6.
„
O
kay, also noch mal langsam und zum Mitschreiben“, bat Gruber. „Ich bin kein Angehöriger der Generation Internet und brauche ein bisschen, um diesen sogenannten Input zu verarbeiten. – Du sagst, in Aserbaidschan spricht man Türkisch?“
Benno sah von seinem Computerbildschirm hoch und grinste schief.
„Nicht ganz“, entgegnete er. „Laut Wikipedia ist die dortige Amtssprache ein sogenanntes Aserbaidschan-Türkisch, eng verwandt mit dem Original-Türkisch und gehört zu den oghusischen, also den südwestlichen Turksprachen. Die Nationalsprache dort basiert dagegen auf einem Baku-Dialekt und wird von rund 14 Millionen Menschen, zum Beispiel auch im Iran, gesprochen.“
„Aha“, machte Gruber. „Und mit was haben wir es hier bei diesem Heft zu tun?“ Benno zuckte die Achseln.
„Das kann uns hoffentlich einer von den klugen Leuten sagen, die in dem Übersetzungsbüro arbeiten, das ich ausfindig gemacht habe.“ Er griff nach seinem Handy und wählte eine längere Nummer.
Nach dreimaligem Läuten meldete sich eine freundliche Dame und Benno schilderte grob sein Anliegen. Die Frau notierte sich seine Nummer und versprach, sich nach Rücksprache mit einer entsprechenden freiberuflichen Mitarbeiterin umgehend wieder bei ihm zu melden.
„Und?“ Gruber blickte ihn gespannt an.
„Sie melden sich. Scheint eine größere Firma zu sein, mit mehreren Freiberuflern, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen. Aserbaidschanisch ist nun mal nicht gerade eine Weltsprache, deswegen haben sie dafür keine festangestellten Übersetzer. Aber eine ihrer Freiberuflichen stammt wohl selbst von dort, die werden sie kontaktieren und uns dann Bescheid geben, ob sie sich das Heft ansehen will.“
„Sitzt die Firma hier in der Stadt?“ Benno nickte.
„Ja. Da wird Kremer sich freuen, wenn die Spesenrechnung halbwegs im Rahmen bleibt.“
Gruber quittierte das mit einem Schnauben und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, den Blick nachdenklich auf den Plastikbeutel mit dem Schreibheft ruhend.
„Was hat der Kleine da wohl alles aufgeschrieben?“, sinnierte er. „Meinst du, es hat mit den Sachen zu tun, von denen Scholz gesprochen hat? Für die er so akribisch Beweise zu sammeln versucht hat?“
„Das mit dem Menschenhändlerring meinst du?“ Benno zuckte die Achseln. „Keine Ahnung, ich hoffe es, aber wenn wir Pech haben, ist es auch nur irgendein belangloses Geschreibsel. Da müssen wir wohl warten, bis wir es übersetzt bekommen. Aber wo wir gerade davon sprechen: Wo ist eigentlich diese Akte geblieben, die Scholz damals dem Staatsanwalt vorgelegt hat? Weißt du das?“
Gruber schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf.
„Am besten fragen wir da mal bei Steiner nach. Der war zwar damals noch nicht hier, aber eigentlich müsste er der richtige Ansprechpartner dafür sein. Das mach ich am besten gleich, dann ist es erledigt.“ Er griff ebenfalls zum Handy. Nachdem er eine Kurzwahl gedrückt hatte, hielt er sich das Gerät ans Ohr und während er darauf wartete, dass Steiner sich meldete, sah er zu Benno und ergänzte: „Anschließend fahren wir dann zusammen zu Gazizows Familie und informieren sie, dass Ahmad tot ist. Wer weiß, vielleicht wissen die ja auch noch irgendwas.“
„Nachdem sie den Jungen rausgeworfen und den Kontakt zu ihm abgebrochen haben, hege ich da ehrlich gesagt wenig Hoffnung“, erwiderte Benno. „Aber du hast natürlich recht, sie haben zumindest Anspruch darauf, zu erfahren, dass Ahmad tot ist.“
Gruber nickte und im nächsten Augenblick schien sich Dr. Steiner, der zuständige Staatsanwalt, endlich zu melden.
„Guten Tag, Dr. Steiner, Gruber hier. Ich bin auf der Suche nach einer Akte, die vor einigen Jahren ihrem Vorgänger zwecks Anklageerhebung vorgelegt, von ihm aber als unzureichend zurückgewiesen wurde. … Ja, genau. Es handelt sich um den Fall Gazizow. … Richtig, Gregor Scholz.“ Gruber suchte Bennos Blick unter gerunzelten Brauen. „Ach, das ist ja interessant“, sagte er dann. „Aha. … Nein, davon ist mir nichts bekannt. Wenn ich die Akte hätte, würde ich sie ja wohl kaum bei Ihnen suchen, oder? …Haben Sie den zuständigen Beamten in der Registratur befragt? … Aha, hm, das ist natürlich sehr besorgniserregend, aber da kann man jetzt wohl erst mal nichts machen. … Gut. Tun Sie das. … Ja, natürlich. Sie erfahren es als Erster, sollten wir was rausfinden. … Ja, auf Wiederhören.“
Benno blickte ihn fragend an, als Gruber das Handy weglegte.
„Na, das klang ja spannend. Was hat er gesagt?“
„Er hat mir erklärt, dass Scholz heute Morgen auch bei ihm gewesen ist. Vermutlich unmittelbar nach seinem Abgang bei uns. Er hat ihm von der Sache erzählt und Steiner hat daraufhin selbst schon nach der Akte suchen lassen. Im Archiv ist sie auch gelistet, aber – und jetzt wird’s wirklich interessant! – laut Eintrag im Register wurde sie bereits gestern entliehen.“
„Bitte?“ Benno hob die Brauen. „Von wem?“
„Angeblich von mir.“
Benno klappte die Kinnlade nach unten.
„Was?“, entfuhr es ihm. „Das ist doch wohl …“
„Genau“, erwiderte Gruber. „So langsam glaube ich, Scholz hatte damals doch den richtigen Riecher. Wir müssen uns unbedingt noch mal mit dem Mann unterhalten.“
„Sehe ich genauso“, pflichtete Benno ihm bei. „Wir sollten den Kollegen vom Streifendienst Bescheid sagen, dass sie ihn aufspüren und herbringen.“ Er stand auf und griff nach seiner Jacke. „Und jetzt lass uns zu diesen Gazizows fahren.“