CLAIRE
Freitag, 25. Februar
Während ich am Freitagmorgen im Coffeeshop auf meinen Kaffee warte, gehe ich hinüber zum Schwarzen Brett mit den Jobangeboten. Mein vorläufiger Plan ist es, Evas Sozialversicherungskarte, Geburtsurkunde und andere relevante Dokumente an mich zu nehmen und irgendwo anders hinzuziehen. Dazu brauche ich aber mehr Geld, als ich gegenwärtig habe.
Es werden viele Mindestlohnjobs angeboten, die ich machen könnte – Daten eingeben, Kellnern oder sogar in einem Coffeeshop arbeiten –, aber ich bin gelähmt vor Angst, wäge ständig Risiken gegen Nutzen ab. Mich dort zu bewerben würde bedeuten, mich tatsächlich und offiziell als Eva auszugeben. Es ist ein Unterschied, ob man sich unter ihrem Namen einen Kaffee kauft oder ob man ihre Sozialversicherungsnummer in einer Steuererklärung angibt.
Mich beschäftigt, wovor Eva flüchtet. Eine Flut von Fragen zieht meinen Verstand in unvorhersehbare Richtungen. Ich werde niemals für jemanden arbeiten können, der meinen Lebenslauf überprüfen möchte. Ich werde immer unterwegs sein, nie zur Ruhe kommen, mich ständig fragen, wann Evas Vergangenheit mich schließlich einholt.
Durch das Fenster sehe ich Studenten, die zu ihren Kursen gehen. Sie steigen aus dem Bus, einige tragen Kaffeebecher und Kopfhörer, sehen müde müde und abgespannt aus, denn es ist früh am Freitagmorgen.
Als sie sich zerstreut haben, sehe ich ihn wieder. Den Mann von gestern. Er steht an der Ecke und wartet darauf, die Straße überqueren zu können. Er trägt denselben Wollmantel und hat sich eine Zeitung unter den Arm geklemmt, als wäre er auf dem Weg zur Arbeit. Ich starre ihn an, versuche herauszufinden, was mich an ihm stört. Er ist nur ein Mann auf dem Weg irgendwohin. Je länger ich bei Eva wohne, desto vertrauter werden mir die Menschen in der Gegend schließlich vorkommen.
Aber als die Ampel grün wird, blickt er mich über die Schulter direkt an, als wüsste er, dass ich hier bin und ihn beobachte. Unsere Blicke treffen sich, ich spüre das Gewicht seines neugierigen, suchenden Ausdrucks. Er hebt die Hand zu einem stillen Gruß, der nur für mich bestimmt ist, bevor er die Straße überquert und auf dem Campus verschwindet.
»Eva?«, sagt die Barista.
Ich drehe mich um, immer noch überrascht, dass ich ihr meinen Namen gesagt habe. Es schien nicht riskant, ihn bei einer Barista zu benutzen, die sich offenbar mehr für lokale Bands interessiert als für überregionale Nachrichten.
»Suchen Sie einen Job?« Sie gibt mir meinen Filterkaffee, den billigsten auf der Karte.
»Kann sein«, sage ich und gebe ihr zwei Dollar.
Sie hebt die Augenbrauen, als sie mir das Wechselgeld gibt. »Ja oder nein?«
»Ja.« Ich wende mich von ihr ab und gebe viel Milch und Zucker in meinen Kaffee, um wenigstens für ein paar Stunden ein Sättigungsgefühl zu haben. Ich weiß nicht, wie ich ihr sagen soll, dass ich dringend Arbeit suche, dass ich Angst habe, dass mir das Geld ausgeht und ich hier für immer festsitze.
»Ich arbeite in Teilzeit für einen Caterer«, sagt sie und wischt den Tresen neben der Kaffeemaschine. »Er sucht immer zusätzlich Bedienungen. Haben Sie Interesse?«
Ich zögere.
Sie sieht mich an und wischt weiter. »Man kriegt zwanzig Dollar die Stunde. Und …«, sie grinst verschmitzt, »… er zahlt unter dem Tisch.«
Ich nehme einen Schluck Kaffee und spüre, wie die heiße Flüssigkeit mir die Kehle hinunterläuft. »Er würde jemanden einstellen, den er nicht kennt?«
»Er sucht dringend Leute. Dieses Wochenende hat er eine riesige Party, und zwei seiner Bedienungen sind abgesprungen, weil sie eine Art Ehemaligentreffen haben.« Sie rollt mit den Augen und wirft den Lappen ins Waschbecken hinter sich. »Wenn es gut läuft, könnte es eine regelmäßige Sache werden.«
Ich habe Hunderte von Veranstaltungen mit Caterern organisiert – kleine wie große – und frage mich, wie es wohl ist, im Hintergrund zu arbeiten. Einer der anonymen Menschen zu sein, die ich kaum bemerkt
habe, wenn ich Gastgeberin war. »Was hätte ich zu tun?«
»Tische decken. Tabletts mit Essen tragen. Über schlechte Witze lachen. Und alles aufräumen. Die Veranstaltung beginnt um sieben, aber wir fangen um vier an. Wir treffen uns hier am Samstag um halb vier. Zieh eine schwarze Hose und ein weißes Top an.«
Ich rechne schnell. Bei zwanzig Dollar die Stunde, schwarz, würde ich an einem Abend fast zweihundert Dollar verdienen.
»Okay«, sage ich.
»Ich heiße Kelly«, sagt sie und hält mir ihre Hand hin. Sie hat einen festen, kühlen Händedruck.
»Freut mich, Kelly. Und danke.«
Sie lächelt. »Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Sie sehen aus wie jemand, der eine Chance brauchen könnte. Ich kenne mich damit ein bisschen aus.«
Bevor ich noch etwas sagen kann, ist sie durch die Schwingtür nach hinten gegangen, und ich stehe da, erstaunt, was für ein Glück ich habe.
Es ist erst sieben Uhr morgens, und die Vorstellung, direkt zurück zu Eva zu gehen und mich den ganzen Tag lang dort zu verstecken, macht mich nervös. Stattdessen gehe ich über den Campus zur Telegraph Avenue. Ich stehe vor dem Student Center und beobachte, wie Leute über die Kreuzung gehen, ohne sich ihres Glücks bewusst zu sein, einfach mit anderen sprechen zu können. Zu diskutieren oder über einen Witz zu lachen. Gemeinsam essen oder, später vielleicht, gemeinsam schlafen. Und ich wünschte, ich könnte eine von ihnen sein, zumindest für eine Weile.
Ich überquere die Straße, den Kopf leicht gesenkt und die Hände tief in die Taschen von Evas Mantel geschoben. Obdachlose betteln um Geld, Leute versuchen, mir Flyer in die Hand zu drücken, auf denen Bands angekündigt werden. Aber ich schüttele den Kopf und gehe weiter.
Beim Gehen sehe ich immer wieder kurz mein Spiegelbild in den Schaufenstern. Vor einem Bekleidungsgeschäft bleibe ich stehen und starre mich an. Mit den kurzen blonden Haaren unter der Mütze und Evas Mantel kommt es mir vor, als wäre ich ein Geist. Hinter mir auf dem Gehweg ziehen Leute vorbei – lachende Studenten, Obdachlose, alternde Hippies –, aber es sind nur Fremde, die ich niemals kennenlernen kann. Ich werde mich niemals hinsetzen und mich jemandem öffnen können, niemals frei über meine Mutter und Violet sprechen können oder darüber, wer ich bin
und woher ich komme. Das ist das Leben, das mir bevorsteht. Immer auf der Hut sein.
Als eine große Gruppe Studenten zurück zum Campus geht, schließe ich mich ihnen an und gebe mich der Illusion hin, dass ich zu ihnen gehöre. Dass ich in diesem neuen Leben nicht allein bin. Ich folge ihnen über die belebte Straße, die den Campus begrenzt, und trenne mich von ihnen, als sie ins Student Center gehen. Ich kann mit ihnen gehen, aber ich werde nie zu ihnen gehören.
Auf dem Weg zurück zum Haus mache ich bei einem Supermarkt halt, um ein paar Dinge einzukaufen. Ich schnappe mir einen Korb und finde die günstigen Lebensmittel, die meine Mutter immer gekauft hat – Billigbrot, Erdnussbutter, ein großes Glas Traubenmarmelade. Ihre anderen bevorzugten Artikel lasse ich aus – Reis, gekochte Bohnen mit Zwiebeln und Knoblauch. Ich will nicht lange genug hierbleiben, um Reste zu hinterlassen.
An der Kassenschlange wandern meine Augen zum Zeitschriftenständer. Auf der Titelseite von Stars Like US
– ein Klatschmagazin irgendwo zwischen People
und US Weekly
– steht es. Der Absturz von Flug 477: Wie die Familien mit der Tragödie fertigwerden.
Und oben rechts in der Ecke ist mein Bild zu sehen. Die Bildunterschrift lautet: Ehefrau von Philanthrop Rory Cook unter den Opfern.
Das Foto ist vor ein paar Jahren bei einer Galaveranstaltung in der Met entstanden. Ich lache über etwas, das jemand, der nicht im Bild ist, gesagt hat. Auf meinem Gesicht liegt ein Lächeln, aber meine Augen sind ausdruckslos. Ich verstehe besser als die meisten, wie sich Geheimnisse auf der Haut abzeichnen und wie schwer sie zu verbergen sind, denn die Wahrheit offenbart sich immer irgendwie.
Ich lege die Zeitschrift mit dem Cover nach unten auf das Kassenband und lese die Titelseiten der anderen Klatschblätter. Seit der Sache mit Maggie Moretti hat Rory nicht mehr so viele Schlagzeilen bekommen. Rory, von Trauer gezeichnet, sucht Trost bei geheimnisvoller Frau,
lautet eine davon. Dazu gibt es ein Bild von Rory und einer Frau, die ich noch nie gesehen habe. Mit Schrecken wird mir klar, dass Rory sich irgendwann wieder verlieben wird. Ein Teil von mir fühlt sich schuldig, dass ich einfach gehe und die Falle für jemand anders geöffnet lasse.
»Wie geht’s Ihnen?«, fragt die Kassiererin, während sie meine
Lebensmittel einscannt.
»Gut, danke«, sage ich leise und will schnell bezahlen, bevor sie mich weiter beachtet. Ich halte den Atem an, als sie fertig ist und anfängt, alles in eine Tüte zu packen, die Zeitschrift achtlos hineinwirft. Ich erinnere mich daran, dass ich nicht mehr wie die Frau auf der Titelseite aussehe. Man müsste meine Gesichtszüge genau betrachten, die Form meiner Augen, die Sommersprossen auf den Wangen, um es zu sehen. Ich sehe jetzt aus wie Eva. Ich trage ihre Sachen. Trage ihre Handtasche. Lebe in ihrem Haus. Die Frau auf dem Cover dieser Zeitschrift existiert nicht mehr.
Zu Hause stelle ich die Lebensmittel ab und vertiefe mich in die Zeitschrift. Ein wachsendes Unbehagen befällt mich, als ich mir die lachenden Gesichter der Menschen ansehe, die nicht so viel Glück hatten wie ich. Ich zwinge mich, mir ein Foto von Eva vorzustellen, das mich von den Seiten der Zeitschrift anstarrt. Entschlossen, hoffnungsvoll. Und heuchlerisch.
Es sind zwei Doppelseiten mit Farbfotos vom Absturzort. Der Artikel beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Opfern, beleuchtet Biografien und enthält Interviews mit den Hinterbliebenen. Ein frisch vermähltes Paar auf dem Weg in die Flitterwochen. Eine sechsköpfige Familie, das jüngste Kind gerade mal vier Jahre alt, die ihre lang ersehnte Reise nach Hause antrat. Zwei Lehrer, die ihre Winterferien in einer warmen Gegend verbringen wollen. Alles wunderbare, lebhafte Menschen, ausgelöscht bei einem schrecklichen Absturz ins Meer.
Den Artikel über mich und Rory spare ich mir für zuletzt auf. Er hat ihnen ein Foto von unserer Hochzeit gegeben, auf dem wir uns in die Augen blicken, im Hintergrund sind funkelnde Lichter zu sehen. Unter den Opfern ist auch die Ehefrau des New Yorker Philanthropen Rory Cook, Sohn der früheren Senatorin Marjorie Cook. Seine Frau Claire war auf dem Weg nach Puerto Rico, um die Hilfsmaßnahmen für die Hurrikan-Opfer zu unterstützen. »Claire war eine Lichtgestalt in meinem Leben«, sagt Cook. »Sie war großzügig, lustig und liebevoll. Sie hat einen besseren Menschen aus mir gemacht, und meine Liebe zu ihr hat mich für immer verändert.«
Ich setze mich hin und versuche, diese Worte mit dem Mann, den ich kenne, in Einklang zu bringen. Identität ist etwas Seltsames. Sind wir die Person, als die wir uns beschreiben? Oder werden wir die Person, die andere in uns sehen? Definieren sie uns aufgrund dessen, was wir ihnen von uns zeigen – oder auf der Grundlage all dessen, was sie sehen, obwohl wir es gern
verbergen würden? Rorys Worte und das Hochzeitsfoto vermitteln ein bestimmtes Bild. Aber die Leser der Zeitschrift sehen nicht, wie er sich verhalten hat, bevor und nachdem es aufgenommen wurde. Es gibt Hinweise, wenn man weiß, wo man suchen muss. In der Art, wie er mich am Ellbogen festhält, wie er den Kopf neigt, wie er sich vorbeugt und ich mich zurücklehne.
Ich erinnere mich an den Moment, nicht weil er wunderbar war, sondern aufgrund dessen, was unmittelbar vorher passiert ist. Ich war auf die andere Seite des Raums hinübergegangen, um mich mit Jim, einem ehemaligen Arbeitskollegen bei Christie’s, zu unterhalten. Ich hatte gelacht, die Hand auf Jims Arm gelegt, als Rory zu uns kam und Jims Geschichte mit einem strengen Blick unterbrach.
»Lächle«, hatte ich Rory getadelt. »Dies ist ein glücklicher Tag.«
Stattdessen griff Rory nach meinem Handgelenk und drückte so fest, dass ich beinahe aufschrie. »Wenn Sie uns entschuldigen würden«, sagte er zu Jim, »wir werden drüben für Fotos gebraucht.« Sein Ton war sanft, sodass Jim keinen Verdacht schöpfen konnte. Aber ich erkannte an der Art, wie er mein Handgelenk festhielt, an der starren Mundhaltung und den zusammengekniffenen Augen, dass ich später für meine lockere Bemerkung würde bezahlen müssen.
Zufällig sah ich, wie meine Mitbewohnerin vom College uns quer durch den Raum beobachtete. Sie saß mit ein paar anderen Freundinnen neben dem Mischpult des DJ
s. Ich warf ihr ein strahlendes Lächeln zu in der Hoffnung, sie davon zu überzeugen, dass alles bestens war. Dass ich nicht gerade einen Mann geheiratet hatte, der mir Angst zu machen begann.
Rory verlangte, dass ich für den Rest des Empfangs an seiner Seite blieb. Er machte die Runde durch den Raum, bezauberte Gäste, riss Witze, aber sprach kein einziges Wort mit mir. Erst als wir im Fahrstuhl auf dem Weg in unsere Luxussuite waren, wandte er sich mit eisigem Blick an mich und sagte: »Demütige mich nie wieder so.«
Ich starre das Foto an, erkenne die Frau auf dem Bild kaum und fahre mit dem Finger an den Konturen ihres Gesichts entlang. Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, dass alles gut wird. Dass sie auf höchst ungewöhnliche Weise entkommen wird. Sie muss nur durchhalten.
Nachdem ich schnell ein Brot mit Erdnussbutter und Marmelade gegessen habe, setze ich mich wieder vor meinen Computer und klicke das Doc an. Es
ist leer, aber ich sehe, dass Rory an meiner Trauerrede gearbeitet hat. Ich öffne sie und lese.
Meine Frau Claire war eine unglaubliche Frau, deren außergewöhnliches Leben aus Pflichtbewusstsein und Aufopferung bestand.
Ich schaudere. Sogar das Zitat in der Zeitschrift drückte mehr Gefühl aus. Das hier klingt, als wäre ich eine Achtzigjährige, die nach einem langen, fleißigen Leben friedlich im Schlaf gestorben ist. Nicht der lebensfrohe Mensch, der ich war – und noch bin. Und ich frage mich, was Rory meiner Meinung nach stattdessen sagen sollte.
Ich war unglaublich streng mit Claire – viel strenger, als sie es verdient hat. Ich weiß, dass ich ihr Angst gemacht habe. Ich habe sie manchmal verletzt. Ich habe sie auf eine kaputte und abartige Weise geliebt, die es unmöglich gemacht hat, dass wir wirklich glücklich waren. Aber Claire war ein guter Mensch. Ein starker Mensch. Ich schüttele den Kopf. Nicht mal in meiner Vorstellung klingt das wirklich nach Rory.
Es tut mir so leid, Claire. Was ich dir angetan habe, war falsch.
In der Trauerrede vor mir auf dem Bildschirm steht nichts davon. Sie handelt von meiner Kindheit in Pennsylvania und berichtet dann von meiner Wohltätigkeitsarbeit, von den vielen Menschen, die ich berührt habe, und all denen, die ich zurücklasse. Selbst hier spüre ich einen Mangel an echter Trauer und Bedauern. Aber vielleicht war ich ja nichts anderes für ihn. Die Ehefrau aus bescheidenen Verhältnissen. Die Ehefrau, die auf tragische Weise ihre Familie verloren hat. Die Ehefrau, die in der Kunstszene erfolgreich war, bis sie ihren Beruf aufgab, um in der gemeinnützigen Stiftung ihres Mannes zu arbeiten. Und jetzt die Ehefrau, die jung gestorben ist. Es liest sich wie die fiktive Biografie einer Nebenfigur in einem Roman, nicht wie mein Leben.
Ich stelle mir vor, wie meine ehemaligen Kollegen von Christie’s bei meiner Beerdigung in der hinteren Ecke der Kirche sitzen. Menschen, mit denen ich dank der Isolation durch Rory seit Jahren nicht gesprochen habe. Wie viele werden kommen? Vier? Zwei? In gewisser Weise habe ich das Gefühl, schon vor Jahren gestorben zu sein. Von meinem früheren Ich ist nichts mehr übrig. Der Mensch in dieser Trauerrede ist eine Fremde.
In dem Moment wird angezeigt, dass eine neue Nachricht in Rorys
Outlook eingegangen ist, und ich öffne den Posteingang. Sie kommt vom Vorstandsvorsitzenden des NTSB
, und als ich die Vorschau lese, läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter.
Sehr geehrter Mr. Cook, ich beziehe mich auf unser Gespräch über den Teil des Flugzeugs, in dem Ihre Frau …
Ich bin versucht, sie zu öffnen, zu lesen und dann als ungelesen
zu kennzeichnen. Ich muss wissen, wie der Satz endet. Aber ich zwinge mich, zu warten.
Ich stehe auf, gehe im Zimmer auf und ab, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, und flehe Rory insgeheim an, seine E-Mails zu checken. Endlich, nach fünf Minuten, erscheint neben der Nachricht das Symbol für gelesen,
und ich stürze zurück zum Schreibtisch, um sie anzuklicken.
Sehr geehrter Mr. Cook, ich beziehe mich auf unser Gespräch über den Teil des Flugzeugs, in dem Ihre Frau gesessen hat. Gerade habe ich die Information erhalten, dass Bergungsleute berichten, der Sitz Ihrer Frau sei leer gewesen, obwohl der Rumpf der Maschine relativ intakt ist. Wir werden der Bergung ihrer sterblichen Überreste weiterhin oberste Priorität einräumen, und ich werde Sie über neue Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Mir bleibt für einen Moment die Luft weg. Alles, woran ich geglaubt habe, hat sich geändert und wird auf den Kopf gestellt.
Rorys Antwort auf diese E-Mail erscheint fast sofort.
Was bedeutet das? Wo ist sie?
Ich lehne mich im Stuhl zurück. Rorys Fragen, was mit mir passiert sein könnte, wirbeln mir durch den Kopf und münden in Fragen, wie Eva es geschafft haben könnte. Wen hat sie noch getäuscht, und wohin könnte sie geflogen sein? Ein Teil von mir ist überhaupt nicht überrascht. Eine Frau, die behauptet, ihren Mann getötet zu haben – einen Mann, der gar nicht existiert –, ist sicherlich auch dazu fähig.
Ein paar Minuten später kommt eine Antwort.
Bevor wir die Black Box und damit mehr Informationen über den Absturz haben, kann ich unmöglich etwas sagen. Es könnte eine
ganze Reihe von Gründen dafür geben, warum Ihre Frau nicht da war, wo wir es erwartet haben. Es tut mir leid, und ich bitte Sie um Geduld. Einen Absturz zu rekonstruieren erfordert Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis wir Antworten haben.
Ich sehe ihn wieder vor mir, den rosa Fleck bei der Pressekonferenz. Zum ersten Mal erwäge ich ernsthaft die Möglichkeit, dass Eva nicht an Bord gegangen ist.