Eva, bitte, das ist ein Irrtum ... wir wollen helfen. Wir sind Verbündete!«

»Ed!«

»Ja ...«, gab sie unsicher zurück.

»Wie lange kannst du den Angriff der Rutus auf das Gate noch abwehren?«

»Ein bis zwei Stunden ... dann würden wir Arcurus verbrennen oder selbst verglühen.«

»Wie lange dauert es, Del'Narrow mit einer ausreichend großen und heißen Ladung Sonnenplasma zu beschießen und diese Welt mit einem einzelnen Treffer auszulöschen?«

»Eine halbe Stunde ...«

»Tue es ...«

»Eva! Das ist doch Wahnsinn! Damit tötest du mein Volk!«, Milena wehrt sich.

»Das ist Logik!« Eva verzieht den Mund. »Du hast den Krieg angefangen, ich werde ihn beenden.«

»Können wir unter vier Augen sprechen?« Milenas Selbstsicherheit schwindet, sie hat ihr Blatt überreizt.

»Ed, ich habe Milena nichts mehr zu sagen. Es liegt an ihr, sie hält das Schicksal ihrer Spezies in den Händen. Setzt sie den Versuch fort, das Gate zu übernehmen, wirst du Del'Narrow in einen heißen Klumpen flüssigen Steins verwandeln!«

Zuerst verschwindet Milenas Projektion, deren Auftritt nicht lange gedauert hat. Eva hat sie verbal in Grund und Boden gestampft. Ich bin zufrieden. Heute werde ich alle bekommen. Alle, die sich mir in den Weg stellen. Meine Herrin wird mit meiner Arbeit zufrieden sein. Ich werde obsiegen.

Ed bleibt vor Eva stehen und sieht sie an. Dabei sagt sie kein Wort. Auch Eva schweigt. Ob Ed bereits ihren Niedergang spürt? Ihre Zeit in Evas Diensten ist vorbei. Eds Heimatwelt gibt es nicht mehr. Die verbliebenen Nessaner sind daher entbehrlich. Niemand wird diesen wirbellosen Schleimklumpen eine Träne nachweinen. Die Zukunft gehört mir, nicht ihnen.

»Eva, was hast du getan?«, fragt Ruiz del Garbo, die Spanierin versteht die Zeichen der Zeit auch nicht.

»Ich erledige eine Bedrohung.« Evas Blick bleibt auf die Anzeigen der Brücke gerichtet. »Ed?«

»Red, initiiere einen Wurmtunnel, um Del'Narrow zu vernichten.« Für einen Moment flackert die Verbindung, dann können alle Ed wieder störungsfrei sehen.

»Starte Vernichtung von Del'Narrow«, antwortet Red, ohne eine sichtbare Emotion. »Es wird einen Moment dauern.«

»Ich habe über die Naar das Saatsystem ausgemacht, von dem Luise und Adam berichtet haben. Es existiert und ist deaktiviert. Ich habe die Datenbank von der Besatzung der Naar überprüfen lassen. Mein Vater Tre’heer Maneh hat mir den Zugriff auf sehr alte Codecs aus dem Archiv ermöglicht. Wir können das Log-Buch auslesen. Die Ausbringung des Santa-Rosa Virus ist durch Rutus erfolgt. Ziel war es, Schläfer zu schaffen und auf diese im Notfall zuzugreifen.«

»Das waren auch die Rutus?«, fragt Elena überrascht. »Jetzt wundert mich nichts mehr.«

»Die Beweise sind eindeutig und passen zu den Erkenntnissen, die Dr. Serans beigesteuert hat.« Eva macht es besser, als ich es selbst hätte tun können. Das Eingreifen der Rutus ist ein Geschenk, sie sind der perfekte Sündenbock.

»Danke.« Ich verbeuge mich. Es macht mir nichts, Demut zu zeigen, das mache ich bereits seit Jahren.

»Ich kann es nicht glauben ...« Ruiz del Garbo schüttelt den Kopf. »Eva, entschuldige bitte, das hätte ich nicht von Milena erwartet ... du hast richtig gehandelt.«

»Kein Thema ... es ist mir nicht leichtgefallen.« Evas Blick bleibt auf Ed gerichtet. »Red, was hast du?«

»Die energetischen Signaturen nehmen ab ...«, erklärt sie hörbar von ihren eigenen Worten überwältigt. Besser kann diese Scharade nicht laufen. Ja, Milena ist schuldig, das Arcurus Gate rauben zu wollen. Dass sie das Saatsystem niemals angefasst hat, spielt dabei keine Rolle mehr. Mit dieser Schuld auf ihren roten Schultern wird sie weitere Anschuldigungen nicht mehr glaubhaft abstreiten können. »Der Angriff auf das Gate ist beendet.«

»Danke.« Eva triumphiert. »Danke Ed, dass du an meiner Seite geblieben bist.«

»Ähm ... ich bin überwältigt.« Auch Ed sucht nach Worten. »Ich habe ebenfalls nicht ...«

»Ed, niemand von uns droht gerne, eine ganze Spezies auszulöschen. Es ist in Ordnung, ich schätze deine kritische Meinung.« Eva zeigt jetzt wahre Größe.

»Das Manöver hat funktioniert ... Milena hat geblufft. Eva hat es erkannt und passend gehandelt. Die Rutus geben auf«, erklärt Ed sichtlich getroffen. »Ich rufe Milena.«

»Was?!« Binnen einer Sekunde steht ihre Projektion direkt vor Eva. Milena überragt sie deutlich.

»Du hast verloren!«

»Für Del'Narrow!«

»Oh, ich soll es verschonen?«

»Du Miststück!«

»Du weißt, was ich hören will. Die Aufladung der Sonnenplasma-Waffe läuft. Ich gebe dir einen Versuch. Rette dein Volk oder gehe gemeinsam mit ihm unter!«

»Ich gebe auf!« Milena bebte. »Hörst du, ich gebe auf!«

»Das reicht nicht ... los, sag allen, die uns zuhören, was du getan hast. Und ja, uns hören viele zu!«

»Ich bekenne mich schuldig. Ja, ich war es! Ich habe versucht, das Gate zu erobern.« Mit den Worten zeigen ihre Tentakel in alle Richtungen. » Ich akzeptiere meine Strafe.«

»Und das alles nur, um Delos zu töten?«, fragt Eva.

»Ich hasse sie!«

»Ich bin eine Delos.«

»Ich weiß.«

»Ed wird deine Verhaftung überwachen.«

Milenas Augen brennen, sie hat sich mit diesem Geständnis vollständig Evas Urteil ausgeliefert.

»Wer sind deine Mitverschwörer?«

»Ich trage die Schuld alleine.«

»Nein, so läuft das nicht. Milena, das werde ich dir nicht erlauben. Du wirst deine Mitwisser preisgeben. Egal, wo sie und wer sie sind. Ich will Namen. Hörst du? Du wirst mir Namen liefern!«

Milena schweigt.

Ed nickt, sie wird Evas Willen vollstrecken. Herrlich, es kann nicht besser laufen. Ich bin zufrieden. Nun werde ich mir auch das Gate holen. Mir wird gelingen, wozu die Rutus nicht in der Lage waren. Meine Sinne erfahren tiefe Bestätigung.

»Botschafterin Gutierrez, meine werten Verbündeten von der Erde, Sie alle konnten diesen dramatischen Ereignissen folgen. Es war mir wichtig, nein, es lag mir über alles am Herzen, Sie diese Ereignisse bezeugen zu lassen.« Eva richtet sich an die Zuschauer der zahlreichen bidirektionalen Videostreams. Alles, was geschah, wurde von zahlreichen militärischen und politischen Vertretern diverser Nationen verfolgt, von denen natürlich niemand weggehört hat. Alle sehen zu. Alle haben mich bei meinen Ausführungen über den Santa-Rosa Virus gehört. Alle haben Ruiz del Garbos und Doits kritische Zurückhaltung mitbekommen. Es macht die Geschichte glaubwürdig. Es haben alle ebenfalls mitbekommen, wie sie den Rutus auf die Spur gekommen sind. Wie sie Milena, den Magistraten von Del'Narrow, unter Druck gesetzt haben. Wie sich das Arcurus Gate wieder einmal in Gefahr befunden hat. Wie Ed zögerte, ultimative Gewalt einzusetzen. Wie Eva das Risiko auf sich geladen hat, und letztendlich, wie sie die Rutus damit überführt hat. Milenas Geständnis lässt keine Zweifel zu.

»Sie haben alle gesehen, was passiert ist. Sie haben gesehen, wie wir mit uns und unseren Widersachern gerungen haben. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Sie haben meine Entscheidungen verfolgen können und Sie sehen nun, welche Konsequenzen daraus entstehen. Wir haben heute gemeinsam einen großen Sieg errungen.«

Elena fängt an, Beifall zu klatschen. Ich klatsche mit ihr. Die anderen im Raum tun es auch. Luise Ruiz del Garbo klatscht und sogar Adam Doit tut es, wenn auch mit einem Kopfschütteln. Die Menschen an den Bildschirmen klatschen nun ebenfalls und zollen Eva für ihr mutiges, weitsichtiges und entschlossenes Handeln den verdienten Respekt. Auch die Nessaner klatschen mit den Händen.

 

Ich denke an meine Kinder, ob ich sie vermissen werde? Nein, sie waren nur Mittel zum Zweck. In Zukunft wird niemand nach ihren Namen fragen und es spielt auch keine Rolle, ob sie selbst einmal Kinder haben, oder als Avatar in einer Lagervorrichtung eines zahlungskräftigen Delos landen werden. Menschen sind entbehrlich, sie sind in großer Menge verfügbar und reproduzieren sich schneller, als sie sich mit sinnlosen Kriegen selbst unter die Erde bringen können.

»Dr. Serans.« Ruiz del Garbo kommt zu mir, sie wirkt entspannter als zuvor.

»Ja.«

»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Weswegen?« Nun, ihre Entschuldigung ist bemerkenswert, aber nicht von Belang. Sie wird an den folgenden Ereignissen nichts ändern. Wie auch die Spanierin die Entwicklung nicht aufhalten wird. Sie hat eine Chance gehabt und diese nicht genutzt. Mir ist sie gleich, die Frau ist bedeutungslos.

»Sie wissen schon ... unser Start war etwas holperig.«

»Ach ... schon vergessen.« Das habe ich natürlich nicht, aber Worte sind mir egal. Die Eitelkeit, zu gewinnen, liegt mir fern, ich brauche den Triumph nicht. Ich habe eine Mission, diese werde ich erfüllen. Dazu habe ich einzelne Aufgaben zu lösen. Einige davon stehen noch aus. Ruiz del Garbo wird es bald verstehen.

»Danke.« Wir geben uns die Hände. Eine freundschaftliche Geste ohne Bedeutung. Ich spiele mit, wissend, dass die Uhr weiterläuft. Ich werde obsiegen.

»Sie bekommen ein Kind?«, frage ich.

»Ist es schon rum?« Sie lächelt schüchtern.

»Solche Geschichten verbreiten sich schnell ...« Sie interessiert mich nur aus einem Grund. »Junge oder Mädchen?«

»Es ist noch früh, ich weiß es nicht.«

»Na ja, Sie werden es erfahren.« Ich nicke Doit zu, der mir vermutlich auch nach drei Rettungen des Himmelreichs nicht freiwillig die Hand geben würde.

»Bis später ...« Ruiz del Garbo wendet sich Doit zu, der auf sie wartet. Ein unmögliches Paar in einer stürmischen Zeit. Beide werden noch ihren Auftritt bekommen.

 

***