CLAIRE
Samstag, 26. Februar
Auf der Heimfahrt von dem Event sprechen Kelly und ich kein Wort. Meine Gedanken springen hin und her, und ich versuche, mir noch einmal zu vergegenwärtigen, was ich getan habe. Ich weiß genau, was diese Leute mit den Videos und Fotos, die sie geschossen haben, machen werden. Zuerst werden sie im Internet auftauchen und dann schließlich im Fernsehen. Die Frage ist nur, wann, und ob mich jemand erkennen wird.
Ich genieße die Ruhe im Auto, lehne die Stirn gegen die Scheibe und lasse den Blick über die verdunkelten Wohnungen entlang der Schnellstraße schweifen. Als wir die Auffahrt ansteuern, sagt Kelly: »Was war denn da los?«
Ich blicke weiter aus dem Fenster und frage mich, was sie wohl sagen würde, wenn ich ihr alles erzählte, was in den letzten Tagen passiert ist. Ich stelle mir vor, wie sie mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt, während ich beichte, was ich getan habe, um mich selbst zu retten. Das Entsetzen in ihrem Blick, das alle Freundlichkeit verdrängt. »Was meinst du?«, frage ich.
»Na, als du bei Donny und seiner Freundin dazwischengegangen bist. Was steckt dahinter?«
So spät am Abend ist die Straße fast leer. Kelly wechselt mehrmals den Fahrstreifen und bleibt schließlich auf der mittleren Spur. »Es ist besser, wenn du es nicht weißt«, sage ich.
Kelly blickt stur auf die Straße. Ab und zu erhellen die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge kurz ihr Gesicht, bevor es wieder in Dunkelheit gehüllt wird. »Hat dein Mann dich geschlagen?«
Ich lasse die Frage im Raum stehen und frage mich, ob ich den Mut habe, sie zu beantworten. »Mehrfach«, flüstere ich schließlich.
»Und jetzt hast du Angst, er könnte das Video sehen und dich finden.«
»Ich weiß nicht, wie ich so dumm sein konnte«, sage ich.
Wir verlassen die Schnellstraße und fahren ins Zentrum von Berkeley. Die Straßen sind leer, und bald erreichen wir Evas Haus. Kelly parkt davor und wendet sich mir zu. »Lass mich dir helfen«, sagt sie.
Ich weiß besser als jeder andere, wie Geheimnisse an einem nagen können und wie sie einen vom Rest der Welt abschneiden. Außer Petra hatte ich in New York keine echten Freunde, weil ich zu viel zu verbergen hatte. Und nun, da ich geflüchtet bin, hat sich daran nichts geändert. Ich muss Kelly auf Distanz halten, um meine Geheimnisse zu wahren. Nur sind es jetzt andere Geheimnisse.
Ich schenke ihr ein mattes Lächeln und wünsche mir nichts mehr, als dass Kelly und ich Freundinnen sein könnten.
»Danke«, sage ich. »Aber dafür ist es vielleicht schon zu spät.«
Oben setze ich mich an den Computer und rufe die Website TMZ auf. Sofort finde ich einen Link zu dem Streit zwischen Donny und Cressida, der erst vor fünfundvierzig Minuten gepostet wurde. Die Überschrift lautet: Streit zwischen Baseballstar Donny Rodriguez und seiner Freundin artet in körperliche Gewalt aus. Ich klicke auf den Text, und das Video poppt auf. Kein Ton, nur das Filmmaterial, aber die Bildauflösung ist unglaublich. Man sieht Donny und Cressida, wie er sie am Arm packt und an sich zieht, und wie ich dazwischengehe.
Es gibt bereits über zweihundert Kommentare, und ungefähr in der Mitte sehe ich ihn.
NYpundit: Hey, findet ihr nicht, dass die Frau im Hintergrund Rory Cooks verstorbener Frau ein bisschen ähnlich sieht?
»Nein«, hauche ich in den leeren Raum und denke an den Google Alert, den dieser Kommentar aktiviert hat und über den Danielle und Rory nun per E-Mail informiert werden.
Rasch navigiere ich zu Rorys Posteingang und öffne seinen Alert -Ordner. Die E-Mail steht ganz oben auf einer langen Liste ungelesener Mitteilungen, und mein erster Gedanke ist, sie zu löschen. Aber damit wird das Unvermeidliche nur hinausgezögert. Danielle wird die Benachrichtigung trotzdem sehen, sie lesen und schließlich auf den Link klicken. Sie wird sich das Video anschauen, vielleicht sogar mehrmals, und es dann an Bruce weiterleiten. Gemeinsam werden sie beratschlagen, wie sie es Rory am besten beibringen, dass die Frau, die ihn verlassen wollte und die angeblich tot ist, noch lebt und für einen Caterer in Oakland arbeitet.
Ich mache einen Haken neben der Mitteilung, und sicherheitshalber noch neben ein paar anderen, dann klicke ich auf Löschen . Anschließend leere ich den Papierkorb. Ich bin so oder so geliefert.
Am Sonntagmorgen haben bereits über hunderttausend User das Video gesehen, und ich scrolle mindestens hundert Antworten zu dem Kommentar von letzter Nacht durch. Die meisten werfen NY pundit vor, er sei blind, dumm oder ganz einfach ein kaltschnäuziger Verschwörungstheoretiker.
Leute wie du sind daran schuld, dass in diesem Land alles schiefläuft. Ihr versteckt euch hinter dem Computer und entwerft haltlose Theorien in der Hoffnung, berühmt zu werden.
Aber NY pundit gibt nicht auf. Er hat einen Screenshot von meinem Gesicht aus dem Video und daneben das Bild aus dem Artikel in Stars Like Us gepostet.
Du sagst es, stellt ein weiterer Kommentator fest. Sie sehen sich tatsächlich ähnlich, nur die Haare sind anders.
Ich weiß, dass Rory mich trotz meiner kurzen blonden Haare sofort erkennen wird. Die Art, wie ich mich bewege, mein Gesichtsausdruck, als ich mich zwischen Donny und Cressida dränge, sind unverwechselbar. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Rory das Video sieht und mich – mithilfe von Tom oder Kelly – ausfindig macht. Wenn es so weit ist, muss ich möglichst weit von Berkeley weg sein.
Aber bislang ist das Doc noch leer, obwohl ich jeden Moment damit rechne, folgende Worte zu lesen:
Hast du das Video gesehen? Glaubst du, sie ist es tatsächlich?
Als schließlich ein Text erscheint, handelt er nicht von dem Video.
Bruce Corcoran:
Charlie hat mir eine E-Mail mit dem Entwurf einer Presseerklärung und einer eidesstattlichen Aussage geschickt.
Rory Cook:
Was steht drin?
Bruce Corcoran:
Alles.
Ich spüre die Tragweite dieses Wortes, egal worum es dabei geht.
Bruce schreibt weiter, und ich kann seinen beschwichtigenden Ton praktisch hören.
Bruce Corcoran:
Wir werden das natürlich nicht zulassen. Wir haben Leute, die Charlies Vergangenheit überprüfen werden. Bis zurück zu der Zeit auf dem College. Wir werden etwas finden, das dem Ganzen ein Ende macht.
Rory Cook:
Es gibt eine Menge zu tun. Halt mich auf dem Laufenden.
Bruce Corcoran:
Das werde ich.
Unten klopft es an der Tür, und ich zucke zusammen. Ich schleiche die Treppe hinunter, spähe durchs Fenster und sehe Kelly mit zwei Bechern Kaffee aus dem Coffeeshop auf der Veranda stehen. Ich bin versucht, nicht aufzumachen, sondern wieder nach oben zu gehen, um herauszufinden, was alles bedeutet und was genau ein Buchhalter der Stiftung über Maggie Morettis letztes Wochenende mit Rory weiß.
Aber Kelly hat mich schon gesehen. »Ich dachte, du könntest heute Morgen etwas Koffein gebrauchen«, ruft sie durch die geschlossene Tür. »Ich wollte mich auch noch bedanken, dass du den Mädchen gestern geholfen hast. Sie sind abends fertig geworden, und es ist ziemlich gut.«
Wir setzen uns auf die Couch, der niedrige Tisch steht zwischen uns. Kelly nippt an ihrem Kaffee. Ich halte den Becher in meinen Händen und spüre die Wärme des Getränks.
»Auf TMZ gibt es ein Video von mir«, erzähle ich.
»Ich habe es gesehen«, erwidert sie. »Aber nur online. Nicht im Fernsehen. Falls dein Ex nicht gerade auf Promiklatsch steht, ist alles gut.«
Wenn sie sich die Kommentare überhaupt angeschaut hat, hat sie wahrscheinlich nicht weit genug gescrollt, um NY pundits Worte zu lesen. Ich drehe den Becher in meiner Hand und wünschte, ich könnte ihr erklären, dass das alles nicht so einfach ist. Dass es nicht einfach aufhören wird.
»Danke, dass du vorbeigekommen bist, und dafür.« Ich hebe den Becher hoch. »Aber ich muss jetzt packen. Ich verschwinde noch heute Nachmittag.« Ich sehe mich in dem Raum um, der in den letzten Tagen mein Zufluchtsort gewesen ist. Mein Mantel über der Stuhllehne, der Zeitungsstapel auf dem Boden neben der Couch – wie schnell sich dieses Haus doch wie ein Zuhause angefühlt hat.
»Es besteht immer noch die Chance, dass er das Video nicht sieht.«
Ich stelle meinen Kaffee, den ich noch nicht angerührt habe, auf den Tisch zwischen uns. »Es ist komplizierter, als du denkst.«
»Dann erkläre es mir«, sagt Kelly. »Wenn du Geld brauchst, kann ich dir was leihen. Wenn du eine andere Wohnung brauchst, kenne ich jemanden, der dir eine besorgen kann.«
In diesem Moment muss ich an meine Mutter denken, die nie gezögert hat, jemandem in Not Hilfe anzubieten. Selbst wenn sie es sich nicht leisten konnte. Ich würde mir nur allzu gerne von Kelly helfen lassen. Aber ich kann es nicht riskieren, sie – oder ihre Familie – in eine Sache hineinzuziehen, bei der kein vernünftiger Mensch freiwillig mitmachen würde.
»Danke«, sage ich. »Ich weiß alles, was du für mich getan hast, wirklich sehr zu schätzen. Mehr, als du dir vorstellen kannst.«
»Dann lass mich dir wenigstens helfen, noch ein bisschen Geld zu verdienen, bevor du gehst. Tom ist heute Nachmittag für eine Party gebucht. Ohne Presse, versprochen. Nur ein schlichtes Event in einem Haus in den Hügeln, mit tollem Ausblick. Ich kann dich um zwei abholen, und gegen neun bist du wieder zu Hause.« Sie lächelt mich traurig an. »Früh genug, damit du heute noch wegkommst.«
Auf der anderen Seite der Wohnzimmerwand steht Evas Auto versteckt in der dunklen Garage, und ich verspüre den inneren Drang, keine Minute mehr zu vergeuden. Meinen Kaffee in den Müll zu werfen, die Unordnung der letzten Tage zu beseitigen, meine Sachen im Auto zu verstauen und loszufahren.
Aber die Vorsicht bremst mich plötzlich. Ich kann es mir nicht erlauben, impulsiv zu sein und noch einen Fehler zu machen. Ich brauche einen Plan. Ich muss überlegen, wohin ich als Nächstes gehe, die nötigen Dokumente aus Evas Büro zusammensuchen, die ich vielleicht brauchen werde, und packen. Selbst wenn Rory das Video genau in diesem Moment sieht, könnte er frühestens morgen in der Stadt sein. Ich kann immer noch heute Nacht verschwinden, mit zweihundert Dollar mehr in der Tasche. Ich kann es mir nicht leisten, Nein zu sagen.
»Wir sehen uns um zwei.«
Nachdem Kelly fort ist, gehe ich wieder nach oben zu meinem Computer in der Hoffnung, mehr von der Unterhaltung über Charlie mitzubekommen. Aber das Doc ist wieder leer, und die Stille wirkt wie eine leise Drohung, die nur ich hören kann.
Ich fange mit Evas Schreibtisch an, suche nach dem letzten Kontoauszug und lege ihn beiseite. Aus dem Kasten in der Ecke nehme ich den Fahrzeugbrief und den Fahrzeugschein ihres Wagens, ihre Sozialversicherungskarte und Geburtsurkunde und suche zum wiederholten Mal ohne Erfolg nach einem Pass. Ich sehe mich schon irgendwo weit weg, in einer Großstadt wie Sacramento oder Portland. Vielleicht auch Seattle. Ich suche mir ein billiges Motel oder Hostel und dann einen Job und trage in das Steuerformular Evas Daten ein. Die Kraft des Möglichen wächst in mir.
Ich schnappe mir eine Lohnabrechnung von DuPree’s, dem Restaurant, wo Eva gearbeitet hat, und lege sie auf meinen Stapel. Vielleicht kann ich sie als Empfehlung verwenden. Ich streiche über meine kurzen blonden Haare. Für alle außerhalb von Berkeley bin ich Eva James. Ich kann es beweisen, anhand des Führerscheins, eines Bankkontos, einer Sozialversicherungskarte und der Steuerbescheide. Wie beim Blick in einen Zerrspiegel bin ich mir nicht mehr sicher, wo ich aufhöre und wo sie anfängt. Ich stelle mir vor, wie irgendein Restaurantleiter bei DuPree’s anruft und sich nach mir erkundigt. Eva James? Ja, die hat hier gearbeitet.
Ich wende mich wieder meinem Computer zu. Wohin soll ich gehen? Es gibt mehrere Möglichkeiten. Nach Norden zu fahren scheint die beste Wahl zu sein. Es liegen so viele große Städte und Meilen zwischen hier und Kanada. Vielleicht kann ich zurückkommen und mich in Chicago oder Indianapolis niederlassen. Ich beginne meine Suche nach Jobs und günstigen Wohnungen mithilfe der Anzeigenwebsite Craigslist und rechne mir aus, wie lange mein Geld reichen wird.
Nach einer Stunde klicke ich wieder auf Rorys Doc, aber es ist immer noch leer, ein unbeschriebenes weißes Quadrat, das nichts als Stress und Angst verursacht. Es ist das Einzige, was mich noch mit meinem alten Leben verbindet, und ich bin versucht, der Sache ein Ende zu machen, mich auszuloggen und alles hinter mir zu lassen. Ich muss meinen eigenen Weg finden, über meine nächsten Schritte nachdenken und nicht über einen mutmaßlichen Skandal um Maggie Moretti, an dem vielleicht gar nichts dran ist. Maggie ist tot. Und wenn ich jetzt keinen klaren Kopf behalte, könnte ich genauso enden.
Denn sobald Rory das Video sieht, wird er bestimmt herkommen. Er wird nach Oakland fliegen, Tom ausfindig machen und Antworten verlangen. Tom wird ihm lediglich Evas Vornamen nennen können. Er besitzt kein Steuerformular, keine Personalakte mit Evas Adresse.
Aber Kelly kennt sie.
Ich sehe Rory vor mir, wie er ihr dieses Lächeln schenkt, das selbst die hartherzigsten Millionäre dazu bringt, einen Scheck auszustellen. Ich weiß, was er über mich sagen wird – dass ich ruhelos bin. Unausgeglichen. Zu Übertreibung und Lügen neige. Ich würde nur zu gerne glauben, dass Kelly dem standhalten wird, aber die Wahrheit ist, dass ich sie dafür nicht gut genug kenne. Deshalb muss ich heute Nacht gehen.
Eine kurvenreiche Straße führt hinauf zu dem Haus in den Hügeln von Berkeley, wo die Party stattfindet. Kelly und ich kommen kurz nach zwei dort an. Wir melden uns kurz bei Tom und decken anschließend die Tische in einem großen Raum mit herrlichem Blick auf die Bucht.
»Weißt du schon, wohin du gehen wirst?«, fragt Kelly leise. Der Barkeeper, den Tom eingestellt hat, ein Student um die zwanzig, hüpft mit Kopfhörern hinter der Theke herum, stellt Flaschen auf und poliert Gläser.
Ich streiche mit den Händen eine Tischdecke glatt und schaue aus dem Fenster. In der grellen Nachmittagssonne wirkt der Ausblick leicht verwaschen. »Vielleicht nach Phoenix«, lüge ich. »Oder nach Las Vegas. Nach Osten, denke ich.«
Ich habe beschlossen, nach Norden zu gehen, Sacramento zu umfahren und Portland den Vorzug zu geben. Ich will möglichst viel von meinem Bargeld sparen, indem ich zum Tanken Evas Debitkarte benutze, und so weit fahren, bis ihr Geld aufgebraucht ist. Ich habe ein paar Sachen in eine kleine Reisetasche gepackt, genug, damit es wenigstens für eine Woche auf der Straße reicht, bis ich mich irgendwo für längere Zeit niederlassen kann.
»Such dir besser kein Casino als Arbeitsplatz aus«, raunt Kelly mir zu. »Dort nehmen sie deine Fingerabdrücke.«
Ich mache einen Schritt zurück und frage mich, was sie weiß. Was könnte ich vielleicht versehentlich verraten haben?
Sie bemerkt die Panik in meinem Gesicht und meint: »Hey, ich wollte damit nur sagen, dass du das vielleicht vermeiden möchtest, falls dein Mann die Polizei einschaltet, um dich zu finden.«
Tom kommt in einer weißen Kochjacke aus der Küche und ruft uns zur Einsatzbesprechung. Kelly und ich lassen unsere Arbeit liegen und holen uns letzte Instruktionen, bevor die Party losgeht.
Als Tom fertig ist, gesellt sich die Gastgeberin zu uns. Sie ist jung – ungefähr in meinem Alter – und beachtet uns kaum, da wir ein wenig abseits stehen. Tom erklärt ihr den Ablauf, und ihr Blick schweift achtlos über uns hinweg, so als gehörten wir zum Mobiliar. »Das klingt perfekt«, sagt sie schließlich. »Bitte sorgen Sie dafür, dass ständig Appetithäppchen gereicht werden.«
Kurz darauf mischen Kelly und ich uns mit unseren schweren Tabletts unter die Menge. Die Glastüren stehen offen, damit die Gäste auf eine kleine Rasenfläche mit Blick auf Berkeley und die Bucht hinaustreten können. Inzwischen ist die Sonne weitergezogen, und der zuvor leicht verschwommen anmutende Ausblick ist jetzt in Grün und Gold getaucht. Die kühle Luft ließe mich frösteln, wenn ich nicht so hart arbeiten müsste. Wie versprochen ist die Party privat, und niemand scheint Interesse daran zu haben, die Gäste zu fotografieren.
Ich stelle mein Tablett auf einem Tisch am Rand der Rasenfläche ab, sammle schmutzige Gläser und leere Teller ein und blicke zum Horizont. San Francisco ist in tiefes Blau und Violett getaucht, als die Sonne allmählich untergeht, und die Lichter auf der Bay Bridge heben sich nun deutlicher von dem sich verdunkelnden Himmel ab. Ein Strom von Autos bewegt sich in die City, ihre roten Rücklichter erinnern an eine leuchtende Kette. Hinter mir geht die Party weiter, Stimmen mischen sich unter Gelächter, Gläser klirren, Besteck klappert, und das Ganze wird von leiser klassischer Musik untermalt.
Ich nehme mein Tablett wieder auf die Schulter und gehe langsam zum Haus zurück. Als ich über die Schwelle trete, erhebt sich eine Stimme über die anderen. Eine Frauenstimme, heiter vor Erstaunen und Freude. »O mein Gott, Claire! Bist du es wirklich?«
Mir wird ganz heiß, und Panik steigt in mir hoch, während die Party um mich herum weitergeht. Mein Blick huscht zu den Ausgängen – zum Vorder- und Hinterausgang – und ich rechne mir aus, welcher wohl näher ist. Aber um mich herum drängen sich die Leute, und es gibt keinen eindeutigen Fluchtweg.
Ich hätte abhauen sollen, als ich noch die Möglichkeit hatte. Jetzt ist es zu spät.